Die beiden Rasttage in Kutaissi habe ich richtig gewählt, denn es hat die meiste Zeit sehr stark geregnet. Das richtige Wetter, um Galerien und Museen zu besuchen, was ich dann auch gemacht habe.
Im Hotel treffe ich Reinhold, einen Augsburger, der hier in den Bergen gemeinsam mit seiner georgischen Frau eine Selbstversorgerlandwirtschaft (2 Kühe, 1 Schwein, Enten, Hühner und Gemüsefelder) betreibt. Er sagt, dass er sehr froh ist, in Georgien zu leben – er hat den Mief und die Spießigkeit in Deutschland nicht mehr ertragen. Ich frage ihn dann, wie es hier aussieht mit der medizinischen Versorgung: er meint, dass es in Tiflis sehr gute (auch deutsche) Ärzte gibt – am Land ist es aber doch etwas schwieriger.
Da nach dem Starkregen wahrscheinlich viele Wege, die mir Komoot vorschlägt, ziemlich gatschig und verschlammt sind, beschließe ich, die Strecke nach Tiflis mit dem Zug zu fahren. Dieser fährt 1x pro Tag (um 12:05) und benötigt für die ca. 260km fast 6 Stunden. Das Ticket für mich (inklusive Sitzplatzreservierung), das ich bereits 1 Tag vor Abfahrt am Bahnhof kaufe, kostet unglaubliche 8 Lari (2,50 EUR). Das Ticket für das Rad (5 Lari – 1,50 EUR) bekomme ich erst im Zug – na hoffentlich funktioniert das – es könnte ja sein, dass der Schaffner sagt, dass doch kein Platz für das Rad ist.
Am nächsten Tag bin ich bereits um 11:00 am Bahnhof, in der Hoffnung, dass der Zug schon etwas früher bereit gestellt wird, sodass ich das Rad und die Packtaschen in Ruhe verladen kann (das Verladen des Rades kann ziemlich stressig sein, wenn man wenig Zeit hat und man zuerst mal herausfinden muss, in welchem Waggon das Rad abgestellt werden darf. Und wenn man es weiss: Packtaschen runternehmen – Rad raufheben in den Waggon und irgendwie verstauen – wieder zurück und die Packtaschen holen und diese zum Sitzplatz bringen. Ufff – endlich geschafft).
Während ich am Bahnsteig auf den Zug warte, sprechen mich 2 Securitymitarbeiter an: sie wollen wissen, woher ich komme und wohin ich fahre,… Das übliche halt. Sie sprechen nur georgisch und ich antworte ihnen halt irgendwie. Ein anderer, ebenfalls georgisch wirkender Fahrgast, der auch gewartet hat, hat das mitbekommen und mich auf deutsch angesprochen: Daniel aus München – ich schätze ihn auf 35. Er lebt seit einigen Wochen in Tiflis und sieht hier etliche Geschäftschancen. Er will was machen mit Co-Working Spaces und Kryptowährung und erzählt mir, dass Georgien in gewisser Weise ein Steuerparadies ist. Er hat auch ohne weiteres eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung für 1 Jahr bekommen (EU Bürger können normalerweise bis zu 3 Monate ohne Visum in Georgien bleiben).
Und schon fährt der Zug ein – der Schaffner, der mich mit dem voll bepackten Rad am Bahnsteig stehen sieht, kommt gleich her zu mir. Ja, ich darf das Rad mitnehmen und er zeigt mir auch gleich den Waggon, in welchem ich mein bici abstellen darf. Also, Packtaschen runter – Rad raufheben in den Zug und verstauen – ich wieder raus aus dem Zug – Packtaschen nehmen und zu meinem reservierten Sitzplatz 17 tragen und dort verstauen.
Dann kommt der Schaffner und verteilt einmal Mineralwasserflaschen (das ist im Fahrpreis von 2,50 EUR inkludiert – ich pack es nicht) und schon gehts los nach Tiflis. Neben mir sitzt ein Paar – beide ca. 30 und sie unterhalten sich auf russisch. Wir kommen dann ins Gespräch – beide sprechen perfekt englisch und sie auch etwas deutsch. Sie kommen aus St. Petersburg und haben Russland im März verlassen. Beide hatten tolle Jobs (sie im IT Bereich – er ist Elektrotechnikingenieur) und sehen jetzt aber keine Zukunft für sich in Russland und sie wollen vor allem nicht, dass ihre (geplanten) Kinder in einer Diktatur aufwachsen müssen. Sie erzählen mir, wie gefährlich es ist, in Russland seine Meinung kund zu tun. Wenn man z. B. bei einer Demo gegen den Krieg erwischt wird, so kommt man zuerst einmal für ein paar Tage ins Gefängnis. Das ist nicht so schlimm. Wird man ein 2. mal erwischt (das muss nicht unbedingt bei einer Demo sein – es genügt ein Eintrag in den sozialen Medien), so gibt es ein paar Wochen Haft. Auch das geht vorüber. Heftig wird es aber, wenn man den 3. Minuspunkt kriegt: 15 Jahre Haft. Sie erzählen, dass einer ihrer Freunde jetzt gerade für 15 Jahre eingebuchtet wurde – der kommt mit 44 wieder raus.
Fast alle ihre Freunde haben Russland bereits verlassen und sind gerade dabei, sich woanders ein neues Leben aufzubauen. Alle gut ausgebildet – alle hatten gute jobs. Ein unglaublicher brain drain und wahnsinnig traurig.
Da wird einem wieder bewusst, wie gut es uns in Österreich geht.
Mit diesen interessanten Gesprächen vergingen die 6 Stunden bis Tiflis wie im Flug.
Und dann Tiflis: am Bahnhof lauter freundliche Georgier, die mir halfen, das Rad und die Packtaschen die vielen Stufen rauf oder runter zu tragen (Lift gab es nicht) – das fand ich extrem nett, weil an anderen Orten schauen die Leute meistens einfach nur zu, wie ich mich abschleppe.
Und der positive Eindruck wurde am Weg zum Hotel in der Altstadt noch verstärkt: was für eine schöne Stadt – sehr lebendig, tolle Architektur – viele gepflegte Parks. Hier gefällt es mir – hier bleib ich ein bisschen länger.
Am nächsten Tag, es war Sonntag, durfte ich in einer georgisch orthodoxen Kirche bei einer Taufe dabei sein. Es wurden 2 Buben (ca. eineinhalb und 3 Jahre alt) getauft – ich bin zwar etwas zu spät gekommen und hab nicht mehr gesehen, wie die Köpfe und Füße der beiden vollständig ins Taufbecken getaucht werden (so wie es hier Brauch ist). Ich hab aber noch mitgekriegt, wie den beiden (in Badetücher gewickelt) vom Priester mit einer Schere ein paar Haarsträhnen abgeschnitten werden und diese ins Taufbecken geworfen werden. Außerdem wird ihnen Balsam auf Kopf, Hände und Füße aufgetragen, der dann wieder abgetupft wird. Doch etwas anders als bei den Katholiken und Protestanten.
In den georgisch orthodoxen Kirchen gelten etwas strengere Bekleidungsvorschriften: Frauen sollen Kopf und Schultern bedecken (ein loser Schal um den Kopf passt da wunderbar), ausserdem soll man ein Kleid/Rock tragen bzw. wenn man eine Hose anhat, so soll man die Hüften bedecken (geht ebenfalls gut mit einem Schal oder mit einer etwas längeren Bluse). Schals und Kopftücher in verschiedenen Farben liegen oft auch beim Eingang zu den Kirchen in Boxen bereit, sodass man sich für den Besuch etwas Passendes aussuchen kann. Ich habe in einer Boutique, in welcher georgische Mode verkauft wurde, eine nette Bluse erstanden, welche ich gleich bei den Kirchenbesichtigungen ausführen konnte (passt hoffentlich dann auch für den Iran).
In der Zwischenzeit ist auch Oliver, den ich auf der Fährfahrt kennengelernt hatte, mit einem Bus in Tiflis eingetroffen. Er hatte Probleme mit dem Wohnmobil und es daher in eine Werkstätte in Batumi gestellt, wo es hoffentlich repariert werden kann. Er meinte, dass er noch nie so eine perfekt organisierte Werkstatt gesehen hat – und wenn das ein Deutscher sagt, so will das was heißen. Da nicht alle Ersatzteile lagernd sind, dauert es ca. 1 Woche, bis er das Fahrzeug wieder abholen kann. Na, da können wir die Stadt zu zweit besichtigen – das ist immer netter, als wenn man alleine unterwegs ist.
Am 26. Mai war georgischer Unabhängigkeitstag und da wurde so einiges geboten. Am Freiheitsplatz fand eine Parade des georgischen Heeres statt (alle Divisionen waren vertreten). Dann wurde die georgische Nationalhymne gesungen – anschliessend – wir konnten es zuerst kaum glauben und haben dann laut mitgesungen – die „Ode an die Freude“ (Freude schöner Götterfunken…) in deutscher Sprache und zum Schluss hat die Militärkapelle noch den Radetzkymarsch gespielt. Ich habe geglaubt, ich bin in Österreich. Und als finale furioso sind natürlich Militärhubschrauber und Kampfjets im Formationsflug mit Farbe in niedriger Höhe über das Stadtzentrum gedonnert.
Georgien will ja in die EU (und auch in die NATO) – vor allen Regierungsgebäuden hängt sowohl die georgische als auch die EU Flagge – das ist dann auch die Erklärung dafür, dass neben der Nationalhymne auch die Europahymne („Ode an die Freude“) gesungen wurde.
Wir waren auch in einem modernen Shopping Center – wäre da nicht überall die verschnörkelte georgische Schrift, so hätte man glauben können, in einem westeuropäischen Einkaufszentrum zu sein. Und auch die Preise in dieser Mall entsprachen westeuropäischem Niveau – es ist die Frage, wer sich das in Georgien leisten kann. Neben dem ATM (Bankomat) steht dort auch ein BTM (Bitcoin Teller Machine), wo man seine Kryptowährung zu Bargeld machen kann.
Rund um Tiflis sind einige Hügel mit schönen Parks und so sind wir mit einer Standseilbahn (errichtet von der Vorarlberger Firma Doppelmayr – da hab ich mich dann gleich doppelt so sicher gefühlt) auf einen dieser Hügel gefahren und standen bei einem Aussichtspunkt, wo wir uns -klarerweise auf deutsch – unterhalten haben. Neben uns stand ein orientalisch aussehendes Paar (beide ca. 30-35 Jahre, westlich gekleidet) und der Mann hat uns in perfektem, akzentfreiem Deutsch angesprochen.
Die beiden Iraner kurdischer Abstammung haben erst vor einer Woche geheiratet und waren auf Hochzeitsreise. Er ist vor 8 Jahren aus dem Iran geflohen und 2016 als Flüchtling nach Deutschland gekommen, wo er Asyl erhalten hat. Er lebt und arbeitet als Pizzakoch in Stuttgart. Seine Partnerin hat er diese 8 Jahre nicht gesehen (er meinte „zum Glück gibts Whats App“) – er fliegt jetzt wieder zurück nach Deutschland, während sie im Iran ihre Papiere fertig macht, um ihm dann nachzufolgen.
Er sagt, er ist Deutschland so unendlich dankbar, dass er Asyl bekommen hat und dass er dort leben und arbeiten darf. Beide wirkten auch sehr glücklich und haben mit der Sonne um die Wette gestrahlt. Ich habe ihn dann noch gefragt, ob er schon Deutsch konnte, bevor er nach Deutschland kam. Nein, sagt er – er hat nach seiner Ankunft in Deutschland einen Sprachkurs besucht (3 Jahre) und jetzt spricht er perfekt Deutsch. Chapeau!
Ich musste dann wieder an Reinhold (den Augsburger, dem der deutsche Mief und die Spießigkeit zuviel wurden) denken bzw. auch an Daniel aus München (der in Georgien Chancen sieht, die er in Deutschland nicht sieht) aber auch an das Paar aus St. Petersburg: warum verlässt einer ein Land, das für einen anderen das Traumland darstellt? Wobei es ein Westeuropäer unendlich viel leichter hat, in seinem „Traumland“ Fuß zu fassen, als eine Person, die als Flüchtling in ihr „Traumland“ kommt.
Wir sind dann von diesem Hügel rübermarschiert zur „Mother of Georgia“, einer Riesenstatue, noch errichtet zu Sowietzeiten. In der einen Hand hält sie ein Schwert („für die Feinde“) – in der anderen einen Weinkrug („für die Freunde“) und von dort dann weiter ins Bäderviertel. Tiflis bedeutet ja „warme Quelle“ und in den Bädern kann man seiner Haut Gutes tun und ein ziemlich heißes Schwefelbad nehmen.
Auf ein Schwefelbad haben wir verzichtet (das ist eher was für die kalte Jahreszeit) – dafür sind wir Essen gegangen. Ja, das Essen hier ist ein Kapitel für sich. Zum Niederknien – so fein und raffiniert. Selbst ich (ich gelte als sehr schnelle Esserin) sitze dann ganz andächtig vor dem Teller und genieße jeden einzelnen Bissen. Diese Auberginenröllchen mit der Walnusspaste oder Kinkali (Teigtaschen) gefüllt mit Pilzen oder Kartoffeln oder Fleisch. Und erst die Salate! Dazu noch ein Glas georgischen Wein – ja, so ungefähr stellt man sich das Paradies vor.
Schön langsam heisst es dann aber Abschied nehmen – ein bisschen Wehmut schwingt mit. Wenn man als Radnomadin einmal 7 Tage an einem Ort ist, so entwickelt sich schon fast ein Heimatgefühl – man kennt dann schon die ganze Umgebung, weiss wo man gut essen gehen kann, muss nicht jeden Tag die Radtaschen neu packen.
Nächstes Ziel: Mzcheta, die ehemalige Hauptstadt Georgiens mit einigen Weltkulturerbestätten.