Meine Fahrradweltreise

Monat: Januar 2025 (Seite 1 von 1)

TOD IM PARADIES

Rupi plant, für die nächsten 10 Tage Chartergäste an Bord zu nehmen. Da kommt eine Anzeige auf der Reiseplattform wie gerufen für mich: Michael aus dem Sauerland verbringt seinen Winterurlaub auf La Palma, der westlichsten der Kanareninseln, die er wandernd erkunden möchte. Ich war 2018 bereits auf der „Isla Bonita“ oder auch „Isla Verde“ – beide Namen trägt La Palma mit seiner imposanten Bergwelt und seinen schwarzen Lavasand-Stränden zurecht.

Nach einem kurzen Mailverkehr und einem Telefonat vereinbaren wir, uns direkt am Flughafen von Santa Cruz, dem an der Ostküste gelegenen Hauptort von La Palma zu treffen.

Diese Reiseplattformen sind absolut genial – wenn man bereit ist, sich innerhalb kurzer Zeit auf einen anderen Menschen einzulassen, die gegenseitige Sympathie passt und gewisse Eckpunkte (Kostenteilung 50:50, getrennte Schlafzimmer oder auch nicht – man muss das aber vor der Reise vereinbaren, Gestaltung der Urlaubstage, ganz wichtig: man muss nicht alles gemeinsam unternehmen und keiner darf beleidigt sein, wenn einer einmal alleine losziehen möchte und beiderseitige Kompromissbereitschaft) geklärt sind, so steht einem angenehmen Urlaub zu zweit nichts mehr im Weg.

Auch wenn ich nicht auf Reisepartnersuche bin, so schmökere ich ganz gerne in den Inseraten, weil einem da immer wieder Sachen unterkommen, die einen zum Schmunzeln oder sogar Lachen bringen.

Da wären einmal die sogenannten „Ladies free“-Anzeigen. Sehr oft aufgegeben von Herren in meinem Alter – wenn man sich die eingestellten Fotos anschaut, sieht man, dass das Leben doch sehr tiefe Spuren hinterlassen hat, dem Bauchumfang nach zu schließen haben Bier und Schweinsbraten immer sehr gemundet. Nachdem die zukünftige Reisepartnerin ja eingeladen ist, erwarten diese Herren natürlich auch entsprechende Gegenleistungen: Wunschalter 18 bis 25 und – eh klar – hübsches Aussehen und gute Figur. Gebucht wurde über den Diskonter ein Doppelzimmer (kostet nicht viel mehr als ein Einzelzimmer) und der Billigflug ins Urlaubsparadies ist auch noch drin. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass dieses Inserat irgend eine 25jährige hinter dem Ofen hervorlockt, es wird dann eher so sein, dass diese Herren von einschlägigen Damen angeschrieben werden, die ihnen ein All-In-Angebot unterbreiten (und das ganze dann definitiv nicht zum Diskontpreis).

Es gibt da aber auch einen 35-jährigen, der den Spieß umgedreht hat. Die Frauen sind ja emanzipiert und viele verfügen über ein gutes Einkommen. Er hingegen hat grad eine teure Scheidung hinter sich und kann sich keinen Urlaub leisten. Daher sucht er eine solvente, attraktive Dame bis maximal 35 (er sucht doch keine Sugar-Mummy!), die ihn zu einer mindestens 2-wöchigen Luxusreise einlädt. Seychellen wären super, aber ein exklusives Resort in SO-Asien oder in der Karibik tun’s natürlich auch. Dazu ein bisschen Taschengeld und ein nettes Geschenk, z.B. das neueste iPhone oder eine Rolex.

Ja, das ist so eine Sache mit den Erwartungen. Ein 65-jähriger sucht eine weibliche Reisebegleitung für eine mehrjährige Weltreise mit dem Wohnmobil – er ist in Rente und hat viel Zeit. Dem Foto nach zu urteilen nicht unsympathisch (durchschnittliches Aussehen), ausserdem gebildet, belesen, viel gereist – also sicher nicht uninteressant. Und laut eigenen Angaben auch topfit und sehr sportlich. Wunschalter der Dame, die ihn begleiten soll: 35 bis maximal 50. Und dazu auch gleich die Begründung: „Weil ich in meinem Leben immer mit jüngeren Leuten zu tun hatte“ – Ich denk mir: was ist das für eine Begründung? Und bedenkt er eigentlich, dass diese jüngeren Damen ja noch arbeiten müssen? Wie soll das dann gehen mit einer mehrjährigen Reise – es sei denn sie ist Digital-Nomadin? Kurz überlege ich, ihn anzuschreiben (mit einem link zu meiner homepage) und dem Bedauern, dass ich aufgrund meines fortgeschrittenen Alters (bin aber trotzdem jünger als er) ja leider nicht in Frage komme und zum Schluss mit „Mumie Monika“ unterschreibe (ich kann wirklich garstig sein) – lass es dann aber bleiben. Offensichtlich hat er die richtige aber bis jetzt nicht gefunden, weil in der neuesten Anzeige gibt er es schon etwas billiger: die Damen dürfen jetzt tatsächlich auch 60 sein. Na, dann viel Glück!

Jetzt aber zurück zu La Palma. Michael, der bereits seit ein paar Tagen auf der Insel ist, holt mich mit dem Leihwagen vom Flughafen ab und wir beziehen unsere Ferienwohnung in Puerto Naos an der Westküste. Gleich ums Eck gibt es einen kleinen Spar-Markt, wo wir uns mit Lebensmitteln für das Frühstück und die geplanten Wandertouren eindecken.

Vor ca. 3 Jahren war hier der letzte große Vulkanausbruch, der 3 Monate angedauert hat – nicht zu übersehen der neue Berg (Tajogaite) und der breite Lavastrom, der sich ins Meer ergossen hat. Dabei wurden 1500 Gebäude zerstört – von einigen sieht man nur noch das Dach aus der erstarrten Lavamasse rauslugen.

Vulkane und deren Landschaften (Caldera) bilden auch den Mittelpunkt unserer Bergtouren, die dann regelmäßig auf dem Programm stehen. Imposante Krater, kahle Mondlandschaften, wo vereinzelt wieder Kiefern anfangen zu wachsen und gewaltige Schluchten erzeugen viele WOW -Momente. Und wir machen nicht wenige Höhenmeter – das ganze in flottem Tempo. Ich bin auch nicht grad die Langsamste, muss aber schauen, dass ich mit Michael Schritt halte. Er war früher Landesmeister im Fünfkampf und ist mit seinen 60 Jahren noch immer topfit.

Am Abend geht es dann ab ins Restaurant, welches direkt am Meer liegt. Auch nach Sonnenuntergang um ca. 18:30 ist es noch immer angenehm im Freien zu sitzen, obwohl eine leichte Jacke nicht schadet.

Ich probier heute einmal Muräne (habe ich noch nie gegessen) – die haben sie hier auf der Karte, dazu papas arrugadas (Runzelkartoffeln) mit mojo rojo (Chilisauce) und Salat. Michael bestellt nach dem Motto: „Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht“ – für ihn gibts einen Burger mit Pommes. „Igitt, was ist denn das“ – entsetzter Blick von Michael, als er den Kopf der Muräne auf meinem Teller sieht. Zugegeben, das ganze schaut wirklich ein bisschen spooky aus: ziemlich grimmiger Blick, das Maul leicht geöffnet mit vielen spitzen Zähnchen. (Foto siehe weiter unten) „Magst kosten? – die Backerl schmecken sicher besonders gut.“ Michael ist mutig und die Backerl lässt er sich tatsächlich schmecken. Die restliche Muräne ist auch nicht schlecht – ein bisschen viel Gräten vielleicht, sonst aber nicht zu verachten.

Als passenden Wein wähle ich einen Malvasia von La Palma – die Traube wächst hier auf der Insel auf Vulkanböden (bei einer der Wanderungen im Süden kommen wir bei den Weingärten vorbei) und ergibt einen vorzüglichen Tropfen. Was für ein Genuss und das vor der imposanten Kulisse mit grossen Wellen, die mit Getöse auf den schwarzen Strand brettern.

Der nächste Tag ist ein Faulenzertag für mich, auch weil ich eine unangenehme, schmerzende Blase auf meinem kleinen Zeh habe. Sie ist mittlerweile offen, nässt und blutet leicht. Michael macht die heutige Bergtour alleine und verspricht, mir aus einer Apotheke Blasenpflaster mitzubringen, damit ich am nächsten Tag wieder fit bin für den nächsten Berg.

Am Nachmittag gehe ich an den Strand, um mir in der Bar einen Barraquito zu gönnen, anschliessend setze ich mich mit einem Buch auf eine schattige Bank an der Promenade, die ca. 1 m über dem Strand liegt. Es ist angenehm, hier zu lesen und zwischendurch immer wieder einen Blick auf die Strandbesucher, die Wellen und den Horizont zu werfen. Schon seit 2 Tagen weht die rote Flagge – Baden im Meer ist verboten – eine Gruppe socorristas (Rettungsschwimmer) passt auf, dass niemand das Verbot missachtet. Der Atlantik zeigt sich von seiner rauen, gefährlichen Seite – die Wellen, die am Strand ankommen sind ca. 4m hoch.

Dann – ich bin in mein Buch vertieft – ein aufgeregter Schrei eines Mannes neben mir: er ruft den socorristas auf spanisch zu, dass eine Person im Meer treibt und zeigt mit seiner Hand auf die betreffende Stelle. Ich stehe auf, um besser sehen zu können, kann in den aufgepeitschten Fluten aber nichts erkennen. 2 socorristas, junge Männer, schnappen sich je eine Rettungsboje, sprinten zum Wasser und innerhalb von ein paar Sekunden sind sie in den Wellen verschwunden. Von Zeit zu Zeit sieht man einen Kopf zwischen den Schaumkronen auftauchen, dann den zweiten – man sieht, dass sie ordentlich zu kämpfen haben, um wieder ans Ufer zu gelangen.

Gebannte und entsetzte Blicke der Strandbesucher und auch die Spaziergänger auf der Promenade bleiben stehen und verfolgen das dramatische Geschehen.

Im nächsten Moment ein gellender, hysterischer Schrei einer Frau Mitte 30, die auf einem der Liegestühle gleich unter der Promenade liegt. „Mischa, Mischa“ rufend springt sie auf und rennt Richtung Wasser – dort, wo die Rettungsschwimmer gerade versuchen, wieder festen Boden unter den Füssen zu gewinnen. „Um Gottes Willen – ist Mischa ihr Kind?“ ist mein 1. Gedanke. „Ist sie gerade drauf gekommen, dass ihr Kind nicht da ist?“

Dann sieht man aber, dass die socorristas den leblosen Körper eines erwachsenen Mannes in den schwarzen Sand legen und umgehend mit der Herzmassage beginnen. Die Frau, lange blonde Haare, mit Hot Pants und weißem T-Shirt bekleidet will mit lauten „Mischa, Mischa“ – Rufen zu ihrem Partner – ein paar Strandbesucher halten sie zurück und versuchen, sie zu beruhigen.

Schon bald kommt ein Rettungsfahrzeug mit Blaulicht und Folgetonhorn auf die Strandpromenade – 3 Sanitäter/Notärzte unterstützen nun die socorristas bei den Wiederbelebungsmassnahmen. Da mittlerweile die Flut eingesetzt hat, muss Mischa ca. alle 10 Minuten weiter Richtung Promenade umgebettet werden und mit ihm bewegt sich auch der gesamte Rettungstross, der inzwischen aus ca. 10 Personen besteht. 4 uniformierte Polizisten sind auch da – mich wundert, dass kein Sichtschutz errichtet wird.

Die Frau von Mischa ist komplett fertig – zeitweise läuft sie wie ein Tier im Käfig im Kreis verzweifelt „Mischa, Mischa“ rufend, dann sitzt sie apathisch im Sand und stiert vor sich hin. Solange die Einsatzkräfte nicht aufgegeben haben, besteht Hoffnung, dass das ganze doch noch gut ausgeht. Es taucht dann auch noch ein junger, schlaksiger Mann auf, der ebenfalls einen Zusammenbruch erleidet. Beim Anblick von Mischa, der mittlerweile in eine gold glänzende Rettungsdecke gehüllt ist, beginnt er laut zu schluchzen und es beutelt ihn am ganzen Körper.

Unter den Strandbesuchern werden Mutmaßungen angestellt – wie konnte das passieren? Bei diesen hohen Wellen geht doch keiner ins Wasser. Ein Pärchen berichtet, dass es am Vortag bei einem Strandspaziergang fast hinausgespült worden ist. Aber sie waren zu zweit und der Mann konnte die Frau im letzten Moment aus dem Wasser ziehen. Die hohen Wellen und die starke Strömung werden leider unterschätzt.

Und so war es vielleicht auch bei Mischa. Er verbringt mit seiner Frau und seinem 20-jährigen Sohn (der aus einer früheren Beziehung stammt) einen schönen Nachmittag am Strand. Sie haben heute einen Faulenzer-Strandtag eingelegt, nachdem sie in den letzten Tagen immer sportlich in den Bergen unterwegs waren und auch morgen ist wieder eine anstrengende Bergtour geplant. Vielleicht überlegen sie gerade, in welchem Restaurant sie heute zu Abend essen (diese Tapas Bar mit den Arepas wollten sie schon die ganze Zeit mal ausprobieren), da meint Mischa zu seiner Frau: Du, ich geh noch schnell auf einen Kaffee in die Strandbar. Bin gleich wieder zurück. Okay, meint seine Frau und vertieft sich wieder in ihr Buch. Nachdem Mischa den Kaffee getrunken hat, beschließt er noch einen kleinen Strandspaziergang zu machen – er hat sich heute viel zu wenig bewegt. Strandspaziergang: das ist normalerweise ganz harmlos und steht für Urlaub pur. Miniwellen, die die Zehen kitzeln – wenns hoch geht werden vielleicht einmal die Wadl‘n nass. In Gedanken versunken geht er am Wasser entlang und dann kommt die Welle, die ihn mit raus nimmt aufs Meer. So oder so ähnlich könnte es gewesen sein.

Es ist mittlerweile 18:00 – vor 1 Stunde wurde Mischa aus dem Wasser gezogen und in diesen 60 Minuten haben die Einsatzkräfte ihr bestes gegeben, ihn ins Leben zurückzuholen. Leider vergeblich. Sie beginnen, ihre Sachen zusammenzupacken. Die Socorristas reinigen ihre Bojen und das restliche equipment und verstauen alles in einem Lagerraum neben der Strandbar. Die Sanitäter und der Notarzt packen ebenfalls alles zusammen und verstauen die Sachen im Rettungsauto. Ein Sanitäter holt ein weißes Tuch aus dem Rettungswagen und deckt damit den leblosen Körper von Mischa zu. (Ich frage mich, wieviele weiße Tücher die Einsatzkräfte immer dabei haben. Mit wie vielen Leichen rechnen sie pro Tag?)

Die Sonne verschwindet langsam im Meer – mich fröstelt.

Am schwarzen Sand liegt noch immer die mit weißem Tuch zugedeckte Leiche von Mischa. Die goldene Rettungsdecke lugt hervor. 2 Polizisten stehen daneben. Der Liegestuhl- und Sonnenschirm-Verleiher sammelt die Liegen und Schirme ein. Die Liegen werden neben der Strandbar gestapelt, daneben die Schirme hingelegt. Die meisten Strandbesucher sind schon in ihren Ferienwohnungen – sie machen sich fertig fürs Abendessen.

Die Sonne ist jetzt ganz weg – Dunkelheit senkt sich über die Szenerie. Da kommt noch einmal die Frau von Mischa, sie kniet sich neben ihn in den schwarzen Sand, zieht das weiße Tuch zurück, sodass sein Kopf sichtbar wird, streichelt ihm über die Haare und gibt ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann deckt sie ihn wieder zu. So herzzerreißend und erschütternd – so zärtlich und intim.

Vergleiche mit der griechischen Mythologie drängen sich auf: Poseidon hat seinem Bruder Hades zu einem Neuzugang in dessen Totenreich verholfen. Mischa hat bereits den Styx überquert, vorbei an Zerberus und nichts kann ihn zur Umkehr bewegen. Nicht die lauten, verzweifelten „Mischa, Mischa“-Schreie seiner Frau, nicht das unüberhörbare Schluchzen seines Sohnes.

Überhaupt wirkt das alles so inszeniert: Die eben im Meer versunkene Sonne, der Abendhimmel, die lauten, ungestümen Wellen, der schwarze Strand mit dem leblosen Körper, mit dem weißen Tuch darüber. Dazu das Publikum (viele haben Tränen in den Augen): in der Strandbar, das sind die Logenplätze. Die Plätze auf den Strandliegen entsprechen dem Parkett und auf der Promenade, wo auch ich stehe, das ist der 1. Rang.

Die Vorstellung hat genau 90 Minuten gedauert, jetzt fällt gleich der Vorhang. Dann werden die grandiosen Schauspieler noch einmal vor den Vorhang treten und sich den verdienten Applaus abholen. In der Mitte verbeugt sich Mischa in seiner schwarz-grünen Badehose, die goldglänzende Rettungsdecke um die Schultern sorgt dafür, dass ihm nicht kalt wird – daneben seine Frau und sein Sohn und anschließend die socorristas, Notärzte, Sanitäter und Polizeibeamten.

Es ist kein Theater – es ist Realität.

RIP Mischa, er wurde 49 Jahre alt.

Heute gibts Muräne

Kraterlandschaft auf La Palma

Blick aufs Nebelmeer

Morgenstimmung in der Cumbrecita

Ein bisschen grün in der Vulkanlandschaft

So siehts aus nach dem letzten Vulkanausbruch

Mit Michael am Strand von Puerto Naos – dazu ein ausgezeichneter Wein

AUF ZU NEUEN UFERN

MIR FEHLT DAS MEER – in fetten Riesenlettern prangt dieser Spruch auf einem Transparent, welches am Balkon einer Wohnung beim Wiener Naschmarkt angebracht ist (man sieht es auch sehr gut, wenn man mit der U4 stadteinwärts fährt, kurz vor der Einfahrt in die Station Kettenbrückengasse – man muss nur raufschauen zur Linken Wienzeile). Ich wohne ganz in der Nähe und denk mir immer, wenn ich es sehe: MIR AUCH!

Und seit einigen Wochen schon bin ich nun von Meer umgeben und damit verbunden viel Sonne und angenehme Temperaturen. Ich wohne auf einem Segelboot, welches momentan im Hafen von Puerto del Rosario auf Fuerteventura liegt.

Nachdem ich nach meinem Pamir Highway – Radtrip schon wieder mehr als 1 Jahr in Österreich verbracht habe (verbunden mit einem tollen Job als Köchin), war es allerhöchste Zeit, sich wieder ins Abenteuer zu stürzen.

Ursprünglich geplant war, mit dem Drahtesel von Paris nach Dakar zu radeln. Die für 5-6 Monate anberaumte Reise (mit Start in Paris Anfang November) wollte ich nicht allein machen – 2500 km durch die Sahara zu fahren sind kein Honiglecken und der Gedanke, dass ich in der Wüste bei Sandsturm und Skorpionen eine Panne habe (und niemand da ist, der mir hilft), war nicht grade prickelnd. Obwohl es etliche Leute (auch Frauen) gibt, die diese Sache allein durchziehn. Und man weiss ja auch, dass 95 % aller Befürchtungen sowieso nie eintreffen. Bei der Suche nach einem passenden Reisebuddy bin ich über die Anzeige von Rupi gestolpert. Rupi, ein Vorarlberger ist Einhandsegler, der sein 40 Fuß (12m) Segelboot vor den Kanaren liegen hat und nach dem Motto „Hand gegen Koje“ für den Winter eine Mitseglerin sucht. Paris-Dakar rennt mir schon nicht davon, denk ich mir und schreib ihn an. Ich bin zwar noch nie gesegelt, finde die Idee aber spannend und die Vorstellung, dass ich die Kanarischen Inseln mit Fahrrad und Wanderschuhen entdecken kann, wann immer das Boot im Hafen oder vor Anker liegt, ist sehr reizvoll. Außerdem kann ich meine Spanischkenntnisse, die etwas eingerostet sind, wieder aufpolieren.

Voraussetzung ist aber, dass wir beide uns verstehen und dass mir die doch etwas beengten Verhältnisse am Boot zusagen. Wir treffen uns daher im September, um gemeinsam von Fuerteventura nach Lanzarote zu segeln. Rupi, der das Boot vor 30 Jahren selbst gebaut hat (und daher auch alles selbst reparieren kann) verfügt über eine lange Segelerfahrung und so fühle ich mich sicher an Bord. Außerdem verstehen wir uns gut und beschließen, den Winter gemeinsam am Boot zu verbringen. Das ganze soll ohne Stress ablaufen – wir richten uns nach dem Wind und lassen uns treiben. Nachdem die Inseln viel zu bieten haben, gibt es viele Möglichkeiten der sportlichen Betätigung. Da wir ohnehin nicht die ganze Zeit aufeinander picken wollen, unternehme ich auch immer wieder alleine Rad- oder Wandertouren, während Rupi am Boot herumschraubt.

Der Wind war in den letzten Wochen sehr ungünstig – statt des üblichen NO Passats kommt starker Südwind, der hohe Wellen in den Hafen von Rosario, wo wir momentan liegen, reindrückt. Eines Morgens werde ich sehr unsanft geweckt – die Wellen schlagen so heftig gegen den Bootsrumpf, sodass ich gleich auf die andere Seite des Bettes rolle. Über meinem Bett befindet sich die Notausstiegsluke – ich stecke meinen Kopf raus. Am Steg, der sich auch heftig hin- und her bzw. auf- und ab bewegt stehen ein paar Skipper beisammen – Rupi ist auch dabei – und diskutieren. Immer wieder besorgte Blicke rauf zu den Masten – die Boote führen auf den hohen Wellen einen wilden Tanz auf und immer wieder stoßen die Masten zusammen. Direkt neben uns liegt ein britisches Boot – am Masten haben sie das Ankerlicht und einen Windmesser angebracht – beides ist kaputt. Bei uns ist glücklicherweise nichts kaputt gegangen. Einige Boote im Hafen sind nicht bewohnt. Da Gefahr in Verzug ist, gehen die anwesenden Skipper zu diesen Booten und prüfen, ob die Taue nicht durchgescheuert bzw. ob die Fender richtig gesetzt sind und beheben dann entsprechende Mängel. Normalerweise ist das nicht erlaubt, in diesem Fall aber wichtig, um zu verhindern, dass Boote beschädigt werden.

Nicht nur das Schauspiel der wild tanzenden Boote ist beeindruckend – die dazugehörige Geräuschkulisse steht ihm in nichts nach. Es ist ein Geächze, Geseufze und Gestöhne, ein Wimmern, Jammern und Weinen; ausserdem scheint die halbe Tierwelt anwesend zu sein. Man hört Löwen brüllen, Kätzchen miauen (oder weint da ein Baby?), einen Vogel, der einen lauten Pfiff von sich gibt – unglaublich welche Geräusche durch die Seile, Taue, Takelage, Masten, Stege,… entstehen.

Ich beschließe, an diesem Tag auf dem Boot zu bleiben. Der schmale, ca. 50cm breite Steg, der vom Boot zum ca. 2m breiten Hauptsteg führt, bewegt sich wie wild hin und her. Auch die Britin vom Nachbarboot wagt sich nur auf allen Vieren nach vor zum befestigten Teil des Hafens.

Ich frage mich eh, wie viele (schon etwas angeheiterte) Leute hier schon ins Wasser gefallen sind.

Ich bin zwar noch nicht reingefallen, dafür habe ich eine spezielle Fotosession am Steg abgehalten. Rupi ist unter Deck, ich will unbedingt ein Foto vom Boot, daneben das Rad, das ich mir hier zugelegt habe und dazu die Wanderschuhe. Leider ist es noch immer ziemlich windig – auch der breite Hauptsteg führt sich auf wie ein Berserker-Drachen. Mir gelingt es aber, das Rad neben den Bug zu stellen, dazu die Wanderschuhe. Dann schnell ein Foto gemacht – und dann mache ich den Fehler und schau mir das Foto am Handy an und lasse kurz das Fahrrad aus den Augen. Im nächsten Moment liegt das Rad im Meer (hier ca. 7m tief) – ich kann grad noch den Lenker fassen und das Gefährt mit Müh und Not aus dem Wasser ziehen. Jetzt ist es halt ein richtiges Inselfahrrad – getauft mit Meerwasser. Rupi spritzt es dann noch ab mit Süßwasser und schmiert es an den wichtigen Stellen.

Wenn man längere Zeit im Hafen liegt, so lernt man auch die Nachbarn kennen (Es ist ein bisschen wie in einer Reihenhaussiedlung, nur eben am Boot). Da ist einmal Florian, ein bayrischer Bäcker. Seine Eltern haben hier vor ca. 40 Jahren die Panaderia Alemana eröffnet, die mittlerweile von ihm betrieben wird. Er lebt am Boot genau so wie Derrick aus Belgien. Er ist Koch und lebt mit seiner Frau Yrina, die aus Fuerteventura stammt, in einem 10m Boot. Sehr cosy – mir wäre es auf Dauer zu eng, obwohl das Interieur wirklich sehr einladend ist. Man besucht sich dann auch mal gegenseitig auf einen Drink (Bier, Gin und Tonic sind immer eingekühlt). Dann gibt es noch unseren Nachbarn direkt gegenüber – er ist Deutscher, auch bereits in Pension und er will keinesfalls mehr zurück nach D. Er will auch nicht mehr segeln, sondern einfach nur hier in Rosario am Boot leben. Die Hafengebühr ist leistbar (EUR 14,00 pro Tag).

Rosario selbst ist nicht grad der Heuler – man muss schon etwas suchen, um charmante Ecken zu entdecken. Aber es gibt schöne Strände und ausserdem ein paar sehr nette Lokale (La gula – „Die Völlerei“, mein absoluter Favorit).

Ich koche zwar zumeist selbst (Rupi ist nur für die niederen Kombüsendienste zuständig, z.b. die Töpfe am Herd festhalten, wenn das Boot stark schaukelt, bzw. Orangensaft pressen zum Frühstück), trotzdem genießen wir von Zeit zu Zeit auch die Gastronomie vor Ort.

Und das Wetter ist sowieso ein Argument. Wenn ich sehe, dass es in Wien 3 Grad hat(grau in grau und nasskalt) und ich genieße mein Frühstück an Deck in der Sonne im kurzärmeligen Shirt und in kurzer Hose. Auch untertags ist die Temperatur angenehm (22 Grad), sodass man die Vitamin D Speicher gut auffüllen kann. Und die Tage sind sowieso ca. 2 Stunden länger als in dem 20 Breitengrade nördlicher gelegenen Wien (Sonne von 08:00 – 18:00).

Interessant ist auch das „Hafenkino“ – zu beobachten, wie neue Boote ankommen. Die Boote müssen mit 2 Flaggen versehen sein: 1. die Flagge des Landes, in dessen Gewässern man sich befindet. D.h. Alle Boote hier haben die spanische Flagge am Mast. Die 2. Flagge, die man hissen muss betrifft das Land, in welchem das Boot registriert ist. Rupi hat das Boot in Ö registriert, daher haben wir die österreichische Flagge am Mast. Sehr viele Boote hier haben die polnische Flagge (Wow, da sind aber viele Polen hier) – die Lösung ist folgende: Polen hat extrem niedrige Gebühren, deshalb lassen auch viele Nicht-Polen ihr Boot in Polen registrieren. Und dann gibt es noch viele Japaner (was machen die hier auf den Kanaren??) – tatsächlich gibt es die Flagge der Einhandsegler, die ausschaut wie die japanische. Einhandsegler signalisieren damit, dass sie allein an Bord sind und nichts dagegen haben, wenn ihnen jemand beim Hafenmanöver behilflich ist.

Das Interessante beim Hafenkino ist, dass zumeist die Männer lässig am Steuerrad stehen und die dazugehörigen Frauen die ganze Arbeit machen müssen (Fender positionieren, Taue verstauen,……). Rupi erzählt, dass er bei den Manövern oft Zeuge von Beziehungstragödien wurde – schon 5 Meter vor dem Steig werden die Frauen von den (hypernervösen) Männern aufgefordert, mit dem Tau zu springen (sie stehen ohnehin zumeist sprungbereit an der Reling) und dann das Boot mit voller Kraft zum Steig zu ziehen und an der Klampe zu verknoten.

Kürzlich kam ein Boot (mit österreichischer Flagge), ein Paar aus dem Burgenland mit 5- und 7- jährigen Söhnen. Sie verbringen ihr Sabbatical am Boot (zuvor im Mittelmeer und jetzt kommen sie grad von Agadir) – bis zum Herbst wollen sie wieder zurück in Ö sein. Da unser Nachbarplatz mittlerweile frei ist (die Engländer sind weggesegelt), möchte er sich neben uns einparken. Er fragt Rupi, aus welchem Material unser Boot ist (Stahl). In diesem Fall kann er nicht neben uns parken, weil er hat ein Alu-Boot. Große Fragezeichen meinerseits. Rupi erklärt mir, dass ein Aluboot nicht neben einem Stahlboot liegen darf, weil spätestens nach 1 Woche wird das Aluboot dann ein Loch haben. Das ganze hat mit Galvanik zu tun (das salzige Meerwasser spielt dabei auch eine Rolle) und ich höre zum 1. mal von Opferanoden (in Physik und Chemie war ich nie eine Leuchte).

Neben uns parkt dann ein französisches Boot, ebenfalls mit 2 Kindern an Bord. Beide Mädchen sind sehr süß und auch so ca. 6-7 Jahre alt. Es dauert nicht lange, schon tauchen die blonden Haarschöpfe der burgenländischen Buben am Steg auf – sie haben die Mädchen schon entdeckt. Und sie bringen auch gleich Geschenke mit: Spielzeugautos für Les Mademoiselles. Die Mädchen revanchieren sich – ebenfalls mit Spielzeugautos. Die Buben ziehen wieder ab – jetzt müssen sie andere Geschosse auffahren: Nach einiger Zeit sind sie wieder da – in der Hand je eine Kette mit bunten Sternen dran (ich glaub, die Mama hat ihnen beim Basteln geholfen). Mercie sagen die kleinen Französinnen.

Jeden Tag legt in Rosario mindestens 1 Kreuzfahrtschiff an – ich google dann gleich beim Frühstück die ganzen Eckdaten. (Wieviele Passagiere? Länge?, Breite?) Rupi erklärt mir, dass die Schiffe nicht breiter als 32m sein dürfen, da sie ansonsten nicht durch den Panamakanal fahren können (Panamax-Breite). Der Kanal, der wegen Trump grad wieder Thema ist, wurde aber 2016 erweitert und seither können Schiffe bis 49m Breite durchfahren. Aha.

Ich habe schon einige Radtouren auf Fuerteventura gemacht – im Ortsgebiet gibt es oft Radwege. Überland war ich auf zumeist auf Bundesstraßen unterwegs – alle haben einen ca. 1 m breiten Pannenstreifen, sodass es ganz okay war. Und das Tolle ist: man darf Fahrräder (KEINE e-bikes) in öffentlichen Bussen ohne Mehrpreis mitnehmen. So kann man in die diversen Winkel der Insel mit dem Bus fahren und dann gemütlich zurückradeln. Höhenmässig gibt es ja keine großen Herausforderungen (der höchste Berg hat ca. 800m), es ist eher der Wind, der einem durchaus heftig entgegen blasen kann.

So, das wars nun fürs Erste – Fortsetzung folgt!

Rupi am Steuer

Ich als Dingi-Kapitän

Boot, Wanderschuhe und Rad (kurz bevor es abgesoffen ist)

Im Salon – mit Kombüse (mein Reich)

Typische Landschaft auf Fuerteventura

Etwas Weihnachtsstimmung im Yachthafen

Heute gehts am Meer entlang

durch hübsche Ortschaften (hier die ehemalige Hauptstadt Fuerteventuras, Betancuria)

Waschtag

Zwischendurch ein Barraquito