„Champagnersegeln“ – dieses Wort habe ich zum ersten mal von Eve gehört. Sie verbringt gemeinsam mit ihrem Mann Jan jeden Winter auf ihrem Segelboot vor den Kanaren. Beide sind noch berufstätig und können es sich jobmässig so einteilen, dass sie immer von Anfang Dezember bis Ende Februar hier in der Wärme herumcruisen und so dem nasskalten Berliner Wetter und dem Weihnachtswahnsinn entkommen. Wir waren ihnen beim Anlegemanöver im Hafen von Rosario behilflich und ein paar Tage später laufen sie uns wieder über den Weg.

„Wir ware heute champagnersegeln“ meint Eve. Vor meinem geistigen Auge tauchen gleich die entsprechenden Bilder auf: blau glitzerndes Meer mit fast nicht vorhandenen Wellen, Sonnenschein und angenehme Temperaturen, eine leichte Brise – sanft gleitet das Segelboot durch das Wasser. In der Hand ein Glas Champagner, dazu ein feines Häppchen – so lässt sich das Leben genießen. „Gehen wir heute auch champagnersegeln?“ frage ich Rupi am nächsten Tag (so wie man in Wien vielleicht fragen würde, ob man einen Nachmittagsspaziergang im Lainzer Tiergarten unternehmen will). „Wir können gerne segeln – aber champagnersegeln wird das heute nicht. Draußen gibts hohe Wellen“ – kaum vorstellbar, wenn man sich die glatte Wasseroberfläche im Hafenbecken ansieht. „Okay, dann halt wildes segeln“. „Na, dann verräum mal alle Sachen am Boot, damit uns nichts um die Ohren fliegt, wenn wir draußen am Meer sind.“ Kurz darauf sind wir startklar – das Dingi (Beiboot) lassen wir am Steg liegen, weil wir es bei der Nachmittagsausfahrt wahrscheinlich nicht brauchen werden – in ein paar Stunden sind wir ohnehin wieder zurück.

Ich darf ans Steuerrad – „Aber gib nicht wieder so viel Gas, wie das letzte mal, sonst rammst du eines der Fischerboote“ meint Rupi. Aber ich mach das schon ganz super, während Rupi die Fender verräumt und die Seile verstaut, manövriere ich ganz souverän raus aus der Marina in einen Bereich, der noch immer windgeschützt ist. Dort setzen wir die Segel, das Hauptsegel und eine Selbstwendefock – die Genua verwenden wir diesmal nicht. Dann Motor aus und unter Segel geht es raus Richtung offenes Meer – es ist eine relativ enge Durchfahrt zwischen einer großen Fähre und der AIDA COSMA, die an diesem Tag vor Rosario liegt. Aber unter Rupis Anleitung funktioniert es tadellos, schon bald bin ich draußen nur noch umgeben von Wasser und kein Objekt in der Nähe, das ich rammen könnte.

Und dann darf ich so richtig loslegen – anluven, abfallen, wenden – das volle Programm bei hohen Wellen und viel Hin- und Herschaukeln (Champagnertrinken wäre da eh nicht möglich gewesen). Das Boot krängt ordentlich, aber Rupi beruhigt: „Brauchst keine Angst haben, da sind 4 Tonnen Blei im Kiel – es stellt sich immer wieder auf.“ Und nach ein paar Stunden geht es wieder zurück Richtung Hafen. Vorbei an AIDA und Fähre in den ruhigeren Bereich, dort reffen wir die Segel. „Schalt den Motor ein“ sagt Rupi. Es sind nur noch ca. 150 m bis zu unserem Steg. „Der Motor ist tot!“ Rupi kommt zu mir – auch ihm gelingt es nicht, den Motor zu starten. „Vermutlich hat sich ein im Meer treibendes Tau um den Propeller gewickelt“ meint Rupi. Wir müssen aber schauen, dass wir irgendwie zu einem Steg kommen, wo wir das Boot festmachen können und dafür brauchen wir jemanden, der uns abschleppt.

Das Problem ist nun die Strömung, die uns wieder raus Richtung offenes Meer und gefährlich nahe an die AIDA herantreibt. Da helfen all unsere Fender auch nichts – Kreuzfahrschiffe haben ja keine Fender – wenn wir dieses Ungetüm touchieren, ist das zwar keine Tragödie, aber das Schiff darf sicher erst weiterfahren, nachdem es vom TÜV eine Freigabe erhalten hat. „Hast eh eine gute Versicherung?“ frage ich. „10 Millionen“ – das dürfte sich ausgehen.

Rupi hat in der Zwischenzeit Florian, den deutschen Bäcker, der auch in der Marina von Rosario liegt, angerufen. Florian verspricht, einen Abschleppdienst zu organisieren. Mittlerweile sind wir wieder draußen am offenen, sehr unruhigen Meer und somit glücklicherweise weg von der AIDA (und ich wundere mich, wie schnell einen die Strömung rausspült). Und dann kommt endlich der „Abschleppdienst“. „Was, dieses Spuckerl will uns in den Hafen schleppen?“ Ungläubig schaue ich auf dieses Mini-Fischerboot, das wie eine Nussschale auf den hohen Wellen hin- und hergeschleudert wird. Im Boot sitzen Florian und ein Fischer – sie werfen uns eine Leine zu, welche wir mit einem Palstek-Knoten an einer Klampe befestigen. Und dann gehts los, aber irgendwie funktioniert das nicht. Der Hafen liegt vor uns auf der linken Seite – das Fischerboot driftet aber immer wieder nach rechts ab (mit uns im Schlepptau). Einerseits ist die Strömung zu stark, andererseits der 40PS Motor unseres Abschleppbootes zu schwach, sodass wir gemeinsam ein paar Runden im Uhrzeigersinn drehen und uns im Endeffekt so gut wie gar nicht Richtung Hafen bewegt haben. Okay, das wird nichts mehr. Wir sagen dem Fischer, dass er uns noch ein Stück Richtung Strand schleppen soll – wir werden dort einfach ankern und am nächsten Tag eine Lösung finden. Gesagt, getan – nach ein paar Minuten passt die Wassertiefe (ca. 8 m) – dort verabschieden wir uns von unseren Helfern und lassen den Anker runter. Das Meer ist sehr aufgepeitscht und ich stelle mich schon mal auf eine unruhige Nacht und auf eine kalte Jause als Abendessen ein. An Kochen ist bei diesem wilden Geschaukle nicht zu denken – wahrscheinlich schneide ich mich 3 x in den Finger, bevor ich fertig bin mit Zwiebel und Kartoffel schälen (ich wollte ein Kartoffelgulasch kochen). Aber die Bilge ist ohnehin voll mit allerhand Essbarem, das nicht gekocht werden muss – verhungern müssen wir keinesfalls.

Rupi hat dann aber noch eine andere Idee: als wir unsere Segel gerefft haben, ist eine 50 Fuß Bavaria mit deutscher Flagge an uns vorbei in den Hafen gefahren – aufgrund seiner Größe muss dieses Boot am äußersten Steg anlegen und für den Skipper wäre es sicher kein großes Problem, noch mal kurz raus zu fahren und uns abzuschleppen. Leider funktioniert die Batterie im Funkgerät nicht, das heisst, wir können ihn nicht anfunken. Also wird Derrick, der Koch aus Belgien, angerufen. „Derrick, bist du am Boot?“ „Ja, bin ich.“ Rupi schildert ihm unsere Situation und bittet ihn, nach vor zum 1. Steg zu laufen und die Bavaria-Crew zu fragen, ob sie uns abschleppen kann.

Es vergehen keine 10 Minuten – schön langsam geht die Sonne unter – und tatsächlich, da kommt die „Lemon Tree“, so der Name der Bavaria, um uns doch noch zu einer ruhigen Nacht im sicheren Hafen zu verhelfen. Die Crew besteht aus 4 Personen: Kerstin und Daniel aus Erfurt mit 2 Gästen.

Also holen wir den Anker wieder rauf und befestigen das Tau, welches uns Kerstin zuwirft an unserem Boot. Und dann geht es recht flott rein in den Hafen, wo auch wir ausnahmsweise am äußersten Steg anlegen. Als Dank für diese Rettungsaktion laden wir unsere Helfer ins Restaurant ein – die Herren haben alle Gusto auf Pizza, also gehen wir ins „Ciao Mare“, wo ausgezeichnete italienische Spezialitäten mit dazu passendem Vino (aber auch cerveza für Rupi) kredenzt werden.

Kerstin und Daniel bieten Segelurlaube an (www.mein-segelurlaub.de) und sind zwischen November und Februar auf den Kanaren, bevor es dann wieder ins Mittelmeer geht, wo sie von April bis Oktober in der Adria cruisen. Für ihre beiden Gäste war die Abschleppaktion eine willkommene Abwechslung und für Kerstin und Daniel war es selbstverständlich zu helfen, zumal kein Segler davor gefeit ist, dass sich ein Seil im Propeller verfängt und den Motor lahmlegt.

Jetzt musste man nur noch das Leinen vom Propeller runterschneiden. Rupi kramt einmal den Tauchanzug hervor. „Kopf oder Zahl?“ fragt Rupi. „Nix“ sage ich – „ich tauche da sicher nicht runter“. „War eh nur Spaß!“ Es ist ihm dann zu mühsam, sich in den Tauchanzug zu zwängen; also hüpft er in Badehose und mit Messer ausgerüstet ins Wasser (so kalt ist es ohnehin nicht) und nach kurzer Zeit taucht er wieder auf mit dem Corpus Delicti in der Hand. Dann wird der Motor gestartet und er schnurrt wie ein Kätzchen – Ende gut, alles gut.

Wenn wir segeln, darf ich ans Steuer bzw. übernimmt bei längeren Fahrten der Autopilot. Dann sind nur noch kleine Korrekturen nötig, sodass das Ganze sehr entspannt abläuft. Am Zielort angekommen bevorzugen wir es zu ankern, solange es Wind und Wellen zulassen. In Playa Blanca auf Lanzarote hatten wir einen perfekten Ankerplatz – windgeschützt und perfekt, um das Treiben auf dem Wasser zu beobachten.

Während des 1. Kaffees können wir schon die Optimisten beobachten, die als erstes die Marina verlassen, um ihr Können zu perfektionieren. Optimisten sind kleine, leichte Boote mit 1 Segel für Kinder und Jugendliche bis ca. 15 Jahre. Sie wirken wie ein Schwarm weißer Schmetterlinge, die über das Meer gleiten/schweben – leicht und unbeschwert.

Und dann Unmengen von Kitesurfern, die mit einem Karacho über das Wasser schiessen, der einen staunen lässt.

Der Sonnenuntergang und die Abendstimmung vom ankernden, leicht schaukelnden Boot aus zu beobachten ist ohnehin das Kitschigste, das man sich vorstellen kann – als Draufgabe dann noch kurz ein Sprung ins Wasser – hier kann man das auch pudelnackt machen.

Das Dingi, ausgestattet mit einem Elektromotor bringt uns innerhalb von ein paar Minuten in die Marina zum Dingi-Dock, wo es mit einem Kreuzknoten befestigt wird. Ich bin schon richtige Knoten-Spezialistin – Rupi ist sehr streng, was Knoten anbelangt und wenn ich einen Knoten schlampig gemacht habe, muss ich ihn aufmachen und neu machen. Dingifahren will auch gelernt sein und gerade bei höheren Wellen kann ich mir gut vorstellen, dass ab und zu jemand über Bord geht. Bei unserem einfachen Dingi kann man sich auch nirgends richtig festhalten – der Punkt ist, dass man beim Hinuntersteigen in das (instabile) Boot gleich in die Knie geht, um den Schwerpunkt nach unten zu verlagern und sich dann an den Rand des Bootes setzt. Das ist die Theorie, in der Praxis schaut es dann vielleicht so aus: Wir kommen grad vom Einkaufen und legen unsere Einkäufe rein ins Boot, das noch am Steg befestigt ist. Rupi steigt ein und nimmt gleich einmal Platz am Bootsrand, dann steige ich ein. Ich löse noch den Knoten und will mich grad hinsetzen, da stößt Rupi das Boot schon weg vom Dock. Und schon lande ich rücklings im Wasser, voll bekleidet (eh nur in Shorts, T-Shirt und Sandalen) und zum Glück habe ich meinen Stoffrucksack (mit Handy, Pass,…) zuerst ins Boot gelegt und nicht am Rücken gelassen. Am Dock gibt es sogar eine kleine Leiter – ich schwimme dort hin und klettere wie eine gebadete Maus aus dem Wasser und muss einmal herzlich lachen. Rupi erzählt mir dann, dass er schon 3x aus dem Dingi ins Wasser gefallen ist (ich weiss jetzt nicht genau, ob dabei das cerveza auch eine Rolle gespielt hat 😉). Blöd ist es halt nur, wenn man sich alleine im Boot in voller Fahrt befindet und dann rausfällt – das Boot fährt dann alleine weiter.

Radfahren auf Lanzarote ist ein großes Vergnügen – mehr dazu das nächste mal.

Rad fährt Boot

Kerstin und Daniel mit ihrer Lemon Tree

Unser Ankerplatz

Jeden Abend das gleiche Schauspiel

zwischendurch ein Sprung ins kühle Nass

Heute gehts auf den Vulkan

Zeit fürs Frühstück – die gesunden Sachen sind für mich

Ganz was Seltenes – Regen auf Lanzarote