Als erstes muss ich meinen Bericht bezüglich des Trinkwassers in Georgien revidieren: nicht das Leitungswasser, das ich bei Giorgi getrunken habe, war Schuld an meinem Unwohlsein, sondern ein Sonnenstich. Und wie bin ich darauf gekommen? Ich habe ja nach diesem Vorfall ausschliesslich Mineralwasser getrunken – obwohl mich einige hosts in den BnB‘s darauf hingewiesen haben, dass ich das Leitungswasser ohne weiteres trinken kann („Es ist bestes Quellwasser und alle Touristen trinken es“). Warum sollten sie das sagen, wenn es nicht stimmt – sie gewinnen ja nichts dabei.

Und dann war wieder ein sehr heisser und anstrengender Radlertag (ich habe die ganze Zeit nur Mineralwasser getrunken) und – glücklicherweise war ich schon fast bei meinem Quartier angekommen – wieder die Symptome: Schwächeanfall, Bauchgrummeln, leichtes Schwindelgefühl. Im guesthouse habe ich mich nach der Dusche einmal kurz hingelegt und dann gab es Abendessen. Zu trinken gab es nur Wein und/oder Leitungswasser – ich hatte Riesendurst: also habe ich sehr viel Leitungswasser getrunken und alles war bestens. Also hab ich recherchiert: Dr. Google sagt, dass mit einem Sonnenstich oft Durchfall einhergeht. Seit diesem Zeitpunkt trinke ich nur noch Leitungswasser, das übrigens sehr gut schmeckt und alles ist okay. 

Mein letzter Eintrag hat ja in Vardzia, der Höhlenstadt aus dem 12. Jhdt. geendet. Diese Stadt, die bis zu 50.0000 Menschen Platz bot, wurde in einen 500m hohen Felsen gehauen und diente als Grenzfestung gegen Türken und Perser. Sehr interessant, aber halt auch ziemlich touristisch. Ich habe mir 2 Nächte im schönen Resort direkt gegenüber der Höhlenstadt gegönnt – mit wunderschönem Garten und Pool, gut zum Entspannen.

Die nächste Radleretappe weiter nach Achalkalaki schien auf den ersten Blick ziemlich entspannt zu werden: 30 km, aber mit 800 Höhenmetern. Die ersten km waren noch auf einer schönen, ebenen Asphaltstraße, dann ging’s auf einen Weg, der sich langsam den Berg raufschlängelt. Ich schau mir auf komoot noch einmal das Höhenprofil an: die nächsten 7km muss ich wahrscheinlich schieben, weil es nur bergauf geht – dann hab ich aber die Höhenmeter geschafft und es soll eher eben dahin gehen. Ich treffe dann noch einen Mann, der mich verwundert fragt, wohin ich will. „Achalkalaki “ antworte ich – er meint dann, dass der Weg über den Berg ziemlich anspruchsvoll ist. Ja, wird schon gehen – antworte ich.

Also los gehts – rauf auf den Berg. Der Weg ist ein bisschen wie ein Wanderweg, steile Abschnitte, wo ich mich wirklich plagen muss, wechseln mit gemütlicheren Passagen. Immer wieder begegne ich Kuhherden – Menschen sehe ich keine mehr. Was mir etwas Sorgen bereitet: schon die ganze Zeit höre ich Donnergrollen und in der Ferne sehe ich lauter schwarze Wolken. Regen ist nicht lustig – ein Gewitter am Berg kann aber wirklich gefährlich werden und es gibt weit und breit nichts zum Unterstellen. Aber endlich sind die Höhenmeter geschafft (ich hab fast 3 Stunden dafür gebraucht und musste abschnittweise die Packtaschen extra rauftragen, weil es so steil war).

Oben am Plateau checke ich noch einmal auf komoot, wie weit es zur nächsten Ortschaft ist: ca. 9 km. Ja, da muss ich jetzt ordentlich treten, um dem näher kommenden Gewitter davon zu radeln. Da es in der vorhergehenden Nacht geregnet hat, ist der Weg aber so gatschig, dass sich innerhalb kürzester Zeit so viel lehmig/gatschige Erde zwischen Kotflügeln und Laufrädern angesammelt hat, sodass sich diese nicht mehr bewegen ließen. Na, ich hab geflucht!

Packtaschen runter/ Fahrrad umdrehen/ Arbeitshandschuhe anziehen und mit dem Fahrradschloss habe ich den Dreck so halbwegs rausgekletzelt, sodass sich die Laufräder wieder bewegen ließen. Das Donnergrollen wird immer lauter und die finsteren Wolken sind schon fast über mir. 

Jetzt aber schnell – in einiger Entfernung sehe ich ein Gebäude – dort kann ich mich sicher unterstellen. Gerade im letzten Augenblick – in der Zwischenzeit hat sich schon wieder viel Erde zwischen Kotflügeln und Laufrädern angesammelt – schaffe ich es zu dem Gebäude, einem simplen Hirtenunterschlupf mit überdachter Terrasse und 2 Zimmern mit Betten und Tisch. Ein paar Tropfen haben mich noch erwischt, aber richtig losgegangen ist es erst, nachdem ich schon ein Dach über dem Kopf hatte. Eine Stunde lang hat es geschüttet, geblitzt und gedonnert – ich habe in dieser Zeit das Rad in Ruhe gereinigt. Und sollte es nicht aufhören zu regnen, würde ich hier einfach mein Zelt aufstellen und übernachten (die Betten in den Zimmern wirkten nicht wirklich einladend).

Von diesem Gebäude waren es noch immer 4 km bis zum nächsten Ort (und bis zu einer „richtigen“ Straße). Und der Weg war nach dem Starkregen natürlich noch schlimmer als vorher – das heisst: ich musste das Rad durch das kniehohe, nasse Gras schieben. Extrem anstrengend – nach kurzer Zeit schon waren meine Schuhe und Socken waschelnass und bei jedem Schritt machte es „quatsch“.

Irgendwann war ich dann aber im sehr ärmlich wirkenden Dorf auf 1800m Seehöhe (die Kühe, Schafe und Ziegen wurden gerade in die Ställe getrieben), in der Hoffnung jetzt endlich auf einer schönen Asphaltstraße dahin flitzen zu können. Weit gefehlt. Das war keine Asphaltstraße, sondern ein von grösseren und kleineren Wasserlachen übersäter Weg. Aufsteigen war keine Option – Schieben war weiterhin angesagt. Noch 10km bis Achalkalaki – dort habe ich ein 4 Sterne Hotel gebucht. Ich habe mir gerade ausgerechnet, wann ich im Hotel ankommen werde, wenn ich die ganze Strecke schieben muss, da hält ein Fahrzeug neben mir. 

Obwohl, Fahrzeug ist nicht die richtige Beschreibung (irgendwo stand  zwar Ford Transit drauf) – es war eher ein Zustand auf 4 Rädern und mit Motor. Und drin saßen die Men in Black. Also die kaukasische Variante der MIB – einer hat versehentlich die grell gelben Gummistiefel statt der schwarzen und den bunten Weihnachtspulli statt dem dunklen Shirt erwischt. Alle 3 haben freundlich gelächelt und mir signalisiert, dass sie mich gerne mitnehmen würden. „Ich muss nach Achalkalaki“ – „Ja, passt – wir fahren dort hin.“

So schnell konnte ich gar nicht schauen, waren meine Packtaschen und mein Fahrrad im Laderaum des Kastenwagens verstaut. Die MIB saßen in der ersten Reihe – hinten war eine 2-er Bank, allerdings nicht fixiert, auf der ich Platz nahm. Während der Fahrt bin ich ein paar mal mitsamt Bank fast umgekippt, was aber eh wurscht war, weil auch die Fahrertür ständig aufging. Man kann dieses Vehikel nicht  beschreiben – in Österreich hätte es schon vor 40 Jahren kein Pickerl mehr bekommen.

Und die 3 MIB hatten ihre Gaudi da vorne und die ganze Zeit herumgeblödelt. Ich hab sie zwar nicht verstanden und sie mich auch nicht – wir hatten aber trotzdem viel zu lachen. Am Stadtrand von Achalkalaki haben sie mich abgesetzt (madloba -Danke) und ich hab dann nur noch ca. 2 km ins Zentrum radeln müssen. 

Kurz vor meinem Hotel überholt mich ein voll bepackter Fernradler! Der erste Fernradler, den ich auf meiner Reise treffe! Auf englisch fragt er, wohin ich fahre. Wir unterhalten uns dann ein paar Minuten auf englisch, bis wir drauf kommen, dass wir eh deutsch reden können: er ist Student aus Deutschland, der ein paar Monate den Kaukasus bereist. Sein Fahrrad ist genau so dreckig wie meines und ich frag ihn, wo er gefahren ist. Ziemlich fertig schildert er mir, dass er eine nicht asphaltierte Passtraße gefahren ist und dabei in Regen und Gewitter gekommen ist. Und jetzt muss er sich noch einen passenden Platz zum Zelten suchen und kochen. „Da gehts mir besser“ sag ich und zeig auf den 4 Sterne Schuppen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. „Was zahlst denn dafür?“ „140 Lari – knapp 50 EUR inkl. Frühstück“ „Das kann ich mir als Student nicht leisten“ meint er bedauernd. Er leistet sich dann und wann ein Bett in einem Schlafsaal, das ist dann aber auch schon das höchste der Gefühle. 

Na, vielleicht treffen wir uns ja noch irgendwo, nachdem wir beide Richtung Armenien unterwegs sind. 

Ich fahr dann rüber zum Hotel, in welchem auch ein Casino untergebracht ist. Am Parkplatz fette SUVs – viele mit russischem Kennzeichen – und herausgeputzte Damen und deren Begleiter in feinem Zwirn. Erst da wird mir bewusst, wie dreckig ich bin – bis zu den Knien alles Dreck. Und auch auf den Packtaschen picken lauter Dreckklumpen. Schnell hole ich die Arbeitshandschuhe raus und reinige die Taschen notdürftig. Na hoffentlich lassen die mich in diesem Aufzug da rein? Da kommt schon ein Hotelangestellter – entschuldigend sage ich, dass ich auf schlechten Straßen und bei Regen über den Berg gekommen bin und deshalb der ganze Schmutz. Er lächelt freundlich – kein Problem. Das Fahrrad darf ich im Hof des Hotels abstellen.

Check in ist schnell erledigt – es ist wirklich ein schönes 4 Sterne Hotel und im Zimmer steht ein Obstteller. Gierig stürze ich mich gleich auf die saftig süßen Pfirsiche – erst jetzt merke ich, dass ich einen Riesenhunger habe – kein Wunder, ich habe vor 10 Stunden gefrühstückt und seither nichts gegessen. Zuerst noch eine Dusche (auch das Radleroutfit und die Packtaschen werden gleich in der Dusche gereinigt) und dann in frischer Kleidung runter ins Restaurant. Bei einem Boeuf Stroganoff und einem Glas Rotwein lasse ich den Tag Revue passieren. Obwohl ich nur 20 km selbst gefahren bin bzw. geschoben habe (10km bin ich mit den Men in Black mitgefahren), war es einer der anstrengendsten Radlertage, die ich je hatte. Und ich hatte noch Glück, dass ich den Hirtenunterstand gerade rechtzeitig erreicht habe.

Am nächsten Tag gehe ich es wirklich gemütlich an – 20 km auf Asphalt mit ca. 300hm nach Ninozminda – von dort sind es nur noch weitere 20km zur armenischen Grenze.

In Ninozminda fallen mir gleich mehrere Sachen auf: einerseits gibt es sehr viele Störche – seit Kroatien habe ich keine Störche mehr gesehen – andererseits sind die Bewohner hier eine Nuance dunkler, als die restlichen Georgier. Der Hotelbesitzer erzählt mir dann, dass die meisten Bewohner ethnische Armenier sind – das ist dann wohl die Erklärung. Außerdem gibt es hier überall Lavash – ein Fladenbrot – zu kaufen.

Einen Tag später heisst es dann nach fast 4 Wochen Abschied nehmen von Georgien. Die Einreise nach Armenien verläuft problemlos – der Zöllner zeigt auf meine Taschen und fragt: „Was hast da drinnen?“ „Zelt, Schlafsack, Matte, Kocher, Geschirr, Kleidung und Zahnbürste“. „Und wohin fährst du?“ „Um die Welt“. Mit einem breiten Grinsen sagt er: „Welcome to Armenia“. „Shnorhakalut‘yun“ (Danke) – uff, das ist ein kompliziertes Wort!  Da war „Madloba“ in Georgien ja ein Kinderspiel dagegen. 

Erstes Ziel in Armenien war Gyumri, die zweitgrößte Stadt des Landes. Die Straße von der Grenze nach Gyumri war anfangs sehr angenehm zu befahren – alles Asphalt, fast kein Verkehr, leicht abschüssig – über mir der Himmel. Es stellt sich so ein Gefühl der Freiheit ein – die Welt gehört mir!

Dann sind aber auch hier dunkle Wolken aufgezogen und ich habe bei einem Unterstand kurz überlegt, ob ich den Regen hier abwarten soll. Habe dann aber beschlossen weiter zu fahren und auch diesmal hatte ich Glück. Ich war schon längere Zeit auf einem Straßenabschnitt unterwegs, wo keine Häuser zu sehen waren, als es zu tröpfeln begann. Der Regen wurde stärker, die Straße führte den Berg runter und unten stehen tatsächlich ein paar Häuser. Noch bevor  mich der Regen richtig erwischt, konnte ich mich beim 1. Haus unter das Vordach stellen. Und der Besitzer kommt raus und bittet mich hinein in die trockene Stube. Seine Frau hat dann gleich Kaffee gebracht und so konnte ich das Ende des Regens im Trockenen abwarten. „Shnorhakalut‘yun“ 

Ein paar Höhenmeter liegen noch vor mir – ich war grad abgestiegen, um das Rad zu schieben – da hält neben mir ein uralter, total verrosteter Lada. Drinnen ein Mann und eine Frau mit freundlichem, wettergegerbtem Gesicht – die Rückbank des Autos war voll mit frisch gepflückten Kräutern. Der Mann fragt mich, ob er mich mitnehmen soll. „Ja – falls er nach Gyumri fährt“. Schon sind beide ausgestiegen – sie sucht sofort nach einem größeren Stein, den sie hinter das Hinterrad legt (die Handbremse funktioniert offensichtlich nicht mehr). Am Dach hat er einen Träger – das Rad wird draufgelegt – die Kräuter auf der Rückbank werden umgeschlichtet, sodass ich und die Packtaschen Platz haben. Und dann geht es flott dahin Richtung Stadt. Sie gibt mir ein Stück Kuchen, das ich mir schmecken lasse – bei einem Mini-Market bleibt er dann noch stehen und kommt mit 3 Eis zurück „Shnorhakalut‘yun“. Ich habe bereits am ersten Tag in Armenien sehr oft die Gelegenheit, dieses Wort zu sagen und mittlerweile kommt es bereits sehr flüssig von der Zunge.

Und dann Gyumri: in der 120.000 Einwohner zählenden Stadt, die 1988 durch ein schweres Erdbeben stark zerstört wurde, fallen sofort die vielen Gebäude aus dunklem Tuffstein auf  – manche Straßen wirken dadurch düster und etwas gewöhnungsbedürftig. Gyumri ist berühmt für seinen Humor und seine guten Handwerker (2 extrem wichtige Sachen), aber auch für sein reges kulturelles Leben und die interessante Architektur.

Und ich war ja am Wochenende in der Stadt und da war im Zentrum einiges los. Die Organisation „Move to Armenia“ zeichnete für ein Konzert mit lokalen Bands am Hauptplatz verantwortlich und das war tatsächlich hörenswert. So eine Mischung aus Russenpop und armenischem Folk – da ging die Post ab!

Neben dem Besuch von Museen, Galerien und Kirchen stand auch ein Termin im Beauty Salon an. Pediküre, Sugaring und Augenbrauen faconnieren – ich habe mich von Maryam und Kristina verwöhnen und auf Vorderfrau bringen lassen. Was für ein Genuss – und das ganze für läppische 10.000 Dram (22 EUR).

Noch ein spezielles Projekt, welches von der österreichischen Caritas mitbegründet wurde, möchte ich erwähnen: The First Inclusive Bakery and Coffee Shop in Gyumri – eine Einrichtung, die jungen Leuten mit handicap jobs bietet. Ich war jeden Tag in diesem Kaffeehaus und habe einerseits den ausgezeichneten Kaffee und die leckeren Mehlspeisen genossen und mich andererseits sehr über die engagierten und freundlichen Mitarbeiter gefreut (die am 1. Arbeitsmarkt – so wie in Österreich ja auch – überhaupt keine Chance hätten).

Morgen geht es weiter Richtung Jerewan. Mehr dazu nächste Woche.

 

Höhlenstadt Vardzia
Weiter gehts auf den Berg
Die Kühe begleiten mich
Nix geht mehr
Hirtenunterkunft - meine Rettung
Jetzt gehts an die Arbeit
Wenn’s nicht aufhört zu regnen, werde ich hier mein Zelt aufstellen
Die kaukasischen Men in Black - sehr nett und lustig
Schon wird mein Rad verladen
Weiter gehts nach Ninotsminda
Asphalt und wenig Verkehr - das ist Genussradeln
Hier gibts viele Störche
Frühstück - im Brotkorb links sieht man Lavash (Fladenbrot)
Die ersten Kilometer in Armenien - die Welt gehört mir!
Kurzerhand wird mein Rad auf das Dach des Lada verfrachtet
Kirche aus schwarz- und apricotfarbenem Tuffstein in Gyumri
Gyumri
Gyumri
Gyumri
Gyumri
Gyumri
Gyumri
Gottesdienst in der armenisch apostolischen Kirche (die küssen alle den Boden)
Vorne links Maulbeeren in verschiedenen Farben und die Marillen schauen so halbreif aus - sind aber sehr saftig und süss
Die haben extrem geile Musik gemacht
Die Kardashians? Nein, die netten Damen vom Beauty Salon - wir haben sehr viel gelacht
Leckerer Kaffee und Mehlspeise im SÖB der Caritas