MIR FEHLT DAS MEER – in fetten Riesenlettern prangt dieser Spruch auf einem Transparent, welches am Balkon einer Wohnung beim Wiener Naschmarkt angebracht ist (man sieht es auch sehr gut, wenn man mit der U4 stadteinwärts fährt, kurz vor der Einfahrt in die Station Kettenbrückengasse – man muss nur raufschauen zur Linken Wienzeile). Ich wohne ganz in der Nähe und denk mir immer, wenn ich es sehe: MIR AUCH!

Und seit einigen Wochen schon bin ich nun von Meer umgeben und damit verbunden viel Sonne und angenehme Temperaturen. Ich wohne auf einem Segelboot, welches momentan im Hafen von Puerto del Rosario auf Fuerteventura liegt.

Nachdem ich nach meinem Pamir Highway – Radtrip schon wieder mehr als 1 Jahr in Österreich verbracht habe (verbunden mit einem tollen Job als Köchin), war es allerhöchste Zeit, sich wieder ins Abenteuer zu stürzen.

Ursprünglich geplant war, mit dem Drahtesel von Paris nach Dakar zu radeln. Die für 5-6 Monate anberaumte Reise (mit Start in Paris Anfang November) wollte ich nicht allein machen – 2500 km durch die Sahara zu fahren sind kein Honiglecken und der Gedanke, dass ich in der Wüste bei Sandsturm und Skorpionen eine Panne habe (und niemand da ist, der mir hilft), war nicht grade prickelnd. Obwohl es etliche Leute (auch Frauen) gibt, die diese Sache allein durchziehn. Und man weiss ja auch, dass 95 % aller Befürchtungen sowieso nie eintreffen. Bei der Suche nach einem passenden Reisebuddy bin ich über die Anzeige von Rupi gestolpert. Rupi, ein Vorarlberger ist Einhandsegler, der sein 40 Fuß (12m) Segelboot vor den Kanaren liegen hat und nach dem Motto „Hand gegen Koje“ für den Winter eine Mitseglerin sucht. Paris-Dakar rennt mir schon nicht davon, denk ich mir und schreib ihn an. Ich bin zwar noch nie gesegelt, finde die Idee aber spannend und die Vorstellung, dass ich die Kanarischen Inseln mit Fahrrad und Wanderschuhen entdecken kann, wann immer das Boot im Hafen oder vor Anker liegt, ist sehr reizvoll. Außerdem kann ich meine Spanischkenntnisse, die etwas eingerostet sind, wieder aufpolieren.

Voraussetzung ist aber, dass wir beide uns verstehen und dass mir die doch etwas beengten Verhältnisse am Boot zusagen. Wir treffen uns daher im September, um gemeinsam von Fuerteventura nach Lanzarote zu segeln. Rupi, der das Boot vor 30 Jahren selbst gebaut hat (und daher auch alles selbst reparieren kann) verfügt über eine lange Segelerfahrung und so fühle ich mich sicher an Bord. Außerdem verstehen wir uns gut und beschließen, den Winter gemeinsam am Boot zu verbringen. Das ganze soll ohne Stress ablaufen – wir richten uns nach dem Wind und lassen uns treiben. Nachdem die Inseln viel zu bieten haben, gibt es viele Möglichkeiten der sportlichen Betätigung. Da wir ohnehin nicht die ganze Zeit aufeinander picken wollen, unternehme ich auch immer wieder alleine Rad- oder Wandertouren, während Rupi am Boot herumschraubt.

Der Wind war in den letzten Wochen sehr ungünstig – statt des üblichen NO Passats kommt starker Südwind, der hohe Wellen in den Hafen von Rosario, wo wir momentan liegen, reindrückt. Eines Morgens werde ich sehr unsanft geweckt – die Wellen schlagen so heftig gegen den Bootsrumpf, sodass ich gleich auf die andere Seite des Bettes rolle. Über meinem Bett befindet sich die Notausstiegsluke – ich stecke meinen Kopf raus. Am Steg, der sich auch heftig hin- und her bzw. auf- und ab bewegt stehen ein paar Skipper beisammen – Rupi ist auch dabei – und diskutieren. Immer wieder besorgte Blicke rauf zu den Masten – die Boote führen auf den hohen Wellen einen wilden Tanz auf und immer wieder stoßen die Masten zusammen. Direkt neben uns liegt ein britisches Boot – am Masten haben sie das Ankerlicht und einen Windmesser angebracht – beides ist kaputt. Bei uns ist glücklicherweise nichts kaputt gegangen. Einige Boote im Hafen sind nicht bewohnt. Da Gefahr in Verzug ist, gehen die anwesenden Skipper zu diesen Booten und prüfen, ob die Taue nicht durchgescheuert bzw. ob die Fender richtig gesetzt sind und beheben dann entsprechende Mängel. Normalerweise ist das nicht erlaubt, in diesem Fall aber wichtig, um zu verhindern, dass Boote beschädigt werden.

Nicht nur das Schauspiel der wild tanzenden Boote ist beeindruckend – die dazugehörige Geräuschkulisse steht ihm in nichts nach. Es ist ein Geächze, Geseufze und Gestöhne, ein Wimmern, Jammern und Weinen; ausserdem scheint die halbe Tierwelt anwesend zu sein. Man hört Löwen brüllen, Kätzchen miauen (oder weint da ein Baby?), einen Vogel, der einen lauten Pfiff von sich gibt – unglaublich welche Geräusche durch die Seile, Taue, Takelage, Masten, Stege,… entstehen.

Ich beschließe, an diesem Tag auf dem Boot zu bleiben. Der schmale, ca. 50cm breite Steg, der vom Boot zum ca. 2m breiten Hauptsteg führt, bewegt sich wie wild hin und her. Auch die Britin vom Nachbarboot wagt sich nur auf allen Vieren nach vor zum befestigten Teil des Hafens.

Ich frage mich eh, wie viele (schon etwas angeheiterte) Leute hier schon ins Wasser gefallen sind.

Ich bin zwar noch nicht reingefallen, dafür habe ich eine spezielle Fotosession am Steg abgehalten. Rupi ist unter Deck, ich will unbedingt ein Foto vom Boot, daneben das Rad, das ich mir hier zugelegt habe und dazu die Wanderschuhe. Leider ist es noch immer ziemlich windig – auch der breite Hauptsteg führt sich auf wie ein Berserker-Drachen. Mir gelingt es aber, das Rad neben den Bug zu stellen, dazu die Wanderschuhe. Dann schnell ein Foto gemacht – und dann mache ich den Fehler und schau mir das Foto am Handy an und lasse kurz das Fahrrad aus den Augen. Im nächsten Moment liegt das Rad im Meer (hier ca. 7m tief) – ich kann grad noch den Lenker fassen und das Gefährt mit Müh und Not aus dem Wasser ziehen. Jetzt ist es halt ein richtiges Inselfahrrad – getauft mit Meerwasser. Rupi spritzt es dann noch ab mit Süßwasser und schmiert es an den wichtigen Stellen.

Wenn man längere Zeit im Hafen liegt, so lernt man auch die Nachbarn kennen (Es ist ein bisschen wie in einer Reihenhaussiedlung, nur eben am Boot). Da ist einmal Florian, ein bayrischer Bäcker. Seine Eltern haben hier vor ca. 40 Jahren die Panaderia Alemana eröffnet, die mittlerweile von ihm betrieben wird. Er lebt am Boot genau so wie Derrick aus Belgien. Er ist Koch und lebt mit seiner Frau Yrina, die aus Fuerteventura stammt, in einem 10m Boot. Sehr cosy – mir wäre es auf Dauer zu eng, obwohl das Interieur wirklich sehr einladend ist. Man besucht sich dann auch mal gegenseitig auf einen Drink (Bier, Gin und Tonic sind immer eingekühlt). Dann gibt es noch unseren Nachbarn direkt gegenüber – er ist Deutscher, auch bereits in Pension und er will keinesfalls mehr zurück nach D. Er will auch nicht mehr segeln, sondern einfach nur hier in Rosario am Boot leben. Die Hafengebühr ist leistbar (EUR 14,00 pro Tag).

Rosario selbst ist nicht grad der Heuler – man muss schon etwas suchen, um charmante Ecken zu entdecken. Aber es gibt schöne Strände und ausserdem ein paar sehr nette Lokale (La gula – „Die Völlerei“, mein absoluter Favorit).

Ich koche zwar zumeist selbst (Rupi ist nur für die niederen Kombüsendienste zuständig, z.b. die Töpfe am Herd festhalten, wenn das Boot stark schaukelt, bzw. Orangensaft pressen zum Frühstück), trotzdem genießen wir von Zeit zu Zeit auch die Gastronomie vor Ort.

Und das Wetter ist sowieso ein Argument. Wenn ich sehe, dass es in Wien 3 Grad hat(grau in grau und nasskalt) und ich genieße mein Frühstück an Deck in der Sonne im kurzärmeligen Shirt und in kurzer Hose. Auch untertags ist die Temperatur angenehm (22 Grad), sodass man die Vitamin D Speicher gut auffüllen kann. Und die Tage sind sowieso ca. 2 Stunden länger als in dem 20 Breitengrade nördlicher gelegenen Wien (Sonne von 08:00 – 18:00).

Interessant ist auch das „Hafenkino“ – zu beobachten, wie neue Boote ankommen. Die Boote müssen mit 2 Flaggen versehen sein: 1. die Flagge des Landes, in dessen Gewässern man sich befindet. D.h. Alle Boote hier haben die spanische Flagge am Mast. Die 2. Flagge, die man hissen muss betrifft das Land, in welchem das Boot registriert ist. Rupi hat das Boot in Ö registriert, daher haben wir die österreichische Flagge am Mast. Sehr viele Boote hier haben die polnische Flagge (Wow, da sind aber viele Polen hier) – die Lösung ist folgende: Polen hat extrem niedrige Gebühren, deshalb lassen auch viele Nicht-Polen ihr Boot in Polen registrieren. Und dann gibt es noch viele Japaner (was machen die hier auf den Kanaren??) – tatsächlich gibt es die Flagge der Einhandsegler, die ausschaut wie die japanische. Einhandsegler signalisieren damit, dass sie allein an Bord sind und nichts dagegen haben, wenn ihnen jemand beim Hafenmanöver behilflich ist.

Das Interessante beim Hafenkino ist, dass zumeist die Männer lässig am Steuerrad stehen und die dazugehörigen Frauen die ganze Arbeit machen müssen (Fender positionieren, Taue verstauen,……). Rupi erzählt, dass er bei den Manövern oft Zeuge von Beziehungstragödien wurde – schon 5 Meter vor dem Steig werden die Frauen von den (hypernervösen) Männern aufgefordert, mit dem Tau zu springen (sie stehen ohnehin zumeist sprungbereit an der Reling) und dann das Boot mit voller Kraft zum Steig zu ziehen und an der Klampe zu verknoten.

Kürzlich kam ein Boot (mit österreichischer Flagge), ein Paar aus dem Burgenland mit 5- und 7- jährigen Söhnen. Sie verbringen ihr Sabbatical am Boot (zuvor im Mittelmeer und jetzt kommen sie grad von Agadir) – bis zum Herbst wollen sie wieder zurück in Ö sein. Da unser Nachbarplatz mittlerweile frei ist (die Engländer sind weggesegelt), möchte er sich neben uns einparken. Er fragt Rupi, aus welchem Material unser Boot ist (Stahl). In diesem Fall kann er nicht neben uns parken, weil er hat ein Alu-Boot. Große Fragezeichen meinerseits. Rupi erklärt mir, dass ein Aluboot nicht neben einem Stahlboot liegen darf, weil spätestens nach 1 Woche wird das Aluboot dann ein Loch haben. Das ganze hat mit Galvanik zu tun (das salzige Meerwasser spielt dabei auch eine Rolle) und ich höre zum 1. mal von Opferanoden (in Physik und Chemie war ich nie eine Leuchte).

Neben uns parkt dann ein französisches Boot, ebenfalls mit 2 Kindern an Bord. Beide Mädchen sind sehr süß und auch so ca. 6-7 Jahre alt. Es dauert nicht lange, schon tauchen die blonden Haarschöpfe der burgenländischen Buben am Steg auf – sie haben die Mädchen schon entdeckt. Und sie bringen auch gleich Geschenke mit: Spielzeugautos für Les Mademoiselles. Die Mädchen revanchieren sich – ebenfalls mit Spielzeugautos. Die Buben ziehen wieder ab – jetzt müssen sie andere Geschosse auffahren: Nach einiger Zeit sind sie wieder da – in der Hand je eine Kette mit bunten Sternen dran (ich glaub, die Mama hat ihnen beim Basteln geholfen). Mercie sagen die kleinen Französinnen.

Jeden Tag legt in Rosario mindestens 1 Kreuzfahrtschiff an – ich google dann gleich beim Frühstück die ganzen Eckdaten. (Wieviele Passagiere? Länge?, Breite?) Rupi erklärt mir, dass die Schiffe nicht breiter als 32m sein dürfen, da sie ansonsten nicht durch den Panamakanal fahren können (Panamax-Breite). Der Kanal, der wegen Trump grad wieder Thema ist, wurde aber 2016 erweitert und seither können Schiffe bis 49m Breite durchfahren. Aha.

Ich habe schon einige Radtouren auf Fuerteventura gemacht – im Ortsgebiet gibt es oft Radwege. Überland war ich auf zumeist auf Bundesstraßen unterwegs – alle haben einen ca. 1 m breiten Pannenstreifen, sodass es ganz okay war. Und das Tolle ist: man darf Fahrräder (KEINE e-bikes) in öffentlichen Bussen ohne Mehrpreis mitnehmen. So kann man in die diversen Winkel der Insel mit dem Bus fahren und dann gemütlich zurückradeln. Höhenmässig gibt es ja keine großen Herausforderungen (der höchste Berg hat ca. 800m), es ist eher der Wind, der einem durchaus heftig entgegen blasen kann.

So, das wars nun fürs Erste – Fortsetzung folgt!

Rupi am Steuer

Ich als Dingi-Kapitän

Boot, Wanderschuhe und Rad (kurz bevor es abgesoffen ist)

Im Salon – mit Kombüse (mein Reich)

Typische Landschaft auf Fuerteventura

Etwas Weihnachtsstimmung im Yachthafen

Heute gehts am Meer entlang

durch hübsche Ortschaften (hier die ehemalige Hauptstadt Fuerteventuras, Betancuria)

Waschtag

Zwischendurch ein Barraquito