Am 24.1. ging es von Ferrara recht gemütlich nach Argenta, wo ich bereits nach ein paar Stunden in meinem Quartier (Ca Morari, ein tolles Landhaus) eintraf. Für den nächsten Tag war dann eine ebenfalls sehr entspannte Tour nach Ravenna geplant – ca. 40 km sollten es werden. Der Radweg von Ferrara nach Ravenna ist streckenweise ident mit der Via Romea Germanica, das ist der 2200km lange Pilgerweg von der Hansestadt Stade nach Rom. Pilger trifft man zu dieser Jahreszeit aber nicht, ab und zu Spaziergänger, Jogger oder Rennradfahrer.
Ich plane und navigiere meine Touren über Komoot und auch auf dieser Strecke war eine Fährfahrt dabei – kein Wunder in einer Gegend, die von einem dichten Wassernetz durchzogen ist. Komoot weist bereits bei der Planung darauf hin, dass man sich im Vorfeld über die aktuellen Abfahrtszeiten der Fähre erkundigen soll. Ich habe das nicht gemacht, weil ich bei den bisherigen Fährfahrten maximal 1 Stunde auf die nächste Fähre warten musste und bin davon ausgegangen, dass es auch diesmal so sein wird.
Also radle ich ganz relaxed am Damm entlang, das Wetter war ideal – ich konnte sogar ohne Handschuhe radeln, so warm war es. Circa 1 km vor der Anlegestelle habe ich am Damm einen älteren Spaziergänger mit angeleintem (mittelgroßen) Hund überholt. Und dann komm ich zur Anlegestelle: da steht eine Tafel mit der Information, dass es im Winter keinen Fährbetrieb gibt und die nächste Fähre am 1. März geht. Na so lang will ich dann auch nicht warten. Also, Handy raus und checken, wie (Fähre oder Brücke) und wo ich über diesen Kanal komme.
Ich war gerade in die Planung vertieft, als dieser Spaziergänger, den ich zuvor überholt hatte, am Damm daherkam und mir etwas mit verzweifelter Stimme zurief (er stand oben am Damm und ich war unten bei der Anlegestelle). Ich habe ihn nicht gleich verstanden, hatte aber das Gefühl, dass da irgendwas nicht stimmt. Auch der Hund war nicht mehr bei ihm. Bei genauerem Hinsehen habe ich bemerkt, dass eine Gesichtshälfte total blutig war und in der Hand hielt er ein blutverschmiertes Stofftaschentuch. Also fuhr ich rauf zu ihm und er erzählte mir, dass sich der Hund losgerissen hat (weil er im Gebüsch ein Tier erspäht hatte) und ihn dabei zu Fall brachte. Das Resultat waren 3 ordentliche Cuts (1xStirn, 1xNase, 1xWange) und der Hund war auch verschwunden. Mit dem Stofftaschentuch hat er die Blutung so halbwegs gestillt und lehnte auch dankend ab, als ich ihm anbot, das mit meinem Erste-Hilfe-Set zu versorgen. Er meinte, das sei nicht so schlimm, viel schlimmer wäre, dass der Hund weg ist und ob ich ihm bei der Suche behilflich sein könnte. Er würde mittlerweile auf der Böschung nach dem Tier suchen.
Okay, also fuhr ich den Damm entlang und hielt Ausschau nach dem Hund und siehe da, nach ca. 1 km stand er da am Damm mit der Leine im Schlepptau. Jedes mal, wenn ich versucht habe, die Leine zu fassen, ist er ein paar Meter weiter gelaufen. In diesem Moment kommt ein Auto daher – ich habe es angehalten und dem Fahrer zu verstehen gegeben, dass dieser Hund hier einem Mann gehört, der in ca. 1km Entfernung im Bereich der Böschung verzweifelt nach eben diesem Tier sucht und ob er so nett sein könnte, mit dem Auto zu diesem Mann zu fahren und ihm zu sagen, dass der Hund gefunden wurde. Ich würde in der Zwischenzeit weiter versuchen, den Hund einzufangen.
Jetzt muss man dazu sagen, dass sowohl der Hundebesitzer, als auch der Autofahrer nur italienisch sprachen und mein italienisch nur rudimentär vorhanden ist. Ich verstehe zwar so einiges, aber wenn ich italienisch spreche, so ist das ein Misch-Masch aus spanisch (das ich so halbwegs beherrsche) und italienisch. Umso erstaunter bin ich jedes mal, wenn die Leute mein Kauderwelsch dann doch verstehen.
Es ist mir zwar nicht gelungen, den Hund einzufangen, aber schon nach ein paar Minuten kam der Autofahrer mit dem Hundebesitzer und es gab ein Happy End für Mann und Hund.
Die beiden Herren haben sich dann von mir verabschiedet und sich bedankt – der Autofahrer hat gesagt, dass sie zum Arzt fahren, damit die Wunden professionell versorgt werden.
So, und jetzt konnte ich mich auf den weiteren Weg Richtung Ravenna machen: es gab eine Brücke in einiger Entfernung und dort konnte ich den Kanal überqueren. Wie schon erwähnt, es gibt im Po-Delta eine Unmenge an Wasserwegen und so waren noch einige Brücken zu queren, um weiter in den Süden zu gelangen. Und sobald eine dieser Brücken gesperrt ist (was bei mir der Fall war), so muss man noch einmal einige Extra-km in Kauf nehmen. Und dann war noch eine Straße, die laut Komoot (und auch laut analoger Straßenkarte) eine ganz normale öffentliche Straße sein soll, als Privatstraße mit „Durchfahrt verboten“und Hinweis auf landwirtschaftliche Schwerfahrzeuge, gekennzeichnet. Man muss aber diese Straße passieren, um zur 4km entfernten Brücke zu gelangen, es sei denn, man nimmt noch einen Umweg von 15km in Kauf. In diesem Fall bin ich einfach über die „Privatstraße“ gefahren – ich hätte mich einfach dumm gestellt, falls mich jemand aufgehalten hätte.
Aber, niemand hat mich aufgehalten und ich bin schließlich nach 80 geradelten km (statt der ursprünglich geplanten 40km) in Ravenna, der Mosaik- und Piadinastadt angekommen. Ich bin 2 Nächte in einem kleinen Hotel im Zentrum (mit einer sehr netten, engagierten Chefin) geblieben – das Fahrrad durfte in der Wäscherei des Hotels übernachten. Und so hatte ich wieder 1 Tag Zeit für Sightseeing (wunderschöne Kirchen mit bunten Mosaiken) und Faulenzen.
Dann ging es weiter über Imola nach Bologna, wo ich gestern angekommen bin (mein Fahrrad darf im Büro des Hotelmanagers übernachten:-). Und hier ist sehr viel los – die autofreie Altstadt mit Piazza Maggiore und die Mercati mit ihren kulinarischen Versuchungen sind bummvoll – alle Plätze in der Sonne sind besetzt. Aber es dürften zum Großteil Italiener sein, man hört kaum etwas anderes als Italienisch.
Mein weiterer Plan wäre jetzt gewesen, den EUROVELO 7 in den Süden zu befahren. Es ist aber noch immer sehr kalt (Morgentemperaturen um den Gefrierpunkt) und um in den Süden zu gelangen, muss man über die Berge (bis auf 1000hm) und dort ist es noch einmal kälter (wahrscheinlich sogar mit Schnee und Eis und das hatte ich ja schon). Und irgendwie habe ich von der Kälte schon genug – an Tagen ohne Sonne komme ich immer mit eiskalten Füßen in der Unterkunft an und es dauert ewig, bis ich wieder aufgewärmt bin.
Daher habe ich beschlossen, morgen mit dem Zug nach Neapel zu fahren und von dort eventuell gleich weiter mit der Fähre nach Sizilien – dort gibt es Morgentemperaturen von 10° und tagsüber bis 16°.
Und nun zum Thema dieses Eintrags: ich stehe momentan bei 1.020 geradelten km – Zeit auch für eine 1. Bilanz.
1) Mir geht es gut: Bis auf die kalten Füße an den bedeckten Tagen, kann ich mich über nichts beklagen – keine Kreuzschmerzen von der Radlerhaltung, keine Knieprobleme, keine eingeschlafenen Hände und mein Allerwertester beschwert sich auch nicht.
Andererseits ist es auch nicht schwierig: ich habe die 1020 km in 15 Radlertagen zurückgelegt, d.h. durchschnittlich 68 km pro Radlertag und das ist keine große Herausforderung, zumal es ja fast immer eben dahin geht.
Dazu kommt, dass ich keinen Stress habe: ich kann jeden Tag ausschlafen und dann ausgiebig frühstücken, bevor es um ca. 10:00 los geht. Keine Sorgen quälen mich – ich kann in den Tag hineinleben und schauen, was er so bringt.
Und mein allergrößter Luxus ist, dass ich über unbegrenzte Zeit verfüge. Ich kann jederzeit einen Pausentag einlegen oder sagen: heute fahre ich nur 20km. Und auch das Wissen, dass ich jederzeit in meine homebase nach Österreich zurückkehren kann, falls mich das Heimweh packt.
2) Ausstattung: auch hier habe ich nichts zu bemängeln. Das Fahrrad läuft und läuft – oft habe ich das Gefühl, es läuft von allein und das Gewicht, das ich zugeladen habe (ca. 16kg) bemerke ich nicht einmal. Auch die Packtaschen waren eine gute Wahl – alles ist gut verstaut. USB-Werk: ich hänge das Handy beim Wegfahren an (es sei denn, ich fahre noch mit eingeschaltetem Licht wegen Nebel weg) und bei der Ankunft habe ich noch immer 100% Akku. Sattel: ganz wichtig – ich mag diese „Windel“Radlerhosen nicht und fahre mit einer elastischen, robusten Winter-Trekkinghose (Ophit Plus 2.0 von Maier Sports), ohne dass mir der Hintern weh tut. Und meine Navigations APP von komoot macht das Radfahren erst so richtig kommod.
3) Was ich gar nicht mag:
Schwerverkehr: der stresst mich tatsächlich ein bisschen. Mit Hilfe von komoot schau ich jetzt immer, ob es eine Alternativroute auf Nebenstraßen gibt und wenn es nicht mehr als 15-20 Extra-km sind, nehme ich diese.
Gegenwind: da heißt es ordentlich strampeln
Fahrten durch Industrieviertel (zona industriale): das ist immer trostlos, auch wenn es einen Radweg gibt, ist es laut und die Luft ist schlecht
Fahrten vorbei an Shopping Centern: ist genau so schlimm wie die Industrieviertel
Fahrten durch charmbefreite Stadtviertel
Müll neben den Straßen
4) Was ich mag:
Fahrten auf Nebenstraßen durch verschlafene Nester, wo man höchstens mal eine Katze vor dem Haus in die Sonne blinzeln sieht
Begegnungen mit anderen Radfahrern: die Rennradler begrüßen einen immer schon von weitem mit einem lauten freundlichen Ciao
Radwege
Autofreie Stadtzentren
Sonstige Begegnungen: das ist immer nett
Wenn mein italienisch-spanisch Kauderwelsch verstanden wird
dass alles VIEL einfacher ist, als man es sich vorgestellt hat