„Du Moni, wir haben nur noch 3.799km vor uns.“ „Na, das werden wir bis Weihnachten locker schaffen.“ kommt von mir zurück. Seit fast 2 Wochen bin ich nun radelnd mit Dieter unterwegs und unser gemeinsames Ziel ist das am Atlantik gelegene Tarfaya im Süden Marokkos in der Sahara.

Ich bin am 19. September mit vollbepacktem Rad in Wien in die Westbahn gestiegen und nach ca. 6 Stunden in Stuttgart angekommen. Die Westbahn bietet sich für Radfahrer als kostengünstige und bequeme Alternative zur ÖBB an. Zum einen muss man für den Radtransport und die Platzreservierung innerhalb Österreichs nichts extra bezahlen, wenn man (so wie ich) im Besitz eines österreichweiten Klimatickets ist und andererseits ist der Einstieg und das Verstauen des Rades im Zug wirklich unkompliziert.

Während man bei den Railjets der ÖBB das Rad erst mal mühsam die Stufen hochheben muss (die Taschen muss man dazu abnehmen und dann extra raufschleppen) und dann auf engem Raum um eine 90 Grad Kurve manövrieren und anschliessend das Vorderrad an einem Haken an der Decke einhängen muss, schiebt man das Rad ganz easy (ohne Niveauunterschied) in die Westbahn, wo es bei jedem Einstieg 2 Fahrradplätze gibt, nimmt die Taschen runter, befestigt es an der vorgesehenen Vorrichtung und nimmt entspannt Platz am reservierten Sitz in der Nähe des Fahrrades. Dann noch ein schneller Self-Check-In (ist in der Westbahn-APP mit 2 Klicks erledigt) und schon kann die Fahrt losgehen, ohne dass man beim Schaffner eine Fahrkarte vorweisen muss – der Zugbegleiter sieht auf seinem Tablet, wer bereits eingecheckt hat.

Nach der Ankunft in Stuttgart radle ich gemütlich in das ca. 14km entfernte Filderstadt (in der Nähe des Stuttgarter Flughafens), wo ich in einem Hotel einchecke. Am nächsten Morgen noch schnell die paar Kilometer zum Flughafen geradelt – von dort geht es dann weiter mit dem Flixbus nach Paris. Auf der Rückseite des Busses gibt es eine Vorrichtung zum Aufhängen der Räder – der Flixbusmitarbeiter erledigt das für mich und befestigt mein Rad. Nach einer ziemlich langen Busfahrt (es gab immer wieder Stau auf den Autobahnen) am Samstag um 20:00 endlich Ankunft am Busbahnhof an der Seine. Dort wurlt es – ich habe das Gefühl, halb Paris ist hier. Dieter, der schon vor einigen Stunden ebenfalls mit dem Flixbus aus Bielefeld angekommen ist und bereits im Hotel eingecheckt hat, holt mich ab und wir radeln gemeinsam in das 10 km entfernte Hotel im Norden der Stadt im 19. Arrondissement. Es ist ein warmer Samstagabend und Unmengen von Menschen auf den Straßen – die Gastgärten der Lokale sind alle gesteckt voll. Auf den Radwegen spielt es sich ebenfalls ab – das Positive ist, dass die Wege immer baulich getrennt vom Auto- und Fussgängerverkehr sind, sodass sich alle Verkehrsteilnehmer sicher fühlen. „Uj, hier brunzelt es aber“, sage ich zu Dieter und rümpfe die Nase. Wir passieren gerade eine eher dunkle Ecke der Stadt. „Was brutzelt hier?“ fragt er zurück. „Nicht brutzeln, sondern brunzeln (Dieter muss ab sofort österreichisch lernen!!) – riechst du das nicht?“ „Es riecht nach Pisse – schau mal, wieviele Zelte da unter der Bahnunterführung stehen.“ Und dann sehe ich es auch – Unmengen an Zelten und Verschlägen. Lauter Obdachlose, die da hausen ohne sanitäre Einrichtungen – noch lange habe ich den scharfen Gestank in der Nase. Nach der Ankunft im Hotel noch ein Drink und Planung für den nächsten Tag – unser erster gemeinsamer Radlertag.

Dieter, den ich über eine Reiseplattform kennengelernt habe, kommt aus der Nähe von Bielefeld und ist wie ich eine Abenteurerseele. Er ist ebenfalls in Pension und hat im vergangenen Winter auf einem Kajak den Amazonas befahren und den wunderschönen Tafelberg Roraima (der schon lange auf meiner bucket-list steht) im Dreiländereck Venezuela, Guyana und Brasilien bestiegen. Außerdem ist er Rennradfahrer – ein bisschen habe ich die Befürchtung, dass ich ihm mit meiner gemütlichen Fahrweise zu langsam bin. Ich habe aber von Anfang an klargestellt, dass ich Tagesetappen von ca. 60km anpeile und ausserdem ein richtiges Bett in einem gemauerten Gebäude bevorzuge und daher auch keine Campingsachen mitnehme.

Am Sonntag gehts los – zuerst durch Paris, wo wir bei einem Markt anhalten und bei einem Weinbauern 2 Flaschen Weißwein erstehen, die Dieter in seinen Packtaschen verstaut. Dann die Seine entlang Richtung Südosten, raus aus der Stadt und begleitet von Vogelgezwitscher und bei angenehmen Temperaturen. Es geht zumeist eben dahin auf sicheren Radwegen oder auf wenig befahrenen Nebenstraßen- sehr gemütlich und ideal für den 1. Radlertag. Und schlussendlich werden es anstatt der von mir angepeilten 60km doch 75km (und 350 Höhenmeter) bis in unser Quartier in Féricy, wo wir ein Chambre d‘Hote in einem alten, wunderschön hergerichteten Steinhaus gebucht haben. Und da wir seit dem Frühstück auch nichts gegessen haben, haben wir richtig Hunger. Glücklicherweise verwöhnt uns Veronique, die Hausherrin, mit einem fantastischen Abendessen. Als Entree gibts eine Kartoffeltarte auf Vogerlsalat, gefolgt von einem Wurstragout mit Reis und Linsen (ein Rezept aus Réunion) und als krönenden Abschluss eine Lemon Tarte zum Niederknieen (die ich auch nicht besser machen könnte). Dazu eine Karaffe Rose – wir fühlen uns wie Gott in Frankreich. Nach einem ausgiebigen Frühstück radeln wir am nächsten Tag weiter die Seine entlang bis Montargis, wo wir dann auf den Canal d‘Orleans wechseln und bis in die Stadt der Jeanne d‘Arc fahren. Orleans liegt im sehenswerten Loiretal mit seinen unzähligen Schlössern und Herrenhäusern.

Und einige dieser Schlösser werden auch als Hotels angeboten – wann immer es in unsere Planung passt, buchen wir die Übernachtung an diesen speziellen Orten. Das 1. Schloss, in welchem wir übernachten ist das Chateau de Briancon. Es liegt einsam, umgeben von Wäldern – alles sehr beeindruckend (und ein bisschen spooky).  Und so wie es ausschaut, sind wir die einzigen Gäste. Restaurant gibt es keines und das Frühstück wird uns aufs Zimmer gebracht. Die Rezeptionistin, die ganz passabel englisch spricht, sagt uns, dass die Rezeption von 20:00 bis 08:00  nicht besetzt ist. Unser sehr grosses Zimmer liegt im 1. Stock – im 2. Stock gibt es eine Küche, in der wir uns ein Abendessen kochen können, falls wir das wollen. Da wir untertags bereits gegessen haben, kommt das nicht in Frage. Wir geben nur den Käse und die Flasche Weisswein, die wir unterwegs auf einem Markt erstanden haben, in den Kühlschrank und machen dann noch einen Spaziergang im Wald. Nach der Rückkehr ins Schloss  (die Rezeptionistin ist schon weg) ist es sehr spooky und wir ziehen uns gleich in unser Zimmer zurück. „Jetzt noch ein Glas Wein und  ein Stück Käse, Moni kannst du das mal aus der Küche holen?“ fragt Dieter. „Ich traue mich nicht.“ „Aber wovor hast du Angst?“ „Da gibts sicher Gespenster.“ „Aber du wohnst doch selber in einem Schloss, da hast du ja auch keine Angst.“ „Ja, weil die steirischen Gespenster kenne ich alle.“ Dieter kriegt einen Lachanfall. „Moni, ich wusste nicht, dass du so eine Memme bist.“ Wein und Käse gibt es dann doch noch – Dieter ist mutig und geht in den 2. Stock.

In der Nähe von Nantes gibt es das Chateau du Pe – auch hier werden über Booking.com Zimmer angeboten. Also nix wie hin. Auch hier wieder ein imposantes Gebäude mit toll gestalteten Zimmern, einer riesigen Küche, in welcher wir uns mit unseren mitgebrachten Lebensmitteln ein feines Abendessen zaubern können und auch hier ist die Rezeption zwischen 20:00 und 08:00 nicht besetzt. Die Rezeptionistin spricht nur französisch – also krame ich meine Französischkenntnisse hervor et voila, geht doch eh.

Auch hier sind wir die einzigen Gäste und unser sehr spezielles Zimmer liegt diesmal im 2. Stock. Das spezielle am Zimmer ist, dass das Bett im Boden versenkt ist. Und Bad/WC befinden sich im Gang. „Dieter, wenn ich in der Nacht aufs Klo muss, musst du mit mir mitkommen. Ich trau mich nicht allein.“ „Ach Moni, du Memme.“ Wir kochen dann noch unser Abendessen (es gibt Lachs mit Blattspinat und Salzkartoffeln, dazu eine Flasche Cidre) und dann ab ins Bett. Irgendwann nach Mitternacht meldet sich meine Blase – ich überlege, ob ich alleine aufs Klo gehen soll. Dann stehe ich doch auf und siehe da: Dieter grummelt was vor sich hin und trottet hinter mir her. Ich gehe ins Bad und er wartet draußen vor der Tür. Als ich wieder raus komme, ist er verschwunden. Ich gehe davon aus, dass er zurück ins Schlafzimmer ist – dort ist er aber nicht. Also mache ich mich auf die Suche: neben dem Badezimmer gibt es ein grosses TV-Zimmer und auf der Couch liegt Dieter, das Schlossgespenst und schnarcht vor sich hin. „Na, du bist mir ein Beschützer!“

Nicht nur Schlösser bieten tolle Übernachtungsmöglichkeiten, auch Mühlen, Weingüter und Landhäuser werden gerne von uns gebucht. Und zwischendurch wird fleißig geradelt – momentan liegen wir bei 620 km (also fast 1/6 der Gesamtstrecke) mit durchschnittlich ca. 70km/Radlertag.

Und Radfahren im Loiretal ist Genuss pur – tolle Wege, fast keine Steigungen, viel Natur, sehenswerte Städte und verschlafene Dörfer. Und die Franzosen sind extrem rücksichtsvoll – sie halten immer bei den Schutzwegen, sodass die Radler sicher auf die andere Seite wechseln können.

Paris – Tarfaya

Rad fährt Westbahn

Rad fährt Flixbus

Raus gehts aus Paris

an der Seine

Immer diese Aufforderung, dass man einen Radler saufen soll (okay, der war jetzt aufgelegt)

Mein 1. Patschen – zum Glück hab ich einen Radmechaniker dabei

Orleans

Hier gibts viel Hirse

Aber auch Atomkraftwerke

Chateau de Briancon – hier haben wir übernachtet

Das Baguette kommt aus dem Baguettomat

Angers

Angers

Diesmal übernachten wir in einer Mühle

Unser Wohnzimmer in der Mühle

unsere Küche in der Mühle

Das Chateau du Pe – auch hier haben wir übernachtet

Die Küche im Chateau

Das Schlafzimmer mit dem versenkten Bett

Vitaminnachschub

Kathedrale von Nantes

ein Häuschen am Wegesrand

Und zwischendurch ein Eclair

neugierig werden wir beäugt

weiter gehts