Nach den Rasttagen in Osh beschließen wir, weiter nach Usbekistan zu radeln. Die Grenze liegt nur ein paar Kilometer vom Stadtzentrum entfernt und unser Plan ist, bis in die 400.000 Einwohner-StadtAndijon (50 km, es geht immer bergab) zu radeln und von dort mit dem Zug weiterzufahren. Wenn man schon in Zentralasien ist, muss man unbedingt die Seidenstrassenstädte Samarkand, Buchara und Xiva sehen.
Nach der Grenze wandelt sich die Landschaft komplett – keine Berge mehr, dafür Felder, auf denen Baumwolle und Mais angebaut werden. Außerdem sieht man eine Menge Textilfabriken, in welchen die Baumwolle gleich weiterverarbeitet wird. Und auch sonst ein ziemlicher Unterschied zu Tadschikistan und Kirgistan: die Häuser sind schöner (mit vielen Blumen in den Gärten) – reizvolle Innenhöfe laden zum Chillen auf Tapchans unter Bäumen ein. Wir halten vor einem Haus, um den auf der Strasse zum Trocknen ausgebreiteten Mais zu fotografieren. Der Besitzer kommt sofort raus und bringt eine Kanne Chay und 2 Schalen. Er kann zwar kein Englisch, aber über Fussball entsteht eine angeregte Diskussion zwischen ihm und Karl. Er ist ganz aus dem Häuschen, als er erfährt, dass Karl aus Bayern kommt. „Bayern München, Franz Beckenbauer, Oliver Kahn“ – er kriegt sich kaum ein vor Begeisterung. Er meint dann, dass wir unbedingt bei ihm übernachten müssen – wir haben aber schon ein Hotel in Andijon reserviert. Okay, dann müssen wir zumindest etwas essen – es gibt eine Gemüsesuppe mit Rindfleisch, selbstgemachtes Brot und Kuchen. Und zum Schluss packt er einen Riesenlaib Brot, Kuchen und Äpfel ein, weil als Radfahrer müssen wir ja ordentlich essen.
In Andijon bleiben wir nur eine Nacht, am nächsten Morgen geht es weiter mit der usbekischen Bahn nach Samarkand. Wir sind rechtzeitig am Bahnhof, auch um sicher zu gehen, dass die Räder ordentlich im Zug verstaut werden. Die Schaffner sind extrem nett und helfen uns, sie am Waggonende unterzubringen und zu fixieren – der Radtransport ist übrigens kostenlos. Pünktlich gehts los um 09:00 – im ziemlich vollen Zug gibt es ausschliesslich Liegeplätze. Kurz nach der Abfahrt kommt der Schaffner (jeder Waggon hat einen eigenen Zugbegleiter) und teilt Bettwäsche in verschweißten Plastikbeuteln aus. Also wird das Bett überzogen und dann kann man es sich bereits in der Horizontalen gemütlich machen – bei einer 12 Stunden Fahrt ist das sehr angenehm. In jedem Waggon gibts auch einen Samowar – dort kann man sich heißes Wasser für den Chay holen.
Der Zug kommt auf die Minute genau in Samarkand an und wir brauchen nur noch in das gleich beim Bahnhof gelegene Hotel zu fahren. Am nächsten Tag – es ist Sonntag – dann mit den Rädern in das 7km entfernte Zentrum von Samarkand und jetzt ist Staunen angesagt. Waren es bis jetzt auf unserer Reise zumeist aussergewöhnliche Landschaften, so sind es nun vom Menschen gemachte Bauwerke, die uns sprachlos vor Begeisterung machen. Nicht nur der Registan, einer der prächtigsten Plätze Zentralasiens mit seinen 3 Medresen, sondern auch viele Moscheen ziehen uns in ihren Bann. Aber wir sind natürlich nicht die einzigen, die deswegen hier sind – die Stadt ist voll mit Touristen.
Sonntag ist in Usbekistan auch ein beliebter Tag zum Heiraten – im Park beim Registan sehen wir mindestens 30 Brautpaare, die sich dort zum Fotoshooting eingefunden haben. In dem Online-Magazin www.novastan.org lese ich einen Artikel über den Jungfräulichkeitskult in Usbekistan. Es ist (auch in anderen zentralasiatischen Staaten) gesellschaftlich kaum akzeptiert, dass Frauen vor ihrer Ehe ein Sexleben haben. Und kann in der Hochzeitsnacht kein Beweis für die Jungfräulichkeit erbracht werden (durch Blutflecken auf dem Leintuch), so kann es schon passieren, dass der Bräutigam seine Frischvermählte zu ihrer Familie zurückschickt. Oder er ist nett und nimmt eine kleine Nadel, mit der er sich in den Finger sticht und so ein paar Blutstropfen produziert, damit er den „Frauen-Prüferinnen“ (die dann die frohe Nachricht an die Verwandten verbreiten) ein blutbeflecktes Leintuch präsentieren kann.
In die nächsten 2 Städte, Xiva und Buchara, wollen wir ebenfalls mit dem Zug fahren, daher lassen wir unsere Räder und den Großteil des Gepäcks im Hotel in Samarkand, wo wir es in ca. 1 Woche wieder abholen werden. Die Fahrt durch die Wüste in die Oasenstadt Xiva an der turkmenischen Grenze dauert auch wieder ca. 12 Stunden und findet in der Nacht statt. Auch hier ist der Zug wieder auf die Minute genau und geschlafen habe ich erstaunlich gut.
Karl bucht in Xiva eine Tour zum ausgetrockneten Aralsee – ich kann mich nicht für die 14 stündige Autofahrt erwärmen und bleibe in der Stadt, wo ich auch gleich von einer Familie in ihr Haus geladen werde. Außerdem werde ich von einer Gruppe usbekischer Frauen angesprochen und es werden Fotos gemacht. Es zeigt sich wieder einmal, dass man als allein reisende Frau mit fast 100 %iger Sicherheit damit rechnen kann, von Einheimischen angesprochen und eingeladen zu werden.
Dann gehts weiter nach Buchara – extrem viele Touristen und gefühlt jedes 2. Haus im Zentrum ein Hotel. Und nach langer Zeit wieder mal ein guter Cappuccino in einem deutschen Kaffeehaus – ein Julius Meinl Kaffeehaus habe ich hier übrigens auch gesehen. Aber natürlich auch hier viele sehenswerte Bauwerke. Und Shopping ist angesagt: diese tollen usbekischen Stoffe – ein Kaftan und eine Jacke haben in meinen Radtaschen schon noch Platz.
Noch eine letzte Fahrt mit Uzbekistan Railways (wieder pünktlich) zurück nach Samarkand – dort besteigen wir wieder unsere voll bepackten Räder und fahren zur 50 km entfernten Grenze nach Tadschikistan. Leider auf einer furchtbaren Strasse mit extrem viel Verkehr und die Usbeken fahren wie die Gesengten Säue!!! Von Abstand haben die noch nie was gehört.
Endlich an der Grenze angekommen – der Übertritt verläuft ganz unspektakulär – in Tadschikistan stehen uns nur noch 20 Kilometer auf einer Super-Strasse ohne Verkehr bis Panjakent bevor. Eingecheckt im Panjakent Plaza, dem besten Haus am Platz – ein typisch zentralasiatisches Hotel mit extrem schwülstiger Deko und Info durch den netten Rezeptionisten beim Check-In: Breakfast from 07:00 until 10:00. Am nächsten Tag läutet das Telefon um 08:00 und im Befehlston: „You have to eat breakfast now“. Aha. Okay, dann gehen wir halt frühstücken. Außer uns war offensichtlich nur eine chinesische Reisegruppe zu Gast und die waren um 07:45 schon fertig mit dem Frühstück – also wollte man wahrscheinlich nicht ewig lang auf uns warten und das Buffett wieder abbauen. Andere Länder – andere Sitten, wir nehmen‘s mit Humor (und lassen uns das Frühstück schmecken).
Das erinnert mich an ein Hotel am Sewansee in Armenien: dort gab es Frühstück nur von 10:00 bis 11:00. In der Umgebung gabs ein paar Berge/Hügel – ich hab vor dem Frühstück halt immer eine Bergtour gemacht und mich dann richtig hungrig über das eher bescheidene Buffett hergemacht. Einmal kam ich erst um 10:30 von der Tour – da wurde das Buffett schon wieder abgebaut.
In Panjakent nehmen wir ein Taxi, das uns wieder nach Dushanbe bringt. Die Fahrt durch spektakuläre Berglandschaft führt über einen 2.800m hohen Berg und durch viele enge, unbeleuchtete Tunnelröhren – wir sehen auch ein paar Radfahrer. Nur der Gedanke, dass ich mit dem Rad durch diese Tunnels fahren müsste, schnürt mir die Kehle zu.
In Dushanbe steigen wir wieder in „unserem“ Hotel ab – die Rezeptionisten kennen uns noch. Karl hat hier vor mehr als einem Monat seine Durchfallerkrankung auskuriert und sich mit Griesskoch, welches es hier beim Frühstücksbuffet gibt, aufgepäppelt. Beim Frühstück sehe ich eine Gruppe junger Indonesierinnen, die bereits während unseres 1. Aufenthalts da waren. Sie tragen Jacken mit der Aufschrift „Indonesia“ – sind offensichtlich Sportlerinnen. Ich frage sie dann, welchen Sport sie betreiben – „Wrestling“ und sie sind hier in Dushanbe auf einem Trainingscamp.
Unsere Zeit hier in Zentralasien neigt sich dem Ende zu – bald geht es zurück nach Europa. Voll mit tollen Eindrücken und Bildern, die wir so schnell nicht vergessen werden. Und wieder einmal die Erkenntnis: „(Fast) Alles ist einfacher, als man es sich vorgestellt hat.“ Der Pamir Highway ist abenteuerlich, anstrengend, atemberaubend (im wahrsten Sinn des Wortes) und affengeil. Aber auch Oldies wie wir (Karl ist 66, ich bin grad noch 61) können ihn mit einem normalen, voll beladenen Trekkingbike radeln (okay, ein paar mal hatten wir motorisierte Unterstützung). DON‘T DREAM IT, DO IT!
Baumwollfeld
Auf eine Suppe bei einem usbekischen „Bayern München“ Fan
Hier die coole Rentnergang aus Andijon (Usbekistan)
Eine müde Österreicherin im usbekischen Zug
Bahnfahren in Usbekistan
Mein Shirt passend zur Kuppel am Registan in Samarkand
Nachdem wir die tadschikische Grenzkontrolle am Kyzyl Art Pass auf 4250m hinter uns gebracht haben, folgen einmal 20 Kilometer Niemandsland. Aber was für ein Niemandsland! Steil gehts auf einer wilden Schotterpiste runter, umgeben von atemberaubender Bergwelt. Das Rad einfach laufen lassen geht leider nicht – die Piste lässt das nicht zu – manche Passagen sind so steil, dass ich absteige und das Rad runterschiebe. Nach ein paar Kilometern steht ein homestay (ist aber nicht in Betrieb) – davor 2 bis an die Zähne bewaffnete kirgisische Soldaten. In dieser Grenzregion kommt es bedauerlicherweise immer wieder zu Kämpfen zwischen tadschikischen und kirgisischen Soldaten – Grund für diese Konflikte ist die willkürliche Grenzziehung durch die Sowjetunion ohne Rücksicht auf die hier lebenden Ethnien. Nachdem sie unsere Pässe kontrolliert haben, lassen sie uns weiterfahren. Bis zur kirgisischen Grenzstation sind es noch 15 Kilometer. Es wird immer grüner – auf den Weiden neben der Strasse viele Yak- und Schafherden mit Hirten auf Pferden oder Motorrädern. Dann kommen wir auch schon zur kirgisischen Grenze und stehen erst mal vor einem verschlossenen Tor. Aber da kommt schon ein junger Grenzbeamter – er spricht kein Englisch – und verlangt unsere Pässe. Wir zeigen ihm auch die mails der kirgisischen Regierung, in welchen bestätigt wird, dass wir auf der Liste stehen und daher die Grenze passieren dürfen. Er nimmt unsere Pässe, schließt das Tor hinter sich wieder ab und verschwindet in einem modernen Gebäude. Wir suchen uns ein schattiges Platzerl und machen es uns gemütlich in der Wiese. Es vergehen keine 5 Minuten und er kommt wieder – öffnet das Tor und deutet uns, dass wir ebenfalls in das sehr neue Gebäude kommen müssen. Dort sitzt sein Chef (mit Computer) – der spricht gutes Englisch – und ratzfatz haben wir die Einreisestempel im Pass. Aber unser Gepäck muss auch noch kontrolliert werden – also alle Panniers runter vom Rad und aufmachen. Der kirgisische Beamte schaut nicht so verhungert aus, wie sein tadschikischer Kollege, daher behalte ich mir die restlichen 2 Packungen Instantnudeln.
Unser Ziel für heute ist Sary Tash, 30 km nach der kirgisischen Grenze. Dort gibts homestays und einen Bankomat – ausserdem kann man in einem kleinen Magazin beeline Sim Karten kaufen. Gleich nach der Grenzstation sehen wir auf der Wiese neben der Strasse einen Camper und ein Motorrad mit deutschen Kennzeichen. Ein paar Leute haben es sich auf Campingstühlen bequem gemacht. Sie erzählen uns, dass sie bereits seit 1 Woche auf die Ausreise aus Kirgisien warten – leider stehen sie noch immer nicht auf der Liste, obwohl sie die entsprechende mail rechtzeitig an die kirgisische Regierung geschickt haben. Da hatten wir sehr viel Glück – auch aus der „Cycling East WhatsApp Gruppe“ schreiben ein paar Leute, dass sie einige Tage warten mussten, bis sie den Kyzyl Art Grenzübergang passieren durften.
Die Weiterfahrt nach Sary Tash ist dann ein ziemlicher Kampf gegen starken Seitenwind – manche Böen sind so stark, dass ich fast im Graben neben der Strasse lande. Ca. 10 Kilometer vor Sary Tash sehen wir rechts eine Jurte stehen – 2 Kinder kommen auf die Strasse gelaufen und wollen uns überreden, bei ihnen zu übernachten. „Rahmat“ (heisst danke auch in Kirgisien und Usbekistan – das ist einfach), aber wir fahren weiter, vorbei an vielen Rindern, Yaks und Pferden.
Endlich angekommen in Sary Tash finden wir rasch ein homestay (sogar mit WLAN, das gabs in den tadschikischen homestays nicht). Obwohl alles sehr einfach und für europäische Verhältnisse arm und teilweise wirklich wild ist, merkt man einen Unterschied zu Tadschikistan. Alles ist grüner – die Kühe und Schafe sind fetter und jeder hat ein Smartphone. Beim Abendessen fragt uns die Tochter des homestay-Besitzers (sie studiert Lehramt in Osh und hilft ihrem Vater in den Ferien im homestay), ob sie ein Foto von uns machen darf und dieses dann auf Instagram, wo das homestay natürlich ein Profil hat, veröffentlichen darf. Klar darf sie!
Das homestay ist gut gebucht – ausser uns ist eine radelnde Familie aus der Schweiz da (mit dem ca. 12 jährigen Sohn), 2 deutsche Radfahrer und 1 Neuseeländerin (sie erzählt, dass sie schon viele Monate mit dem Rad unterwegs ist und ich die 1.Person aus Österreich bin, die sie getroffen hat). Am Abend kommen noch ein paar Motorradfahrer und stellen ihre Maschinen neben unsere Räder im Hof des homestays ab: 1 Russe, 1 sehr verwegen aussehender Brite und dann noch eine Frau mit langer blonder Mähne auf einem Motorrad mit Länderkennung „GH“. Ich frag sie, woher sie kommt, bzw. was „GH“ bedeutet. Sie ist Britin (und gemeinsam mit dem verwegenen Typen unterwegs) und hat das Motorrad in Ghana gekauft und angemeldet und ist jetzt schon einige Zeit damit in Afrika und Asien unterwegs. Aha.
In der Nähe von Sary Tash befindet sich das Base Camp des Pik Lenin – wir gönnen den Rädern einen Tag Pause und nehmen ein Taxi, welches uns zu einer Jurtensiedlung an einem See bringt und von dort unternehmen wir eine gemütliche 3 stündige Wanderung zu einem Aussichtspunkt (beim Base Camp gibts nix mehr zu sehen, die Saison ist schon vorbei), mit tollem Blick auf den schneebedeckten Siebentausender.
Am nächsten Tag gehts mit den Rädern weiter Richtung Osh. Zuerst ein ziemlich knackiger Anstieg – 700 hm auf 16km – dann eine steile Abfahrt auf einer Serpentinenpiste – die Bremsscheiben glühen. Wir begegnen vielen LKW’s, die meisten mit chinesischen Kennzeichen. Ein Grenzübergang nach China liegt hier ganz in der Nähe – einige Radler aus der „Cycling East“ Gruppe berichten über ihre Erfahrungen mit den chinesischen Behörden. Es scheint ziemlich relaxed und easy zuzugehen – eher oberflächliche Kontrollen des Gepäcks und Handy/Laptop werden auch nicht mehr gecheckt, so wie früher üblich. Die Beamten sind sehr freundlich und sprechen gutes Englisch. Und eine Sache, die die meisten Radler, die ja low-budget unterwegs sind, sehr freut: Sie werden in dem Gebiet, in welchem sehr viele Uiguren leben, immer in sehr gute 4 Stern Hotels eskortiert und dürfen dort kostenlos übernachten – einfach um Kontakte zwischen Uiguren und westlichen Radfahrern zu unterbinden.
Unser Tagesziel ist Sopu Korgon – 65 km entfernt. Wieder umgeben von spektakulärer Berglandschaft, das ganze wird nur getrübt durch starken Gegenwind. Wir begegnen 2 jungen Männern (1 x Singapur, 1x Südkorea) mit ihren voll bepackten Rädern – sie machen den highway in die umgekehrte Richtung und wollen dann weiter nach Europa und sie freuen sich heute über den starken Rückenwind (irgendwer freut sich immer über den Wind).
Endlich kommen wir nach Sopu Korgon – lt. iOverlander (eine tolle App für Abenteuererreisende) soll es ein homestay geben neben dem kleinen Supermarkt (Magazin). Gleich beim Ortseingang hält ein Auto neben uns – der Fahrer fragt, ob er uns helfen kann. Ja, wir suchen ein homestay. Er telefoniert kurz und gibt dann sein Handy an Karl weiter. Am anderen Ende ein englisch sprechender Mann. Er fragt, was wir suchen. Ein Homestay – wir sind zu zweit. Ob wir verheiratet sind? Ja, sind wir. Okay, dann hat er was für uns. Der Autofahrer erklärt uns noch, wie wir zu dem betreffenden Haus kommen. Dort angekommen, am Ende einer Sackgasse sehe ich als erstes die schönen Blumen im Garten. Das gefällt mir. Das Gartentor wird von einer sympathischen hochschwangeren Frau geöffnet, an ihrer Seite zwei kleine Buben. Sie bittet uns ins Haus (sie spricht kein englisch) und führt uns in ein sauberes Zimmer mit den für Zentralasien typischen Matten am Boden, dann kommt sie gleich mit einer Kanne Tee und 2 Schalen. Nach einiger Zeit hören wir Motorengeräusch und ein Kleintransporter mit Baumstämmen auf der offenen Ladefläche biegt in das Grundstück ein. Aus dem Fahrzeug steigt ein sehr sympathischer 40-jähriger Mann mit lachenden Augen und begrüsst uns auf englisch. Ob das Zimmer eh okay ist für uns? Ja klar. Es stellt sich dann raus, dass er der Direktor der örtlichen Schule ist.
Er erzählt uns dann ein wenig über das Leben in Kirgistan. Obwohl er für kirgisische Verhältnisse als gut situiert gilt (mit eigenem Haus, Auto und Job), könnte er sich z.B. keine Reise nach Europa oder in die USA leisten. Wir reden dann auch über den Ukraine-Krieg – er meint, dass die meisten Kirgisen prorussisch eingestellt sind, weil die Medien im Land von Russland gesteuert werden. Aber auch die Kirgisen spüren die massive Teuerung als Folge des Krieges. Viele Landsleute arbeiten in Russland und werden dort, so wie alle Zentralasiaten, als Menschen zweiter Klasse behandelt. Ich frage ihn dann, wie er seine Frau kennengelernt hat (die beiden geben ein sehr glückliches Paar ab) – ob diese Ehe von den Eltern arrangiert worden ist. Er sagt, dass es durchaus noch üblich ist, Ehen zu arrangieren – er hat seine Frau aber einfach entführt, nachdem er sie vorher ein paar mal zufällig getroffen hat. „What?! You kidnapped her?!!!!“ – ich kann’s kaum glauben. Ja, Brautentführungen sind auch möglich – seine damals noch-nicht-Frau hatte auch gar nix dagegen. Nur die Noch-nicht-Schwiegereltern waren am Anfang etwas böse. Als sie dann aber sahen, dass er ein ehrenwerter Mann mit gutem Job, Haus und Auto ist, waren auch sie mit dieser Ehe einverstanden und heute sind sie gern gesehene Gäste in seinem Haus und freuen sich über die 3 (bald 4) Enkelkinder. Meine nächste Frage: Seine Frau ist ja hochschwanger – „Wird sie das Baby zu Hause bekommen oder gibt es ein Spital in der Nähe?“ „Ja, er bringt sie in das nächstgelegene, ca. 20 km entfernte Spital, wo sie das Baby auf die Welt bringen wird, so wie die 3 älteren Kinder (2 Buben mit 5 und 7 und ein 4-jähriges Mädchen) zuvor“. In abgeschiedenen Bergregionen sind Hausgeburten aber gang und gäbe.
Es gibt dann noch Abendessen – Karl hat sich schon wieder eine Suppe mit Gemüse, Nudeln und Rindfleisch gewünscht – hausgemachtes Brot dazu. Hat fein geschmeckt.
Nach dem Abendessen gehts ab in die Sauna – der Schuldirektor hat im hinteren Bereich des Hauses tatsächlich 2 Saunabereiche (Männer/Frauen getrennt) gestaltet – je 3 aufeinanderfolgende Räume: Umkleideraum/Dusche/Saunakabine. Diese Sauna wird auch gerne von den Dorfbewohnern gegen ein kleines Entgelt genutzt und die Männersauna ist grad voll, als wir hinkommen. Die Damensauna ist frei – und nachdem wir ja verheiratet sind, dürfen wir diese gemeinsam nutzen.
Nach dem anstrengen Radtag mit starkem Gegenwind ist die Sauna eine wahre Wohltat. Zurück im Zimmer – die Gastgeberin hat in der Zwischenzeit 2 dicke Matten in der Raummitte aufgelegt, Leintücher drüber, Tuchent und Polster mit lässiger Bettwäsche überzogen – ein sehr einladendes Nachtquartier. Ich trage noch etwas Pflegecreme auf mein Gesicht und werde dabei neugierig beäugt von der süßen 4-jährigen Tochter. „Komm her!“ Ich nehme etwas Creme und gebe einen kleinen Klecks auf ihr Näschen, das Kinn und die Wangen. Das hat ihr getaugt. Sie hat sich die Creme im Gesicht verschmiert und kommt dann zu mir, um sich eine weitere Ration Pflege (die sie noch lange nicht brauchen wird) abzuholen. Karl meint noch, dass wir uns einen Wecker stellen sollen – ich erwidere, dass ich sicher spätestens um 07:30 wach sein werde und außerdem werden uns wahrscheinlich eh die durchs Haus tollenden Kinder aufwecken. Dann, es ist mittlerweile 23:00 Uhr – Gute Nacht! Ich bin sofort eingeschlafen und habe noch selten so gut geschlafen. Irgendwann werde ich wach – die Sonne scheint bereits. Ein Blick aufs Handy – es ist 09:30!!!! Karl schläft noch tief und fest. „Karl – es ist 09:30!!!“ Der Direktor hat uns am Vorabend erzählt, dass er um 09:00 in der Schule sein muss, als wir raus aus unserem Zimmer aufs WC (befindet sich etwas abseits im Garten in einem wilden Verschlag) gehen, sitzt er aber noch in der Küche. Er wollte uns nicht aufwecken und will sich jetzt von uns verabschieden. Seine Frau hat bereits Frühstück zubereitet (Spiegeleier, Brot, Butter, kleine Küchlein, Tee), das wir uns schmecken lassen. Wir beschließen dann, ihm für die Übernachtung den gleichen Betrag zu geben, den wir auch im vorherigen homestay bezahlt haben (er hat gesagt, wir sollen ihm einfach den Betrag geben, den wir für angemessen halten). Karl gibt ihm 3.000,00 SOM (ca. 30,00 EUR) und dann folgt wieder eine sehr sympathische Geste – er reicht das Geld seiner Frau weiter. „Sie hatte ja die Arbeit mit Kochen und Betten machen – also steht es ihr zu.“ Ein wirklich sympathisches kirgisisches Paar.
An diesem Tag steht uns eine recht kurze Etappe mit 45 Kilometern – großteils gehts bergab – in die 15.000 Einwohner Stadt Gulcha bevor. Zuerst müssen wir einen Fluss auf einer Hängebrücke, die ordentlich hin- und herschaukelt, queren. Dann gehts relativ gemütlich (der Gegenwind von gestern ist auch wieder da) weiter nach Gulcha. Dort haben wir über booking.com ein Hostel gebucht. Es liegt an der Hauptstraße und wir fahren zuerst einmal dran vorbei, weil kein Schild auf eine Unterkunft hinweist (alles nur in kirgisischen lettern). Nach 500m kommen wir drauf, dass wir zu weit gefahren sind, also kehren wir um. Das Gebäude liegt inmitten eines schönen Gartens mit vielen Blumen und einer Jurte. Das gefällt mir sehr gut, ausserdem gibts in diesem Hostel etwas, was wir schon lange nicht mehr hatten: ein westliches Badezimmer (verfliest mit Waschbecken, Dusche und Sitz-WC). Wir müssen dieses Badezimmer zwar mit den 10 anderen Hostelgästen teilen, genießen aber trotzdem diesen unerwarteten Komfort.
Fürs Abendessen empfiehlt uns die Hostelbesitzerin ein Lokal, welches ein paar Hundert Meter weiter an der Hauptstraße liegt. Mein Magen knurrt bereits – wie üblich esse ich nichts untertags – also nix wie hin. Das Lokal ist sehr groß – da passen sicher mehr als 100 Leute rein. Auf der einen Seite ein paar ganz niedrige Tische im zentralasiatischen Stil auf einer Platform, ein paar bunte Matten rundherum. Wir bevorzugen dann aber doch einen Tisch mit Sessel – die adrette Kellnerin bringt uns die Speisekarte. Alles auf kirgisisch (auch keine Fotos, wie oft üblich)- vom Personal kann niemand englisch. Ich seh dann aber, dass eine Kellnerin mit einem Tablett aus der Küche kommt: darauf stehen 4 Teller mit je einem halben Brathendl und Salat. Mir rinnt das Wasser im Mund zusammen: das will ich (und Karl) auch! Also zeigen wir auf die Hendl und bestellen 2 Portionen. Dazu Brot und eine Kanne Chay. Es schmeckt fantastisch! Mein Hunger muss wirklich riesig gewesen sein, weil ich verdrücke die ganze Portion mit sehr viel Fleisch dran (mir ist auch diesmal wieder aufgefallen, dass die Hendl in Schwellen-/Entwicklungsländern viel mehr Fleisch dran haben als bei uns in Europa).
„Siehst du hier irgendwo einen Hinweis auf ein WC?“ frag ich Karl. Er verneint – beim Eingang ist aber ein kleines Waschbecken mit Spiegel; jeder Gast, der das Lokal betritt, wäscht sich mal die Hände. Also frag ich die Kellnerin: „Tualet?“ Sie deutet mir, dass ich mit ihr mitkommen soll. Raus auf die Strasse und dann beim nächsten Haus rein in einen Hinterhof. Mittlerweile hat es ziemlich stark zu regnen begonnen – um zur „Tualet“ zu gelangen, muss man durch ziemlichen Gatsch waten. Und das, was mich dann erwartet, dieses Scheisshaus – man entschuldige meine derbe Ausdrucksweise, obwohl, wenn ich’s mir recht überlege ist das noch ein feiner Ausdruck für diesen Ort des Grau(s)ens!!! Ein Holzverschlag mit einer kleinen Öffnung im Boden (damit keine kleinen Kinder reinfallen können) – darunter sieht (und riecht!!!) man die Gülle. Hier ist zielgerichtetes Arbeiten angesagt – die werte Leserschaft kann sich sicher vorstellen, was passiert, wenn man hier nicht fokussiert ans Werk geht. Was ich überhaupt nicht verstehe: ich bin hier in einer kleinen Stadt mit Kanalisation, in der es möglich ist, verflieste Räume mit sauberen WCs zu errichten (so wie im Hostel, das ganz in der Nähe ist). Noch dazu in einem Lokal mit gutem Essen und adretten Kellnerinnen, wo sicher auch immer wieder grosse Feiern mit elegant gekleideten Menschen stattfinden – ist das den Gästen egal???
Ich glaub, ich muss jetzt doch nicht – bis zum Hostel mit dem schönen Klo sind es eh nur ein paar Hundert Meter. Und ich hoffe, dass ich niemandem den Appetit verdorben habe!
So, der letzte Radlertag am Pamir Highway steht bevor. Und der hat es noch einmal in sich: 1000 Höhenmeter auf ca. 10 Kilometer – Gesamtstrecke 82 Kilometer bis Osh, die zweitgrößte Stadt Kirgistans. Diese 10 km Steigung ziehen sich dahin – ich schiebe und schwitze – die Sonne brennt unbarmherzig. Karl habe ich schon lange nicht mehr gesehen – der ist sicher schon auf der Passhöhe. Nach einer gefühlten Ewigkeit komme ich oben an – Karl sitzt im Schatten und isst einen Riegel. „Wartest du schon lange?“ „Ca. 15 Minuten.“ Das beruhigt mich dann doch – Karl hat den ganzen Highway nie geschoben und war aber auch nie viel schneller als ich. Ich finde, dass das Schieben auf steilen Abschnitten auch einen guten Ausgleich für den Körper darstellt. Aber das ist Geschmacksache – das muss jeder Radfahrer für sich entscheiden. Nach dem Pass gehts flott bergab, das Fahrvergnügen wird nur durch den stärker werdenden Verkehr getrübt. So viele LKW‘s brettern an uns vorbei!!. Wir merken, dass wir nach 2 Wochen, in denen wir zumeist nicht mehr als 5 Fahrzeugen pro Tag begegnet sind, den Verkehr gar nicht mehr gewohnt sind. Und in Osh herrscht sowieso Chaos pur – der Verkehr erinnert mich total an Neapel – man muss aufpassen wie ein Haftelmacher, dass man da heil durch kommt. Diese letzte Etappe zwischen Gulcha und Osh würde ich das nächste mal mit einem Taxi machen. Sie ist landschaftlich nicht besonders reizvoll, megaanstrangend und aufgrund des heftigen Verkehrs nicht ungefährlich.
Dann endlich im Hotel – wir wollen jetzt 3 Tage in Osh bleiben und dann entscheiden, wie wir weitermachen. Am nächsten Tag geht es auf den Bazaar – 2000 Jahre alt – da gibts sicher viel zu schauen. Gleich am Anfang sehe ich einen kleinen Stand, wo Kleider und Schuhe repariert werden. Da ich etliche Kilos am Pamir Highway gelassen habe (dazu habe ich mir vor der Reise in Österreich ein paar Reservekilos angefuttert), brauche ich bei meinem Gürtel 2 zusätzliche Löcher. Der Schneider/Schuster ist so nett und erledigt das gleich – er nimmt kein Geld von mir. „Rahmat“! Laut Plan soll es am Gelände des Bazaars auch eine Radwerkstätte geben – das wollen wir unbedingt sehen. Sie schaut ziemlich wild aus – glücklicherweise brauchen wir nix. Unsere Räder und Panniers haben die Strapazen des Pamir Highway exzellent überstanden – nicht einmal einen Platten hatten wir.
Im Niemandsland zwischen Tadschikistan und Kirgistan (Abfahrt vom Kyzyl Art Pass)
Kurz vor Sary Tash, der 1. Ortschaft in Kirgisien
Im homestay in Sary Tash – zum Abendessen gibts Plov mit Rindfleisch – zum Frühstück 3 Eier mit Wurst, Brot und Marmelade
Tour zum Pik Lenin Aussichtspunkt
Diese Serpentinenstraße gehts jetzt runter
Ausrangierte Fahrzeuge aus Deutschland sieht man hier oft.
Weiter gehts bergab Richtung Osh
Unterkunft bei der netten Familie des Schuldirektors
Es hat ca. 1 Woche gedauert, bis Karl wieder fit genug war, Richtung Pamir weiterzureisen. Am „Taxi to Pamir“ Bahnhof in Duschanbe haben wir relativ einfach Kontakt zu einem Fahrer mit Toyota Land Cruiser hergestellt. Wir wählen für die 15 stündige Fahrt in das 600km entfernte Khorog die Luxusvariante, d.h. die Fahrräder kommen ins Fahrzeug (und nicht wie sonst üblich aufs Dach) und ausser uns werden keine Personen mitgenommen – normalerweise werden in einen Land Cruiser bis zu 10 Leute reingequetscht. Preis: 4.000,00 Somoni (320,00 EUR) – sehr viel Geld in Tadschikistan.
Der Fahrer rät us noch, genügend Kopien des GBAO Permits (die Sondergenehmigung für die Pamirregion) mitzunehmen – das macht es einfacher bei den vielen Checkpoints, die uns auf der Strecke erwarten. Unser Rezeptionist ist so nett und kopiert die Permits je 10 x – das sollte reichen.
Zu Mittag werden wir dann vom Hotel abgeholt, nachdem alles im sehr geräumigen und wirklich luxuriösen Fahrzeug verstaut ist, geht es raus aus dem brütend heissen Duschanbe Richtung afghanische Grenze. Die Straßen sind anfangs noch ganz gut – am Straßenrand verkaufen Bauern Trauben, Marillen, Äpfel und Tomaten. Weiter gehts dann durch Danghara, wo 2018 bei einem Terroranschlag 4 Radtouristen (1 Pärchen aus den USA, 1 Schweizer und 1 Niederländer) ums Leben kamen. Tadschikische IS Terroristen sind mit ihrem Fahrzeug in die Radlergruppe gefahren und haben anschliessend die am Boden liegenden schwerverletzten Personen mit Macheten und Äxten attackiert. Am besten gar nicht dran denken.
Es geht immer weiter rauf in die Berge und um ca. 17:00 erreichen wir den Gebirgsfluss Panj, der die natürliche Grenze zu Afghanistan bildet. Wilde, schroffe und auch etwas furchteinflössende Berge, dazwischen tost der Panj ins Tal. Unsere Strasse führt jetzt am reißenden Fluss entlang und man kann ganz gut das Leben auf der anderen Seite in Afghanistan beobachten. Einfache Dörfer (aber in Tadschikistan sind sie auch nicht viel besser), Fussball spielende Kinder am Dorfplatz, ein Mann fährt mit einem Moped die Strasse lang – am Sozius sitzt eine Frau in blauer Burka, ein paar Männer tragen am Rücken schwere Heuballen. In den Ortschaften sieht man auch die weisse Talibanflagge mit schwarzen Schriftzeichen. Und ab und zu sieht man auch die schwarz gekleideten Taliban – immer unterwegs in einem weissen Pick-up.
Unser Fahrer spricht leider kein Englisch – wenn er uns was mitteilen will, ruft er eine englischsprechende Frau an und die übersetzt dann. Um ca. 18:00 kommen wir in die Kleinstadt Kalaikhum und dort teilt er uns mit, dass wir uns im Supermarkt noch Lebensmittel kaufen sollen, weil wir frühestens um 23:00 etwas zu essen bekommen. Wir wussten bereits im Vorfeld (auch durch die Cycling East WhatsApp Gruppe), dass die Strasse von Kalaikhum Richtung Rushan Baustelle ist – Chinesen bauen dort eine neue Strasse. Diese 100km lange Strecke ist untertags gesperrt und wird erst ab 18:00 bis 07:00 für den Verkehr geöffnet.
Was war ich froh, dass wir in einem bequemen Fahrzeug mit erfahrenem Lenker saßen – die Strasse war der absolute Horror. Schotter, Sand, wildeste Buckel, total eng – auf der einen Seite war der Berg, auf der anderen Seite ging’s steil runter zum Panj. Paris – Dakar ist nix dagegen. Und es waren extrem viele voll beladene LKW‘s – viele mit Überbreite – unterwegs. Oft hab ich mir gedacht „Das geht sich nie aus“ und unser Fahrzeug hat sich ein paar mal gefährlich nah dem Abgrund genähert. Ab und zu sind LKWs auch liegen geblieben – LKW Fahrer mit Stirnlampe ausgerüstet haben in der Dunkelheit inmitten von Staub und Steinen Reifen wechseln müssen. Auf dieser Strecke habe ich auch zum 1. Mal 5 km/h -Beschränkungen gesehen – mehr hätte man da sowieso nicht fahren können. Unser Fahrer hält sich mit Energy Drinks (nicht der Rote Bulle, sondern der Gorilla verleiht hier Flügel) wach – die leeren Dosen werden einfach durch das offene Fenster entsorgt.
Nach ca. 5 Stunden, es ist mittlerweile 23:00, wird die Strasse etwas besser und es gibt auch vereinzelt wieder kleine Siedlungen. Bei einem Haus bleibt der Fahrer stehen und deutet uns dann: Kommt rein, hier gibts Abendessen. Es ist eine einfache, ärmliche Behausung. Drinnen herrscht Vollbetrieb. Im Garten unter Maulbeerbäumen stehen mehrere Tapchans, die für Zentralasien üblichen Tagesbetten, die zum Essen und Schlafen benützt werden. Eine Gruppe Reisende hat es sich darauf mit dem Essen bequem gemacht. Auch uns wird Suppe, Brot und Tee angeboten. Ich hab keinen Hunger mehr, aber Karl nimmt gerne Gemüsesuppe und Brot. Ich trinke eine Schale Chay. Die Reisenden verschwinden dann wieder – sie haben die 5 stündige Fahrt durch den Baustellenabschnitt (in die Gegenrichtung) noch vor sich.
Da sowohl der Fahrer, als auch wir ziemlich müde sind, beschließen wir, hier auf den Tapchans zu übernachten. Duschen gibt es keine, Wasser zum Händewaschen und Zähneputzen kommt aus einem Rohr – das WC findet man leicht, man muss nur dem beißenden, grauslichen Gestank folgen. Es gibt aber auch ein paar Büsche, ich entscheide mich für den zweiten von links.
Am nächsten Tag gibt es noch Frühstück, dann geht es relativ flott nach Korogh, wo wir ein Hotel für 2 Nächte gebucht haben. Korogh ist eine nette Kleinstadt mit relativ vielen Touristen und trotz (oder gerade wegen) der Nähe zu Afghanistan mit sehr vielen westlich gekleideten Bewohnerinnen – Kopftuch trägt hier sowieso niemand. Eine afghanische Botschaft gibts hier übrigens auch. In der Touristeninfo holen wir uns noch eine Liste der homestays (Privatunterkünfte) auf dem Pamir Highway, außerdem will ich vom sehr kompetent wirkenden und perfekt Englisch sprechenden Mitarbeiter wissen, ob wir das Wasser aus den Flüssen und Bächen (ohne Filter) trinken können. „Kein Problem“, meint er „das Wasser kommt direkt aus den Bergen und kann bedenkenlos getrunken werden“. Sicherheitshalber frage ich dann noch in der „Cycling East Gruppe“ nach, ob jemand Erfahrungen mit ungefiltertem Wasser am Pamir Highway hat. Ein deutscher Radler antwortet mir, dass er nur ungefiltertes Wasser aus den Bächen getrunken hat und er hatte nie Probleme. Andere raten mir davon ab, sie meinen, sie trinken ausschliesslich gefiltertes Wasser.
Im Magazin (kleiner Supermarkt) decken wir uns noch ein mit Instantnudeln und Keksen, ausserdem brauchen wir noch eine Gaskartusche. Leider gibts nur eine Butangaskartusche – bei niedrigen Temperaturen kann es sein, dass man keine Flamme zusammenkriegt – ideal wäre eine Mischung aus Butan- und Propangas; so eine Kartusche haben sie leider nicht. Also nehme ich dann doch die Butangaskartusche und hoffe, dass es nicht zu kalt sein wird, falls wir im Zelt übernachten und selber kochen müssen.
Da wir unbedingt auch den Wakhan Korridor sehen wollen, die Straßen dort aber miserabel sein sollen, beschließen wir folgendes: Wir nehmen in Khorog ein Taxi, das uns mitsamt Rädern durch den Korridor und dann weiter rauf zur M41 (Pamir Highway Nähe Alichur) bringt und erst dort beginnen wir mit dem Radeln.
Gesagt, getan: Auch hier wieder mit einem Toyota Land Cruiser gehts runter in den Süden, den Panj entlang, vorbei an Ishkashim. Dort gibt es eine Brücke (Niemandsland) rüber nach Afghanistan und bis zur Machtübernahme durch die Taliban gab es auf dieser Brücke jede Woche einen Markt, der sowohl bei Afghanen als auch bei Tadschiken und Touristen sehr beliebt war. Aber das ist leider Geschichte. Jetzt wird das ganze Areal streng bewacht.
Vorbei durch kleine Ortschaften, auf den Wiesen sieht man Kuh- und Schafherden, auf den Feldern wird alles noch von Hand gemacht (was für eine harte Arbeit!). Auf der afghanischen Seite immer wieder Blicke in Seitentäler, wo die schneebedeckten Gipfel des Hindukusch hervorlugen. Wir müssen dann auch noch über einen Pass auf ca. 4300 m Höhe – es ist saukalt. Man sieht Schaf- und Ziegenherden mit Hirten. Eine Hirtenfamilie (Vater, Mutter, ca. 15 jähriger Sohn) kommt zum Auto, als wir uns im Schritttempo über die Buckelpiste mühen. Vater und Sohn unterhalten sich mit dem Fahrer – ich zücke mein Handy und frage die Frau, ob ich ein Foto von ihnen machen darf. Die hat sich gefreut – sofort hat sie den Schal, den sie als Wind- und Sonnenschutz vor Mund und Nase hat, abgenommen und das Kopftuch zurechtgerückt. Dann ein freundliches Lächeln aufgesetzt, während die 2 Männer gar nix von der ganzen Fotosession mitbekommen, weil sie so sehr in das Gespräch mit dem Fahrer vertieft sind. Später kommt ein weiterer Hirte, der dem Fahrer ein paar Zigaretten abschnorrt – auch er lässt sich gerne fotografieren.
Unsere Entscheidung, den Wakhan Korridor mit dem Taxi zu machen war goldrichtig: die Strasse wird immer schlimmer. Teilweise extrem steile Passagen, kein Asphalt, nur Schotter und Sand, wilde Rumpelpisten. Und dann beginnt es auch noch zu regnen. Wir sehen 2 voll bepackte Radfahrer, wie sie sich abplagen – ich beneide sie nicht.
Endlich kommen wir rauf zur M41 auf 4.000m Höhe – tatsächlich asphaltiert mit ein paar Schlaglöchern, aber noch geht sie eben dahin und ist super zum Radeln. Es ist mittlerweile 18:00, die Sonne geht bald unter und wir kommen zu einem homestay. Vor dem Gebäude stehen eine ganze Menge Räder. Wir laden unsere Sachen aus dem Taxi – der Taxifahrer fährt wieder zurück nach Khorogh. Wir haben Glück: es gibt noch freie Betten. Im Vorraum stehen mindestens 10 Paar Schuhe, weiter in die Wohnküche. Links wird schon fleissig gekocht – um 19:00 gibt es Abendessen. Am langen Tisch sitzen ausschliesslich Männer, trinken Tee und unterhalten sich. „Hi, good evening!“ „Good evening“ kommt es freundlich zurück. Auf der rechten Seite gibt es ein Waschbecken mit einem kleinen Spiegel – dort kann man sich die Hände waschen und Zähne putzen. Weiter vorne steht ein Ofen – er wird beheizt mit getrocknetem Kuhdung – auf der Platte ein grosser Topf mit kochendem Wasser. Links neben dem Ofen die Tür zur Dusche: ein paar Männer am Tisch (mit Handtuch um den Hals) warten drauf, dass sie an der Reihe sind. Rechts führen 2 Türen in die Schlafräume – ich stell meine Radtaschen gleich in den 2. Raum, in welchem noch 2 Betten frei sind. Es sind ohnehin nur 3 Betten drinnen – auf einem Bett sitzt Anne aus der Schweiz und liest. Sie ist älter als ich und bereits die 2. Nacht im homestay, weil sie sich etwas auskurieren muss, ausserdem wartet sie auf ihren Freund, der am nächsten Tag mit dem Taxi nachkommen soll.
Am Tisch steht eine Schüssel mit süßen Marillen, ein Teller mit Fladenbrot und eine Schale mit Butter. Ich greife gleich zu bei den Marillen – Karl macht sich ein Butterbrot.
Um Punkt 19:00 sitzen alle am Tisch – Futter gibts! Eine Gemüsesuppe und dann Plov mit Rindfleisch. Und dann kommt man auch zum Reden: alle sind mit dem Rad da. Eine 6-er Gruppe (2 Deutsche Mitte 30, 1 Schweizer Mitte 30, 3 Inder – 2 davon ca. 60, 1 Mitte 30) ist seit 1 Monat gemeinsam unterwegs. Sie haben einander vorher nicht gekannt und sich über das Internet kennengelernt und wollen durch dieses Experiment rausfinden, wie eine bunt zusammengewürfelte Truppe in Extremsituationen funktioniert. Sie haben den Wakhan Korridor mit dem Rad gemacht (mit vielen Übernachtungen im Zelt in der Wildnis), mussten dabei natürlich immer auf den Schwächsten Rücksicht nehmen bzw. ihn unterstützen, damit die Gruppe vorwärts kam. Sie erzählen, dass mittlerweile die Zusammenarbeit so gut klappt, dass wenn immer jemand einen Platten hat, der Schlauchwechsel abläuft, wie ein Boxenstopp beim Formel 1 Rennen. Super Sache!
Ein weiterer Radler am Tisch ist Daniel aus Polen (ich schätze ihn auf ca. 40). Er kommt aus Stettin und hatte 2015 folgende verrückte Idee: Er möchte in jener Großstadt, die am weitesten von seiner Heimatstadt entfernt liegt und ebenfalls mit „S“ beginnt mit dem Rad starten und dann zurück nach Polen radeln. Und so kam es, dass er sein Rad für den Flug verpackte, nach Sydney flog und dort mit dem Radeln Richtung Stettin begann. Mit vielen Unterbrechungen – er arbeitet zwischendurch auch immer wieder – hat er mittlerweile ca. 50% des Weges geschafft. Sein Nickname auf WhatsApp (er ist natürlich auch in der Cycling East Gruppe) lautet DanTheManWithNoPlan – wie passend! Die Inder am Tisch fragen ihn, wie er das Radfahren in Indien empfunden hat (er war ein paar Monate mit dem Rad am Subkontinent unterwegs). Das Schlimmste an Indien war für ihn „the absolute lack of privacy“. Wann immer er wo hin kam, wurde er von Hunderten Leuten umringt, die ihn und sein Rad anfassten. Und einmal stellte er sein Zelt im Garten eines Hotels auf (nachdem er das Okay vom Hotel hatte) und lag dann im Zelt und las – da wurde doch glatt von aussen der Reißverschluss geöffnet und ein Inder steckte neugierig seinen Kopf ins Innere. Und noch eine Besonderheit aus Indien: die furchtbaren Hupen. Er erzählt, dass er oft durch wirklich schöne ruhige Gegenden geradelt ist, dann kommt ein Auto daher und der Fahrer hupt begeistert – ein furchtbar lautes Gedudel, das mindestens 5 Minuten anhält – er ist seit Indien halb derrisch.
Ich mag solche bunt zusammengewürfelte Runden von unkomplizierten Abenteurern mit verschiedenen Nationalitäten, wo jeder wilde, verrückte Geschichten zu erzählen hat und eines haben diese zufälligen Treffen gemein: sie finden immer an Orten statt, wo es absolut keinen Luxus gibt. Abenteuer und Luxus scheinen einander auszuschließen.
Und so ist der einzige Luxus in diesem homestay auf 4.000m Höhe der Anblick des wundervollen, durch keine Lichtverschmutzung beeinträchtigten Sternenhimmels, wenn man in der Nacht auf das WC, welches sich im Freien in einem Verschlag neben dem Kuhstall befindet, muss.
So, unser erster Radlertag auf 4.000hm steht bevor. Während ich am Abend vorher noch leichte Kopfschmerzen und Schwindel hatte, geht es mir jetzt sehr gut. Zum Frühstück gibts eine Schüssel mit Milchreis, dazu Brot, Butter und Kaffee. Wir verabschieden uns von der homestay-Betreiberin und den anderen Radlern, dann fahren wir noch zum Dorfbrunnen, um unsere Wasserflaschen aufzufüllen. Unser Ziel für heute ist die 110 km entfernte Stadt Murghab – wir müssen dabei über einen Pass und werden mit Anstieg und Gegenanstieg auf ca. 700hm kommen. Wir haben aber auch Zelt und Lebensmittel dabei, sollten wir die Distanz nicht schaffen (dazwischen gibt es keine Siedlung). Der Wettergott ist uns hold – Sonnenschein, strahlend blauer Himmel und Rückenwind! Los gehts!
Die Landschaft ist wirklich beeindruckend. Imposante Berge, soweit das Auge reicht. Die Strasse ist okay, ab und zu ein Schlagloch, aber damit kann ich leben. So gut wie kein Verkehr, das heisst ich kann in der Mitte der Strasse dahinflitzen. Karl zieht schon wieder davon – ich lass mir Zeit und fahr mein Tempo. Dann kommt die 1. Steigung: Puhh, mir geht gleich die Luft aus! Absteigen, schieben und alle 20 Schritte eine Verschnaufpause! Ich schnauf mich den Anstieg hoch – dann geht es wieder eben dahin. Mit Unterstützung durch den Rückenwind erreichen wir den Pass am frühen Nachmittag. Beide kämpfen wir mit der dünnen Luft. Jetzt ist es Zeit für eine Pause. Wir suchen uns einen windgeschützten Platz, essen ein paar Kekse und beobachten einen Konvoi von 4 LKW‘s, die sich dem Pass nähern. Da sie sehr viel Staub aufwirbeln, wollen wir warten, bis sie vorbei sind, bevor wir uns wieder in den Sattel schwingen. Die LKW-Fahrer in Fahrzeugen mit Aufschriften von Militzer und Münch/CH bzw. Angermayr aus dem Innviertel (alle mit tadschikischen Kennzeichen) winken uns freundlich zu. Nicht nur PKW’s, sondern auch abgeschriebene LKW’s aus Mitteleuropa leisten hier in Zentralasien noch wertvolle Dienste. Die Hälfte der Strecke haben wir fast geschafft – jetzt geht es nur noch bergab oder eben dahin.
Was für ein Genussradeln inmitten einer unglaublichen Bergwelt! Soweit es die Strasse zulässt, können wir die Räder einfach laufen lassen. Ca. 25 Kilometer vor Murghab kommt uns ein vollbepackter Reiseradler entgegen. Konrad, ein junger, sehr zarter Mann aus Halle an der Saale. Er will heute noch 50 km machen und dann noch Zelt aufbauen und kochen – hat dabei aber einen ordentlichen Anstieg mit Gegenwind zu bewältigen. Ich beneide ihn nicht. Er gibt uns dann noch einen Tipp bezüglich homestay in Murghab, dann geht es weiter. 15 Kilometer vor dem Ziel kommt noch einmal ein knackiger Anstieg – Karl ist ca. hundert Meter hinter mir und ich sehe, wie ein LKW neben ihm hält und der Fahrer mit ihm spricht. Dann fährt er weiter. Karl holt mich bald ein und erzählt mir, dass ihm der Fahrer angeboten hatte, uns bis Murghab mitzunehmen. „Und du hast abgelehnt – wie konntest du nur?“ „Es sind doch nur noch 15 Kilometer – das schaffen wir auch ohne Mitfahrgelegenheit.“ Die Steigung ist wirklich heftig – ich schnaufe und schiebe. Da werde ich von 2 Motorradfahrern (1 x Neuseeland, 1 x Deutschland) überholt, beide versuchen, mich mit einem „Daumen hoch“ zu motivieren – ich winke müde lächelnd zurück. Endlich gehts wieder bergab, aber jetzt wird’s richtig zäh. Die letzten 10 Kilometer ziehen sich dahin – ich spüre, wie sich bleierne Müdigkeit über mich legt. Irgendwann kommen wir zu dem homestay, das uns Konrad empfohlen hat – es liegt auf einer kleinen Anhöhe. Ich warte unten bei der Strasse, während Karl zum homestay rauffährt. Ich seh dann, wie er sich mit der Besitzerin unterhält und wie sie runter Richtung Zentrum zeigt. Nein, ich will jetzt nicht mehr weiterfahren – ich bin todmüde. Karl fährt wieder runter zu mir. „Sie hat nur 1 freies Bett. Aber es gibt noch ein anderes homestay im Zentrum. Dort sollen wir es versuchen.“ „Nein, wir nehmen das freie Bett und fragen sie, ob wir im Zimmer unsere Matte ausrollen dürfen – Schlafsack drauf und geht schon.“ „Dann frag du sie, ob das geht.“ sagt Karl. Ich lass das Rad bei der Strasse und geh rauf. Die Besitzerin, eine Kirgisin steht grad in der Küche und schnipselt Gemüse. Sie spricht ein bisschen Englisch. Ich frage sie, ob wir im Zimmer, in dem das freie Bett steht unsere Matte ausrollen dürfen, sodass wir beide einen Schlafplatz haben. Sie geht mit mir in das betreffende Zimmer – ein schneller Blick reicht: an einer Wand ist mehr als genug Platz für eine 80 x 200 cm Matte. Zwei weitere Betten in dem Raum sind bereits belegt von 2 sympathischen jungen Männern. „Hi guys, we are 2 persons and there is just 1 free bed in here. Do you mind if we put our mat here, so that we both have a place to sleep.“ „No problem, just go ahead“ meinen die beiden Geologen aus Amsterdam und einer stellt auch gleich seine Tasche woanders hin, sodass Platz für die Matte ist. Überglücklich, einen Platz zum Schlafen zu haben gehe ich raus zu Karl. Er hilft mir dann, mein Rad die kleine Steigung hochzuschieben (ich bin sooooo müde) und er erklärt sich galanterweise dazu bereit, mir das Bett zu überlassen.
Irgendwo dürften die homestay-Besitzer dann aber doch noch ein Bett aufgetrieben haben, denn während wir beim Abendessen sitzen, wird ein Bettgestell samt Matratze ins Zimmer gebracht und so kann zum Schluss jeder in einem Bett schlafen.
Beim Abendessen treffen wir dann auch Gerhard, einen deutschen Reiseradler, 55 Jahre alt. Er hat Job und Wohnung aufgegeben und lebt von Ersparnissen. Er ist jetzt schon längere Zeit in Zentralasien unterwegs, nachdem er zuvor durch Saudi Arabien, Oman, die Golfstaaten und den Iran geradelt ist. Und als nächstes Land plant er tatsächlich Afghanistan – er ist in einer Afghanistan Radreise WhatsApp Gruppe und meint, dass einige männliche Radler aus westlichen Ländern momentan im Land am Hindukusch unterwegs sind. Durch die WhatsApp Gruppe bekommt er wichtige Infos und er hat keine allzu großen Bedenken, das Land zu bereisen. Er erzählt ausserdem, dass er vor 2 Tagen 2 junge Österreicherinnen getroffen hat – sie sind im Februar mit dem Rad aus Österreich weggefahren und jetzt im Pamir unterwegs.
Die beiden holländischen Geologen, mit denen wir unser Zimmer teilen, sind mit einem in Duschanbe angemieteten Toyota Land Cruiser unterwegs. Sie interessieren sich primär für Höhlen und hoffen ausserdem, bei ihren geplanten Wandertouren durch die Berge Tadschikistans Marco Polo Schafe und eventuell auch einen Schneeleoparden (sehr scheu) zu treffen.
Der nächste Tag ist ein Rasttag (glücklicherweise hat Karl nix dagegen – ich hab schon befürchtet, dass er gleich die 120 km lange Strecke mit vielen Höhenmetern bis in die nächste Ortschaft – Karakul- machen will) – wir haben also Zeit, uns Murghab ein bisschen näher anzusehen. Was gleich auffällt: hier wohnen fast ausschliesslich ethnische Kirgisen. Die ca. 7000 Einwohner zählende Ortschaft in 3600m Höhe wirkt sehr arm – die staubige Haupteinkaufstrasse besteht aus Containern, in welchen man einfache Güter erwerben kann.
Da Karl ziemliche Probleme mit der dünnen Höhenluft hat, beschließen wir, uns für den nächsten Tag wieder motorisierte Unterstützung zu organisieren. Geplant ist folgendes: wir fahren mit einem Jeep rauf auf den 70 km entfernten Ak Baital Pass auf 4655m und von der Passhöhe radeln wir dann ca. 50 km nach Karakul auf 3900m, die nächste Ortschaft am Highway. So ersparen wir uns kräfteraubende 1000 Höhenmeter bergauf und schaffen es mit Sicherheit nach Karakul, wo es homestays gibt. Relativ rasch finden wir einen Mann mit Jeep, mit dem wir ausmachen, dass er uns am nächsten Tag um 09:00 von unserem homestay abholen soll. Am nächsten Morgen sind unsere Sachen rasch im Auto verstaut – die beiden Räder werden am Dachträger fixiert – Karl prüft noch mal, ob eh nix hin und her wackelt. Dann gehts rauf Richtung Passhöhe – zuerst noch auf relativ guter Asphaltstraße immer am chinesischen Grenzzaun entlang, dann allerdings wird’s immer steiler und die Asphaltstraße wird zu einer schlimmen Schotter/Sand – Buckelpiste. Bin ich froh, dass ich da nicht radeln muss! Auf der Passhöhe treffen wir noch 2 Schweizer auf ihren Rädern und ausserdem eine in Algerien lebende Salzburgerin, die mit ihrem kasachischen Partner im Jeep unterwegs ist. Sie freut sich riesig, eine Landsfrau zu treffen – sie ist jetzt schon einige Zeit in Zentralasien unterwegs und hat bis dato keine einzige Person aus Österreich getroffen. Das ist etwas, worüber ich mich auch immer wundere. Man trifft extrem viele Deutsche (auf mein Inserat auf der Reiseplattform haben sich ja auch ausschliesslich Deutsche gemeldet), Schweizer (weniger Einwohner als Österreich!), Holländer und Franzosen – aber wo sind die Österreicher? Sind die nicht abenteuerlustig genug, wollen auf den gewohnten Luxus nicht verzichten und wollen immer auf Nummer Sicher gehen? Machen die nur organisierte Reisen, All-Inclusive Urlaube und Kreuzfahrten? Ich weiss es nicht.
Die Räder werden auf der Passhöhe wieder vom Autodach geholt – Radtaschen rauf und los gehts runter Richtung Karakul. Die Strasse ist der reinste Horror – Waschbrett-Buckelpiste auf einem Sand/Schottergemisch!!! Man kann nicht beschleunigen und wird die ganze Zeit durchgerüttelt. Schon nach kurzer Zeit spüre ich ein Brennen im oberen Rücken – das kommt von der verkrampften Haltung am Rad. Nach ca. 16 Kilometer – wir brauchen dafür eine Ewigkeit -machen wir eine Pause am Straßenrand. „Also, wenn das so weitergeht, schaffe ich das heute nicht bis Karakul.“ sage ich. Karl meint, dass sicher bald Asphalt kommen wird. Sein Wort in Gottes Ohr! Und tatsächlich, ca. 200m später Asphalt – zwar nicht perfekt mit einigen Schlaglöchern, aber man kann beschleunigen. Dann kommt aber plötzlich Gegenwind und einige Steigungen – also zu früh gefreut. Irgendwann aber – es geht jetzt wirklich nur noch eben dahin oder bergab – dreht der Wind noch einmal und schiebt uns richtiggehend den Berg hinab. Die letzten 25 km unserer Tagesetappe sind wieder reinstes Fahrvergnügen – wir flitzen nur so dahin. Wir sind umgeben von schneebedeckten Sechs- und Siebentausendern, die Sonne scheint und dann sehen wir ihn: den Karakul (Schwarzer See) – majestätisch in dunklem blau liegt er da inmitten der Berge. Das ca. 300m entfernte Seeufer verläuft dann über längere Zeit parallel zu unserer Strasse – wir sehen, dass am Seeufer 2 Radfahrer unterwegs sind. „Aha, da gibt es auch einen Weg“ meint Karl. Der Seeweg mündet dann aber irgendwann in die Asphaltstraße, die wir entlangfahren und kurz bevor wir zu dieser Einmündung kommen, erreichen auch die 2 Radfahrer die Asphaltstraße. Und was dann folgt, ist ein Bild für Götter. Die 2 Männer stellen ihre voll bepackten Räder ab, fallen auf die Knie, beugen sich nach vor und küssen den Asphalt. Wir haben Augen gemacht! Sie schauen wirklich fertig aus – „Hi guys. You look as if you would come right out of hell.“ begrüße ich die beiden. Sie scheinen in meinem Alter zu sein. Beide sehr dünn – einer extrem gross, sicher 2 m. Der Lange antwortet auf Englisch, dass sie durch das extrem abgeschiedene Batang Valley rauf zum See gefahren sind und dass es megaanstrengend war. Nach seinem 2. Satz denk ich mir: „Das ist ein Österreicher oder Deutscher“. Der Akzent und wie er „the“ ausspricht, nämlich als „se“, das ist typisch für Österreicher und Deutsche, die irgendwann in der Schule Englisch gelernt haben und es dann selten bis nie gebraucht haben. Ein Blick auf seine Ortlieb-Radtaschen und sein Hemd von Maier Sports, einem schwäbischen Hersteller macht mich sicher. „Wir können uns auch auf Deutsch unterhalten“ sage ich. Kurzer, irritierter Blick – dann sagt er: „Ja, wir sind Deutsche. Woher kommt ihr?“ „Bayern“ – ich deute auf Karl und „Österreich“. Wieder keine Österreicher, denk ich mir.
Wir haben dann nur noch ein paar Kilometer bis in den Ort Karakul, wo wir noch ein polnisches Radfahrerpaar treffen, das vergangene Nacht in einer aufgelassenen Karawanserei geschlafen hat – soll sehr cool gewesen sein.
Wir finden recht schnell ein homestay mit freien Betten – Dusche gibt es keine und das WC ist ein Verschlag im Hinterhof (das heisst, ich werde in der Nacht wieder den Sternenhimmel bewundern dürfen, wenn ich pinkeln muss). Die kirgisischen homestay Betreiber sind sehr nett – sie haben 3 Töchter mit 12, 10 und 4 Jahren und einen Sohn mit 2. Die 10 jährige ist sehr quirlig und spricht etwas Englisch. Die älteren Töchter helfen fleissig mit beim Servieren und Abservieren – es gibt eine feine Gemüsesuppe mit Reiseinlage, selbstgebackenes Fladenbrot und ausgezeichnet schmeckende Yakbutter. Und als Dessert ein Schälchen mit eingelegten sauren Kirschen – uj, da muss ich schnell sein, sonst isst mir Karl alles weg!!
Nach dem Abendessen merke ich, dass ich den ärgsten Muskelkater (Oberschenkelvorderseite) habe – ausserdem eine Blase zwischen Daumen und Zeigefinger (ich hab mich die ganze Zeit am Lenker festgekrallt) – Souvenirs der schrecklichen Buckelpiste von heute. Das Brennen im oberen Rücken ist verschwunden.
Da ich sicher bin, dass der Muskelkater am nächsten Tag noch nicht verschwunden sein wird, beschließen wir auch hier einen Rasttag. In dem auf 3900m gelegenen Ort Karakul – bettelarm – weit weg von den nächsten Orten (120km über den 4655m hohen Ak Baital Pass nach Murghab bzw. 100km über den 4250m hohen Kyzyl-Art Pass nach Sary Tash in Kirgistan) hat man das Gefühl, am Ende der Welt angekommen zu sein. Hier gibts absolut nichts. Ein kleines Magazin, wo wir einen Touristen treffen und kaum glauben können, was wir sehen. Als ob man einen Paradiesvogel am Ende der Welt inmitten von Staub und Steinen ausgesetzt hat. Der ca. 50 jährige Typ trägt grell gelbe Sportschuhe, ein grell grünes Shirt mit dazupassender kurzer Hose – als ob er sich gerade aus einem hippen Fitnessclub in Manhattan hierher gebeamt hätte. Er wirkt völlig deplatziert. Was macht der da???
Am Rasttag (mein Muskelkater ist noch immer heftig zu spüren) machen wir einen kleinen Spaziergang am Karakulsee. Der Salzsee ist höher gelegen als der Titicacasee, an Schwimmen ist nicht zu denken – er ist ziemlich kalt und die ganze Zeit weht frischer Wind – ein Paradies für Segler und Kitesurfer (man sieht aber niemanden am Wasser). Tatsächlich fand hier zwischen 2014 und 2018 die „Roof of the World Regatta“ statt – der höchstgelegene Segel- und Kitesurfbewerb inmitten von spektakulärem Bergpanorama.
Am nächsten Tag planen wir, die Grenze nach Kirgistan zu überschreiten und dort dann weiter zu radeln. Zwischen Tadschikistan und Kirgistan gibt es Grenzstreitigkeiten (letztes Jahr gab es deswegen ein paar Hundert tote Soldaten) – der Grenzübergang am Kyzyl-Art Pass, den wir benutzen werden war lange Zeit komplett gesperrt, jetzt ist er ausschliesslich für Touristen geöffnet. Man kann die Grenze aber nicht einfach passieren (auch wenn man als EU Bürger bis zu 30 Tage ohne Visum im Kirgistan bleiben kann), sondern man muss im Vorfeld eine mail an die kirgisische Regierung senden mit der Info, dass man beabsichtigt, über diesen Grenzübergang ein- oder auszureisen (dazu ungefährer Zeitpunkt der Ein/Ausreise und Foto des Reisepasses). Dann kommt man auf eine Liste, die am Grenzübergang aufliegt – ist man nicht auf der Liste, wird einem der Grenzübertritt verweigert. Wir haben diese mail an die Regierung bereits vor einer Woche geschickt und die Rückbestätigung bekommen, dass wir bereits auf der Liste stehen.
Am nächsten Morgen noch einmal Frühstück im homestay. Es gibt Griesskoch, selbstgemachtes Fladenbrot und Yakbutter. Hier in Karakul haben wir ausser der Yakbutter ausschliesslich vegane Gerichte bekommen, alle sehr gut zubereitet. Ich frage mich eh, wie man in dieser lebensfeindlichen Umgebung (kein Obst, kein Gemüse – der nächste Ort mindestens 100km entfernt) überhaupt überleben kann – im Winter, der hier 9 Monate dauert, ist es noch einmal schwieriger.
Die Mädchen der homestay Familie sind ursüss – sie kommen in der Früh in mein Zimmer und schauen mir neugierig zu, wie ich mir die Haare kämme und dann zu einem Pferdeschwanz zusammenbinde. Dann kommt die 10 jährige, quirlige Fatima her, berührt meine Haare und sagt: „Very good!“ Ich berühre daraufhin ihren langen, schwarzen Zopf und sage:“Very good too!“ Lautes Gekicher der Mädchen.
Der Grenzübergang liegt wie gesagt auf einer Passhöhe und wir beschließen – so wie bereits beim Ak Baital Pass – uns mit einem Jeep auf die Passhöhe raufbringen zu lassen und erst dann mit dem Radeln zu beginnen. Bis zur nächsten Ortschaft Sary-Tash in Kirgisien sind es dann noch immer über 50km – das reicht für einen Tag.
Unser homestay Besitzer hat einen Jeep – wir haben noch einige tadschikische Somoni übrig – der Deal steht: wir geben ihm unsere restlichen Somoni, dafür bringt er uns rauf auf den Pass. Schnell sind die Räder am Dachträger fixiert und die Radtaschen im Wageninneren verstaut, noch einmal den süßen Mädchen zugewunken und schon gehts los. Auch hier am Anfang wieder ganz passable Straßen, je näher wir dem Pass kommen, desto katastrophaler der Untergrund. Nie und nimmer möchte ich mich hier mit dem Rad raufquälen müssen! Die letzten 200 m vor dem Pass sind so steil und wild: hier müsste man die Radtaschen runternehmen und gesondert rauftragen.
Oben am Pass angekommen sehen wir bereits eine Menge tadschikischer Soldaten. Karl hat mit seinem Handy in Richtung tadschikischer Grenzstation fotografiert – so schnell konnte er gar nicht schauen, war ein Soldat da und er musste das Foto wieder löschen.
So, jetzt die Räder wieder runter vom Dachträger, die Taschen anbringen, Buff und Handschuhe anziehen (hier ist es saukalt) und dann schieben wir die Räder Richtung Grenzstation. Dort stehen 3 Aussies mit ihren Motorrädern. Einer zeigt auf uns beide und fragt: „So, whose idea was it, to cycle this absolute insane highway?“ „It was mine.“ antworte ich. Er mustert mich von oben bis unten und meint grinsend: „That‘s what I thought anyway. Crazy woman.“ Die 3 kommen grad aus Kirgistan und warnen uns, weil der 1. Teil der uns bevorstehenden Etappe ziemlich heftig sein soll. Sie sagen auch, dass sie alle Radfahrer bewundern, die sich diesen Höllentrip antun.
Anschließend zur Passkontrolle: wir werden in ein Zimmer gebeten, dort sitzt ein Obermacho in Zivilkleidung, lässig eine Zigarette im Mundwinkel. Kein Computer – langsam trägt er unsere Personalien in ein dickes Heft ein. Dann dürfen wir weiter.
Nach weiteren 100m wird unser Gepäck kontrolliert. Ein sehr junger Soldat in zerschliessener Uniform mit Flip-Flops an den Füssen kommt zu mir. „Open please“. Ich fange mit der Top Rack Tasche an – da habe ich die Campingsachen und Lebensmittel drinnen. Ganz oben liegt eine grosse Packung Kekse – ich sehe , wie er große Augen bekommt und frag ihn, ob er sie haben will. „Yes please“ und schon wechseln die Kekse den Besitzer. Darunter 4 Packungen Instant Nudeln – ich gebe ihm 2 Packungen, er ist überglücklich und zieht mit seiner Beute ab. Sein Mittagessen ist gesichert und die restlichen Taschen interessieren ihn nicht mehr.
Das ganze erinnert mich sehr an Geschäftsreisen in die Tschechoslowakei zu kommunistischen Zeiten. An der Grenze konnte es ewig lang dauern und Schikane durch tschechoslowakische Grenzbeamte gehörte zur Tagesordnung. Als Normalsterblicher ist man in der CSSR nicht an Bananen gekommen. Also habe ich immer mindestens 10kg Bananen im Kofferraum dabei gehabt und siehe da, die Wartezeit an der Grenze hat sich drastisch verringert.
So, das war jetzt ein urlanger Blogbeitrag (obwohl ich über vieles gar nicht berichtet habe). Bin jetzt schon seit ein paar Tagen in Kirgistan – dazu mehr im nächsten Beitrag.
Am Fluss Panj – Afghanistan befindet sich auf der anderen Seite
Ein für Zentralasien typischer Tapchan (Tagesbett) auf welchem man isst oder …
schläft (hier ein eher untypischer gemauerter Tapchan)
Das hier ist die edle Variante im Stadtpark von Korogh.
Schulbus in Khorog. Der Kirgise daneben trägt eine typisch kirgisische Kopfbedeckung.
Blick rüber nach Afghanistan
Hirtenfamilie auf 4300m Höhe
Dieser Hirte freut sich über ein paar Zigaretten
Full House im homestay in Alichur
Unser Zimmer im homestay
Das WC im homestay in Alichur
Am Brunnen füllen wir unsere Wasserflaschen auf, bevor es losgeht mit dem Radeln
Jetzt geht es los Richtung Osten
Vorbei an einer Jurte, wo man auch übernachten könnte
Endlich im homestay in Murghab
Bei einer netten kirgisischen Familie
Gibts was Leckeres zum Essen.
Süße kirgisische Mädchen in Murghob
Karl prüft, ob die Räder eh gut fixiert sind
Am Ak Baital Pass auf 4655m treffen wir eine Salzburgerin mit ihrem kasachischen Freund und 2 Schweizer Radler
Weiter gehts auf Schotter
Vorbei an einer Jurte, in der man übernachten kann. Im Bild die hübsche kirgisische Jurtenbesitzerin mit ihren 3- und 4-jährigen Söhnen.
Wir nähern uns dem Karakul-See.
Und finden ein homestay.
Backofen und WC im homestay
Tom aus Holland und Julien aus Frankreich auf Radweltreise
Es sind 11 Monate seit meinem letzten Beitrag vergangen und ich war in dieser Zeit nicht ganz untätig. Die Hauptgründe für den Abbruch meiner Radreise im vergangenen Jahr waren ja Heimweh und die Tatsache, dass mein Hirn einfach überlastet war von den vielen Eindrücken, die man auf so einer Reise jeden Tag gewinnt. Und irgendwann kommt dann der Moment, dass auch die schönste Stadt oder die spektakulärste Landschaft keinen Reiz mehr darstellen – man will einfach nur noch nach Hause.
Und so habe ich mich gerne wieder ins sogenannte Hamsterrad begeben – habe mir in Wien ein kleines, voll ausgestattetes Apartment und einen Job gesucht (und beides auch gleich gefunden). Mit grosser Freude und Begeisterung war ich bei der Vollpension (www.vollpension.wien) hauptsächlich als Köchin im Einsatz. Es war teilweise extrem stressig, hat aber auch viel Spaß gemacht. Speziell die Arbeit in der MUK (Musik- und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien), wo die Mensa von der Vollpension betrieben wird, hat mir voll getaugt, weil das Ambiente und die netten Kollegen sehr viel zur Motivation beigetragen haben. Gemüse schnipseln mit Klavierbegleitung oder Ariengesang (in der Küche hat man ständig jemanden singen oder ein Instrument spielen gehört) macht gleich doppelt so viel Spaß und den Kontakt mit den Studenten und Professoren, die ich kulinarisch verwöhnen durfte, habe ich als sehr angenehm empfunden.
In der Freizeit etwas Sport (das Rad stand zwar die meiste Zeit an meinem Hauptwohnsitz in der Steiermark, aber Wandern und Fitnessstudio halten auch fit), viel Lesen (auch in der Literaturgruppe – liebe Grüße an die Lesemäuse), jede Woche Pubquiz (liebe Grüße an die Klugscheißer) und natürlich auch Faulenzen und Reisepläne schmieden.
Da es bei der nächsten Reise (Pamir Highway) ans Eingemachte gehen wird, möchte ich diese nicht alleine machen. Aus diesem Grund habe ich im April eine Anzeige auf einer Reiseplattform platziert. Es haben sich ein paar Leute aus Deutschland gemeldet, darunter Karl aus Bayern, ein paar Jahre älter als ich. Wir haben kurz hin- und hergemailt und dann telefoniert und ausgemacht, dass wir uns vorab auf jeden Fall zu einer Tour treffen müssen, um zu sehen, ob die Chemie passt und ob wir uns sportlich auf halbwegs gleichem level bewegen. Anfang Mai war es dann so weit: Treffpunkt in Passau und dann gehts am Donauradweg nach Wien. Karl hat im März gerade die Nord- und Südinsel Neuseelands (3000 km mit 22000 hm) mit dem Mountainbike durchquert, er war also in Topform. Dementsprechend schnell war er am Donauradweg unterwegs – ich habe ihn zumeist nur von hinten gesehen. Außerdem ist er sehr ehrgeizig und bringt als ehemaliger Triathlet und Teilnehmer am Eismarathon in Sibirien (bei minus 30°) unendlich viel Leidensfähigkeit (die ich nicht habe) mit. Ich stelle also gleich einmal klar, dass wir den Pamir Highway nur dann gemeinsam machen können, wenn er sich ein bisschen einbremst. Oder er fährt halt immer voraus, baut das Zelt auf und kocht, sodass das Essen am Tisch steht, wenn ich dann ankomme 😉 Er meint, er hätte kein Problem, das ganze etwas gemütlicher zu gestalten – also beschließen wir, den Pamir gemeinsam zu rocken. Wir buchen dann auch gleich den Flug von München nach Duschanbe und beantragen ein 60-tägiges Tadschikistan e-Visum mit GBAO Permit (als EU Bürger darf man bis zu 30 Tage ohne Visum ins Land – wir wollen aber keinen Stress haben und das Permit für den Pamir brauchen wir ohnehin, also schlagen wir 2 Fliegen mit einer Klappe). Das Visum mitsamt Permit haben wir innerhalb von ein paar Tagen im maileingang.
Mit Ende Juni beende ich meine Arbeit und kündige das Apartment in Wien – der Flug ist erst im August; das heisst: ich könnte im Juli noch schnell was Anderes machen. Mitte Juni entdecke ich auf der Reiseplattform, über die ich Karl kennengelernt habe, eine interessante Anzeige: Frank aus Berlin sucht relativ kurzfristig eine nette Reisebegleiterin für 14 Tage Schottland ab 12.7. Er hat die Unterkünfte (1 Woche ein Cottage an der Küste auf der Isle of Skye und 1 Woche ein Ferienhaus am Meer in der Nähe von Edinburgh) schon vor langer Zeit gebucht und will jetzt, nachdem die ursprüngliche Begleitung ausgefallen ist, nicht stornieren.
Schottland steht schon lange auf meiner bucket list – also nichts wie ran an die Tasten. Schon bald meldet er sich zurück und wir führen ein sehr nettes Telefonat. Aber auch hier gilt: ob die Chemie passt, finden wir nur raus bei einem persönlichen Treffen. Nachdem er in Berlin lebt und ich zu diesem Zeitpunkt noch in Wien war, beschließen wir, uns in der Mitte – in Prag – zu treffen. Wir haben uns von Anfang an sehr gut verstanden und waren uns auch über die Gestaltung des Urlaubs (Stadtbummel durch Edinburgh und Glasgow, ein paar Burgen besichtigen, Wanderungen durch die Highlands und am Strand, am Abend auf Fish and Chips oder Haggis in ein Restaurant oder auch mal selber was in den voll ausgestatteten Küchen kochen und mit einem feinen Tropfen genießen, aber auch genügend Zeit zum Lesen und Faulenzen) einig.
Frank ist mit dem Auto von Berlin nach Amsterdam gefahren, von dort hat er die Nachtfähre nach Newcastle genommen und mich dann in Edinburgh am Flughafen abgeholt. Von dort war es dann noch ein ziemlich langer Weg nach Uig auf der Isle of Skye mit vielen Blind Summits, Hidden Dips und Heavy Plants Crossing (im ersten Moment habe ich mich gefragt, welche schweren Pflanzen hier über die Strasse wollen 😉 Nachdem die Sonne im Juli hier im hohen Norden erst um 22:30 untergeht, sind wir noch bei Tageslicht in unserem Cottage, einer alten, mit sehr viel Geschmack hergerichteten Mühle an einem Bach angekommen.
Es folgten dann zwei tolle, sehr harmonische Wochen bei angenehmen Temperaturen (ca. 15°). Frank ist sehr belesen und begeisterter Theater- und Konzertbesucher, ausserdem sportlich – also hatten wir viele Gemeinsamkeiten und der Gesprächsstoff ist uns nicht ausgegangen. Die 14 Tage sind schnell vergangen und mit etwas Wehmut hieß es dann Abschied nehmen – Frank muss wieder zurück in die Arbeit und ich muss schön langsam meine Sachen für die Radreise packen. Wir beschließen aber, dass es eine Fortsetzung geben wird, sobald ich aus Asien zurück bin.
Anfang August geht es dann los von der Steiermark Richtung Bayern. Meine lieben Nachbarinnen (die Schlossherrinnen) werden auch diesmal wieder während meiner Abwesenheit nach meiner Wohnung sehen.
Am Abend des 1. Radlertages mit 60 km und 500 hm hatte ich ziemliche Schmerzen im linken Knie und der linken Hüfte – na, das fängt ja gut an! Ich habe aber in Radlerblogs gelesen, dass die Schmerzen zumeist von einem zu niedrig eingestellten Sattel herrühren. Also: der Sattel wird 1 cm höher gestellt und siehe da, die Schmerzen verschwinden und kommen nicht wieder.
Ich begegne natürlich vielen anderen Radlern – fast alle fahren e-Bikes. Auf der Strecke von Bad Mitterndorf zum Grundlsee muss man über einen Berg mit ziemlich knackigem Anstieg, d.h. absteigen und schieben. Während ich mich mit meinem vollbepackten Drahtesel den steilen Berg hinaufquäle, überholen mich 4 e-Biker. „Du bist halt noch a Ehrliche“ ruft mir einer zu, während er ganz gemütlich und ohne sich anzustrengen an mir vorbeizieht.
In der 1. Augustwoche gibt es immer wieder Regentage und so beschließe ich, Teilstrecken mit der Bahn zurückzulegen. Im Zug nach Linz treffe ich ein sympathisches Paar aus Graz: Katharina und Matthias mit ihren Kindern Joy und Lucian. Katharina ist Geschäftsführerin von cyclebee (www.cyclebee.app), einer Radreise App, mit der sie mehr Leute für Radreisen begeistern möchte. Sie erzählt mir von ihren größeren Tandemradreisen von Österreich nach Madrid (das war ihre Hochzeitsreise) und von Ushuaia nach Santiago de Chile. Speziell der Transport der Tandemräder im Flugzeug interessiert mich, weil diesbezüglich ja jede Airline ihr eigenes Süppchen kocht und es keine einheitliche Regelung für Radtransporte im Flieger gibt. Katharina gestaltet auch einen Podcast (kann man auf der Webseite anhören) und wir vereinbaren ein Interview entweder von unterwegs oder spätestens nach meiner Rückkehr nach Österreich.
Von Passau geht es weiter am Donauradweg stromaufwärts, vorbei an den sehenswerten Städten Straubing und Regensburg in Richtung Ingolstadt, wo Karl wohnt. Der Nachteil dabei ist, dass zumeist Westwind weht und man über weite Strecken gegen den Wind ankämpfen muss, sodass man teilweise das Gefühl hat, auf der Stelle zu treten. Schlussendlich komme ich einen Tag vor dem Abflug in Ingolstadt an – Karl hat schon vor einiger Zeit 2 Fahrradkartons vom Fahrradgeschäft organisiert. Das heisst, Räder so zerlegen, dass sie in die Kartons passen. Da das ganze doch ein ziemlicher Aufwand ist – zuerst zerlegen und nach dem Flug wieder zusammenbauen, beschließen wir, es ohne Verpackung zu versuchen und die Räder einfach zum Check-In zu schieben. Die tadschikische Fluglinie Somonair, die uns innerhalb von 6 Stunden in einem Direktflug mit einer Boeing 737 von München nach Duschanbe bringen wird, hat auf ihrer Webseite keine Info bezüglich Verpackung der Fahrräder. Es steht nur drinnen, dass Fahrräder transportiert werden. Auf meine Mailanfrage, ob die Fahrräder verpackt sein müssen, werde ich wieder nur an die Webseite verwiesen.
Karls Neffe bringt uns zum Flughafen – wir sind sehr früh dran und etwas angespannt, weil wir nicht wissen, ob die unverpackten Fahrräder eingecheckt werden können. Kartons können wir auf die Schnelle sicher nicht auftreiben und das Zerlegen der Räder würde auch einige Zeit in Anspruch nehmen. Beim noch nicht geöffneten Check In (erst 2,5 Stunden vor Abflug möglich) hat sich schon eine ziemlich lange Schlange gebildet, beim Sondergepäckschalter sitzt aber bereits ein Mitarbeiter der Airline. Also nix wie hin: Auf unsere Frage, ob wir die Räder ohne Verpackung einchecken können, meint er, dass die mit ziemlicher Sicherheit verpackt sein müssen. Also bis jetzt hat er immer nur verpackte Räder eingecheckt. Aber der Check in öffnet in 10 Minuten – wir sollen halt gleich fragen, sobald der Schalter besetzt ist. Das haben wir dann auch gemacht – die nette Dame hat gesagt: ja, sie nehmen die Räder unverpackt mit, wir müssen nur die Lenker um 90° drehen, sodass sie eine Linie mit dem Rahmen bilden (mit dem Inbusschlüssel, den Karl bei sich hat, ist das gleich erledigt) und wir müssen den Großteil der Luft aus den Reifen lassen. Und die Airline übernimmt keine Haftung, falls das Rad beschädigt am Zielort ankommt. Außerdem: 7,00 EUR/kg sind zu berappen, das macht ca. 100,00 EUR pro Fahrrad. Okay, damit können wir leben.
Der Flug nach Duschanbe verläuft unspektakulär, mit einer 30 minütigen Verspätung landen wir um 02:30 (3h Zeitverschiebung zu Mitteleuropa) in der Hauptstadt Tadschikistans. Bei der Gepäckausgabe werden zuerst unsere beiden Räder gebracht – so wie es ausschaut, haben sie keinen Schaden genommen. Auf das restliche Gepäck müssen wir ziemlich lange warten und so ist es fast 04:00 Uhr in der Früh bis wir endlich vor dem Flughafengebäude ankommen, wo wir eigentlich vom Fahrer des Guest Houses, in welchem wir für die nächsten 3 Nächte ein Zimmer gebucht haben, erwartet werden sollten. Aber da ist kein Fahrer. Schneller Anruf im Guest House (die Rezeption soll 24h besetzt sein) – keine Antwort. Ich schick dann auch noch eine WhatsApp Nachricht an das Guest House mit der Bitte um rasche Info – auch hier keine Antwort. Mittlerweile werden wir von ein paar Männern umringt, die uns ihre Dienste als Taxler anbieten. Da wir ein etwas grösseres Auto benötigen (für 2 Passagiere, Gepäck und 2 Räder), ist es gar nicht so einfach, etwas Passendes zu finden. Schlussendlich werden wir mit 2 Fahrzeugen zum nicht all zu weit entfernten Guest House im Stadtzentrum gebracht. Der Nachtportier hat uns ziemlich verschlafen in Empfang genommen – er spricht kein Wort Englisch – eine Diskussion wegen des nicht anwesenden Fahrers am Flughafen erübrigt sich damit.
Nach ein paar Stunden Schlaf frühstücken, SIM Karten kaufen, die Räder wieder fahrbereit machen (Lenker in die Normalposition bringen, Luft in die Reifen) und dann einmal die Stadt mit dem Rad erkunden. Tadschikistan ist die ärmste der ehemaligen Sowjetrepubliken (Durchschittslohn: 200,00 USD) – hier im Zentrum der 1,2 Mio Einwohner zählenden Hauptstadt merkt man davon nichts. So viele fette SUV‘s, sogar ein Maybach steht vor einem Luxushotel (alle haben tadschikische Kennzeichen). Die Frauen (viele orientalische Schönheiten) sind zumeist mit einem hübschen, farbenfrohen Ensemble aus einem gerade geschnittenen, knielangen Kaftan und einer Hose aus dem gleichen Stoff bekleidet – ca. 50 % tragen ein (dazupassendes) Kopftuch. Hier wird relativ moderater Islam praktiziert, ich habe noch keinen Muezzin zum Gebet rufen gehört. Ich lese dann aber, dass die radikalislamische Opposition unterdrückt wird und dass viele Moscheen geschlossen wurden – Russland gilt als Schutzmacht und hilft auch mit militärischer Unterstützung die Grenze zu Afghanistan zu sichern und damit zu verhindern, dass radikale Elemente ins Land kommen.
Da es sehr heiss ist (an die 40°) überlegen wir, uns mit einem Taxi bis in die 500 km entfernte Stadt Khorog an der afghanischen Grenze bringen zu lassen und erst dort mit dem Radeln zu beginnen. Khorog liegt bereits auf 2.000 m Höhe, ausserdem direkt am kühlenden Gebirgsfluss Panj, sodass es etwas erträglicher ist als hier in Duschanbe. Wir sitzen grad in einem Restaurant und diskutieren die verschiedenen Varianten. Karl sitzt mir gegenüber – am Tisch hinter ihm sitzt ein grossgewachsener, gutaussehender Tadschike, der mich schon die ganze Zeit mit seinen Nougataugen anschmachtet. „Pa russki?“ fragt er mich. „No, anglicki i nemecki“ antworte ich. Okay, dann wird halt nur mit Händen und Augen kommuniziert. Erst deutet er auf Karl, dann auf mich und dann zeigt er auf den Ringfinger. Ich schüttle den Kopf. Dann zeigt er mit fragendem Blick auf sich und auf mich und wieder auf den Ringfinger. „Du Karl, ich hab grad einen Heiratsantrag gekriegt“. „Aha“ antwortet Karl und schaufelt weiter das Gulasch in sich hinein. Er ist nicht grad der Gesprächigste – er meint dann aber: „Geh frag ihn, ob er einen SUV fährt. Der könnt uns doch nach Khorog bringen.“ Der Tadschike will mich dann noch auf einen Chay einladen – ich lehne lächelnd ab.
Probieren geht über studieren, daher beschließen wir, mit dem Rad einmal eine ca. 50 km lange Strecke mit ca. 600 hm Richtung Pamir zu fahren. Zur Rush Hour gehts raus aus Duschanbe, geplanter Zielort ist Fayzobod. Lt. Google maps soll’s dort auch ein Hotel geben – mal schauen, schlimmstenfalls haben wir ja auch das Zelt dabei. Es läuft erstaunlich gut, die Hitze ist schon arg, aber wir machen viele Trinkpausen an schattigen Plätzen. Auch die Strasse ist in gutem Zustand und je weiter wir uns aus der Stadt raus bewegen, desto weniger Autos sind unterwegs. Sobald es etwas steil bergauf geht, steige ich ab und schiebe das Rad – Karl schenkt sich nichts, Absteigen ist keine Option für ihn. Am Land ist auch alles gleich anders – die Leute sind ärmlicher gekleidet, alle Frauen tragen Kopftuch. Man hört viele „Hello“-Rufe der männlichen Dorfjugend und alle freuen sich, wenn wir diese laut erwidern. Esel werden hier als Transportmittel für Menschen und Waren eingesetzt. Auch die Autos sind nicht mehr so luxuriös wie in Duschanbe, viele Rostschüsseln, alte Ladas oder gebrauchte Fahrzeuge aus Europa – manche noch mit dem „D“ Pickerl drauf – begegnen uns auf den Straßen. Man sieht immer wieder Kuh- und Schafherden, die auf vertrockneten, steilen Abhängen grasen. Die Landschaft erinnert sehr an die Bilder aus Afghanistan, das ja nicht allzu weit entfernt ist. In den kleinen Ortschaften wird Heizmaterial für den hier bitterkalten Winter getrocknet (Kuhdung). Am Straßenrand wird auch Obst und Gemüse verkauft – die Verkäufer (oft sind es Kinder) schenken uns immer wieder einen Apfel oder Tomaten. Rachmat – Danke!
In einer etwas größeren Ortschaft machen wir Pause an einem Obststand – wir kaufen etwas Obst und kalte Getränke. Ich bin schon wieder süchtig nach eiskaltem Cola (normalerweise trinke ich kein Cola), aber schon vergangenes Jahr im Kaukasus habe ich an den heissen Radlertagen in den Trinkpausen 1 l eiskaltes Cola innerhalb von 15 Minuten in mich hineingeschüttet. Total ungesund, aber mein Körper braucht offensichtlich das Koffein und den Zucker.
Wir sitzen noch an unserem schattigen Platz, da kommt ein voll bepackter, blonder Radfahrer daher: Tom aus Holland, ca. 30 Jahre alt. Er ist im März in den Niederlanden gestartet und am Landweg hierher gekommen. Er war auch im Iran, wo er zwar nichts von den Unruhen mitbekommen hat, aber er meint, dass alle iranischen Frauen, mit denen er Kontakt hatte, entweder Angst haben und/oder resigniert haben. Er gibt uns noch den Einladungslink zu einer sehr nützlichen WhatsApp Gruppe (Cycling East) mit ca. 1.000 Mitgliedern. Lauter Radfahrer, die irgendwo in Asien unterwegs sind und sich mit wichtigen Infos (Visaangelegenheiten, Radwerkstätten, Strassenbedingungen, wo kriegt man was?, günstige Unterkünfte) versorgen. Ich frage ihn dann noch, wie er es durch Turkmenistan geschafft hat, weil man momentan ja kein Visum für dieses extrem abgeschottete Land bekommt. Er erzählt uns, dass man eine sauteure Tour (600,00 EUR) buchen kann, dann wird man an der iranisch-turkmenischen Grenze von einem Fahrer abgeholt und nach 4 Tagen an der turkmenisch-usbekischen Grenze wieder abgesetzt – wobei man sich in der Hautstadt Ashgabat aber frei bewegen darf.
Wir verabschieden uns dann – er will an diesem Tag noch fast 100 km mit mehr als 1000 hm zurücklegen (ich denk mir: der ist halb so alt wie ich, der kann das!) und sich dann einen Platz zum Zelten in der Wildnis suchen, während unser Tagespensum ja eher gemütlich ist.
Nach guten 50 km kommen wir um ca. 14:00 in Fayzobod an und machen uns gleich mal auf die Suche nach dem Hotel, das wir über Google maps gefunden haben. An der Stelle, wo das Hotel lt. Google stehen sollte, befindet sich ein sehr schönes Haus, umgeben von einem Garten mit blühenden Sträuchern – aber kein Hinweis, dass es ein Hotel sei. Wir beide haben uns aber eingeredet, dass es das Hotel sein MÜSSE (das war halt wishful thinking) und Karl macht sich gleich auf Richtung Eingang, um zu fragen, ob sie ein Zimmer für uns haben. Noch bevor er das Gebäude betreten kann, kommt eine freundliche Frau aus einem Nebengebäude und schaut uns fragend an. Sie spricht – wie fast alle in Tadschikistan – nur tadschikisch (ähnlich wie dari/farsi) und russisch. Mit Händen und Füssen macht ihr Karl verständlich, dass wir hier für 1 Nacht ein Zimmer haben wollen. Sie beginnt zu lachen und macht uns verständlich, dass dies kein Hotel sei. Mittlerweile sind 2 weitere Frauen aus dem Haus gekommen – alle sehr sympathisch. Eine von ihnen hat sich gar nicht mehr eingekriegt vor Lachen – wir haben mit ihr mitgelacht. Sie deuten uns dann, dass es im Zentrum von Fayzobod ein Hotel gibt – okay, dann fahren wir halt dort hin (ich mache ihnen verständlich, wenn wir kein Zimmer im Hotel bekommen, dann kommen wir zu ihnen zurück und übernachten bei ihnen – wieder schallendes Gelächter). Wir waren dann sehr schnell an der Hauptstraße, wo das Hotel stehen sollte. Dann stellt sich raus: es hat geschlossen. Gleich werden wir umringt von Männern und Jugendlichen – wir machen ihnen verständlich, dass wir eine Übernachtungsmöglichkeit suchen. Ein Mann, der mir furchtbar unsympathisch ist, sagt, dass er was für uns hätte. Er schreibt mit dem Zeigefinger auf die staubige Kühlerhaube eines Autos: 100 s (100 Somoni = 8,00 EUR). Ich frage, ob wir das Zimmer sehen können. Ja – also geht Karl mit dem Mann auf die gegenüberliegende Strassenseite, wo er mit ihm in einem Hauseingang verschwindet. Während ich an der Hauptstraße warte, werde ich von einem ca. 15 jährigen Mädchen in Englisch angesprochen. „We are looking for a hotel or homestay for 1 night.“ Sie denkt kurz nach, muss dann aber mit Bedauern mitteilen, dass sie uns nicht helfen kann. In der Zwischenzeit ist Karl zurück. „Wie ist das Zimmer?“ „Ja, es ist gut. Eine saubere 3-Zimmer Wohnung mit Bad.“ Karl sagt dem „Vermieter“, dass wir die Wohnung nehmen. Dieser fängt dann aber an herumzudiskutieren und ruft dann jemanden an. Nach kurzer Zeit kommt ein junger Mann, der halbwegs Englisch spricht. Der sagt uns, dass 100 Somoni nicht genug sind. Jetzt war ich wirklich sauer – warum hat er nicht von vornherein einen höheren Preis (den wir ja auch ohne weiteres bereit gewesen wären zu bezahlen) genannt? Andererseits hab ich mich gefreut, weil mich auch diesmal das Bauchgefühl nicht getäuscht hat – ich hab diesen Typen von Anfang an als „Falschen Fuffzger“ eingeschätzt. Ich sag zu Karl: „Wir fahren weiter“. Welche Möglichkeiten haben wir jetzt? Zelt irgendwo in der Wildnis aufstellen – das bedeutet keine Dusche, also nicht so ideal. Noch ca. 20 km mit 400 hm weiterradeln – dort soll es lt. Google maps wieder ein Hotel geben – wenns denn wahr ist. Aber es ist mittlerweile extrem heiß und wir sind ziemlich erschöpft. Oder wir fahren zurück zu den 3 lustigen Frauen. In dem Moment kommen 3 sehr hübsche Teenager – Mädchen, die mich auf Englisch ansprechen. Ob sie mir behilflich sein können. Ja, wir suchen eine Übernachtungsmöglichkeit. Eine meint: „Give me 5 minutes – maybe I can help you.“ Und weg waren sie. Bei uns in Europa würden die Mädels jetzt das Handy zücken und jemanden anrufen oder WhatsAppen – in Tadschikistan sieht man ausserhalb von Duschanbe fast niemanden mit einem Handy (und schon gar nicht mit einem Smart Phone) – ein paar Leute habe ich mit uralten Nokia Handys gesehen. Nach ein paar Minuten kommen sie zurück und teilen uns freudestrahlend und ganz aufgeregt mit, dass sie ein Zimmer für uns haben. Es sind nur ca. 5 Minuten Fußmarsch zum Gebäude, in welchem sich das Zimmer befindet. Fröhlich schnatternd erzählen mir die Mädchen (sie tragen kein Kopftuch), dass sie sehr glücklich sind, „to have the possibility to practice their English“. Sie besuchen das Gymnasium in Fayzobod und stellen mir eine Menge Fragen. Auf ihre Frage, ob Karl und ich verheiratet sind, sage ich „ja“ (und erfinde dann auch noch gleich 2 erwachsene Kinder dazu) – sie glauben sonst womöglich, dass sie 2 getrennte Zimmer organisieren müssen und dass jemand keine Kinder hat, das versteht in diesem Teil der Welt auch keiner. Das Zimmer befindet sich an der Rückseite eines relativ neuen Hauses, in welchem ein Restaurant untergebracht ist und ist offensichtlich für die Mitarbeiter gedacht (aus dem Nebenzimmer kommt eine Frau, die ich dann später in der Küche des Restaurants werken seh). Es ist ganz simpel eingerichtet: 2 Matten mit Pölstern (alles sehr farbenfroh) mit einem niedrigen Tisch dazwischen, alles sauber. An der Wand ein Bild mit einem typisch zentralasiatischen Bergmotiv und ein Spiegel. WC und Dusche gibts in einem Nebengebäude. Auf meine Frage, wieviel wir schuldig sind, meinen die Mädchen, dass das natürlich nichts kostet (das Gebäude gehört offensichtlich dem Onkel eines Mädchens). Nur widerwillig nehmen sie 50 Somoni (4,00 EUR) von uns an.
Nach einer Dusche und einem Power Nap gibts im Restaurant nebenan Abendessen: Suppe und Rinderspiess mit Brot und Salat. Anschließend gehen wir noch mal in die Hauptstraße, um zu sehen, wo wir am nächsten Morgen frühstücken können. Wir finden ein nettes Café mit einem so halbwegs Englisch sprechenden Angestellten – wir machen mit ihm aus, dass wir morgen gleich um 08:00, wenn er aufsperrt, hier sein werden, um zu frühstücken und sagen ihm auch gleich, was wir essen wollen (Spiegeleier mit Brot, 1 Stück Kuchen und Kaffee).
Für den 1. Radlertag hat das alles eigentlich ganz gut geklappt – für den nächsten Tag planen wir wieder ca. 50 km mit 700 hm. Am Zielort in Obigarm soll es lt. Google ein Hotel geben. Nach dem Frühstück (der junge Mann hat uns um 08:00 bereits erwartet) kaufen wir noch gut gekühltes Wasser (es wird in der Sonne sehr schnell lauwarm) und starten um ca. 09:00. Es ist sehr heiss und wir haben das Gefühl, dass sich die Räder heute wesentlich schwerer anfühlen als gestern. Die 700 hm sind auf ca. 30 km verteilt – die restlichen 20 km gehen nur noch eben dahin bzw. wieder bergab. Die Sonne brennt unbarmherzig und es ist ziemlich zäh – sobald es etwas steiler wird, steige ich ab und schiebe. Karl zieht an mir vorbei und wartet dann immer wieder auf mich bei einem schattigen Platz. Wir trinken wirklich viel – ich esse untertags ohnehin fast nichts (eventuell ein Stück Obst und das für mich obligatorische eiskalte Cola), Karl braucht zwischendurch aber immer wieder einen Power Riegel (er hat etliche in seiner Radtasche) – an diesem Tag allerdings will auch er nichts essen. Auf der Strecke werden wir von einem weißen Range Rover mit blauer UNO-Aufschrift (world food programme) überholt. Endlich sind wir in Obigarm – das Hotel existiert zwar, aber es ist ausgebucht. Die Hotelmitarbeiterin sagt uns, dass es weitere Hotels an der Hauptstraße gibt – wir sollen es dort probieren. Wir finden kein Hotel und fragen dann ein bisschen herum (keiner spricht englisch) – 2 junge Männer gehen mit uns zu einem Gebäude (kein Hinweis, dass es ein Hotel sein soll) und dann sehen wir, dass im Hof der UNO Range Rover parkt. Aber auch dieses Hotel ist voll. Gleich daneben, ein anderes Haus (auch hier kein Hinweis auf ein Hotel) – die haben freie Zimmer. Es ist mittlerweile 15:00, extrem heiß und wir beide sind wirklich geschafft. Weiterfahren wollen wir keinesfalls – eine Dusche und ein Power Nap täten jetzt gut. Dieses „Hotel“ war eine der ärgsten Absteigen, in der ich je übernachtet habe (wird nur noch getoppt von einer Unterkunft in Honduras, wo sich die Ratten in meinem Zimmer ein Stelldichein gegeben haben). Um zu den im Obergeschoss gelegenen Zimmern zu gelangen, musste man über eine wilde Stahlkonstruktion raufsteigen. Glücklicherweise hat uns der Rezeptionist mit den vielen Radtaschen geholfen. Und dann erst das Zimmer!!! So was Versifftes, Grausliches!! Ich hab zum Glück meinen Seidenschlafsack dabei – in den werde ich mich verkriechen und mein Reisehandtuch werde ich über den Polster legen und so verhindern, dass ich irgendwie mit dem Bettzeug in Berührung komm. Die Duschen sind okay, aber das WC, welches sich unter dem Stiegenaufgang befindet war – wie soll ich’s nur beschreiben – einfach unbeschreiblich.
Schnell eine Dusche und auch hier ein Power Nap, dann besprechen wir, wie wir weiter machen. Karl geht es nicht gut – er hat keinen Appetit und in seinem Bauch beginnt es zu rumoren und er fühlt sich auch ziemlich schwach. Auch mir ist der Appetit vergangen (das liegt vielleicht an dieser furchtbaren Absteige!!) aber sonst ist alles okay bei mir. Wir beschließen, dass wir uns für die restlichen 400km mit sehr vielen Höhenmetern in das kühlere Khorog ein Taxi suchen – wir machen uns kaputt, wenn wir bei dieser Hitze weiterradeln. Das ist aber leichter gesagt, als getan. Es gibt dort keinen Taxifunk, den man anrufen kann und ohne Russischkenntnisse braucht man in Tadschikistan sowieso nirgendwo anrufen.
Also gehen wir am Abend in die Hauptstraße und fragen ein bisschen herum. Offizielle Taxis gibt es keine – wir müssen halt schauen, ob wir eine Person finden, die uns mit ihrem Privatauto nach Khorog bringt – natürlich gegen Bezahlung. Dann sehen wir eine Gruppe Männer beisammenstehen – ich sag zu Karl, er soll sie fragen, ob uns einer helfen kann. Er geht zur Gruppe hin – ich bleibe in ca. 15m Entfernung an meinem Platz sitzen. Ich seh dann, wie Karl die Tadschikistan-Landkarte ausbreitet und alle sich darüberbeugen und anfangen zu diskutieren. Es scheint aber sehr mühsam zu sein – die sprechen sicher alle kein Englisch.
Da erscheint – oh Wunder – ein wie aus einem Märchen aus TausendundeinerNacht entsprungener Emir mit einer orientalischen Schönheit und einem Diener (wahrscheinlich sein Chauffeur) auf dem Platz! Inmitten der hier eher einfach und ärmlich gekleideten Tadschiken, ist er mit seinem schwarzen Chapan (Samtmantel) und seiner farbenfrohen Tubetejka (Kopfbedeckung) und seinen Samtschlapfen ein echter Eyecatcher. Seine etwas jüngere weibliche Begleitung steht ihm in nichts nach. Ich schätze ihn auf ca. 50 Jahre, sehr sympathisch mit wachen, intelligenten Augen (und wahrscheinlich viel Geld) und vermute ausserdem, dass er kein Tadschike, sondern Usbeke ist. Freundlich lächelnd nickt er mir zu. Ich nicke ebenfalls freundlich lächelnd zurück. „Der spricht sicher Englisch“ denk ich mir und will grad aufstehen, um ihn anzusprechen. Er hat die Gruppe Männer rund um Karl aber schon bemerkt und gesellt sich zu ihnen dazu. Ich hab aus der Entfernung ja nicht verstanden, was gesprochen wurde, sehe aber, dass Karl richtig erleichtert aufblickt, als er vom Emir angesprochen wird. Er hat dann zwischen Karl und den Männern als Dolmetscher fungiert und schnell wurde auch eine Lösung bezüglich Taxi gefunden. Er ist anschließend gemeinsam mit Karl auch noch zu mir rüber gekommen und hat sich und seine Begleitung in perfektem Englisch vorgestellt. Er ist tatsächlich Usbeke und ist mit seiner 2. Ehefrau (er hat natürlich 2 Frauen) hier. Stolz erzählt er, dass sein 23-jähriger Sohn in den USA studiert und zeigt uns dann auf seinem neuesten iPhone Fotos seiner Familie.
Die Taxilösung sieht nun folgendermaßen aus: ein Mann bringt uns am nächsten Tag mit seinem geräumigen PKW (in dem auch unsere 2 Räder Platz haben) zurück in das ca. 100km entfernte Duschanbe – Kosten: 300,00 Somoni (=24,00 EUR). Dort gibt es einen „Taxi to Pamir“ Bahnhof, wo viele 4WD Fahrzeuge mit Fahrer stehen (man braucht für die Strasse nach Khorog unbedingt 4WD) und wir nehmen dann eines dieser Fahrzeuge. Wir vereinbaren mit unserem „Taxifahrer“, dass er uns um 08:00 von unserer Absteige abholt.
Wir haben noch immer keinen Appetit und gehen ohne Abendessen (wir haben seit dem Frühstück nichts mehr gegessen) zurück in unser „Luxushotel“. Karl gehts mittlerweile immer schlechter – in der Nacht steht er mindestens 20 x auf, um mit Stirnlampe und 1-lagigem !!!!! Toilettenpapier, welches wir beim Einchecken bekommen haben, über die wilde Stahlkonstruktion runter zu steigen und aufs WC zu gelangen. Außerdem fühlt er sich immer schwächer. Da am nächsten Tag auf keinen Fall an eine Weiterfahrt Richtung Pamir zu denken ist, buche ich schnell (über booking.com sind das ein paar clicks) ein schönes 4* Hotel in Duschanbe für die nächsten 3 Nächte. Ich schlafe erstaunlich gut in der Absteige (was täte ich nur ohne meinem Seidenschlafsack), obwohl ich schon auch mitkriege, dass Karl ständig zwischen Zimmer und WC pendelt.
Der Taxifahrer ist pünktlich um 08:00 da und bringt uns ziemlich flott zurück nach Duschanbe. Karl ist total fertig – mir gehts ganz gut. Im 4*Hotel (was für ein Luxus – ein grosses, sauberes Zimmer mit schönem Badezimmer) angekommen, legt er sich sofort schlafen. Ich gehe eine Kleinigkeit essen.
Mit grossem Interesse verfolge ich die postings in der Cycling East WhatsApp Gruppe. Viele Radreisende schreiben, dass sie gerade oder vor kurzem unter ziemlich argen Durchfallerkrankungen leiden/gelitten haben. Aber in diesem Teil der Welt muss man damit rechnen und nach ca. 1 Woche sollte das ganze ausgestanden sein. Ein Radler aus Italien ist doch tatsächlich gerade in Afghanistan unterwegs und postet regelmässig seine Erfahrungen mit den Taliban. Wahnsinn!!
Wir sind nun bereits seit 3 Tagen zurück in Duschanbe – Karl geht es ein bisschen besser. Gestern hat er zum ersten mal wieder was gegessen. Er fühlt sich aber noch immer extrem schwach. Ich hab das Hotel jetzt einmal um weitere 3 Nächte verlängert.
Das Rad mit um 90° gedrehtem Lenker und wenig Luft in den Reifen bereit für den Transport im Flugzeug.
SOMON AIR bringt uns in 6 Stunden von München nach Duschanbe
Duschanbe
Duschanbe
Hübsch gekleidete orientalische Schönheiten
Raus gehts aus Duschanbe
Hier gibts Melonen, Zwiebeln und Besen (vielleicht das richtige Transportmittel für mich?)
Obstverkäufer mit seiner Tochter
Heizmaterial
Das 12 jährige Mädchen hat uns gleich 2 Tomaten geschenkt
Tadschikische Rasselbande
Weiter gehts – der Radler da vorn ist Karl
Dieses Zimmer haben uns die 3 Mädels in Fayzobod organisiert
Neben diversen Sachen wie z.b. einem Fahrrad haben auch 2 Schafe Platz am Autodach.
Stiegenaufgang mit darunterliegendem WC und Zimmer in unserer Absteige in Obigarm
Er bringt uns und die Räder zurück nach Duschanbe
Was für ein Kontrast zur letzten Unterkunft – hier unser Zimmer im 4* Hotel in Duschanbe
Karl ist so geschwächt, dass er während des Essens einschläft
Nach dem Rasttag in Karlsruhe (wir waren im Kino und haben uns Top Gun Maverick angeschaut) ging es weiter am Wasser entlang. Wir sind immer früh losgestartet (ca. 07:00), um der Hitze etwas zu entkommen und waren zumeist schon um die Mittagszeit am Zielort. Ab dem späten Vormittag hatte man das Gefühl, in einem heissen Backofen unterwegs zu sein und auch die Wiesen und Felder waren so vertrocknet, sodass man sich zeitweise in eine zentralasiatische Steppenlandschaft versetzt fühlte. An den Nachmittagen sind wir nur noch faul im Schatten am Campingplatz herumgehangen – die Hitze hat uns so fertig gemacht, dass uns nicht einmal Stadtbesichtigungen wirklich gereizt haben. Und wir sind durch wirklich schöne, sehenswerte Städte gekommen: Heidelberg, Speyer, Worms, Mainz, Koblenz, Trier. In St. Goarshausen gings vorbei an der Loreley – ausserdem grüßen von den Berghängen viele imposante Burgen, wie z.B. die im japanischen Privatbesitz befindliche Burg Katz und ein paar Kilometer weiter die Burg Maus.
In Koblenz heisst es Abschied nehmen vom Rhein – wir wollen weiter die Mosel, die hier in den Rhein mündet, entlangfahren. Da Brigitte gesundheitlich etwas angeschlagen ist, beschließen wir die Strecke Koblenz-Trier mit dem Zug zu fahren. Wie gut, dass es das 9,00 Euro Ticket gibt. Ein holländischer Radfahrer, den wir am Campingplatz in Koblenz treffen, erzählt uns, dass er auch versucht hat, das Rad im Regionalzug mitzunehmen – es war aber unmöglich, weil der Andrang so riesig war. Na ja, wir probieren es trotzdem. Alle 30 min fährt ein Regionalzug von Koblenz nach Trier – irgendwo werden wir schon Platz haben. Es ist Sonntagmorgen, 08:30 – der Bahnsteig ist voll – auch einige Radfahrer warten auf den Zug. Endlich fährt er ein – die Schaffnerin ruft: „Alle Räder in den 1. Waggon“- großes Gedränge. Auf zum 1. Waggon – die aufklappbaren Sitze sind aber alle besetzt, sodass kein Platz für die Räder ist. Die ziemlich resolute Schaffnerin fordert die dort sitzenden Personen auf, aufzustehen und Platz für die Räder zu machen. Das wird auch von allen befolgt – nur ein ziemlich aggressiver Typ, der mit Frau und 3 Kindern (eins davon im Kinderwagen) dort sitzt, weigert sich. Er meint im Recht zu sein, weil dieser Platz für Räder, Rollstühle und Kinderwagen reserviert ist. Die Stimmung war mittlerweile ziemlich aufgeheizt – die Schaffnerin sagt ihm, dass seine Frau mit dem Kinderwagen ja bleiben könne, er und die 2 größeren Kinder (ca. 6 – 8 Jahre alt) müssen aber Platz machen für die Räder. Er weigert sich weiterhin – mittlerweile mischen sich auch Radfahrer in die Debatte ein und die 1. Schimpfworte („Du Spasti“) fallen. Dann wird die Polizei gerufen. Bis die kommt, dauert es aber. Der Zug hätte schon längste Zeit abfahren sollen. Endlich kommen 2 Beamte und fordern den Herren und seine Familie auf, den Zug zu verlassen. Unter lautem Protest (die Frau hat mittlerweile zu weinen begonnen und die 2 größeren Kinder haben ganz erschrocken dreingeschaut) steigt die Familie aus – ich höre noch wie er zu den Polizisten sagt, dass seine Kinder jetzt für den Rest ihres Lebens traumatisiert sein werden. So, jetzt ist Platz für die Räder und die 90 minütige Fahrt kann losgehen.
In Trier legen wir noch einen Rast- und Besichtigungstag ein, bevor es dann die Mosel entlanggeht durch Schengen (Luxemburg) nach Frankreich, wo die sehenswerten Städte Metz und Nancy auf uns warten. Von Nancy geht es für mich dann weiter in den Osten (Elsass), während Brigitte sich auf den Weg zur Saône und dann weiter nach Marseille macht.
Mittlerweile sind die Temperaturen etwas erträglicher, sodass die Fahrt entlang der Kanäle im Elsass wirkliches Genussradeln darstellt. Lauter schöne, ebene Radwege, die durch kleine Dörfer mit Fachwerkhäusern und Blumenschmuck führen. Und auf den Kanälen sieht man viele Hausboote, die gemütlich am Wasser entlang tuckern – eine sehr beschauliche Art, Urlaub zu machen. Die Namen der Ortschaften weisen auf die wechselvolle Geschichte hin: das Elsass hat abwechselnd ja immer zu Deutschland oder Frankreich gehört. Viele Ortsnamen enden auf -heim oder -burg oder -hausen. Einen Fluss namens Zorn gibt es auch – den habe ich 2x überquert. In Phalsbourg habe ich in einem BnB bei einer Familie in einer 300 Jahre alten Steinscheune, die aufwendig restauriert und liebevoll eingerichtet ist, übernachtet. Miriam und ihr Mann, ein Architektenehepaar, haben dort einen ganz besonderen Platz geschaffen. Zum Abendessen (neben mir war noch ein Paar aus Italien zu Gast) gab es eine feine Pate Lorrain mit frischem Salat aus dem Garten und dazu einen ausgezeichneten Tropfen aus dem Keller. Da fühlt man sich gleich wie Gott in Frankreich.
Neben den Fahrten am Kanal entlang, war auch das Radeln durch die vielen Weinberge ein Vergnügen. Immer wieder hatte ich Gelegenheit, von den süßen Trauben zu naschen und in vielen Gegenden war auch die Ernte grad voll im Gange.
Einmal bin ich auch hier in ein Gewitter gekommen und ich habe es grad noch geschafft, mich unter dem Vordach eines Hauses unterzustellen. Es hat ordentlich geschüttet, geblitzt und gedonnert und ich steh bei diesem Haus und denk grad, wie es war im Kaukasus: dort hat es nie länger als 3 Minuten gedauert, bis ich ins Haus gebeten wurde und dann gab es immer auch gleich Kaffee und Kekse. Im Elsass ist dann ein Auto gekommen, das vor dem Haus geparkt hat. Ausgestiegen ist eine Frau mit einem Korb voller Einkäufe – ich grüße freundlich „Bon jour“- sie erwidert freundlich „Bon jour“. Dann hat sie die Haustür aufgesperrt, ist reingegangen und hat hinter sich wieder zugesperrt. DAS ist der Unterschied zwischen Europa und dem Kaukasus.
Der Regen war aber nach 10 Minuten sowieso vorbei und ich konnte weiterfahren.
Ein anderer Unterschied zwischen Kaukasus und Europa ist die Leidensfähigkeit, die man als Radler im Kaukasus ja unbedingt mitbringen muss. Die wirklich ruppigen Wege, die vielen knackigen Anstiege, die so steil sind, dass man das Gepäck extra raufschleppen muss, das Nicht Vorhandensein von Radwegen, die vielen Hundeattacken, das ständige Angehupt-Werden und dann auch noch ein nicht einladendes Nachtquartier verlangen ein dickes Radlerfell.
Insofern war die Rhein-Mosel-Elsass Tour wirklich was für Genießer und kann auch leicht von Kindern bewältigt werden. Und ein E Bike braucht man dafür auch nicht – es gibt nur minimale Anstiege.
Ich habe in diesem Jahr insgesamt mehr als 6.000 km und ca. 30.000 Höhenmeter mit dem Rad zurückgelegt und benötige jetzt eine etwas längere Pause. Nicht unbedingt der Körper, sondern das Hirn schreit danach – die vielen Eindrücke wollen jetzt einmal verarbeitet werden.
Seit 11 Tagen bin ich nun schon wieder mit dem Rad unterwegs. Zuerst ging es mit dem Zug nach Dornbirn und dann weiter mit dem Radl über Lustenau das südliche Bodenseeufer und den Rhein entlang. Bei Schaffhausen dann rüber nach Deutschland und einen Teil des südlichen Schwarzwaldradwegs bis Waldshut und dann wieder weiter am Rhein bis Weil/Rhein, wo ich mich mit Brigitte, der Schweizer Radlerin, getroffen habe. Gemeinsam sind wir großteils am Rhein entlang über Strasbourg nach Karlsruhe, wo wir momentan einen Rasttag verbringen.
Die 450 km, die ich bis jetzt geradelt bin, waren gekennzeichnet von sehr gemütlichen, ebenen Radwegen, aber auch von großer Hitze. Gleich am 2. Radlertag hat mein iPhone, mit dem ich ja navigiere, am Nachmittag wegen der hohen Temperaturen angefangen zu streiken. Erst nachdem ich es ca. 15 Minuten im Schatten abkühlen hab lassen, war es wieder einsatzbereit. Man wird auf Schritt und Tritt mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert: im Bodensee ist der Pegel so niedrig, dass die Schifffahrt teilweise eingestellt werden musste. Und auch im Rhein sind teilweise nur noch 40 cm Wasser drin, sodass auch hier nur noch ganz wenig Schiffe mit einem Bruchteil der üblichen Beladung fahren dürfen, sodass die Transportkosten auf diesem so wichtigen Wasserweg extrem in die Höhe schnellen.
Außerdem kommt man immer wieder an komplett vertrockneten Feldern vorbei; auf den Campingplätzen ist es sehr mühsam, die Heringe in den Boden zu bekommen, weil dieser total vertrocknet und steinhart ist. Die Campingplätze liegen ja oft sehr idyllisch an kleinen Seen – aufgrund der hohen Temperaturen gedeihen darin aber die Algen so prächtig, sodass man das Baden dann lieber sein lässt.
Es gab aber auch viele schöne Dinge: die Fahrten durch verschlafene Dörfer mit Fachwerkhäusern. Zwischendurch am Wegrand immer wieder Brombeersträucher, die mit ihren dunklen, süßen Beeren zum Stehenbleiben und Naschen einluden oder auch Apfelbäume, wo wir uns eine Extraportion Vitamine geholt haben. Und da die Radwege gut ausgebaut sind und es mehr oder weniger eben dahin geht, war das Radeln zumeist wirklicher Genuss. Speziell erwähnen möchte ich den Radweg am Verbindungskanal Rhone – Rhein bei Strasbourg: Idylle pur mit schattenspendenden Platanen. Und nicht zu vergessen: Petit Dejeuner in einer Boulangerie, wo wir immer leckeren Kaffee und ein feines Croissant oder eine andere süße Sünde genossen haben. Strasbourg ist eine bezaubernde Stadt mit verwinkelten Gassen, schönen Häusern und einem exzellenten Radwegnetz.
Brigitte (über die ich ja bereits in früheren Blogs berichtet habe) war 7 Monate mit dem Rad in Afrika unterwegs, wo sie zumeist campiert und auch selbst gekocht hat. Und auch jetzt zaubert sie am Campingplatz immer was Leckeres auf die Teller. Wir verstehen uns gut und ticken ähnlich (2 verrückte Weiber halt). Für mich war das Übernachten im Zelt etwas gewöhnungsbedürftig – mittlerweile gehts aber schon. Und ab und zu übernachten wir ja auch in einem Hotel oder einer airBnB Wohnung.
Unser nächstes Ziel ist nun Heidelberg und dann geht es weiter Richtung Koblenz, wo wir dann auf den Moselradweg abbiegen werden.
Seit dem letzten Eintrag vor 3 Wochen hat sich einiges getan. Die Fahrt von Gyumri in die Hauptstadt Armeniens, Jerewan (auch Yerevan oder Eriwan, je nach Schreibweise) war gekennzeichnet von ziemlich ruppigen und sehr anstrengenden Bergetappen mit Regenschauern und Gewittern, aber auch von wunderschön blühenden Wiesen und Begegnungen mit freundlichen Armeniern und lieben Hunden.
Als ich durch eine Siedlung radelte, kamen immer wieder Hunde aus den Gärten, aber sie waren nicht aggressiv, sondern sie haben mich nur freundlich begrüsst und sind dann wieder zurück in den Garten. Bis auf einen – er hat mich offensichtlich zu seinem Frauchen erkoren und ist nicht mehr von meiner Seite gewichen.
Es fing dann zu regnen an und ich wurde zwei mal in Häuser zu Kaffee und Keksen eingeladen. Jedes mal nach der Kaffeepause erwartete mich der Hund bereits schwanzwedelnd vor dem Haus und ist weiter hinter mir hergelaufen.
Nach ca. 40 km – der Hund war noch immer bei mir – fing es wieder an zu schütten und ich beschloss, für die restliche Tagesetappe ein Taxi zu nehmen. Schnell war ein Fahrzeug mit Dachträger gefunden, das Rad am Dach und die Packtaschen im Kofferraum verstaut. Der Hund hat mich ganz traurig angesehen und hat ganz bitterlich angefangen zu weinen, als ich in das Auto stieg. Er ist dann noch eine Zeit lang hinter dem Taxi hergelaufen – es war so traurig – ich hoffte halt, dass er wieder nach Hause zurückfindet.
In Jerewan habe ich dann ein zentral und sehr ruhig gelegenes Hotel mit einem schattigen Innenhof (mit lauter Marillenbäumen) bezogen und beschlossen, zumindest eine Woche zu bleiben. Ans Radfahren war eh nicht zu denken – es hatte 36 Grad im Schatten. Dafür habe ich dem Rad ein Service gegönnt: in der Nähe des Hotels gab es eine Radwerkstatt – Your Bike – Artur, der Chef und Artur, der Fahrradmechaniker haben mein bici wieder auf Vordermann gebracht.
Im Vergleich zu Georgien, wo jedes 3. Fahrzeug und Gebäude mit einer Ukraine-Flagge versehen ist, merkt man hier nichts von einer Verbundenheit mit dem kriegsgebeutelten Land. Ist aber auch klar, weil Russland als Schutzmacht Armeniens gilt, während Aserbaidschan, der Gegenpart im Bergkarabach-Konflikt, von der Türkei unterstützt wird.
Man sieht in der Stadt auch viele Monumentalbauten aus der Sowiet-Ära, aber auch – wie schon zuvor in Gyumri – viele Gebäude aus dunklem Tuffstein. Einen Besuch wert sind auf jeden Fall die Museen und Galerien und natürlich das Genozid Memorial mit der dazu gehörigen Ausstellung. „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ steht schon lange auf meiner Leseliste – nach dem Besuch des Memorials wird es jetzt wirklich Zeit, dieses Buch von Werfel endlich zu lesen.
Von den Hügeln der Stadt sieht man auch den schneebedeckten Gipfel des nur 20km entfernten Ararat, des heiligen Bergs der Armenier, der aber bereits auf türkischem Staatsgebiet steht.
In Jerewan treffe ich ein Paar aus Oberösterreich (Ursula und Oskar), das bereits seit 2016 mit einem Jeep die Welt bereist. Oskar war lange Zeit für die UNO an den Hot Spots (Afghanistan, Somalia, Zentralasien) tätig und von ihm bekomme ich viele interessante Informationen, was die von mir geplante Reiseroute betrifft.
Mein Plan war ja, als nächstes den Iran zu bereisen und dann weiter am Landweg über Turkmenistan nach Usbekistan und Tadschikistan und dort von Duschanbe aus den 1200km langen Pamir Highway zu befahren (geht bis Osh in Kirgisien).
Aufgrund der großen Hitze (im Iran hat es momentan 40 Grad) und auch weil coronabedingt einige Landgrenzen in Asien nicht passiert werden können, ist eine Änderung der Pläne notwendig. Oskar rät mir, nach Almaty, im Osten Kasachstans zu fliegen und von dort nach Kirgisien zum Yssykköl und zum Songköl zu radeln – das sind 2 Seen in wunderschöner Berglandschaft, wo man gut die heißen Monate verbringen kann und dann im September/Oktober, wenn es nicht mehr so heiß ist, weiter nach Buchara, Samarkand und in den Iran.
Das scheint eine gute Idee zu sein – ein paar Wochen möchte ich aber noch in Armenien bleiben und dann entscheiden, wohin ich fliege.
Als Nächstes ging es weiter an den Sewansee in der Nähe von Jerewan. Der in fast 2000m Höhe gelegene See bot eine angenehme Abkühlung nach den heissen Tagen in der Großstadt. Bereits in Jerewan habe ich immer wieder leichte Schmerzen in meiner Schulter gespürt, am See sind diese Schmerzen dann leider immer stärker geworden. Und vielleicht hängt es mit den Schmerzen zusammen: ein bisschen Heimweh habe ich auch.
Was mache ich jetzt? Weiter in den Osten mit dem Risiko, dass ich dann irgendwo in der Pampa Kirgisiens mit höllischen Schulterschmerzen herumliege? Oder doch zurück nach Österreich? Ein schneller Check der Flüge ergibt: es gibt jede Nacht um 04:45 einen AUA Direktflug von Yerevan nach Wien.
Vor einer Woche habe ich mich dann für den Rückflug entschieden. Die Buchung war gleich erledigt – jetzt musste nur noch das Fahrrad zerlegt und fluggerecht verpackt werden. Auch hier war mir Your Bike, die Fahrradwerkstätte behilflich, sodass das Rad dann in einer 120x80x40 Verpackung transportiert werden konnte.
Seit ein paar Tagen bin ich nun zurück in der kühlen/coolen Wohnung im heimatlichen Schloss und genieße die Stille und das Nichtstun. Und auch die Schulter hat sich wieder beruhigt.
So wie ich mich kenne, wird es mich spätestens im Herbst/Winter wieder in die Ferne ziehen -wahrscheinlich wird es dann gleich der Mekong sein, dort soll man ganz tolle Radtouren machen können. Schauen wir mal, was die Zukunft bringt.
Als erstes muss ich meinen Bericht bezüglich des Trinkwassers in Georgien revidieren: nicht das Leitungswasser, das ich bei Giorgi getrunken habe, war Schuld an meinem Unwohlsein, sondern ein Sonnenstich. Und wie bin ich darauf gekommen? Ich habe ja nach diesem Vorfall ausschliesslich Mineralwasser getrunken – obwohl mich einige hosts in den BnB‘s darauf hingewiesen haben, dass ich das Leitungswasser ohne weiteres trinken kann („Es ist bestes Quellwasser und alle Touristen trinken es“). Warum sollten sie das sagen, wenn es nicht stimmt – sie gewinnen ja nichts dabei.
Und dann war wieder ein sehr heisser und anstrengender Radlertag (ich habe die ganze Zeit nur Mineralwasser getrunken) und – glücklicherweise war ich schon fast bei meinem Quartier angekommen – wieder die Symptome: Schwächeanfall, Bauchgrummeln, leichtes Schwindelgefühl. Im guesthouse habe ich mich nach der Dusche einmal kurz hingelegt und dann gab es Abendessen. Zu trinken gab es nur Wein und/oder Leitungswasser – ich hatte Riesendurst: also habe ich sehr viel Leitungswasser getrunken und alles war bestens. Also hab ich recherchiert: Dr. Google sagt, dass mit einem Sonnenstich oft Durchfall einhergeht. Seit diesem Zeitpunkt trinke ich nur noch Leitungswasser, das übrigens sehr gut schmeckt und alles ist okay.
Mein letzter Eintrag hat ja in Vardzia, der Höhlenstadt aus dem 12. Jhdt. geendet. Diese Stadt, die bis zu 50.0000 Menschen Platz bot, wurde in einen 500m hohen Felsen gehauen und diente als Grenzfestung gegen Türken und Perser. Sehr interessant, aber halt auch ziemlich touristisch. Ich habe mir 2 Nächte im schönen Resort direkt gegenüber der Höhlenstadt gegönnt – mit wunderschönem Garten und Pool, gut zum Entspannen.
Die nächste Radleretappe weiter nach Achalkalaki schien auf den ersten Blick ziemlich entspannt zu werden: 30 km, aber mit 800 Höhenmetern. Die ersten km waren noch auf einer schönen, ebenen Asphaltstraße, dann ging’s auf einen Weg, der sich langsam den Berg raufschlängelt. Ich schau mir auf komoot noch einmal das Höhenprofil an: die nächsten 7km muss ich wahrscheinlich schieben, weil es nur bergauf geht – dann hab ich aber die Höhenmeter geschafft und es soll eher eben dahin gehen. Ich treffe dann noch einen Mann, der mich verwundert fragt, wohin ich will. „Achalkalaki “ antworte ich – er meint dann, dass der Weg über den Berg ziemlich anspruchsvoll ist. Ja, wird schon gehen – antworte ich.
Also los gehts – rauf auf den Berg. Der Weg ist ein bisschen wie ein Wanderweg, steile Abschnitte, wo ich mich wirklich plagen muss, wechseln mit gemütlicheren Passagen. Immer wieder begegne ich Kuhherden – Menschen sehe ich keine mehr. Was mir etwas Sorgen bereitet: schon die ganze Zeit höre ich Donnergrollen und in der Ferne sehe ich lauter schwarze Wolken. Regen ist nicht lustig – ein Gewitter am Berg kann aber wirklich gefährlich werden und es gibt weit und breit nichts zum Unterstellen. Aber endlich sind die Höhenmeter geschafft (ich hab fast 3 Stunden dafür gebraucht und musste abschnittweise die Packtaschen extra rauftragen, weil es so steil war).
Oben am Plateau checke ich noch einmal auf komoot, wie weit es zur nächsten Ortschaft ist: ca. 9 km. Ja, da muss ich jetzt ordentlich treten, um dem näher kommenden Gewitter davon zu radeln. Da es in der vorhergehenden Nacht geregnet hat, ist der Weg aber so gatschig, dass sich innerhalb kürzester Zeit so viel lehmig/gatschige Erde zwischen Kotflügeln und Laufrädern angesammelt hat, sodass sich diese nicht mehr bewegen ließen. Na, ich hab geflucht!
Packtaschen runter/ Fahrrad umdrehen/ Arbeitshandschuhe anziehen und mit dem Fahrradschloss habe ich den Dreck so halbwegs rausgekletzelt, sodass sich die Laufräder wieder bewegen ließen. Das Donnergrollen wird immer lauter und die finsteren Wolken sind schon fast über mir.
Jetzt aber schnell – in einiger Entfernung sehe ich ein Gebäude – dort kann ich mich sicher unterstellen. Gerade im letzten Augenblick – in der Zwischenzeit hat sich schon wieder viel Erde zwischen Kotflügeln und Laufrädern angesammelt – schaffe ich es zu dem Gebäude, einem simplen Hirtenunterschlupf mit überdachter Terrasse und 2 Zimmern mit Betten und Tisch. Ein paar Tropfen haben mich noch erwischt, aber richtig losgegangen ist es erst, nachdem ich schon ein Dach über dem Kopf hatte. Eine Stunde lang hat es geschüttet, geblitzt und gedonnert – ich habe in dieser Zeit das Rad in Ruhe gereinigt. Und sollte es nicht aufhören zu regnen, würde ich hier einfach mein Zelt aufstellen und übernachten (die Betten in den Zimmern wirkten nicht wirklich einladend).
Von diesem Gebäude waren es noch immer 4 km bis zum nächsten Ort (und bis zu einer „richtigen“ Straße). Und der Weg war nach dem Starkregen natürlich noch schlimmer als vorher – das heisst: ich musste das Rad durch das kniehohe, nasse Gras schieben. Extrem anstrengend – nach kurzer Zeit schon waren meine Schuhe und Socken waschelnass und bei jedem Schritt machte es „quatsch“.
Irgendwann war ich dann aber im sehr ärmlich wirkenden Dorf auf 1800m Seehöhe (die Kühe, Schafe und Ziegen wurden gerade in die Ställe getrieben), in der Hoffnung jetzt endlich auf einer schönen Asphaltstraße dahin flitzen zu können. Weit gefehlt. Das war keine Asphaltstraße, sondern ein von grösseren und kleineren Wasserlachen übersäter Weg. Aufsteigen war keine Option – Schieben war weiterhin angesagt. Noch 10km bis Achalkalaki – dort habe ich ein 4 Sterne Hotel gebucht. Ich habe mir gerade ausgerechnet, wann ich im Hotel ankommen werde, wenn ich die ganze Strecke schieben muss, da hält ein Fahrzeug neben mir.
Obwohl, Fahrzeug ist nicht die richtige Beschreibung (irgendwo stand zwar Ford Transit drauf) – es war eher ein Zustand auf 4 Rädern und mit Motor. Und drin saßen die Men in Black. Also die kaukasische Variante der MIB – einer hat versehentlich die grell gelben Gummistiefel statt der schwarzen und den bunten Weihnachtspulli statt dem dunklen Shirt erwischt. Alle 3 haben freundlich gelächelt und mir signalisiert, dass sie mich gerne mitnehmen würden. „Ich muss nach Achalkalaki“ – „Ja, passt – wir fahren dort hin.“
So schnell konnte ich gar nicht schauen, waren meine Packtaschen und mein Fahrrad im Laderaum des Kastenwagens verstaut. Die MIB saßen in der ersten Reihe – hinten war eine 2-er Bank, allerdings nicht fixiert, auf der ich Platz nahm. Während der Fahrt bin ich ein paar mal mitsamt Bank fast umgekippt, was aber eh wurscht war, weil auch die Fahrertür ständig aufging. Man kann dieses Vehikel nicht beschreiben – in Österreich hätte es schon vor 40 Jahren kein Pickerl mehr bekommen.
Und die 3 MIB hatten ihre Gaudi da vorne und die ganze Zeit herumgeblödelt. Ich hab sie zwar nicht verstanden und sie mich auch nicht – wir hatten aber trotzdem viel zu lachen. Am Stadtrand von Achalkalaki haben sie mich abgesetzt (madloba -Danke) und ich hab dann nur noch ca. 2 km ins Zentrum radeln müssen.
Kurz vor meinem Hotel überholt mich ein voll bepackter Fernradler! Der erste Fernradler, den ich auf meiner Reise treffe! Auf englisch fragt er, wohin ich fahre. Wir unterhalten uns dann ein paar Minuten auf englisch, bis wir drauf kommen, dass wir eh deutsch reden können: er ist Student aus Deutschland, der ein paar Monate den Kaukasus bereist. Sein Fahrrad ist genau so dreckig wie meines und ich frag ihn, wo er gefahren ist. Ziemlich fertig schildert er mir, dass er eine nicht asphaltierte Passtraße gefahren ist und dabei in Regen und Gewitter gekommen ist. Und jetzt muss er sich noch einen passenden Platz zum Zelten suchen und kochen. „Da gehts mir besser“ sag ich und zeig auf den 4 Sterne Schuppen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. „Was zahlst denn dafür?“ „140 Lari – knapp 50 EUR inkl. Frühstück“ „Das kann ich mir als Student nicht leisten“ meint er bedauernd. Er leistet sich dann und wann ein Bett in einem Schlafsaal, das ist dann aber auch schon das höchste der Gefühle.
Na, vielleicht treffen wir uns ja noch irgendwo, nachdem wir beide Richtung Armenien unterwegs sind.
Ich fahr dann rüber zum Hotel, in welchem auch ein Casino untergebracht ist. Am Parkplatz fette SUVs – viele mit russischem Kennzeichen – und herausgeputzte Damen und deren Begleiter in feinem Zwirn. Erst da wird mir bewusst, wie dreckig ich bin – bis zu den Knien alles Dreck. Und auch auf den Packtaschen picken lauter Dreckklumpen. Schnell hole ich die Arbeitshandschuhe raus und reinige die Taschen notdürftig. Na hoffentlich lassen die mich in diesem Aufzug da rein? Da kommt schon ein Hotelangestellter – entschuldigend sage ich, dass ich auf schlechten Straßen und bei Regen über den Berg gekommen bin und deshalb der ganze Schmutz. Er lächelt freundlich – kein Problem. Das Fahrrad darf ich im Hof des Hotels abstellen.
Check in ist schnell erledigt – es ist wirklich ein schönes 4 Sterne Hotel und im Zimmer steht ein Obstteller. Gierig stürze ich mich gleich auf die saftig süßen Pfirsiche – erst jetzt merke ich, dass ich einen Riesenhunger habe – kein Wunder, ich habe vor 10 Stunden gefrühstückt und seither nichts gegessen. Zuerst noch eine Dusche (auch das Radleroutfit und die Packtaschen werden gleich in der Dusche gereinigt) und dann in frischer Kleidung runter ins Restaurant. Bei einem Boeuf Stroganoff und einem Glas Rotwein lasse ich den Tag Revue passieren. Obwohl ich nur 20 km selbst gefahren bin bzw. geschoben habe (10km bin ich mit den Men in Black mitgefahren), war es einer der anstrengendsten Radlertage, die ich je hatte. Und ich hatte noch Glück, dass ich den Hirtenunterstand gerade rechtzeitig erreicht habe.
Am nächsten Tag gehe ich es wirklich gemütlich an – 20 km auf Asphalt mit ca. 300hm nach Ninozminda – von dort sind es nur noch weitere 20km zur armenischen Grenze.
In Ninozminda fallen mir gleich mehrere Sachen auf: einerseits gibt es sehr viele Störche – seit Kroatien habe ich keine Störche mehr gesehen – andererseits sind die Bewohner hier eine Nuance dunkler, als die restlichen Georgier. Der Hotelbesitzer erzählt mir dann, dass die meisten Bewohner ethnische Armenier sind – das ist dann wohl die Erklärung. Außerdem gibt es hier überall Lavash – ein Fladenbrot – zu kaufen.
Einen Tag später heisst es dann nach fast 4 Wochen Abschied nehmen von Georgien. Die Einreise nach Armenien verläuft problemlos – der Zöllner zeigt auf meine Taschen und fragt: „Was hast da drinnen?“ „Zelt, Schlafsack, Matte, Kocher, Geschirr, Kleidung und Zahnbürste“. „Und wohin fährst du?“ „Um die Welt“. Mit einem breiten Grinsen sagt er: „Welcome to Armenia“. „Shnorhakalut‘yun“ (Danke) – uff, das ist ein kompliziertes Wort! Da war „Madloba“ in Georgien ja ein Kinderspiel dagegen.
Erstes Ziel in Armenien war Gyumri, die zweitgrößte Stadt des Landes. Die Straße von der Grenze nach Gyumri war anfangs sehr angenehm zu befahren – alles Asphalt, fast kein Verkehr, leicht abschüssig – über mir der Himmel. Es stellt sich so ein Gefühl der Freiheit ein – die Welt gehört mir!
Dann sind aber auch hier dunkle Wolken aufgezogen und ich habe bei einem Unterstand kurz überlegt, ob ich den Regen hier abwarten soll. Habe dann aber beschlossen weiter zu fahren und auch diesmal hatte ich Glück. Ich war schon längere Zeit auf einem Straßenabschnitt unterwegs, wo keine Häuser zu sehen waren, als es zu tröpfeln begann. Der Regen wurde stärker, die Straße führte den Berg runter und unten stehen tatsächlich ein paar Häuser. Noch bevor mich der Regen richtig erwischt, konnte ich mich beim 1. Haus unter das Vordach stellen. Und der Besitzer kommt raus und bittet mich hinein in die trockene Stube. Seine Frau hat dann gleich Kaffee gebracht und so konnte ich das Ende des Regens im Trockenen abwarten. „Shnorhakalut‘yun“
Ein paar Höhenmeter liegen noch vor mir – ich war grad abgestiegen, um das Rad zu schieben – da hält neben mir ein uralter, total verrosteter Lada. Drinnen ein Mann und eine Frau mit freundlichem, wettergegerbtem Gesicht – die Rückbank des Autos war voll mit frisch gepflückten Kräutern. Der Mann fragt mich, ob er mich mitnehmen soll. „Ja – falls er nach Gyumri fährt“. Schon sind beide ausgestiegen – sie sucht sofort nach einem größeren Stein, den sie hinter das Hinterrad legt (die Handbremse funktioniert offensichtlich nicht mehr). Am Dach hat er einen Träger – das Rad wird draufgelegt – die Kräuter auf der Rückbank werden umgeschlichtet, sodass ich und die Packtaschen Platz haben. Und dann geht es flott dahin Richtung Stadt. Sie gibt mir ein Stück Kuchen, das ich mir schmecken lasse – bei einem Mini-Market bleibt er dann noch stehen und kommt mit 3 Eis zurück „Shnorhakalut‘yun“. Ich habe bereits am ersten Tag in Armenien sehr oft die Gelegenheit, dieses Wort zu sagen und mittlerweile kommt es bereits sehr flüssig von der Zunge.
Und dann Gyumri: in der 120.000 Einwohner zählenden Stadt, die 1988 durch ein schweres Erdbeben stark zerstört wurde, fallen sofort die vielen Gebäude aus dunklem Tuffstein auf – manche Straßen wirken dadurch düster und etwas gewöhnungsbedürftig. Gyumri ist berühmt für seinen Humor und seine guten Handwerker (2 extrem wichtige Sachen), aber auch für sein reges kulturelles Leben und die interessante Architektur.
Und ich war ja am Wochenende in der Stadt und da war im Zentrum einiges los. Die Organisation „Move to Armenia“ zeichnete für ein Konzert mit lokalen Bands am Hauptplatz verantwortlich und das war tatsächlich hörenswert. So eine Mischung aus Russenpop und armenischem Folk – da ging die Post ab!
Neben dem Besuch von Museen, Galerien und Kirchen stand auch ein Termin im Beauty Salon an. Pediküre, Sugaring und Augenbrauen faconnieren – ich habe mich von Maryam und Kristina verwöhnen und auf Vorderfrau bringen lassen. Was für ein Genuss – und das ganze für läppische 10.000 Dram (22 EUR).
Noch ein spezielles Projekt, welches von der österreichischen Caritas mitbegründet wurde, möchte ich erwähnen: The First Inclusive Bakery and Coffee Shop in Gyumri – eine Einrichtung, die jungen Leuten mit handicap jobs bietet. Ich war jeden Tag in diesem Kaffeehaus und habe einerseits den ausgezeichneten Kaffee und die leckeren Mehlspeisen genossen und mich andererseits sehr über die engagierten und freundlichen Mitarbeiter gefreut (die am 1. Arbeitsmarkt – so wie in Österreich ja auch – überhaupt keine Chance hätten).
Morgen geht es weiter Richtung Jerewan. Mehr dazu nächste Woche.
Seit dem letzten Eintrag bin ich von Mzcheta, der alten Hauptstadt Georgiens über Gori, Kashuri und Borjomi nach Vardzia gefahren.
In Mzcheta (nur ca. 25km von Tiflis entfernt), wo sich untertags Unmengen an georgischen und ausländischen Touristen aufhalten, habe ich die spezielle Stimmung am Abend und am Morgen um so mehr genossen. Ich hatte das Glück, in einem guest house mit grosser Terrasse und vielen duftenden Rosensträuchern direkt bei der Kathedrale untergebracht zu sein. Die Glocke der Kathedrale wurde alle 3 Stunden (3 Uhr, 6 Uhr, 12 Uhr….) noch händisch geläutet und ich konnte den Messdiener beobachten, wie er die Stufen auf den Turm gestiegen ist und dann mit voller Kraft die Glocke geschlagen hat. Insgesamt gab es in diesem Turm aber 4 Glocken in verschiedenen Größen und wenn eine Messe stattfand, so wurde diese mit einem tollen Glockenspiel, das ca. 10 Minuten dauerte, eingeläutet. Dazu stiegen 4 Männer auf den Turm und läuteten die Glocken – es war ein wirklicher Hörgenuss. Und während der Messe sangen Chöre – auch diese Gesänge konnte ich auf der Terrasse meiner Unterkunft mitverfolgen. Es war ganz was Besonderes.
Vor der Kathedrale kam ich mit einer Gruppe georgischer girlies (13-16 Jahre) ins Gespräch. Sie waren zuerst ein bisschen schüchtern, haben sich dann aber gefreut, ihr gutes Englisch unter Beweis stellen zu können. Sie waren sehr interessiert an meiner Radreise, wollten alles Mögliche wissen (wieviel km ich täglich fahre, wo ich übernachte, wie ich mir das leisten kann, welche georgischen Wörter ich kenne, was meine georgische Lieblingsspeise ist, welcher mein georgischer Lieblingspopsänger ist – da musste ich passen). Dann hat eine gesagt, dass sie auch einen Satz auf Deutsch sagen kann. Na, dann raus damit! „Ich liebe dich“ und dann lautes Gekicher von allen. Dann alle durcheinander: „Ti amo“, „Te quiero“, „Je t‘aime“, „Uhibuk“ – immer gefolgt von lautem Gekicher. Wir waren uns natürlich einig, dass es immer gut ist, diesen Satz in diversen Sprachen zu beherrschen – man weiss ja nie, wer einem so über den Weg rennt. So süß, sehr natürlich und sympathisch.
Ausserdem habe ich ein älteres deutsches Ehepaar getroffen, das mit dem Wohnmobil in Georgien unterwegs ist. Sie campieren wild (Campingplätze mit Infrastruktur wie in Westeuropa gibt es nicht) und wenn sie vor dem Wohnmobil essen, so zieht das natürlich die Streuner an. Einer dieser Hunde wollte eine Bratwurst vom Teller stehlen und die Frau versuchte, ihn zu verscheuchen. Dabei biss er sie in die Hand, sodass sie eine blutende Wunde davontrug. Und: sie war nicht gegen Tollwut geimpft. Sie hat daraufhin ihren Bruder, der in Deutschland Arzt ist, angerufen und der hat ihr geraten, den nächsten Flieger nach Deutschland zu nehmen, um sich zu Hause im Nachhinein immunisieren zu lassen (er hat in D die Info erhalten, dass das benötigte Serum in Georgien nicht erhältlich ist). Sie hat dann aber in Tiflis ein kleines Institut entdeckt, das doch über das Serum verfügt und lässt sich nun hier die nachträgliche Immunisierung geben (man muss dabei einen genauen Zeitplan einhalten: Je 1 Dosis an fix festgelegten Tagen nach dem Biss). Die einzig unangenehme Sache ist, dass sie die nächsten 2 Monate keinen Tropfen Alkohol trinken darf – bei den guten georgischen Weinen eine harte Gschicht!
Ja, die Hunde – ein leidliches Thema und eine Änderung der Taktik war notwendig. Und das kam so: ich fuhr auf einer stark befahrenen Bundesstraße – links neben mir bretterten die LKWs in geringem Abstand an mir vorbei und rechts kamen aus einem Garten 2 Hunde auf mich zugeschossen und haben mich verfolgt. Ich versuche in so einem Fall immer, so schnell wie möglich zu fahren, um die Viecher abzuhängen. Aber das Ganze ist natürlich Stress pur und einen Fahrfehler darf ich mir in so einer Situation auf keinen Fall leisten. Dazu kommt noch, dass die Fahrbahn auch nicht gerade in einem optimalen Zustand ist (Schlaglöcher oder Asphalt, der sich durch die Hitze aufwölbt). Wenn ich da zu Sturz komme – na dann Gute Nacht!
Aus diesem Grund bleibe ich jetzt immer stehen, sobald ein Hund (oder auch mehrere) hinter mir her ist/sind. Ich steige ab und fange an, in sanftem Ton mit ihm/ihnen zu reden, so in der Art: „Hallo Hund. Schau, ich fahr da nur und tu dir nix“. Ca. 50% der Hunde hören dann tatsächlich auf zu bellen und manche fangen sogar an, mit dem Schwanz zu wedeln. Je größer die Meute ist, desto schwieriger ist es, sie zu beruhigen. Dann müssen sie sich ja gegenseitig beweisen, dass sie es sind, die die „böse Radfahrerin“ verjagt haben. In diesem Fall: runterbücken und einen Stein aufheben. Das wirkt fast immer. Manchmal sieht man auch Kampfhunde – glücklicherweise immer an der Leine – ich weiss nicht, wie ich reagiere, wenn mich so eine Bestie verfolgt.
Neben Hunden hatte ich vergangene Woche auch viele Begegnungen mit Kühen – die waren aber harmlos. Die Kühe hier sind auch etwas zarter gebaut als die Exemplare, denen man auf österreichischen Wanderwegen so über den Weg läuft. Nur vor den Stieren hab ich Respekt: auch die sieht man immer wieder, wenn man so durch die Wiesen fährt. Und wenn dann einer anfängt, mit den Hufen zu scharren und den Kopf zu senken: ganz langsam vorbeifahren und gut zureden (ich bin jetzt bald diplomierte Hunde- und Stierflüsterin 🙂 )
Auf einer stark befahrenen Straße habe ich dann noch eine Beobachtung gemacht, die faszinierend und abstoßend gleichzeitig war: eine in allen Grüntönen schillernde, ca. 20 cm lange Echse ist gerade überfahren worden. Sie hat noch ihre Beine bewegt und ihr Bauch war aufgeplatzt und aus diesem Bauch kamen lauter kleine Echsen gekrochen und sind in alle Richtungen auseinander gelaufen. Was für ein Anblick – ich konnte aber nur kurz hinschauen und bin gleich weiter gefahren.
In Gori, der Geburtsstadt Stalins kann man dessen Geburtshaus und das Stalinmuseum (sehr informativ) besichtigen, was ich auch tat. Man merkt aber einen Riesenkontrast zu Tiflis – während die Hauptstadt sehr lebendig und modern ist, hatte ich in Gori das Gefühl, noch immer im Ostblock zu sein. Abgesehen von den vielen hässlichen Gebäuden (Plattenbauten), hatten auch die Menschen die Ostblockmentalität irgendwie noch nicht abgelegt („der Staat tut so, als ob er mich bezahlen würde, dafür tu ich so, als ob ich arbeiten würde“). Fast könnte man meinen, der Geist Stalins verhindert, dass hier was weiter geht.
Das Radfahren vergangene Woche war einerseits extrem anstrengend (den ganzen Tag Sonne bei 32 Grad Tageshöchsttemperatur) auf Schotterpisten mit etlichen Höhenmetern. Jedes Auto hat eine Staubwolke aufgewirbelt – auf meiner Haut war eine gschmackige Mischung aus Sonnencreme, Schweiß und Staub. Gleich nach der Ankunft im Hotel: rein in die Dusche. Auch die ganze Kleidung habe ich gleich in die Dusche geschmissen, um den ärgsten Dreck abzuwaschen. Im Waschbecken dann der 2. Waschgang mit Seife – dann aufhängen (entweder in der Dusche oder am Balkon, falls es einen gab) – am nächsten Morgen war alles trocken und bereit für den nächsten Radlertag. Andererseits gab es auch sehr schöne Etappen auf wenig befahrenen Asphaltstraßen mit Blick auf Burgen oder Klöster am Berg, teilweise sogar mit leichtem Rückenwind vorbei an Wiesen mit einer Blumenvielfalt, wie man sie in Österreich, wo alles weggedüngt wird, nicht mehr sieht. Ein Paradies für Bienen und Co.
Während des Radfahrens esse ich nichts (ich frühstücke dafür ausgiebig), aber trinken ist wichtig und so kaufe ich unterwegs auch Wasser in kleinen Ortschaften, wo es Mini-Supermärkte gibt, nach. Wenn ich in so einen Supermarkt reinkomme, so falle ich natürlich auf (wegen meinem Radler-Outfit und auch, weil ich blond und hellhäutig bin). Ich hör dann die Leute immer tuscheln – irgendeiner fragt dann, woher ich komme. „Österreich“ antworte ich. „Und du bist mit dem Fahrrad aus Österreich hierher gekommen?“ „Ja“. Dann schauen mich alle an, als ob ich eine Außerirdische wäre. Und die nächste Frage lautet immer: „Wie alt bist du?“ „60“. Dann diskutieren sie – sie schauen mich an – sie schauen das Rad an. Und dann krieg ich fast immer ein Geschenk: entweder Obst oder ein Eis oder einen Schokoriegel oder ein Stück Kuchen und dazu ein „Daumen hoch“ oder ein „Super“ und ein anerkennendes Nicken. Madloba (Danke).
Ich bin dann immer weiter in die Berge raufgefahren und schlussendlich im Kleinen Kaukasus angekommen. Jetzt war es Zeit, die Bergschuhe auszupacken und ein paar Touren zu machen. Der Kaukasus ist ja die Heimat der Nordmanntannen – hier werden die Tannenzapfen geerntet und nach Westeuropa exportiert. Aus 1 kg Tannenzapfen (ca. 20 Stk.) gewinnt man den Samen für 4000 Weihnachtsbäume.
Und heute bin ich in Vardzia, einer Höhlenstadt, nicht all zu weit von der armenischen Grenze entfernt, eingetroffen. Näheres dazu im nächsten Beitrag.
Die beiden Rasttage in Kutaissi habe ich richtig gewählt, denn es hat die meiste Zeit sehr stark geregnet. Das richtige Wetter, um Galerien und Museen zu besuchen, was ich dann auch gemacht habe.
Im Hotel treffe ich Reinhold, einen Augsburger, der hier in den Bergen gemeinsam mit seiner georgischen Frau eine Selbstversorgerlandwirtschaft (2 Kühe, 1 Schwein, Enten, Hühner und Gemüsefelder) betreibt. Er sagt, dass er sehr froh ist, in Georgien zu leben – er hat den Mief und die Spießigkeit in Deutschland nicht mehr ertragen. Ich frage ihn dann, wie es hier aussieht mit der medizinischen Versorgung: er meint, dass es in Tiflis sehr gute (auch deutsche) Ärzte gibt – am Land ist es aber doch etwas schwieriger.
Da nach dem Starkregen wahrscheinlich viele Wege, die mir Komoot vorschlägt, ziemlich gatschig und verschlammt sind, beschließe ich, die Strecke nach Tiflis mit dem Zug zu fahren. Dieser fährt 1x pro Tag (um 12:05) und benötigt für die ca. 260km fast 6 Stunden. Das Ticket für mich (inklusive Sitzplatzreservierung), das ich bereits 1 Tag vor Abfahrt am Bahnhof kaufe, kostet unglaubliche 8 Lari (2,50 EUR). Das Ticket für das Rad (5 Lari – 1,50 EUR) bekomme ich erst im Zug – na hoffentlich funktioniert das – es könnte ja sein, dass der Schaffner sagt, dass doch kein Platz für das Rad ist.
Am nächsten Tag bin ich bereits um 11:00 am Bahnhof, in der Hoffnung, dass der Zug schon etwas früher bereit gestellt wird, sodass ich das Rad und die Packtaschen in Ruhe verladen kann (das Verladen des Rades kann ziemlich stressig sein, wenn man wenig Zeit hat und man zuerst mal herausfinden muss, in welchem Waggon das Rad abgestellt werden darf. Und wenn man es weiss: Packtaschen runternehmen – Rad raufheben in den Waggon und irgendwie verstauen – wieder zurück und die Packtaschen holen und diese zum Sitzplatz bringen. Ufff – endlich geschafft).
Während ich am Bahnsteig auf den Zug warte, sprechen mich 2 Securitymitarbeiter an: sie wollen wissen, woher ich komme und wohin ich fahre,… Das übliche halt. Sie sprechen nur georgisch und ich antworte ihnen halt irgendwie. Ein anderer, ebenfalls georgisch wirkender Fahrgast, der auch gewartet hat, hat das mitbekommen und mich auf deutsch angesprochen: Daniel aus München – ich schätze ihn auf 35. Er lebt seit einigen Wochen in Tiflis und sieht hier etliche Geschäftschancen. Er will was machen mit Co-Working Spaces und Kryptowährung und erzählt mir, dass Georgien in gewisser Weise ein Steuerparadies ist. Er hat auch ohne weiteres eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung für 1 Jahr bekommen (EU Bürger können normalerweise bis zu 3 Monate ohne Visum in Georgien bleiben).
Und schon fährt der Zug ein – der Schaffner, der mich mit dem voll bepackten Rad am Bahnsteig stehen sieht, kommt gleich her zu mir. Ja, ich darf das Rad mitnehmen und er zeigt mir auch gleich den Waggon, in welchem ich mein bici abstellen darf. Also, Packtaschen runter – Rad raufheben in den Zug und verstauen – ich wieder raus aus dem Zug – Packtaschen nehmen und zu meinem reservierten Sitzplatz 17 tragen und dort verstauen.
Dann kommt der Schaffner und verteilt einmal Mineralwasserflaschen (das ist im Fahrpreis von 2,50 EUR inkludiert – ich pack es nicht) und schon gehts los nach Tiflis. Neben mir sitzt ein Paar – beide ca. 30 und sie unterhalten sich auf russisch. Wir kommen dann ins Gespräch – beide sprechen perfekt englisch und sie auch etwas deutsch. Sie kommen aus St. Petersburg und haben Russland im März verlassen. Beide hatten tolle Jobs (sie im IT Bereich – er ist Elektrotechnikingenieur) und sehen jetzt aber keine Zukunft für sich in Russland und sie wollen vor allem nicht, dass ihre (geplanten) Kinder in einer Diktatur aufwachsen müssen. Sie erzählen mir, wie gefährlich es ist, in Russland seine Meinung kund zu tun. Wenn man z. B. bei einer Demo gegen den Krieg erwischt wird, so kommt man zuerst einmal für ein paar Tage ins Gefängnis. Das ist nicht so schlimm. Wird man ein 2. mal erwischt (das muss nicht unbedingt bei einer Demo sein – es genügt ein Eintrag in den sozialen Medien), so gibt es ein paar Wochen Haft. Auch das geht vorüber. Heftig wird es aber, wenn man den 3. Minuspunkt kriegt: 15 Jahre Haft. Sie erzählen, dass einer ihrer Freunde jetzt gerade für 15 Jahre eingebuchtet wurde – der kommt mit 44 wieder raus.
Fast alle ihre Freunde haben Russland bereits verlassen und sind gerade dabei, sich woanders ein neues Leben aufzubauen. Alle gut ausgebildet – alle hatten gute jobs. Ein unglaublicher brain drain und wahnsinnig traurig.
Da wird einem wieder bewusst, wie gut es uns in Österreich geht.
Mit diesen interessanten Gesprächen vergingen die 6 Stunden bis Tiflis wie im Flug.
Und dann Tiflis: am Bahnhof lauter freundliche Georgier, die mir halfen, das Rad und die Packtaschen die vielen Stufen rauf oder runter zu tragen (Lift gab es nicht) – das fand ich extrem nett, weil an anderen Orten schauen die Leute meistens einfach nur zu, wie ich mich abschleppe.
Und der positive Eindruck wurde am Weg zum Hotel in der Altstadt noch verstärkt: was für eine schöne Stadt – sehr lebendig, tolle Architektur – viele gepflegte Parks. Hier gefällt es mir – hier bleib ich ein bisschen länger.
Am nächsten Tag, es war Sonntag, durfte ich in einer georgisch orthodoxen Kirche bei einer Taufe dabei sein. Es wurden 2 Buben (ca. eineinhalb und 3 Jahre alt) getauft – ich bin zwar etwas zu spät gekommen und hab nicht mehr gesehen, wie die Köpfe und Füße der beiden vollständig ins Taufbecken getaucht werden (so wie es hier Brauch ist). Ich hab aber noch mitgekriegt, wie den beiden (in Badetücher gewickelt) vom Priester mit einer Schere ein paar Haarsträhnen abgeschnitten werden und diese ins Taufbecken geworfen werden. Außerdem wird ihnen Balsam auf Kopf, Hände und Füße aufgetragen, der dann wieder abgetupft wird. Doch etwas anders als bei den Katholiken und Protestanten.
In den georgisch orthodoxen Kirchen gelten etwas strengere Bekleidungsvorschriften: Frauen sollen Kopf und Schultern bedecken (ein loser Schal um den Kopf passt da wunderbar), ausserdem soll man ein Kleid/Rock tragen bzw. wenn man eine Hose anhat, so soll man die Hüften bedecken (geht ebenfalls gut mit einem Schal oder mit einer etwas längeren Bluse). Schals und Kopftücher in verschiedenen Farben liegen oft auch beim Eingang zu den Kirchen in Boxen bereit, sodass man sich für den Besuch etwas Passendes aussuchen kann. Ich habe in einer Boutique, in welcher georgische Mode verkauft wurde, eine nette Bluse erstanden, welche ich gleich bei den Kirchenbesichtigungen ausführen konnte (passt hoffentlich dann auch für den Iran).
In der Zwischenzeit ist auch Oliver, den ich auf der Fährfahrt kennengelernt hatte, mit einem Bus in Tiflis eingetroffen. Er hatte Probleme mit dem Wohnmobil und es daher in eine Werkstätte in Batumi gestellt, wo es hoffentlich repariert werden kann. Er meinte, dass er noch nie so eine perfekt organisierte Werkstatt gesehen hat – und wenn das ein Deutscher sagt, so will das was heißen. Da nicht alle Ersatzteile lagernd sind, dauert es ca. 1 Woche, bis er das Fahrzeug wieder abholen kann. Na, da können wir die Stadt zu zweit besichtigen – das ist immer netter, als wenn man alleine unterwegs ist.
Am 26. Mai war georgischer Unabhängigkeitstag und da wurde so einiges geboten. Am Freiheitsplatz fand eine Parade des georgischen Heeres statt (alle Divisionen waren vertreten). Dann wurde die georgische Nationalhymne gesungen – anschliessend – wir konnten es zuerst kaum glauben und haben dann laut mitgesungen – die „Ode an die Freude“ (Freude schöner Götterfunken…) in deutscher Sprache und zum Schluss hat die Militärkapelle noch den Radetzkymarsch gespielt. Ich habe geglaubt, ich bin in Österreich. Und als finale furioso sind natürlich Militärhubschrauber und Kampfjets im Formationsflug mit Farbe in niedriger Höhe über das Stadtzentrum gedonnert.
Georgien will ja in die EU (und auch in die NATO) – vor allen Regierungsgebäuden hängt sowohl die georgische als auch die EU Flagge – das ist dann auch die Erklärung dafür, dass neben der Nationalhymne auch die Europahymne („Ode an die Freude“) gesungen wurde.
Wir waren auch in einem modernen Shopping Center – wäre da nicht überall die verschnörkelte georgische Schrift, so hätte man glauben können, in einem westeuropäischen Einkaufszentrum zu sein. Und auch die Preise in dieser Mall entsprachen westeuropäischem Niveau – es ist die Frage, wer sich das in Georgien leisten kann. Neben dem ATM (Bankomat) steht dort auch ein BTM (Bitcoin Teller Machine), wo man seine Kryptowährung zu Bargeld machen kann.
Rund um Tiflis sind einige Hügel mit schönen Parks und so sind wir mit einer Standseilbahn (errichtet von der Vorarlberger Firma Doppelmayr – da hab ich mich dann gleich doppelt so sicher gefühlt) auf einen dieser Hügel gefahren und standen bei einem Aussichtspunkt, wo wir uns -klarerweise auf deutsch – unterhalten haben. Neben uns stand ein orientalisch aussehendes Paar (beide ca. 30-35 Jahre, westlich gekleidet) und der Mann hat uns in perfektem, akzentfreiem Deutsch angesprochen.
Die beiden Iraner kurdischer Abstammung haben erst vor einer Woche geheiratet und waren auf Hochzeitsreise. Er ist vor 8 Jahren aus dem Iran geflohen und 2016 als Flüchtling nach Deutschland gekommen, wo er Asyl erhalten hat. Er lebt und arbeitet als Pizzakoch in Stuttgart. Seine Partnerin hat er diese 8 Jahre nicht gesehen (er meinte „zum Glück gibts Whats App“) – er fliegt jetzt wieder zurück nach Deutschland, während sie im Iran ihre Papiere fertig macht, um ihm dann nachzufolgen.
Er sagt, er ist Deutschland so unendlich dankbar, dass er Asyl bekommen hat und dass er dort leben und arbeiten darf. Beide wirkten auch sehr glücklich und haben mit der Sonne um die Wette gestrahlt. Ich habe ihn dann noch gefragt, ob er schon Deutsch konnte, bevor er nach Deutschland kam. Nein, sagt er – er hat nach seiner Ankunft in Deutschland einen Sprachkurs besucht (3 Jahre) und jetzt spricht er perfekt Deutsch. Chapeau!
Ich musste dann wieder an Reinhold (den Augsburger, dem der deutsche Mief und die Spießigkeit zuviel wurden) denken bzw. auch an Daniel aus München (der in Georgien Chancen sieht, die er in Deutschland nicht sieht) aber auch an das Paar aus St. Petersburg: warum verlässt einer ein Land, das für einen anderen das Traumland darstellt? Wobei es ein Westeuropäer unendlich viel leichter hat, in seinem „Traumland“ Fuß zu fassen, als eine Person, die als Flüchtling in ihr „Traumland“ kommt.
Wir sind dann von diesem Hügel rübermarschiert zur „Mother of Georgia“, einer Riesenstatue, noch errichtet zu Sowietzeiten. In der einen Hand hält sie ein Schwert („für die Feinde“) – in der anderen einen Weinkrug („für die Freunde“) und von dort dann weiter ins Bäderviertel. Tiflis bedeutet ja „warme Quelle“ und in den Bädern kann man seiner Haut Gutes tun und ein ziemlich heißes Schwefelbad nehmen.
Auf ein Schwefelbad haben wir verzichtet (das ist eher was für die kalte Jahreszeit) – dafür sind wir Essen gegangen. Ja, das Essen hier ist ein Kapitel für sich. Zum Niederknien – so fein und raffiniert. Selbst ich (ich gelte als sehr schnelle Esserin) sitze dann ganz andächtig vor dem Teller und genieße jeden einzelnen Bissen. Diese Auberginenröllchen mit der Walnusspaste oder Kinkali (Teigtaschen) gefüllt mit Pilzen oder Kartoffeln oder Fleisch. Und erst die Salate! Dazu noch ein Glas georgischen Wein – ja, so ungefähr stellt man sich das Paradies vor.
Schön langsam heisst es dann aber Abschied nehmen – ein bisschen Wehmut schwingt mit. Wenn man als Radnomadin einmal 7 Tage an einem Ort ist, so entwickelt sich schon fast ein Heimatgefühl – man kennt dann schon die ganze Umgebung, weiss wo man gut essen gehen kann, muss nicht jeden Tag die Radtaschen neu packen.
Nächstes Ziel: Mzcheta, die ehemalige Hauptstadt Georgiens mit einigen Weltkulturerbestätten.