Meine Fahrradweltreise

Monat: November 2025 (Seite 1 von 1)

MAROKKO

Sowohl Dieter, der noch nie in Afrika war, als auch ich, die schon verschiedene Länder des schwarzen Kontinents bereist hat (aber nie mit dem Rad), waren sehr gespannt, was uns in Marokko erwarten würde. Bis zum Jahr 2000 war ich einige Male in Marokko gewesen – immer zu Besuch bei Verwandten meines Ex-Mannes, der aus Fes stammt. Seither sind 25 Jahre vergangen – ob und wie sich das Land wohl verändert hat?

Bereits am Hafen von Tarifa in Spanien fallen mir die vielen SUV‘s mit marokkanischem Kennzeichen auf, die ebenfalls mit der Fähre nach Tanger übersetzen. Nach unserer Ankunft in Tanger (die Einreiseformalitäten werden bereits auf der Fähre erledigt) gehts erst die paar Kilometer mit etlichen Höhenmetern in die Medina zu unserem gebuchten Riad. Radwege darf man hier natürlich nicht erwarten – wir teilen uns die Strasse mit unzähligen Autos, Motorrädern, Pferde- und Eselgespannen. Chaotisch, laut, bunt, vorbei an Cafés, in denen Männer im TV Fussball schauen und Minztee trinken- willkommen im Orient!

In der Medina ein Gewirr an engen Gassen mit unzähligen Riads, die man nur zu Fuß oder mit einem einspurigen Fahrzeug erreichen kann. Riads, diese nach innen gerichteten Gartenhöfe mit Dachterrasse, werden mehr und mehr zu Gästehäusern umgebaut und touristisch vermarktet. Wir dürfen unsere Räder im Eingangsbereich des Riads sicher abstellen und machen uns dann auf den Weg in ein Restaurant. Typisch marokkanisch muss es natürlich Couscous (mit Huhn) und Tajine (mit Rindfleisch und Pflaumen) sein. Dazu heißer, süßer Minztee. Alles sehr fein! Am Weg zurück ins Riad verirren wir uns ein paar Mal – es ist ein Labyrinth an engen Gassen, sodass selbst google maps teilweise nicht richtig anzeigt. Komoot, über das wir beim Radfahren navigieren, funktioniert besser, schlussendlich sind wir wieder in unserem Quartier angekommen.

Am nächsten Morgen Frühstück bei Sonnenschein auf der Dachterrasse – auch auf den umliegenden Terrassen sitzen Touristen, die ihr orientalisches Frühstück in der Sonne sitzend genießen. Wir organisieren uns dann noch SIM-Karten und tauschen unsere EUROs in Dirhams, bevor es mit dem Rad weiter Richtung Süden geht.

Es ist Montagmorgen mit viel Verkehr – das Fahren aus der Stadt ist zäh, wann immer es möglich ist, fahren wir am Gehsteig – die Polizei tangiert das nicht. Dann – wir sind noch immer nicht draußen aus der 1,3 Mio Einwohner Stadt – Dieter fährt vor mir auf einer wenig befahrenen Nebenstraße – kommt von hinten ein Motorrad mit 2 Männern und überholt mich. Als es auf der Höhe von Dieter ist, verreißt der Fahrer das Motorrad nach rechts, sodass Dieter strauchelt und beinahe zu Sturz kommt. „Was wollen die?“ denke ich mir, im nächsten Moment geben sie Gas und brausen davon. „Alles okay?“ frage ich Dieter. „Die wollten mein Handy klauen!“ Um navigieren zu können, haben wir unsere Mobiltelefone am Lenker angebracht – bei Dieter ist das Telefon mit einer Sicherungsschnur befestigt und daher ist es dem Bösewicht nicht gelungen, es zu rauben – die Sicherungsschnur hat gehalten. Für mich war das schon eine Schrecksekunde, aber Dieter, ein ehemaliger Kripobeamter, hat das ganze als sehr spannend und interessant empfunden.

Okay, noch mal alles gut gegangen, weiter gehts zuerst noch auf einer Nationalstraße, dann auf einer angenehm zu fahrenden Landstraße. Am Straßenrand werden Feigen, Granatäpfel und manchmal auch Coffee-to-go (aus tollen italienischen Kaffeemaschinen) angeboten (das hat es bei meinem letzten Besuch vor 25 Jahren definitiv noch nicht gegeben). Und was man am Straßenrand auch sieht: Müll. Schon in Spanien habe ich mir gedacht: „Wenn ich für jede leere Getränkedose oder -Flasche im Straßengraben einen Cent bekomme, so wäre ich Multimillionärin.“ Und auch hier wandern die leeren Dosen, Flaschen und Zigarettenpackungen direkt aus den fahrenden Autos in den Straßengraben. 

In einer kleinen armseligen Ortschaft halten wir an einem Kiosk (Miniladen), um ein Getränk zu kaufen. Es ist keine touristische Gegend und die Leute dort sehen so gut wie nie Touristen (und schon gar nicht solche, die mit dem vollbepackten Rad unterwegs sind). Die „Verkäuferin“, Mariam, etwa 10 Jahre alt spricht nur arabisch und freut sich riesig, uns 3 Dosen Maracuja-Orange verkaufen zu können. Ihre Mutter kommt dann auch noch aus dem dahinter liegenden Haus und schenkt uns ein noch warmes Fladenbrot frisch aus dem Ofen. „Shokran katiran!“ und schon schwingen wir uns wieder auf die Räder.

Das Ziel unseres 1. Radlertages in Marokko liegt etwas ausserhalb von Assilah in einem kleinen Dorf: Maison d‘hotes Berbari, ein Landgut (mit tollen Bewertungen auf booking.com). Nachdem wir zuvor auf einer wilden ruppigen Piste an vielen einfachsten Wellblechhütten vorbeigefahren sind, können wir kaum fassen, an welch magischem Ort wir hier gelandet sind. Die im Berberstil gestalteten Zimmer sind alle individuell und mit viel Liebe zum Detail ausgestattet. Und dann die Kulinarik: am offenen Kamin (am Abend ist es schon kühl) und begleitet von feiner Jazzmusik gibt es feinste cuisine marrocaine mit guter marokkanischer Weinbegleitung.

Gemanagt wird das Anwesen von Frauen: Rachida mit einem wilden Lockenkopf und Nouhaila: Dieter kriegt noch immer glänzende Augen, wenn er an die rassigen Mädels (die wirklich auf Zack sind) von Berbari denkt.

Am nächsten Tag ist am Vormittag starker Regen angesagt, daher radeln wir erst am Nachmittag los. Ziel ist die nur 10km entfernte Stadt Assilah am Atlantik. Assilah ist bekannt für seine street art – seit 1978 findet dort das street art Festival statt und viele tolle Graffiti zieren die weißen Wände der Medina. Auch hier sind wir wieder in einem sehr schönen Riad untergebracht. Dieter, ein großer Fan von street art, findet viele Fotomotive.

Die nachfolgenden Tage ist ideales Radlerwetter angesagt (max 18 Grad bei Sonnenschein)- da auch kaum Höhenmeter zu überwinden sind, planen wir Tagesetappen zwischen 90 und 100km. Es geht durch stark landwirtschaftlich genutztes Gebiet (Region Gharb) entlang der Küste: Heidelbeeren, Himbeeren (ich sehe ein Gebäude von Discrolls – sie vermarkten die Beeren auch in österreichischen Supermärkten), Zuckerrohr, Bananen, Zitrusfrüchte, Reis und Unmengen an Avocados. Viele Betriebe setzen trotz Belastung der Wasserressourcen seit ein paar Jahren vermehrt auf die grüne Frucht, um den Hunger der Europäer nach Guacamole zu stillen. 

Das Radeln ist körperlich nicht anstrengend, auf manchen Abschnitten sind aber viele Fahrzeuge (auch LKW‘s) unterwegs, sodass es eher mental belastend wird.

Und wenn Kinder am Straßenrand stehen, wollen sie immer abklatschen. Am Anfang war das ganz lustig – manche Kinder versuchen aber, einen vom Rad runter zu ziehen und dann hört sich der Spass auf. Mittlerweile strecke ich die Hand gar nicht mehr aus, weil ich Angst habe, dass ich zu Sturz komme, wenn ein 10-Jähriger meine Hand zu fassen bekommt.

Die Straßen sind ganz okay – es kann aber immer wieder vorkommen, dass plötzlich eine riesige Wasserlache (bei der keine Umfahrung möglich ist) auftaucht. Dann heissts: Augen zu und durch und hoffen, dass man nicht in ein Schlagloch (man sieht den Untergrund ja nicht) fährt. Und wenn man dann doch in einem Schlagloch landet:  kurz mit einem Fuß absteigen und sich vom Boden abstoßen, damit man die Fahrt fortsetzen kann. Glücklicherweise scheint ja fast immer die Sonne, sodass der nun waschelnasse Fuß samt Schuh wieder trocken ist.

Nach den ersten 300 Radlkilometern in Marokko (insgesamt haben wir seit dem Start in Paris vor 10 Wochen 3200 km radelnd zurückgelegt)sind wir in Kenitra angekommen. Da wir unbedingt Fes (das abseits unserer Route liegt) sehen wollen,  beschließen wir, die Räder und den Großteil des Gepäcks bei unserem Vermieter in Kenitra zu deponieren und den Zug ins Landesinnere zu nehmen. Unser Vermieter, ein ehemaliger Uni-Professor, der in Deutschland studiert hat und daher auch perfekt deutsch spricht, bringt uns dann auch noch mit dem Auto zum Bahnhof – shokran katiran!

Seit 2 Tagen sind wir nun in Fes und wohnen wieder einmal in einem beeindruckenden Riad in der Medina. Das Gassengewirr in der Altstadt mit mehr als 1000 zumeist sehr engen Gassen (unter Klaustrophobie darf man nicht leiden) ist immer wieder faszinierend. Und dann rieche ich es: Duft von Zedernholz – ich habe den angenehmen Duft seit meinem letzten Besuch in Fes vor 25 Jahren nicht mehr gerochen. Aus dem Holz werden in den Handwerksbetrieben schöne Möbel getischlert. Und weiter geht es in das Gerber- und Färberviertel. Hier ist es nicht der Duft, sondern der Gestank der Tierfelle, der einem auffällt (ein Büschel Minze vor der Nase hilft etwas). Im nächsten Viertel wird laut gehämmert – die Messing- und Kupferschmiede sind am Werken. Überall gibts was zu schauen und anschliessend lassen sich die Eindrücke in einem Café bei einer Tasse Minztee verarbeiten.

In Tanger werden die Stromzähler von Punksy gestaltet

der zerlegt gerade einen Rindskopf

zwischendurch ein Minztee

unsere wunderschöne Unterkunft am Land

Tajine mit Rindfleisch, Pflaumen, Birnen und Mandeln – dazu Gemüse und marokkanischer Rotwein

ja, so lässt sich‘s leben

Abendstimmung am Land

unser Riad in Assilah

Riad in Assilah

Dachterrasse des Riad in Assilah

street art in Assilah

nach einem ausgiebigen Frühstück im Riad gehts weiter

Arbeiter auf der Bananenplantage

Das sind Dornen eines Strauches, der überall am Straßenrand wächst – bis jetzt hatten wir in Marokko zum Glück keinen Patschen

viele Störche hier und dieser Mast ist besonders beliebt

Bab Boujloud – das Blaue Tor in Fes

in der Medina in Fes

unser bescheidenes Riad in Fes

ADIOS ESPANA

Bei der Planung der Tour von Paris nach Tarfaya gingen wir davon aus, dass wir für jedes Land ca. 1 Monat benötigen werden, sodass wir um die Weihnachtszeit am Zielort in der Sahara ankommen werden. Da man aber immer mit Überraschungen (man kann krank werden oder noch viel schlimmer einen Unfall haben, es kann über längere Zeit regnen oder man benötigt einen Ersatzteil fürs Fahrrad, der grad nicht vorrätig ist) rechnen muss, waren wir uns nicht sicher, ob wir diesen Zeitplan einhalten werden können. Und was soll ich sagen: ich sitze gerade auf der Dachterrasse eines Riads in der Kasbah in Tanger im Schatten (in der Sonne ist es mir zu heiß) und denke an Wien, wo es letzte Nacht geschneit hat. Wir sind am 21.9. in Paris gestartet, sind am 21.10. über die französisch-spanische Grenze geradelt und gestern, am 22.11. sind wir mit der Fähre von Tarifa, dem südlichsten Punkt am europäischen Festland in Tanger angekommen. Wenn das kein Timing ist.

Will man die spanische Etappe in einem Satz zusammenzufassen, dürfen die Worte „anstrengend“, „wunderschön“ und „sehenswert“ nicht fehlen. Ausnahmslos jeder Radlertag in Spanien war anstrengend, wobei nicht nur die zu bewältigenden Höhenmeter eine Rolle spielen, sondern sehr oft der lose Untergrund, auf dem man einsinkt und der einem das Gefühl gibt, dass man mit dem höchsten Gang unterwegs ist, obwohl ein mittlerer Gang drinnen ist. Oder starker Gegenwind gegen den man ankämpfen muss bzw. starker Seitenwind, der einen in die stark befahrene Fahrbahn drückt, sodass das ganze auch noch gefährlich wird. Oder auch, wenn man einmal 10km auf einer stark befahrenen Bundesstraße fährt (was sich manchmal ergibt) – der Lärm und die Geschwindigkeit der vorbeirasenden Fahrzeuge ist extrem belastend und teilweise beängstigend, sodass erleichtertes Aufatmen angesagt ist, wenn man auf eine wenig befahrene Strasse kommt.

Ich sage mir dann aber immer, dass es sicher bald besser wird und so ist es dann (zumeist) auch. Man kommt durch traumhaft schöne Orte, von denen ich bis jetzt noch nichts gehört habe, die einem viele Wow-Momente bescheren und staunen lassen. Und mit etwas Glück ergattern wir ein leistbares Zimmer in einem toll hergerichteten historischen Gebäude mit netten Gastgebern. Und so sind wir auch zufällig in Llerena bei Lola und Julio in ihrem schönen Casa Rural „Cieza de Leon“ gelandet. Llerena lag eigentlich gar nicht auf unserer geplanten Route, die Wettervorhersage zuerst 1 Tag starker Wind und dann 4 Tage Starkregen ließen uns umplanen. Wir wollten den windigen (aber sonnigen) Tag noch nützen und eine kürzere Tour planen, die dann aber in einem Ort mit Bahnhof endet, damit wir bei Regen mit dem Zug die Strecke nach Sevilla zurücklegen können. Radeln bei Gegenwind ist nicht lustig, aber 45km sollten zu schaffen sein. Wir kommen an vielen landwirtschaftlichen Anwesen vorbei, können einen Blick auf die vielen Kühe und Stiere (viele sind für die Kämpfe in den überall sichtbaren Arenen bestimmt) werfen oder uns auch über die sehr witzigen iberischen Schweine (die zu schmackhaftem „Pata Negra“, einem Rohschinken verarbeitet werden) amüsieren. Die schwarzen Tiere sind einerseits sehr schreckhaft – sobald wir mit den Fahrrädern bei ihrem Gehege vorbeifahren, stoben sie laut grunzend auseinander – um gleich im nächsten Moment wieder ganz neugierig ums Eck zu lugen.

Aber nun zurück zu Llerena und unsere tolle Unterkunft. Das „Cieza de Leon“, eine Töpferei mit Herrenhaus aus dem 14. Jahrhundert, errichtet im „Mudejar“-Stil (eine sehr sehenswerte Kombination aus maurischer und iberischer Kunst) wurde 2020 von Lola und Julio in ziemlich heruntergekommenem Zustand gekauft und anschliessend sehr geschmack- und liebevoll restauriert. Das Resultat: 7 individuell gestaltete Gästezimmer und großzügige Allgemeinflächen. Und das ganze zum wohlfeilen Preis von 90,0o € inklusive Frühstück – leider können wir nur 2 Nächte bleiben, da die Unterkunft über das Wochenende ausgebucht ist. Da der vorhergesagte Regen auch tatsächlich kommt, beschließen wir die 130km nach Sevilla mit der Bahn zurückzulegen. Die Tickets sind online einfach zu buchen – die Mitnahme der Räder im „Media Distancia“ Zug der spanischen Staatsbahnen RENFE ist kostenlos. Außer uns hat an diesem verregneten Tag ohnehin niemand ein Fahrrad dabei.

Die 700.000 Einwohner Stadt Sevilla, die Hauptstadt Andalusiens, empfängt uns im Regen und es sollte die die meiste Zeit regnerisch bleiben. Zwischendurch gibt es aber auch Sonnenfenster, sodass wir durch die Stadt flanieren und die ein oder andere Tapas-Bar aufsuchen. Außerdem will Dieter unbedingt zum Barbier (wo sonst, wenn nicht in Sevilla) und siehe da, gleich ums Eck unseres Apartments wird er fündig.

Von Sevilla ist es nicht mehr all zu weit nach Tarifa (von wo die Fähre nach Marokko abfährt) – wir beschließen einen Abstecher nach Gibraltar zu machen und so radeln wir in das britische Überseegebiet – man muss tatsächlich über das Rollfeld des Flughafens radeln, um in die Stadt zu kommen. Auch hier wieder eine etwas andere Unterkunft: diesmal sind wir in einem Hausboot im Hafen untergebracht. In Gibraltar muss natürlich der Felsen bestiegen werden: das weit verzweigte Tunnelsystem im Berg (das maßgeblich zur Verteidigung der Meerenge im 2. Weltkrieg beigetragen hat) wird von uns genauso besichtigt, wie die Makaken, die überhaupt nicht lästig und aufdringlich sind. Im Gegenteil: sie wirken alle sehr gut genährt und gepflegt – nicht so räudig, wie man es von Affen an anderen Orten gewohnt ist.

Von Gibraltar gehts dann durch viele für Andalusien typische „weiße Dörfer“ mit laut klappernden Störchen (die hier überwintern), vorbei an Palmen, Pinien und Orangenplantagen, über den einen oder anderen Berg (mit vielen knackigen Anstiegen) weiter zum südlichsten Punkt am europäischen Festland: Tarifa. Hier gehen wir noch einmal in eine Lavanderia, damit wir mit sauberer, gut riechender Wäsche in Afrika ankommen.

In der Extremadura

zwischendurch eine Panne, die schnell behoben ist

Fachsimpeln mit einem spanischen Radler

Caceres – was für eine schöne Stadt

Caceres

Merida

Lauter witzige Schweine

Lola und Julio, unsere Gastgeber in Llerena im casa rural Cieza de Leon

Zimmer im Cieza de Leon

Cieza de Leon im Mudejar-Stil

Sevilla

Sevilla

Dieter beim Barbier von Sevilla

Arcos de la Frontera – eine der weißen Städte

Fahrt über das Flugfeld in Gibraltar

MONI, DIE RASENDE SCHNECKE

Seit über einer Woche sind wir nun bereits in der autonomen Gemeinschaft Kastilien und Leon unterwegs. Zuerst noch am Camino, dann geht es weiter an den ca. 200km langen Canal de Castilla, wo ein Radweg entlang des Wassers führt. Was für ein toller Anblick! Die Natur zeigt sich in ihrem festlichen Herbstkleid und erstrahlt in Rot-, Gelb- und Orangetönen. Schlehen- (wir bleiben immer wieder stehen und naschen von den säuerlichen Früchten) und Hagebuttensträucher wechseln sich ab am Wegesrand. Man passiert Schleusen, halb verfallene Mühlen (Fans von „Lost Places“ kommen hier auf ihre Rechnung) mit Graffiti besprüht und das ganze ohne nennenswerte Höhenmeter und weit ab vom Autoverkehr. Es wäre perfekt, wäre da nicht der lose Untergrund, auf dem man radelt. Und nach einer holprigen Tagesetappe von 60km winselt der Hintern um Gnade.

Man kann gar nicht beschreiben, welch erlösendes Gefühl es ist, wenn man dann wieder auf Asphalt dahingleitet – so als ob ein Schmerz, den man die ganze Zeit gespürt hat, plötzlich nachgelassen hätte.

Am späten Nachmittag des 31. Oktober kommen wir in unserem Hotel, gleich ums Eck der Plaza Mayor in Valladolid an. Reges Treiben in der 300.000 Einwohner-Stadt – man sieht etliche Menschen in Halloween-Kostümierung. Am Abend hat man dann ohnehin das Gefühl, dass die ganze Stadt auf den Beinen ist. Die Lokale sind alle gesteckt voll – man genießt ein Glas Wein mit Pinxtos (Valladolid ist bekannt für seine exquisiten Pinxtos). Für den nächsten Tag, Allerheiligen, ist starker Regen angesagt. Das bedeutet: Rasttag für uns und Flanieren durch die sehenswerte Stadt.

Am Sonntag dafür: strahlender Sonnenschein von Früh bis spät. Wir planen eine 75km lange Etappe nach Toro, wo wir ein Zimmer in einem Stadtpalais aus dem 14. Jahrhundert gebucht haben. Irgendwie habe ich aber eine böse Vorahnung in Anbetracht der Tatsache, dass es am Vortag so stark geregnet hat. Aber zuerst geht es einmal raus aus der Stadt – an so schönen Sonntagen sieht man dann auch viele Rennradler, die das tolle Wetter ausnützen. Bald hört dann aber die Asphaltstraße auf und weiter geht es auf losem Untergrund – aufgeweicht vom Regen mit riesigen Pfützen. Es dauert nicht lange und es ist so viel Schlamm/Sand/Erdgemisch zwischen Kotflügel und Reifen, dass diese sich nicht mehr bewegen. Jetzt fluche ich einmal (oder auch zweimal) ganz laut. Dieter hilft mir, die Reifen so weit zu säubern, dass sie sich wieder drehen. Dann checkt er noch auf Komoot, ob es eine asphaltierte Alternativroute gibt. Nur eine Schnellstraße /Autobahn, wo wir nicht radeln dürfen (und auch nicht wollen in Anbetracht des Verkehrs).

Dieser Sonntag sollte der anstrengendste Tag unser bisherigen Tour werden. Obwohl nur ca. 300hm zu bewältigen waren – 45 km auf losem, feuchten Untergrund, in den man tief einsinkt, hat nicht nur mir immer wieder einen Fluch entlockt. Unsere Räder und Packtaschen waren so voller Dreck – als wir durch ein kleines Dorf radeln, werden wir ganz verwundert angeschaut.

Die letzten 20km in das auf einem Hochplateau gelegene Toro legen wir dann auf einer asphaltierten Landstraße zurück. Müde von der heftigen Fahrt freue ich mich, im wunderschönen Quartier (wie geschrieben ein Palais aus dem 14. Jhdt.) eine Badewanne vorzufinden. Jetzt einmal ein Vollbad! Und dann ab ins Stadtzentrum – wir haben Riesendurst. Bei Rosa, einer Ecuadoranerin, die eine kleine Bar betreibt, nehmen wir Platz. Für mich muss es nach so anstrengenden Touren immer ein eisgekühltes Cola sein. „Moni, aber ein Bier trinkst du auch!“ – Dieter muss mich nicht gross überzeugen. „Du bist ja die allerhärteste Socke – ich kann gar nicht fassen, wie du heute diesen Wahnsinnstrip gemeistert hast“ meint Dieter, der auch sichtlich geschafft ist. Bis jetzt hat er mich ja immer wieder mal als „Schnecke“ bezeichnet (er fährt doch etwas schneller als ich, aber schön langsam hole ich auf und bei manchen Steigungen überhole ich ihn sogar!) und ab sofort bin ich Moni, die rasende Schnecke.

In der Bar lernen wir dann auch noch den Ehemann von Rosa kennen – Segundo – auch er kommt aus Quito und die beiden leben seit 26 Jahren in Spanien. Er meint, wir müssen unbedingt ein Glas Wermut (mit hohem Alkoholgehalt) trinken. Es bleibt dann nicht bei einem Glas – nach je ca. 4 Gläsern sind wir so besoffen, dass wir uns fragen, ob wir noch aufrechten Ganges zurück in unser Quartier kommen. Kichernd und uns gegenseitig stützend schaffen wir es dann doch – ein würdiger Abschluss für einen anstrengenden Tag.

Es geht dann weiter, durch viele kleine, fast ausgestorbene Dörfer (Landflucht ist ein großes Thema) und die Landschaft verändert sich langsam. Man sieht bereits 1. Sukkulenten und Steineichen. Mittlerweile sind wir ca. 200km westlich von Madrid unterwegs (gestern waren wir in der sehenswerten Stadt Salamanca) und bewegen uns schön langsam Richtung Sevilla.

Und wir fahren jetzt auch nicht mehr nur am Eurovelo (mit großteils losem Untergrund), sondern legen viele Etappen auf einer wenig befahrenen Nationalstraße (Carretera Gijon a Puerto de Sevilla) zurück.

Castrojeriz – nach am Camino gelegen

Am Canal de Castilla

Einer der vielen „Lost Places“

Loser Untergrund

Genau diesen Untergrund will ich nicht

Eine kleine Stärkung zwischendurch (rechts Torrezno – frittierte Schwarte mit viel Fleisch dran)

unsere Unterkunft im Palais aus dem 14. Jhdt. in Toro

Toro

Nach 4 Gläsern Wermut – mich wundert, dass ich noch aufrecht gehen kann

Endlich Asphalt

Plaza Mayor in Salamanca