Meine Fahrradweltreise

Monat: September 2023 (Seite 1 von 1)

USBEKISTAN

Nach den Rasttagen in Osh beschließen wir, weiter nach Usbekistan zu radeln. Die Grenze liegt nur ein paar Kilometer vom Stadtzentrum entfernt und unser Plan ist, bis in die 400.000 Einwohner-StadtAndijon (50 km, es geht immer bergab) zu radeln und von dort mit dem Zug weiterzufahren. Wenn man schon in Zentralasien ist, muss man unbedingt die Seidenstrassenstädte Samarkand, Buchara und Xiva sehen.

Nach der Grenze wandelt sich die Landschaft komplett – keine Berge mehr, dafür Felder, auf denen Baumwolle und Mais angebaut werden. Außerdem sieht man eine Menge Textilfabriken, in welchen die Baumwolle gleich weiterverarbeitet wird. Und auch sonst ein ziemlicher Unterschied zu Tadschikistan und Kirgistan: die Häuser sind schöner (mit vielen Blumen in den Gärten) – reizvolle Innenhöfe laden zum Chillen auf Tapchans unter Bäumen ein. Wir halten vor einem Haus, um den auf der Strasse zum Trocknen ausgebreiteten Mais zu fotografieren. Der Besitzer kommt sofort raus und bringt eine Kanne Chay und 2 Schalen. Er kann zwar kein Englisch, aber über Fussball entsteht eine angeregte Diskussion zwischen ihm und Karl. Er ist ganz aus dem Häuschen, als er erfährt, dass Karl aus Bayern kommt. „Bayern München, Franz Beckenbauer, Oliver Kahn“ – er kriegt sich kaum ein vor Begeisterung. Er meint dann, dass wir unbedingt bei ihm übernachten müssen – wir haben aber schon ein Hotel in Andijon reserviert. Okay, dann müssen wir zumindest etwas essen – es gibt eine Gemüsesuppe mit Rindfleisch, selbstgemachtes Brot und Kuchen. Und zum Schluss packt er einen Riesenlaib Brot, Kuchen und Äpfel ein, weil als Radfahrer müssen wir ja ordentlich essen.

In Andijon bleiben wir nur eine Nacht, am nächsten Morgen geht es weiter mit der usbekischen Bahn nach Samarkand. Wir sind rechtzeitig am Bahnhof, auch um sicher zu gehen, dass die Räder ordentlich im Zug verstaut werden. Die Schaffner sind extrem nett und helfen uns, sie am Waggonende unterzubringen und zu fixieren – der Radtransport ist übrigens kostenlos. Pünktlich gehts los um 09:00 – im ziemlich vollen Zug gibt es ausschliesslich Liegeplätze. Kurz nach der Abfahrt kommt der Schaffner (jeder Waggon hat einen eigenen Zugbegleiter) und teilt Bettwäsche in verschweißten Plastikbeuteln aus. Also wird das Bett überzogen und dann kann man es sich bereits in der Horizontalen gemütlich machen – bei einer 12 Stunden Fahrt ist das sehr angenehm. In jedem Waggon gibts auch einen Samowar – dort kann man sich heißes Wasser für den Chay holen.

Der Zug kommt auf die Minute genau in Samarkand an und wir brauchen nur noch in das gleich beim Bahnhof gelegene Hotel zu fahren. Am nächsten Tag – es ist Sonntag – dann mit den Rädern in das 7km entfernte Zentrum von Samarkand und jetzt ist Staunen angesagt. Waren es bis jetzt auf unserer Reise zumeist aussergewöhnliche Landschaften, so sind es nun vom Menschen gemachte Bauwerke, die uns sprachlos vor Begeisterung machen. Nicht nur der Registan, einer der prächtigsten Plätze Zentralasiens mit seinen 3 Medresen, sondern auch viele Moscheen ziehen uns in ihren Bann. Aber wir sind natürlich nicht die einzigen, die deswegen hier sind – die Stadt ist voll mit Touristen.

Sonntag ist in Usbekistan auch ein beliebter Tag zum Heiraten – im Park beim Registan sehen wir mindestens 30 Brautpaare, die sich dort zum Fotoshooting eingefunden haben. In dem Online-Magazin www.novastan.org lese ich einen Artikel über den Jungfräulichkeitskult in Usbekistan. Es ist (auch in anderen zentralasiatischen Staaten) gesellschaftlich kaum akzeptiert, dass Frauen vor ihrer Ehe ein Sexleben haben. Und kann in der Hochzeitsnacht kein Beweis für die Jungfräulichkeit erbracht werden (durch Blutflecken auf dem Leintuch), so kann es schon passieren, dass der Bräutigam seine Frischvermählte zu ihrer Familie zurückschickt. Oder er ist nett und nimmt eine kleine Nadel, mit der er sich in den Finger sticht und so ein paar Blutstropfen produziert, damit er den „Frauen-Prüferinnen“ (die dann die frohe Nachricht an die Verwandten verbreiten) ein blutbeflecktes Leintuch präsentieren kann.

In die nächsten 2 Städte, Xiva und Buchara, wollen wir ebenfalls mit dem Zug fahren, daher lassen wir unsere Räder und den Großteil des Gepäcks im Hotel in Samarkand, wo wir es in ca. 1 Woche wieder abholen werden. Die Fahrt durch die Wüste in die Oasenstadt Xiva an der turkmenischen Grenze dauert auch wieder ca. 12 Stunden und findet in der Nacht statt. Auch hier ist der Zug wieder auf die Minute genau und geschlafen habe ich erstaunlich gut.

Karl bucht in Xiva eine Tour zum ausgetrockneten Aralsee – ich kann mich nicht für die 14 stündige Autofahrt erwärmen und bleibe in der Stadt, wo ich auch gleich von einer Familie in ihr Haus geladen werde. Außerdem werde ich von einer Gruppe usbekischer Frauen angesprochen und es werden Fotos gemacht. Es zeigt sich wieder einmal, dass man als allein reisende Frau mit fast 100 %iger Sicherheit damit rechnen kann, von Einheimischen angesprochen und eingeladen zu werden.

Dann gehts weiter nach Buchara – extrem viele Touristen und gefühlt jedes 2. Haus im Zentrum ein Hotel. Und nach langer Zeit wieder mal ein guter Cappuccino in einem deutschen Kaffeehaus – ein Julius Meinl Kaffeehaus habe ich hier übrigens auch gesehen. Aber natürlich auch hier viele sehenswerte Bauwerke. Und Shopping ist angesagt: diese tollen usbekischen Stoffe – ein Kaftan und eine Jacke haben in meinen Radtaschen schon noch Platz.

Noch eine letzte Fahrt mit Uzbekistan Railways (wieder pünktlich) zurück nach Samarkand – dort besteigen wir wieder unsere voll bepackten Räder und fahren zur 50 km entfernten Grenze nach Tadschikistan. Leider auf einer furchtbaren Strasse mit extrem viel Verkehr und die Usbeken fahren wie die Gesengten Säue!!! Von Abstand haben die noch nie was gehört.

Endlich an der Grenze angekommen – der Übertritt verläuft ganz unspektakulär – in Tadschikistan stehen uns nur noch 20 Kilometer auf einer Super-Strasse ohne Verkehr bis Panjakent bevor. Eingecheckt im Panjakent Plaza, dem besten Haus am Platz – ein typisch zentralasiatisches Hotel mit extrem schwülstiger Deko und Info durch den netten Rezeptionisten beim Check-In: Breakfast from 07:00 until 10:00. Am nächsten Tag läutet das Telefon um 08:00 und im Befehlston: „You have to eat breakfast now“. Aha. Okay, dann gehen wir halt frühstücken. Außer uns war offensichtlich nur eine chinesische Reisegruppe zu Gast und die waren um 07:45 schon fertig mit dem Frühstück – also wollte man wahrscheinlich nicht ewig lang auf uns warten und das Buffett wieder abbauen. Andere Länder – andere Sitten, wir nehmen‘s mit Humor (und lassen uns das Frühstück schmecken).

Das erinnert mich an ein Hotel am Sewansee in Armenien: dort gab es Frühstück nur von 10:00 bis 11:00. In der Umgebung gabs ein paar Berge/Hügel – ich hab vor dem Frühstück halt immer eine Bergtour gemacht und mich dann richtig hungrig über das eher bescheidene Buffett hergemacht. Einmal kam ich erst um 10:30 von der Tour – da wurde das Buffett schon wieder abgebaut.

In Panjakent nehmen wir ein Taxi, das uns wieder nach Dushanbe bringt. Die Fahrt durch spektakuläre Berglandschaft führt über einen 2.800m hohen Berg und durch viele enge, unbeleuchtete Tunnelröhren – wir sehen auch ein paar Radfahrer. Nur der Gedanke, dass ich mit dem Rad durch diese Tunnels fahren müsste, schnürt mir die Kehle zu.

In Dushanbe steigen wir wieder in „unserem“ Hotel ab – die Rezeptionisten kennen uns noch. Karl hat hier vor mehr als einem Monat seine Durchfallerkrankung auskuriert und sich mit Griesskoch, welches es hier beim Frühstücksbuffet gibt, aufgepäppelt. Beim Frühstück sehe ich eine Gruppe junger Indonesierinnen, die bereits während unseres 1. Aufenthalts da waren. Sie tragen Jacken mit der Aufschrift „Indonesia“ – sind offensichtlich Sportlerinnen. Ich frage sie dann, welchen Sport sie betreiben – „Wrestling“ und sie sind hier in Dushanbe auf einem Trainingscamp.

Unsere Zeit hier in Zentralasien neigt sich dem Ende zu – bald geht es zurück nach Europa. Voll mit tollen Eindrücken und Bildern, die wir so schnell nicht vergessen werden. Und wieder einmal die Erkenntnis: „(Fast) Alles ist einfacher, als man es sich vorgestellt hat.“ Der Pamir Highway ist abenteuerlich, anstrengend, atemberaubend (im wahrsten Sinn des Wortes) und affengeil. Aber auch Oldies wie wir (Karl ist 66, ich bin grad noch 61) können ihn mit einem normalen, voll beladenen Trekkingbike radeln (okay, ein paar mal hatten wir motorisierte Unterstützung). DON‘T DREAM IT, DO IT!

Baumwollfeld

Auf eine Suppe bei einem usbekischen „Bayern München“ Fan

Hier die coole Rentnergang aus Andijon (Usbekistan)

Eine müde Österreicherin im usbekischen Zug

Bahnfahren in Usbekistan

Mein Shirt passend zur Kuppel am Registan in Samarkand

Samarkand

In der Oasenstadt Xiva

Wirkt wie geflochten – Mausoleum in Buchara

Buchara

KIRGISTAN

Nachdem wir die tadschikische Grenzkontrolle am Kyzyl Art Pass auf 4250m hinter uns gebracht haben, folgen einmal 20 Kilometer Niemandsland. Aber was für ein Niemandsland! Steil gehts auf einer wilden Schotterpiste runter, umgeben von atemberaubender Bergwelt. Das Rad einfach laufen lassen geht leider nicht – die Piste lässt das nicht zu – manche Passagen sind so steil, dass ich absteige und das Rad runterschiebe. Nach ein paar Kilometern steht ein homestay (ist aber nicht in Betrieb) – davor 2 bis an die Zähne bewaffnete kirgisische Soldaten. In dieser Grenzregion kommt es bedauerlicherweise immer wieder zu Kämpfen zwischen tadschikischen und kirgisischen Soldaten – Grund für diese Konflikte ist die willkürliche Grenzziehung durch die Sowjetunion ohne Rücksicht auf die hier lebenden Ethnien. Nachdem sie unsere Pässe kontrolliert haben, lassen sie uns weiterfahren. Bis zur kirgisischen Grenzstation sind es noch 15 Kilometer. Es wird immer grüner – auf den Weiden neben der Strasse viele Yak- und Schafherden mit Hirten auf Pferden oder Motorrädern. Dann kommen wir auch schon zur kirgisischen Grenze und stehen erst mal vor einem verschlossenen Tor. Aber da kommt schon ein junger Grenzbeamter – er spricht kein Englisch – und verlangt unsere Pässe. Wir zeigen ihm auch die mails der kirgisischen Regierung, in welchen bestätigt wird, dass wir auf der Liste stehen und daher die Grenze passieren dürfen. Er nimmt unsere Pässe, schließt das Tor hinter sich wieder ab und verschwindet in einem modernen Gebäude. Wir suchen uns ein schattiges Platzerl und machen es uns gemütlich in der Wiese. Es vergehen keine 5 Minuten und er kommt wieder – öffnet das Tor und deutet uns, dass wir ebenfalls in das sehr neue Gebäude kommen müssen. Dort sitzt sein Chef (mit Computer) – der spricht gutes Englisch – und ratzfatz haben wir die Einreisestempel im Pass. Aber unser Gepäck muss auch noch kontrolliert werden – also alle Panniers runter vom Rad und aufmachen. Der kirgisische Beamte schaut nicht so verhungert aus, wie sein tadschikischer Kollege, daher behalte ich mir die restlichen 2 Packungen Instantnudeln.

Unser Ziel für heute ist Sary Tash, 30 km nach der kirgisischen Grenze. Dort gibts homestays und einen Bankomat – ausserdem kann man in einem kleinen Magazin beeline Sim Karten kaufen. Gleich nach der Grenzstation sehen wir auf der Wiese neben der Strasse einen Camper und ein Motorrad mit deutschen Kennzeichen. Ein paar Leute haben es sich auf Campingstühlen bequem gemacht. Sie erzählen uns, dass sie bereits seit 1 Woche auf die Ausreise aus Kirgisien warten – leider stehen sie noch immer nicht auf der Liste, obwohl sie die entsprechende mail rechtzeitig an die kirgisische Regierung geschickt haben. Da hatten wir sehr viel Glück – auch aus der „Cycling East WhatsApp Gruppe“ schreiben ein paar Leute, dass sie einige Tage warten mussten, bis sie den Kyzyl Art Grenzübergang passieren durften.

Die Weiterfahrt nach Sary Tash ist dann ein ziemlicher Kampf gegen starken Seitenwind – manche Böen sind so stark, dass ich fast im Graben neben der Strasse lande. Ca. 10 Kilometer vor Sary Tash sehen wir rechts eine Jurte stehen – 2 Kinder kommen auf die Strasse gelaufen und wollen uns überreden, bei ihnen zu übernachten. „Rahmat“ (heisst danke auch in Kirgisien und Usbekistan – das ist einfach), aber wir fahren weiter, vorbei an vielen Rindern, Yaks und Pferden.

Endlich angekommen in Sary Tash finden wir rasch ein homestay (sogar mit WLAN, das gabs in den tadschikischen homestays nicht). Obwohl alles sehr einfach und für europäische Verhältnisse arm und teilweise wirklich wild ist, merkt man einen Unterschied zu Tadschikistan. Alles ist grüner – die Kühe und Schafe sind fetter und jeder hat ein Smartphone. Beim Abendessen fragt uns die Tochter des homestay-Besitzers (sie studiert Lehramt in Osh und hilft ihrem Vater in den Ferien im homestay), ob sie ein Foto von uns machen darf und dieses dann auf Instagram, wo das homestay natürlich ein Profil hat, veröffentlichen darf. Klar darf sie!

Das homestay ist gut gebucht – ausser uns ist eine radelnde Familie aus der Schweiz da (mit dem ca. 12 jährigen Sohn), 2 deutsche Radfahrer und 1 Neuseeländerin (sie erzählt, dass sie schon viele Monate mit dem Rad unterwegs ist und ich die 1.Person aus Österreich bin, die sie getroffen hat). Am Abend kommen noch ein paar Motorradfahrer und stellen ihre Maschinen neben unsere Räder im Hof des homestays ab: 1 Russe, 1 sehr verwegen aussehender Brite und dann noch eine Frau mit langer blonder Mähne auf einem Motorrad mit Länderkennung „GH“. Ich frag sie, woher sie kommt, bzw. was „GH“ bedeutet. Sie ist Britin (und gemeinsam mit dem verwegenen Typen unterwegs) und hat das Motorrad in Ghana gekauft und angemeldet und ist jetzt schon einige Zeit damit in Afrika und Asien unterwegs. Aha.

In der Nähe von Sary Tash befindet sich das Base Camp des Pik Lenin – wir gönnen den Rädern einen Tag Pause und nehmen ein Taxi, welches uns zu einer Jurtensiedlung an einem See bringt und von dort unternehmen wir eine gemütliche 3 stündige Wanderung zu einem Aussichtspunkt (beim Base Camp gibts nix mehr zu sehen, die Saison ist schon vorbei), mit tollem Blick auf den schneebedeckten Siebentausender.

Am nächsten Tag gehts mit den Rädern weiter Richtung Osh. Zuerst ein ziemlich knackiger Anstieg – 700 hm auf 16km – dann eine steile Abfahrt auf einer Serpentinenpiste – die Bremsscheiben glühen. Wir begegnen vielen LKW’s, die meisten mit chinesischen Kennzeichen. Ein Grenzübergang nach China liegt hier ganz in der Nähe – einige Radler aus der „Cycling East“ Gruppe berichten über ihre Erfahrungen mit den chinesischen Behörden. Es scheint ziemlich relaxed und easy zuzugehen – eher oberflächliche Kontrollen des Gepäcks und Handy/Laptop werden auch nicht mehr gecheckt, so wie früher üblich. Die Beamten sind sehr freundlich und sprechen gutes Englisch. Und eine Sache, die die meisten Radler, die ja low-budget unterwegs sind, sehr freut: Sie werden in dem Gebiet, in welchem sehr viele Uiguren leben, immer in sehr gute 4 Stern Hotels eskortiert und dürfen dort kostenlos übernachten – einfach um Kontakte zwischen Uiguren und westlichen Radfahrern zu unterbinden.

Unser Tagesziel ist Sopu Korgon – 65 km entfernt. Wieder umgeben von spektakulärer Berglandschaft, das ganze wird nur getrübt durch starken Gegenwind. Wir begegnen 2 jungen Männern (1 x Singapur, 1x Südkorea) mit ihren voll bepackten Rädern – sie machen den highway in die umgekehrte Richtung und wollen dann weiter nach Europa und sie freuen sich heute über den starken Rückenwind (irgendwer freut sich immer über den Wind).

Endlich kommen wir nach Sopu Korgon – lt. iOverlander (eine tolle App für Abenteuererreisende) soll es ein homestay geben neben dem kleinen Supermarkt (Magazin). Gleich beim Ortseingang hält ein Auto neben uns – der Fahrer fragt, ob er uns helfen kann. Ja, wir suchen ein homestay. Er telefoniert kurz und gibt dann sein Handy an Karl weiter. Am anderen Ende ein englisch sprechender Mann. Er fragt, was wir suchen. Ein Homestay – wir sind zu zweit. Ob wir verheiratet sind? Ja, sind wir. Okay, dann hat er was für uns. Der Autofahrer erklärt uns noch, wie wir zu dem betreffenden Haus kommen. Dort angekommen, am Ende einer Sackgasse sehe ich als erstes die schönen Blumen im Garten. Das gefällt mir. Das Gartentor wird von einer sympathischen hochschwangeren Frau geöffnet, an ihrer Seite zwei kleine Buben. Sie bittet uns ins Haus (sie spricht kein englisch) und führt uns in ein sauberes Zimmer mit den für Zentralasien typischen Matten am Boden, dann kommt sie gleich mit einer Kanne Tee und 2 Schalen. Nach einiger Zeit hören wir Motorengeräusch und ein Kleintransporter mit Baumstämmen auf der offenen Ladefläche biegt in das Grundstück ein. Aus dem Fahrzeug steigt ein sehr sympathischer 40-jähriger Mann mit lachenden Augen und begrüsst uns auf englisch. Ob das Zimmer eh okay ist für uns? Ja klar. Es stellt sich dann raus, dass er der Direktor der örtlichen Schule ist.

Er erzählt uns dann ein wenig über das Leben in Kirgistan. Obwohl er für kirgisische Verhältnisse als gut situiert gilt (mit eigenem Haus, Auto und Job), könnte er sich z.B. keine Reise nach Europa oder in die USA leisten. Wir reden dann auch über den Ukraine-Krieg – er meint, dass die meisten Kirgisen prorussisch eingestellt sind, weil die Medien im Land von Russland gesteuert werden. Aber auch die Kirgisen spüren die massive Teuerung als Folge des Krieges. Viele Landsleute arbeiten in Russland und werden dort, so wie alle Zentralasiaten, als Menschen zweiter Klasse behandelt. Ich frage ihn dann, wie er seine Frau kennengelernt hat (die beiden geben ein sehr glückliches Paar ab) – ob diese Ehe von den Eltern arrangiert worden ist. Er sagt, dass es durchaus noch üblich ist, Ehen zu arrangieren – er hat seine Frau aber einfach entführt, nachdem er sie vorher ein paar mal zufällig getroffen hat. „What?! You kidnapped her?!!!!“ – ich kann’s kaum glauben. Ja, Brautentführungen sind auch möglich – seine damals noch-nicht-Frau hatte auch gar nix dagegen. Nur die Noch-nicht-Schwiegereltern waren am Anfang etwas böse. Als sie dann aber sahen, dass er ein ehrenwerter Mann mit gutem Job, Haus und Auto ist, waren auch sie mit dieser Ehe einverstanden und heute sind sie gern gesehene Gäste in seinem Haus und freuen sich über die 3 (bald 4) Enkelkinder. Meine nächste Frage: Seine Frau ist ja hochschwanger – „Wird sie das Baby zu Hause bekommen oder gibt es ein Spital in der Nähe?“ „Ja, er bringt sie in das nächstgelegene, ca. 20 km entfernte Spital, wo sie das Baby auf die Welt bringen wird, so wie die 3 älteren Kinder (2 Buben mit 5 und 7 und ein 4-jähriges Mädchen) zuvor“. In abgeschiedenen Bergregionen sind Hausgeburten aber gang und gäbe.

Es gibt dann noch Abendessen – Karl hat sich schon wieder eine Suppe mit Gemüse, Nudeln und Rindfleisch gewünscht – hausgemachtes Brot dazu. Hat fein geschmeckt.

Nach dem Abendessen gehts ab in die Sauna – der Schuldirektor hat im hinteren Bereich des Hauses tatsächlich 2 Saunabereiche (Männer/Frauen getrennt) gestaltet – je 3 aufeinanderfolgende Räume: Umkleideraum/Dusche/Saunakabine. Diese Sauna wird auch gerne von den Dorfbewohnern gegen ein kleines Entgelt genutzt und die Männersauna ist grad voll, als wir hinkommen. Die Damensauna ist frei – und nachdem wir ja verheiratet sind, dürfen wir diese gemeinsam nutzen.

Nach dem anstrengen Radtag mit starkem Gegenwind ist die Sauna eine wahre Wohltat. Zurück im Zimmer – die Gastgeberin hat in der Zwischenzeit 2 dicke Matten in der Raummitte aufgelegt, Leintücher drüber, Tuchent und Polster mit lässiger Bettwäsche überzogen – ein sehr einladendes Nachtquartier. Ich trage noch etwas Pflegecreme auf mein Gesicht und werde dabei neugierig beäugt von der süßen 4-jährigen Tochter. „Komm her!“ Ich nehme etwas Creme und gebe einen kleinen Klecks auf ihr Näschen, das Kinn und die Wangen. Das hat ihr getaugt. Sie hat sich die Creme im Gesicht verschmiert und kommt dann zu mir, um sich eine weitere Ration Pflege (die sie noch lange nicht brauchen wird) abzuholen. Karl meint noch, dass wir uns einen Wecker stellen sollen – ich erwidere, dass ich sicher spätestens um 07:30 wach sein werde und außerdem werden uns wahrscheinlich eh die durchs Haus tollenden Kinder aufwecken. Dann, es ist mittlerweile 23:00 Uhr – Gute Nacht! Ich bin sofort eingeschlafen und habe noch selten so gut geschlafen. Irgendwann werde ich wach – die Sonne scheint bereits. Ein Blick aufs Handy – es ist 09:30!!!! Karl schläft noch tief und fest. „Karl – es ist 09:30!!!“ Der Direktor hat uns am Vorabend erzählt, dass er um 09:00 in der Schule sein muss, als wir raus aus unserem Zimmer aufs WC (befindet sich etwas abseits im Garten in einem wilden Verschlag) gehen, sitzt er aber noch in der Küche. Er wollte uns nicht aufwecken und will sich jetzt von uns verabschieden. Seine Frau hat bereits Frühstück zubereitet (Spiegeleier, Brot, Butter, kleine Küchlein, Tee), das wir uns schmecken lassen. Wir beschließen dann, ihm für die Übernachtung den gleichen Betrag zu geben, den wir auch im vorherigen homestay bezahlt haben (er hat gesagt, wir sollen ihm einfach den Betrag geben, den wir für angemessen halten). Karl gibt ihm 3.000,00 SOM (ca. 30,00 EUR) und dann folgt wieder eine sehr sympathische Geste – er reicht das Geld seiner Frau weiter. „Sie hatte ja die Arbeit mit Kochen und Betten machen – also steht es ihr zu.“ Ein wirklich sympathisches kirgisisches Paar.

An diesem Tag steht uns eine recht kurze Etappe mit 45 Kilometern – großteils gehts bergab – in die 15.000 Einwohner Stadt Gulcha bevor. Zuerst müssen wir einen Fluss auf einer Hängebrücke, die ordentlich hin- und herschaukelt, queren. Dann gehts relativ gemütlich (der Gegenwind von gestern ist auch wieder da) weiter nach Gulcha. Dort haben wir über booking.com ein Hostel gebucht. Es liegt an der Hauptstraße und wir fahren zuerst einmal dran vorbei, weil kein Schild auf eine Unterkunft hinweist (alles nur in kirgisischen lettern). Nach 500m kommen wir drauf, dass wir zu weit gefahren sind, also kehren wir um. Das Gebäude liegt inmitten eines schönen Gartens mit vielen Blumen und einer Jurte. Das gefällt mir sehr gut, ausserdem gibts in diesem Hostel etwas, was wir schon lange nicht mehr hatten: ein westliches Badezimmer (verfliest mit Waschbecken, Dusche und Sitz-WC). Wir müssen dieses Badezimmer zwar mit den 10 anderen Hostelgästen teilen, genießen aber trotzdem diesen unerwarteten Komfort.

Fürs Abendessen empfiehlt uns die Hostelbesitzerin ein Lokal, welches ein paar Hundert Meter weiter an der Hauptstraße liegt. Mein Magen knurrt bereits – wie üblich esse ich nichts untertags – also nix wie hin. Das Lokal ist sehr groß – da passen sicher mehr als 100 Leute rein. Auf der einen Seite ein paar ganz niedrige Tische im zentralasiatischen Stil auf einer Platform, ein paar bunte Matten rundherum. Wir bevorzugen dann aber doch einen Tisch mit Sessel – die adrette Kellnerin bringt uns die Speisekarte. Alles auf kirgisisch (auch keine Fotos, wie oft üblich)- vom Personal kann niemand englisch. Ich seh dann aber, dass eine Kellnerin mit einem Tablett aus der Küche kommt: darauf stehen 4 Teller mit je einem halben Brathendl und Salat. Mir rinnt das Wasser im Mund zusammen: das will ich (und Karl) auch! Also zeigen wir auf die Hendl und bestellen 2 Portionen. Dazu Brot und eine Kanne Chay. Es schmeckt fantastisch! Mein Hunger muss wirklich riesig gewesen sein, weil ich verdrücke die ganze Portion mit sehr viel Fleisch dran (mir ist auch diesmal wieder aufgefallen, dass die Hendl in Schwellen-/Entwicklungsländern viel mehr Fleisch dran haben als bei uns in Europa).

„Siehst du hier irgendwo einen Hinweis auf ein WC?“ frag ich Karl. Er verneint – beim Eingang ist aber ein kleines Waschbecken mit Spiegel; jeder Gast, der das Lokal betritt, wäscht sich mal die Hände. Also frag ich die Kellnerin: „Tualet?“ Sie deutet mir, dass ich mit ihr mitkommen soll. Raus auf die Strasse und dann beim nächsten Haus rein in einen Hinterhof. Mittlerweile hat es ziemlich stark zu regnen begonnen – um zur „Tualet“ zu gelangen, muss man durch ziemlichen Gatsch waten. Und das, was mich dann erwartet, dieses Scheisshaus – man entschuldige meine derbe Ausdrucksweise, obwohl, wenn ich’s mir recht überlege ist das noch ein feiner Ausdruck für diesen Ort des Grau(s)ens!!! Ein Holzverschlag mit einer kleinen Öffnung im Boden (damit keine kleinen Kinder reinfallen können) – darunter sieht (und riecht!!!) man die Gülle. Hier ist zielgerichtetes Arbeiten angesagt – die werte Leserschaft kann sich sicher vorstellen, was passiert, wenn man hier nicht fokussiert ans Werk geht. Was ich überhaupt nicht verstehe: ich bin hier in einer kleinen Stadt mit Kanalisation, in der es möglich ist, verflieste Räume mit sauberen WCs zu errichten (so wie im Hostel, das ganz in der Nähe ist). Noch dazu in einem Lokal mit gutem Essen und adretten Kellnerinnen, wo sicher auch immer wieder grosse Feiern mit elegant gekleideten Menschen stattfinden – ist das den Gästen egal???

Ich glaub, ich muss jetzt doch nicht – bis zum Hostel mit dem schönen Klo sind es eh nur ein paar Hundert Meter. Und ich hoffe, dass ich niemandem den Appetit verdorben habe!

So, der letzte Radlertag am Pamir Highway steht bevor. Und der hat es noch einmal in sich: 1000 Höhenmeter auf ca. 10 Kilometer – Gesamtstrecke 82 Kilometer bis Osh, die zweitgrößte Stadt Kirgistans. Diese 10 km Steigung ziehen sich dahin – ich schiebe und schwitze – die Sonne brennt unbarmherzig. Karl habe ich schon lange nicht mehr gesehen – der ist sicher schon auf der Passhöhe. Nach einer gefühlten Ewigkeit komme ich oben an – Karl sitzt im Schatten und isst einen Riegel. „Wartest du schon lange?“ „Ca. 15 Minuten.“ Das beruhigt mich dann doch – Karl hat den ganzen Highway nie geschoben und war aber auch nie viel schneller als ich. Ich finde, dass das Schieben auf steilen Abschnitten auch einen guten Ausgleich für den Körper darstellt. Aber das ist Geschmacksache – das muss jeder Radfahrer für sich entscheiden. Nach dem Pass gehts flott bergab, das Fahrvergnügen wird nur durch den stärker werdenden Verkehr getrübt. So viele LKW‘s brettern an uns vorbei!!. Wir merken, dass wir nach 2 Wochen, in denen wir zumeist nicht mehr als 5 Fahrzeugen pro Tag begegnet sind, den Verkehr gar nicht mehr gewohnt sind. Und in Osh herrscht sowieso Chaos pur – der Verkehr erinnert mich total an Neapel – man muss aufpassen wie ein Haftelmacher, dass man da heil durch kommt. Diese letzte Etappe zwischen Gulcha und Osh würde ich das nächste mal mit einem Taxi machen. Sie ist landschaftlich nicht besonders reizvoll, megaanstrangend und aufgrund des heftigen Verkehrs nicht ungefährlich.

Dann endlich im Hotel – wir wollen jetzt 3 Tage in Osh bleiben und dann entscheiden, wie wir weitermachen. Am nächsten Tag geht es auf den Bazaar – 2000 Jahre alt – da gibts sicher viel zu schauen. Gleich am Anfang sehe ich einen kleinen Stand, wo Kleider und Schuhe repariert werden. Da ich etliche Kilos am Pamir Highway gelassen habe (dazu habe ich mir vor der Reise in Österreich ein paar Reservekilos angefuttert), brauche ich bei meinem Gürtel 2 zusätzliche Löcher. Der Schneider/Schuster ist so nett und erledigt das gleich – er nimmt kein Geld von mir. „Rahmat“! Laut Plan soll es am Gelände des Bazaars auch eine Radwerkstätte geben – das wollen wir unbedingt sehen. Sie schaut ziemlich wild aus – glücklicherweise brauchen wir nix. Unsere Räder und Panniers haben die Strapazen des Pamir Highway exzellent überstanden – nicht einmal einen Platten hatten wir.

Im Niemandsland zwischen Tadschikistan und Kirgistan (Abfahrt vom Kyzyl Art Pass)

Kurz vor Sary Tash, der 1. Ortschaft in Kirgisien

Im homestay in Sary Tash – zum Abendessen gibts Plov mit Rindfleisch – zum Frühstück 3 Eier mit Wurst, Brot und Marmelade

Tour zum Pik Lenin Aussichtspunkt

Diese Serpentinenstraße gehts jetzt runter

Ausrangierte Fahrzeuge aus Deutschland sieht man hier oft.

Weiter gehts bergab Richtung Osh

Unterkunft bei der netten Familie des Schuldirektors

Über diese Brücke müssen wir zum Glück nicht

Am Bazar in Osh

Meine Lieblingsspeise

Mit der coolen Rentnergang in Osh

PAMIRSKI TRAKT

Es hat ca. 1 Woche gedauert, bis Karl wieder fit genug war, Richtung Pamir weiterzureisen. Am „Taxi to Pamir“ Bahnhof in Duschanbe haben wir relativ einfach Kontakt zu einem Fahrer mit Toyota Land Cruiser hergestellt. Wir wählen für die 15 stündige Fahrt in das 600km entfernte Khorog die Luxusvariante, d.h. die Fahrräder kommen ins Fahrzeug (und nicht wie sonst üblich aufs Dach) und ausser uns werden keine Personen mitgenommen – normalerweise werden in einen Land Cruiser bis zu 10 Leute reingequetscht. Preis: 4.000,00 Somoni (320,00 EUR) – sehr viel Geld in Tadschikistan.

Der Fahrer rät us noch, genügend Kopien des GBAO Permits (die Sondergenehmigung für die Pamirregion) mitzunehmen – das macht es einfacher bei den vielen Checkpoints, die uns auf der Strecke erwarten. Unser Rezeptionist ist so nett und kopiert die Permits je 10 x – das sollte reichen.

Zu Mittag werden wir dann vom Hotel abgeholt, nachdem alles im sehr geräumigen und wirklich luxuriösen Fahrzeug verstaut ist, geht es raus aus dem brütend heissen Duschanbe Richtung afghanische Grenze. Die Straßen sind anfangs noch ganz gut – am Straßenrand verkaufen Bauern Trauben, Marillen, Äpfel und Tomaten. Weiter gehts dann durch Danghara, wo 2018 bei einem Terroranschlag 4 Radtouristen (1 Pärchen aus den USA, 1 Schweizer und 1 Niederländer) ums Leben kamen. Tadschikische IS Terroristen sind mit ihrem Fahrzeug in die Radlergruppe gefahren und haben anschliessend die am Boden liegenden schwerverletzten Personen mit Macheten und Äxten attackiert. Am besten gar nicht dran denken.

Es geht immer weiter rauf in die Berge und um ca. 17:00 erreichen wir den Gebirgsfluss Panj, der die natürliche Grenze zu Afghanistan bildet. Wilde, schroffe und auch etwas furchteinflössende Berge, dazwischen tost der Panj ins Tal. Unsere Strasse führt jetzt am reißenden Fluss entlang und man kann ganz gut das Leben auf der anderen Seite in Afghanistan beobachten. Einfache Dörfer (aber in Tadschikistan sind sie auch nicht viel besser), Fussball spielende Kinder am Dorfplatz, ein Mann fährt mit einem Moped die Strasse lang – am Sozius sitzt eine Frau in blauer Burka, ein paar Männer tragen am Rücken schwere Heuballen. In den Ortschaften sieht man auch die weisse Talibanflagge mit schwarzen Schriftzeichen. Und ab und zu sieht man auch die schwarz gekleideten Taliban – immer unterwegs in einem weissen Pick-up.

Unser Fahrer spricht leider kein Englisch – wenn er uns was mitteilen will, ruft er eine englischsprechende Frau an und die übersetzt dann. Um ca. 18:00 kommen wir in die Kleinstadt Kalaikhum und dort teilt er uns mit, dass wir uns im Supermarkt noch Lebensmittel kaufen sollen, weil wir frühestens um 23:00 etwas zu essen bekommen. Wir wussten bereits im Vorfeld (auch durch die Cycling East WhatsApp Gruppe), dass die Strasse von Kalaikhum Richtung Rushan Baustelle ist – Chinesen bauen dort eine neue Strasse. Diese 100km lange Strecke ist untertags gesperrt und wird erst ab 18:00 bis 07:00 für den Verkehr geöffnet.

Was war ich froh, dass wir in einem bequemen Fahrzeug mit erfahrenem Lenker saßen – die Strasse war der absolute Horror. Schotter, Sand, wildeste Buckel, total eng – auf der einen Seite war der Berg, auf der anderen Seite ging’s steil runter zum Panj. Paris – Dakar ist nix dagegen. Und es waren extrem viele voll beladene LKW‘s – viele mit Überbreite – unterwegs. Oft hab ich mir gedacht „Das geht sich nie aus“ und unser Fahrzeug hat sich ein paar mal gefährlich nah dem Abgrund genähert. Ab und zu sind LKWs auch liegen geblieben – LKW Fahrer mit Stirnlampe ausgerüstet haben in der Dunkelheit inmitten von Staub und Steinen Reifen wechseln müssen. Auf dieser Strecke habe ich auch zum 1. Mal 5 km/h -Beschränkungen gesehen – mehr hätte man da sowieso nicht fahren können. Unser Fahrer hält sich mit Energy Drinks (nicht der Rote Bulle, sondern der Gorilla verleiht hier Flügel) wach – die leeren Dosen werden einfach durch das offene Fenster entsorgt.

Nach ca. 5 Stunden, es ist mittlerweile 23:00, wird die Strasse etwas besser und es gibt auch vereinzelt wieder kleine Siedlungen. Bei einem Haus bleibt der Fahrer stehen und deutet uns dann: Kommt rein, hier gibts Abendessen. Es ist eine einfache, ärmliche Behausung. Drinnen herrscht Vollbetrieb. Im Garten unter Maulbeerbäumen stehen mehrere Tapchans, die für Zentralasien üblichen Tagesbetten, die zum Essen und Schlafen benützt werden. Eine Gruppe Reisende hat es sich darauf mit dem Essen bequem gemacht. Auch uns wird Suppe, Brot und Tee angeboten. Ich hab keinen Hunger mehr, aber Karl nimmt gerne Gemüsesuppe und Brot. Ich trinke eine Schale Chay. Die Reisenden verschwinden dann wieder – sie haben die 5 stündige Fahrt durch den Baustellenabschnitt (in die Gegenrichtung) noch vor sich.

Da sowohl der Fahrer, als auch wir ziemlich müde sind, beschließen wir, hier auf den Tapchans zu übernachten. Duschen gibt es keine, Wasser zum Händewaschen und Zähneputzen kommt aus einem Rohr – das WC findet man leicht, man muss nur dem beißenden, grauslichen Gestank folgen. Es gibt aber auch ein paar Büsche, ich entscheide mich für den zweiten von links.

Am nächsten Tag gibt es noch Frühstück, dann geht es relativ flott nach Korogh, wo wir ein Hotel für 2 Nächte gebucht haben. Korogh ist eine nette Kleinstadt mit relativ vielen Touristen und trotz (oder gerade wegen) der Nähe zu Afghanistan mit sehr vielen westlich gekleideten Bewohnerinnen – Kopftuch trägt hier sowieso niemand. Eine afghanische Botschaft gibts hier übrigens auch. In der Touristeninfo holen wir uns noch eine Liste der homestays (Privatunterkünfte) auf dem Pamir Highway, außerdem will ich vom sehr kompetent wirkenden und perfekt Englisch sprechenden Mitarbeiter wissen, ob wir das Wasser aus den Flüssen und Bächen (ohne Filter) trinken können. „Kein Problem“, meint er „das Wasser kommt direkt aus den Bergen und kann bedenkenlos getrunken werden“. Sicherheitshalber frage ich dann noch in der „Cycling East Gruppe“ nach, ob jemand Erfahrungen mit ungefiltertem Wasser am Pamir Highway hat. Ein deutscher Radler antwortet mir, dass er nur ungefiltertes Wasser aus den Bächen getrunken hat und er hatte nie Probleme. Andere raten mir davon ab, sie meinen, sie trinken ausschliesslich gefiltertes Wasser.

Im Magazin (kleiner Supermarkt) decken wir uns noch ein mit Instantnudeln und Keksen, ausserdem brauchen wir noch eine Gaskartusche. Leider gibts nur eine Butangaskartusche – bei niedrigen Temperaturen kann es sein, dass man keine Flamme zusammenkriegt – ideal wäre eine Mischung aus Butan- und Propangas; so eine Kartusche haben sie leider nicht. Also nehme ich dann doch die Butangaskartusche und hoffe, dass es nicht zu kalt sein wird, falls wir im Zelt übernachten und selber kochen müssen.

Da wir unbedingt auch den Wakhan Korridor sehen wollen, die Straßen dort aber miserabel sein sollen, beschließen wir folgendes: Wir nehmen in Khorog ein Taxi, das uns mitsamt Rädern durch den Korridor und dann weiter rauf zur M41 (Pamir Highway Nähe Alichur) bringt und erst dort beginnen wir mit dem Radeln.

Gesagt, getan: Auch hier wieder mit einem Toyota Land Cruiser gehts runter in den Süden, den Panj entlang, vorbei an Ishkashim. Dort gibt es eine Brücke (Niemandsland) rüber nach Afghanistan und bis zur Machtübernahme durch die Taliban gab es auf dieser Brücke jede Woche einen Markt, der sowohl bei Afghanen als auch bei Tadschiken und Touristen sehr beliebt war. Aber das ist leider Geschichte. Jetzt wird das ganze Areal streng bewacht.

Vorbei durch kleine Ortschaften, auf den Wiesen sieht man Kuh- und Schafherden, auf den Feldern wird alles noch von Hand gemacht (was für eine harte Arbeit!). Auf der afghanischen Seite immer wieder Blicke in Seitentäler, wo die schneebedeckten Gipfel des Hindukusch hervorlugen. Wir müssen dann auch noch über einen Pass auf ca. 4300 m Höhe – es ist saukalt. Man sieht Schaf- und Ziegenherden mit Hirten. Eine Hirtenfamilie (Vater, Mutter, ca. 15 jähriger Sohn) kommt zum Auto, als wir uns im Schritttempo über die Buckelpiste mühen. Vater und Sohn unterhalten sich mit dem Fahrer – ich zücke mein Handy und frage die Frau, ob ich ein Foto von ihnen machen darf. Die hat sich gefreut – sofort hat sie den Schal, den sie als Wind- und Sonnenschutz vor Mund und Nase hat, abgenommen und das Kopftuch zurechtgerückt. Dann ein freundliches Lächeln aufgesetzt, während die 2 Männer gar nix von der ganzen Fotosession mitbekommen, weil sie so sehr in das Gespräch mit dem Fahrer vertieft sind. Später kommt ein weiterer Hirte, der dem Fahrer ein paar Zigaretten abschnorrt – auch er lässt sich gerne fotografieren.

Unsere Entscheidung, den Wakhan Korridor mit dem Taxi zu machen war goldrichtig: die Strasse wird immer schlimmer. Teilweise extrem steile Passagen, kein Asphalt, nur Schotter und Sand, wilde Rumpelpisten. Und dann beginnt es auch noch zu regnen. Wir sehen 2 voll bepackte Radfahrer, wie sie sich abplagen – ich beneide sie nicht.

Endlich kommen wir rauf zur M41 auf 4.000m Höhe – tatsächlich asphaltiert mit ein paar Schlaglöchern, aber noch geht sie eben dahin und ist super zum Radeln. Es ist mittlerweile 18:00, die Sonne geht bald unter und wir kommen zu einem homestay. Vor dem Gebäude stehen eine ganze Menge Räder. Wir laden unsere Sachen aus dem Taxi – der Taxifahrer fährt wieder zurück nach Khorogh. Wir haben Glück: es gibt noch freie Betten. Im Vorraum stehen mindestens 10 Paar Schuhe, weiter in die Wohnküche. Links wird schon fleissig gekocht – um 19:00 gibt es Abendessen. Am langen Tisch sitzen ausschliesslich Männer, trinken Tee und unterhalten sich. „Hi, good evening!“ „Good evening“ kommt es freundlich zurück. Auf der rechten Seite gibt es ein Waschbecken mit einem kleinen Spiegel – dort kann man sich die Hände waschen und Zähne putzen. Weiter vorne steht ein Ofen – er wird beheizt mit getrocknetem Kuhdung – auf der Platte ein grosser Topf mit kochendem Wasser. Links neben dem Ofen die Tür zur Dusche: ein paar Männer am Tisch (mit Handtuch um den Hals) warten drauf, dass sie an der Reihe sind. Rechts führen 2 Türen in die Schlafräume – ich stell meine Radtaschen gleich in den 2. Raum, in welchem noch 2 Betten frei sind. Es sind ohnehin nur 3 Betten drinnen – auf einem Bett sitzt Anne aus der Schweiz und liest. Sie ist älter als ich und bereits die 2. Nacht im homestay, weil sie sich etwas auskurieren muss, ausserdem wartet sie auf ihren Freund, der am nächsten Tag mit dem Taxi nachkommen soll.

Am Tisch steht eine Schüssel mit süßen Marillen, ein Teller mit Fladenbrot und eine Schale mit Butter. Ich greife gleich zu bei den Marillen – Karl macht sich ein Butterbrot.

Um Punkt 19:00 sitzen alle am Tisch – Futter gibts! Eine Gemüsesuppe und dann Plov mit Rindfleisch. Und dann kommt man auch zum Reden: alle sind mit dem Rad da. Eine 6-er Gruppe (2 Deutsche Mitte 30, 1 Schweizer Mitte 30, 3 Inder – 2 davon ca. 60, 1 Mitte 30) ist seit 1 Monat gemeinsam unterwegs. Sie haben einander vorher nicht gekannt und sich über das Internet kennengelernt und wollen durch dieses Experiment rausfinden, wie eine bunt zusammengewürfelte Truppe in Extremsituationen funktioniert. Sie haben den Wakhan Korridor mit dem Rad gemacht (mit vielen Übernachtungen im Zelt in der Wildnis), mussten dabei natürlich immer auf den Schwächsten Rücksicht nehmen bzw. ihn unterstützen, damit die Gruppe vorwärts kam. Sie erzählen, dass mittlerweile die Zusammenarbeit so gut klappt, dass wenn immer jemand einen Platten hat, der Schlauchwechsel abläuft, wie ein Boxenstopp beim Formel 1 Rennen. Super Sache!

Ein weiterer Radler am Tisch ist Daniel aus Polen (ich schätze ihn auf ca. 40). Er kommt aus Stettin und hatte 2015 folgende verrückte Idee: Er möchte in jener Großstadt, die am weitesten von seiner Heimatstadt entfernt liegt und ebenfalls mit „S“ beginnt mit dem Rad starten und dann zurück nach Polen radeln. Und so kam es, dass er sein Rad für den Flug verpackte, nach Sydney flog und dort mit dem Radeln Richtung Stettin begann. Mit vielen Unterbrechungen – er arbeitet zwischendurch auch immer wieder – hat er mittlerweile ca. 50% des Weges geschafft. Sein Nickname auf WhatsApp (er ist natürlich auch in der Cycling East Gruppe) lautet DanTheManWithNoPlan – wie passend! Die Inder am Tisch fragen ihn, wie er das Radfahren in Indien empfunden hat (er war ein paar Monate mit dem Rad am Subkontinent unterwegs). Das Schlimmste an Indien war für ihn „the absolute lack of privacy“. Wann immer er wo hin kam, wurde er von Hunderten Leuten umringt, die ihn und sein Rad anfassten. Und einmal stellte er sein Zelt im Garten eines Hotels auf (nachdem er das Okay vom Hotel hatte) und lag dann im Zelt und las – da wurde doch glatt von aussen der Reißverschluss geöffnet und ein Inder steckte neugierig seinen Kopf ins Innere. Und noch eine Besonderheit aus Indien: die furchtbaren Hupen. Er erzählt, dass er oft durch wirklich schöne ruhige Gegenden geradelt ist, dann kommt ein Auto daher und der Fahrer hupt begeistert – ein furchtbar lautes Gedudel, das mindestens 5 Minuten anhält – er ist seit Indien halb derrisch.

Ich mag solche bunt zusammengewürfelte Runden von unkomplizierten Abenteurern mit verschiedenen Nationalitäten, wo jeder wilde, verrückte Geschichten zu erzählen hat und eines haben diese zufälligen Treffen gemein: sie finden immer an Orten statt, wo es absolut keinen Luxus gibt. Abenteuer und Luxus scheinen einander auszuschließen.

Und so ist der einzige Luxus in diesem homestay auf 4.000m Höhe der Anblick des wundervollen, durch keine Lichtverschmutzung beeinträchtigten Sternenhimmels, wenn man in der Nacht auf das WC, welches sich im Freien in einem Verschlag neben dem Kuhstall befindet, muss.

So, unser erster Radlertag auf 4.000hm steht bevor. Während ich am Abend vorher noch leichte Kopfschmerzen und Schwindel hatte, geht es mir jetzt sehr gut. Zum Frühstück gibts eine Schüssel mit Milchreis, dazu Brot, Butter und Kaffee. Wir verabschieden uns von der homestay-Betreiberin und den anderen Radlern, dann fahren wir noch zum Dorfbrunnen, um unsere Wasserflaschen aufzufüllen. Unser Ziel für heute ist die 110 km entfernte Stadt Murghab – wir müssen dabei über einen Pass und werden mit Anstieg und Gegenanstieg auf ca. 700hm kommen. Wir haben aber auch Zelt und Lebensmittel dabei, sollten wir die Distanz nicht schaffen (dazwischen gibt es keine Siedlung). Der Wettergott ist uns hold – Sonnenschein, strahlend blauer Himmel und Rückenwind! Los gehts!

Die Landschaft ist wirklich beeindruckend. Imposante Berge, soweit das Auge reicht. Die Strasse ist okay, ab und zu ein Schlagloch, aber damit kann ich leben. So gut wie kein Verkehr, das heisst ich kann in der Mitte der Strasse dahinflitzen. Karl zieht schon wieder davon – ich lass mir Zeit und fahr mein Tempo. Dann kommt die 1. Steigung: Puhh, mir geht gleich die Luft aus! Absteigen, schieben und alle 20 Schritte eine Verschnaufpause! Ich schnauf mich den Anstieg hoch – dann geht es wieder eben dahin. Mit Unterstützung durch den Rückenwind erreichen wir den Pass am frühen Nachmittag. Beide kämpfen wir mit der dünnen Luft. Jetzt ist es Zeit für eine Pause. Wir suchen uns einen windgeschützten Platz, essen ein paar Kekse und beobachten einen Konvoi von 4 LKW‘s, die sich dem Pass nähern. Da sie sehr viel Staub aufwirbeln, wollen wir warten, bis sie vorbei sind, bevor wir uns wieder in den Sattel schwingen. Die LKW-Fahrer in Fahrzeugen mit Aufschriften von Militzer und Münch/CH bzw. Angermayr aus dem Innviertel (alle mit tadschikischen Kennzeichen) winken uns freundlich zu. Nicht nur PKW’s, sondern auch abgeschriebene LKW’s aus Mitteleuropa leisten hier in Zentralasien noch wertvolle Dienste. Die Hälfte der Strecke haben wir fast geschafft – jetzt geht es nur noch bergab oder eben dahin.

Was für ein Genussradeln inmitten einer unglaublichen Bergwelt! Soweit es die Strasse zulässt, können wir die Räder einfach laufen lassen. Ca. 25 Kilometer vor Murghab kommt uns ein vollbepackter Reiseradler entgegen. Konrad, ein junger, sehr zarter Mann aus Halle an der Saale. Er will heute noch 50 km machen und dann noch Zelt aufbauen und kochen – hat dabei aber einen ordentlichen Anstieg mit Gegenwind zu bewältigen. Ich beneide ihn nicht. Er gibt uns dann noch einen Tipp bezüglich homestay in Murghab, dann geht es weiter. 15 Kilometer vor dem Ziel kommt noch einmal ein knackiger Anstieg – Karl ist ca. hundert Meter hinter mir und ich sehe, wie ein LKW neben ihm hält und der Fahrer mit ihm spricht. Dann fährt er weiter. Karl holt mich bald ein und erzählt mir, dass ihm der Fahrer angeboten hatte, uns bis Murghab mitzunehmen. „Und du hast abgelehnt – wie konntest du nur?“ „Es sind doch nur noch 15 Kilometer – das schaffen wir auch ohne Mitfahrgelegenheit.“ Die Steigung ist wirklich heftig – ich schnaufe und schiebe. Da werde ich von 2 Motorradfahrern (1 x Neuseeland, 1 x Deutschland) überholt, beide versuchen, mich mit einem „Daumen hoch“ zu motivieren – ich winke müde lächelnd zurück. Endlich gehts wieder bergab, aber jetzt wird’s richtig zäh. Die letzten 10 Kilometer ziehen sich dahin – ich spüre, wie sich bleierne Müdigkeit über mich legt. Irgendwann kommen wir zu dem homestay, das uns Konrad empfohlen hat – es liegt auf einer kleinen Anhöhe. Ich warte unten bei der Strasse, während Karl zum homestay rauffährt. Ich seh dann, wie er sich mit der Besitzerin unterhält und wie sie runter Richtung Zentrum zeigt. Nein, ich will jetzt nicht mehr weiterfahren – ich bin todmüde. Karl fährt wieder runter zu mir. „Sie hat nur 1 freies Bett. Aber es gibt noch ein anderes homestay im Zentrum. Dort sollen wir es versuchen.“ „Nein, wir nehmen das freie Bett und fragen sie, ob wir im Zimmer unsere Matte ausrollen dürfen – Schlafsack drauf und geht schon.“ „Dann frag du sie, ob das geht.“ sagt Karl. Ich lass das Rad bei der Strasse und geh rauf. Die Besitzerin, eine Kirgisin steht grad in der Küche und schnipselt Gemüse. Sie spricht ein bisschen Englisch. Ich frage sie, ob wir im Zimmer, in dem das freie Bett steht unsere Matte ausrollen dürfen, sodass wir beide einen Schlafplatz haben. Sie geht mit mir in das betreffende Zimmer – ein schneller Blick reicht: an einer Wand ist mehr als genug Platz für eine 80 x 200 cm Matte. Zwei weitere Betten in dem Raum sind bereits belegt von 2 sympathischen jungen Männern. „Hi guys, we are 2 persons and there is just 1 free bed in here. Do you mind if we put our mat here, so that we both have a place to sleep.“ „No problem, just go ahead“ meinen die beiden Geologen aus Amsterdam und einer stellt auch gleich seine Tasche woanders hin, sodass Platz für die Matte ist. Überglücklich, einen Platz zum Schlafen zu haben gehe ich raus zu Karl. Er hilft mir dann, mein Rad die kleine Steigung hochzuschieben (ich bin sooooo müde) und er erklärt sich galanterweise dazu bereit, mir das Bett zu überlassen.

Irgendwo dürften die homestay-Besitzer dann aber doch noch ein Bett aufgetrieben haben, denn während wir beim Abendessen sitzen, wird ein Bettgestell samt Matratze ins Zimmer gebracht und so kann zum Schluss jeder in einem Bett schlafen.

Beim Abendessen treffen wir dann auch Gerhard, einen deutschen Reiseradler, 55 Jahre alt. Er hat Job und Wohnung aufgegeben und lebt von Ersparnissen. Er ist jetzt schon längere Zeit in Zentralasien unterwegs, nachdem er zuvor durch Saudi Arabien, Oman, die Golfstaaten und den Iran geradelt ist. Und als nächstes Land plant er tatsächlich Afghanistan – er ist in einer Afghanistan Radreise WhatsApp Gruppe und meint, dass einige männliche Radler aus westlichen Ländern momentan im Land am Hindukusch unterwegs sind. Durch die WhatsApp Gruppe bekommt er wichtige Infos und er hat keine allzu großen Bedenken, das Land zu bereisen. Er erzählt ausserdem, dass er vor 2 Tagen 2 junge Österreicherinnen getroffen hat – sie sind im Februar mit dem Rad aus Österreich weggefahren und jetzt im Pamir unterwegs.

Die beiden holländischen Geologen, mit denen wir unser Zimmer teilen, sind mit einem in Duschanbe angemieteten Toyota Land Cruiser unterwegs. Sie interessieren sich primär für Höhlen und hoffen ausserdem, bei ihren geplanten Wandertouren durch die Berge Tadschikistans Marco Polo Schafe und eventuell auch einen Schneeleoparden (sehr scheu) zu treffen.

Der nächste Tag ist ein Rasttag (glücklicherweise hat Karl nix dagegen – ich hab schon befürchtet, dass er gleich die 120 km lange Strecke mit vielen Höhenmetern bis in die nächste Ortschaft – Karakul- machen will) – wir haben also Zeit, uns Murghab ein bisschen näher anzusehen. Was gleich auffällt: hier wohnen fast ausschliesslich ethnische Kirgisen. Die ca. 7000 Einwohner zählende Ortschaft in 3600m Höhe wirkt sehr arm – die staubige Haupteinkaufstrasse besteht aus Containern, in welchen man einfache Güter erwerben kann.

Da Karl ziemliche Probleme mit der dünnen Höhenluft hat, beschließen wir, uns für den nächsten Tag wieder motorisierte Unterstützung zu organisieren. Geplant ist folgendes: wir fahren mit einem Jeep rauf auf den 70 km entfernten Ak Baital Pass auf 4655m und von der Passhöhe radeln wir dann ca. 50 km nach Karakul auf 3900m, die nächste Ortschaft am Highway. So ersparen wir uns kräfteraubende 1000 Höhenmeter bergauf und schaffen es mit Sicherheit nach Karakul, wo es homestays gibt. Relativ rasch finden wir einen Mann mit Jeep, mit dem wir ausmachen, dass er uns am nächsten Tag um 09:00 von unserem homestay abholen soll. Am nächsten Morgen sind unsere Sachen rasch im Auto verstaut – die beiden Räder werden am Dachträger fixiert – Karl prüft noch mal, ob eh nix hin und her wackelt. Dann gehts rauf Richtung Passhöhe – zuerst noch auf relativ guter Asphaltstraße immer am chinesischen Grenzzaun entlang, dann allerdings wird’s immer steiler und die Asphaltstraße wird zu einer schlimmen Schotter/Sand – Buckelpiste. Bin ich froh, dass ich da nicht radeln muss! Auf der Passhöhe treffen wir noch 2 Schweizer auf ihren Rädern und ausserdem eine in Algerien lebende Salzburgerin, die mit ihrem kasachischen Partner im Jeep unterwegs ist. Sie freut sich riesig, eine Landsfrau zu treffen – sie ist jetzt schon einige Zeit in Zentralasien unterwegs und hat bis dato keine einzige Person aus Österreich getroffen. Das ist etwas, worüber ich mich auch immer wundere. Man trifft extrem viele Deutsche (auf mein Inserat auf der Reiseplattform haben sich ja auch ausschliesslich Deutsche gemeldet), Schweizer (weniger Einwohner als Österreich!), Holländer und Franzosen – aber wo sind die Österreicher? Sind die nicht abenteuerlustig genug, wollen auf den gewohnten Luxus nicht verzichten und wollen immer auf Nummer Sicher gehen? Machen die nur organisierte Reisen, All-Inclusive Urlaube und Kreuzfahrten? Ich weiss es nicht.

Die Räder werden auf der Passhöhe wieder vom Autodach geholt – Radtaschen rauf und los gehts runter Richtung Karakul. Die Strasse ist der reinste Horror – Waschbrett-Buckelpiste auf einem Sand/Schottergemisch!!! Man kann nicht beschleunigen und wird die ganze Zeit durchgerüttelt. Schon nach kurzer Zeit spüre ich ein Brennen im oberen Rücken – das kommt von der verkrampften Haltung am Rad. Nach ca. 16 Kilometer – wir brauchen dafür eine Ewigkeit -machen wir eine Pause am Straßenrand. „Also, wenn das so weitergeht, schaffe ich das heute nicht bis Karakul.“ sage ich. Karl meint, dass sicher bald Asphalt kommen wird. Sein Wort in Gottes Ohr! Und tatsächlich, ca. 200m später Asphalt – zwar nicht perfekt mit einigen Schlaglöchern, aber man kann beschleunigen. Dann kommt aber plötzlich Gegenwind und einige Steigungen – also zu früh gefreut. Irgendwann aber – es geht jetzt wirklich nur noch eben dahin oder bergab – dreht der Wind noch einmal und schiebt uns richtiggehend den Berg hinab. Die letzten 25 km unserer Tagesetappe sind wieder reinstes Fahrvergnügen – wir flitzen nur so dahin. Wir sind umgeben von schneebedeckten Sechs- und Siebentausendern, die Sonne scheint und dann sehen wir ihn: den Karakul (Schwarzer See) – majestätisch in dunklem blau liegt er da inmitten der Berge. Das ca. 300m entfernte Seeufer verläuft dann über längere Zeit parallel zu unserer Strasse – wir sehen, dass am Seeufer 2 Radfahrer unterwegs sind. „Aha, da gibt es auch einen Weg“ meint Karl. Der Seeweg mündet dann aber irgendwann in die Asphaltstraße, die wir entlangfahren und kurz bevor wir zu dieser Einmündung kommen, erreichen auch die 2 Radfahrer die Asphaltstraße. Und was dann folgt, ist ein Bild für Götter. Die 2 Männer stellen ihre voll bepackten Räder ab, fallen auf die Knie, beugen sich nach vor und küssen den Asphalt. Wir haben Augen gemacht! Sie schauen wirklich fertig aus – „Hi guys. You look as if you would come right out of hell.“ begrüße ich die beiden. Sie scheinen in meinem Alter zu sein. Beide sehr dünn – einer extrem gross, sicher 2 m. Der Lange antwortet auf Englisch, dass sie durch das extrem abgeschiedene Batang Valley rauf zum See gefahren sind und dass es megaanstrengend war. Nach seinem 2. Satz denk ich mir: „Das ist ein Österreicher oder Deutscher“. Der Akzent und wie er „the“ ausspricht, nämlich als „se“, das ist typisch für Österreicher und Deutsche, die irgendwann in der Schule Englisch gelernt haben und es dann selten bis nie gebraucht haben. Ein Blick auf seine Ortlieb-Radtaschen und sein Hemd von Maier Sports, einem schwäbischen Hersteller macht mich sicher. „Wir können uns auch auf Deutsch unterhalten“ sage ich. Kurzer, irritierter Blick – dann sagt er: „Ja, wir sind Deutsche. Woher kommt ihr?“ „Bayern“ – ich deute auf Karl und „Österreich“. Wieder keine Österreicher, denk ich mir.

Wir haben dann nur noch ein paar Kilometer bis in den Ort Karakul, wo wir noch ein polnisches Radfahrerpaar treffen, das vergangene Nacht in einer aufgelassenen Karawanserei geschlafen hat – soll sehr cool gewesen sein.

Wir finden recht schnell ein homestay mit freien Betten – Dusche gibt es keine und das WC ist ein Verschlag im Hinterhof (das heisst, ich werde in der Nacht wieder den Sternenhimmel bewundern dürfen, wenn ich pinkeln muss). Die kirgisischen homestay Betreiber sind sehr nett – sie haben 3 Töchter mit 12, 10 und 4 Jahren und einen Sohn mit 2. Die 10 jährige ist sehr quirlig und spricht etwas Englisch. Die älteren Töchter helfen fleissig mit beim Servieren und Abservieren – es gibt eine feine Gemüsesuppe mit Reiseinlage, selbstgebackenes Fladenbrot und ausgezeichnet schmeckende Yakbutter. Und als Dessert ein Schälchen mit eingelegten sauren Kirschen – uj, da muss ich schnell sein, sonst isst mir Karl alles weg!!

Nach dem Abendessen merke ich, dass ich den ärgsten Muskelkater (Oberschenkelvorderseite) habe – ausserdem eine Blase zwischen Daumen und Zeigefinger (ich hab mich die ganze Zeit am Lenker festgekrallt) – Souvenirs der schrecklichen Buckelpiste von heute. Das Brennen im oberen Rücken ist verschwunden.

Da ich sicher bin, dass der Muskelkater am nächsten Tag noch nicht verschwunden sein wird, beschließen wir auch hier einen Rasttag. In dem auf 3900m gelegenen Ort Karakul – bettelarm – weit weg von den nächsten Orten (120km über den 4655m hohen Ak Baital Pass nach Murghab bzw. 100km über den 4250m hohen Kyzyl-Art Pass nach Sary Tash in Kirgistan) hat man das Gefühl, am Ende der Welt angekommen zu sein. Hier gibts absolut nichts. Ein kleines Magazin, wo wir einen Touristen treffen und kaum glauben können, was wir sehen. Als ob man einen Paradiesvogel am Ende der Welt inmitten von Staub und Steinen ausgesetzt hat. Der ca. 50 jährige Typ trägt grell gelbe Sportschuhe, ein grell grünes Shirt mit dazupassender kurzer Hose – als ob er sich gerade aus einem hippen Fitnessclub in Manhattan hierher gebeamt hätte. Er wirkt völlig deplatziert. Was macht der da???

Am Rasttag (mein Muskelkater ist noch immer heftig zu spüren) machen wir einen kleinen Spaziergang am Karakulsee. Der Salzsee ist höher gelegen als der Titicacasee, an Schwimmen ist nicht zu denken – er ist ziemlich kalt und die ganze Zeit weht frischer Wind – ein Paradies für Segler und Kitesurfer (man sieht aber niemanden am Wasser). Tatsächlich fand hier zwischen 2014 und 2018 die „Roof of the World Regatta“ statt – der höchstgelegene Segel- und Kitesurfbewerb inmitten von spektakulärem Bergpanorama.

Am nächsten Tag planen wir, die Grenze nach Kirgistan zu überschreiten und dort dann weiter zu radeln. Zwischen Tadschikistan und Kirgistan gibt es Grenzstreitigkeiten (letztes Jahr gab es deswegen ein paar Hundert tote Soldaten) – der Grenzübergang am Kyzyl-Art Pass, den wir benutzen werden war lange Zeit komplett gesperrt, jetzt ist er ausschliesslich für Touristen geöffnet. Man kann die Grenze aber nicht einfach passieren (auch wenn man als EU Bürger bis zu 30 Tage ohne Visum im Kirgistan bleiben kann), sondern man muss im Vorfeld eine mail an die kirgisische Regierung senden mit der Info, dass man beabsichtigt, über diesen Grenzübergang ein- oder auszureisen (dazu ungefährer Zeitpunkt der Ein/Ausreise und Foto des Reisepasses). Dann kommt man auf eine Liste, die am Grenzübergang aufliegt – ist man nicht auf der Liste, wird einem der Grenzübertritt verweigert. Wir haben diese mail an die Regierung bereits vor einer Woche geschickt und die Rückbestätigung bekommen, dass wir bereits auf der Liste stehen.

Am nächsten Morgen noch einmal Frühstück im homestay. Es gibt Griesskoch, selbstgemachtes Fladenbrot und Yakbutter. Hier in Karakul haben wir ausser der Yakbutter ausschliesslich vegane Gerichte bekommen, alle sehr gut zubereitet. Ich frage mich eh, wie man in dieser lebensfeindlichen Umgebung (kein Obst, kein Gemüse – der nächste Ort mindestens 100km entfernt) überhaupt überleben kann – im Winter, der hier 9 Monate dauert, ist es noch einmal schwieriger.

Die Mädchen der homestay Familie sind ursüss – sie kommen in der Früh in mein Zimmer und schauen mir neugierig zu, wie ich mir die Haare kämme und dann zu einem Pferdeschwanz zusammenbinde. Dann kommt die 10 jährige, quirlige Fatima her, berührt meine Haare und sagt: „Very good!“ Ich berühre daraufhin ihren langen, schwarzen Zopf und sage:“Very good too!“ Lautes Gekicher der Mädchen.

Der Grenzübergang liegt wie gesagt auf einer Passhöhe und wir beschließen – so wie bereits beim Ak Baital Pass – uns mit einem Jeep auf die Passhöhe raufbringen zu lassen und erst dann mit dem Radeln zu beginnen. Bis zur nächsten Ortschaft Sary-Tash in Kirgisien sind es dann noch immer über 50km – das reicht für einen Tag.

Unser homestay Besitzer hat einen Jeep – wir haben noch einige tadschikische Somoni übrig – der Deal steht: wir geben ihm unsere restlichen Somoni, dafür bringt er uns rauf auf den Pass. Schnell sind die Räder am Dachträger fixiert und die Radtaschen im Wageninneren verstaut, noch einmal den süßen Mädchen zugewunken und schon gehts los. Auch hier am Anfang wieder ganz passable Straßen, je näher wir dem Pass kommen, desto katastrophaler der Untergrund. Nie und nimmer möchte ich mich hier mit dem Rad raufquälen müssen! Die letzten 200 m vor dem Pass sind so steil und wild: hier müsste man die Radtaschen runternehmen und gesondert rauftragen.

Oben am Pass angekommen sehen wir bereits eine Menge tadschikischer Soldaten. Karl hat mit seinem Handy in Richtung tadschikischer Grenzstation fotografiert – so schnell konnte er gar nicht schauen, war ein Soldat da und er musste das Foto wieder löschen.

So, jetzt die Räder wieder runter vom Dachträger, die Taschen anbringen, Buff und Handschuhe anziehen (hier ist es saukalt) und dann schieben wir die Räder Richtung Grenzstation. Dort stehen 3 Aussies mit ihren Motorrädern. Einer zeigt auf uns beide und fragt: „So, whose idea was it, to cycle this absolute insane highway?“ „It was mine.“ antworte ich. Er mustert mich von oben bis unten und meint grinsend: „That‘s what I thought anyway. Crazy woman.“ Die 3 kommen grad aus Kirgistan und warnen uns, weil der 1. Teil der uns bevorstehenden Etappe ziemlich heftig sein soll. Sie sagen auch, dass sie alle Radfahrer bewundern, die sich diesen Höllentrip antun.

Anschließend zur Passkontrolle: wir werden in ein Zimmer gebeten, dort sitzt ein Obermacho in Zivilkleidung, lässig eine Zigarette im Mundwinkel. Kein Computer – langsam trägt er unsere Personalien in ein dickes Heft ein. Dann dürfen wir weiter.

Nach weiteren 100m wird unser Gepäck kontrolliert. Ein sehr junger Soldat in zerschliessener Uniform mit Flip-Flops an den Füssen kommt zu mir. „Open please“. Ich fange mit der Top Rack Tasche an – da habe ich die Campingsachen und Lebensmittel drinnen. Ganz oben liegt eine grosse Packung Kekse – ich sehe , wie er große Augen bekommt und frag ihn, ob er sie haben will. „Yes please“ und schon wechseln die Kekse den Besitzer. Darunter 4 Packungen Instant Nudeln – ich gebe ihm 2 Packungen, er ist überglücklich und zieht mit seiner Beute ab. Sein Mittagessen ist gesichert und die restlichen Taschen interessieren ihn nicht mehr.

Das ganze erinnert mich sehr an Geschäftsreisen in die Tschechoslowakei zu kommunistischen Zeiten. An der Grenze konnte es ewig lang dauern und Schikane durch tschechoslowakische Grenzbeamte gehörte zur Tagesordnung. Als Normalsterblicher ist man in der CSSR nicht an Bananen gekommen. Also habe ich immer mindestens 10kg Bananen im Kofferraum dabei gehabt und siehe da, die Wartezeit an der Grenze hat sich drastisch verringert.

So, das war jetzt ein urlanger Blogbeitrag (obwohl ich über vieles gar nicht berichtet habe). Bin jetzt schon seit ein paar Tagen in Kirgistan – dazu mehr im nächsten Beitrag.

Am Fluss Panj – Afghanistan befindet sich auf der anderen Seite

Ein für Zentralasien typischer Tapchan (Tagesbett) auf welchem man isst oder …

schläft (hier ein eher untypischer gemauerter Tapchan)

Das hier ist die edle Variante im Stadtpark von Korogh.

Schulbus in Khorog. Der Kirgise daneben trägt eine typisch kirgisische Kopfbedeckung.

Blick rüber nach Afghanistan

Hirtenfamilie auf 4300m Höhe

Dieser Hirte freut sich über ein paar Zigaretten

Full House im homestay in Alichur

Unser Zimmer im homestay

Das WC im homestay in Alichur

Am Brunnen füllen wir unsere Wasserflaschen auf, bevor es losgeht mit dem Radeln

Jetzt geht es los Richtung Osten

Vorbei an einer Jurte, wo man auch übernachten könnte

Endlich im homestay in Murghab

Bei einer netten kirgisischen Familie

Gibts was Leckeres zum Essen.

Süße kirgisische Mädchen in Murghob

Karl prüft, ob die Räder eh gut fixiert sind

Am Ak Baital Pass auf 4655m treffen wir eine Salzburgerin mit ihrem kasachischen Freund und 2 Schweizer Radler

Weiter gehts auf Schotter

Vorbei an einer Jurte, in der man übernachten kann. Im Bild die hübsche kirgisische Jurtenbesitzerin mit ihren 3- und 4-jährigen Söhnen.

Wir nähern uns dem Karakul-See.

Und finden ein homestay.

Backofen und WC im homestay

Tom aus Holland und Julien aus Frankreich auf Radweltreise