Meine Fahrradweltreise

Autor: Monika (Seite 1 von 4)

GESCHAFFT!

Dieter ist nach 2 Tagen Aufenthalt in Agadir noch immer nicht ganz fit – wir beschließen daher, auch die nächste Etappe bis Guelmim („Das Tor zur Sahara“) mit dem Bus zu fahren. 15 km östlich von Guelmim liegt eine Oase „Tighmert“ und dort werden sehr nette Unterkünfte angeboten. Wir entscheiden uns für „La Maison de l‘Homme Bleu“ (das Haus des blauen Mannes) – die Tuaregs (Nomaden) werden hier auch „Blaue Männer“ genannt, weil sie sich mit indigoblauen Dschellabas und Turbanen kleiden. 

Wir radeln also die 15km von der Bushaltestelle in Guelmim bis zur Oase und das war wirkliches Genussradeln. Eine asphaltierte Strasse, fast kein Verkehr, leichter Rückenwind, keine Steigungen, angenehme 18 Grad und Sonnenschein – wann immer wir bei einem Haus vorbeikommen, wird uns begeistert zugewunken; so oft kommen wahrscheinlich keine vollbepackten Radler vorbei.

Und der Genuss geht weiter – die Unterkunft in der Wüste ist ein Traum. Unter Palmen gelegen, mit viel Liebe gestaltet: wir haben uns von Anbeginn an wohlgefühlt. Brahim, unser Gastgeber, ein äußerst sympathischer und gutaussehender Tuareg erzählt uns in perfektem französisch die Geschichte seiner Familie und dieses Hauses. Sein Vater, der 1910 geboren wurde, hat noch als Nomade gelebt. Er hatte 10 !!! Ehefrauen – Brahim ist das jüngste Kind der letzten Frau, die 1950 geboren wurde und bereits mit 13 Jahren mit dem 40 Jahre älteren Mann verheiratet wurde. „Damals war das üblich – heute kommt das nicht mehr vor. Die Zeiten haben sich geändert.“ meint Brahim, der auch bereits verschiedene europäische Länder bereist hat. Die Digitalisierung hat auch hier Einzug gehalten – in der Oase haben wir superschnelles Internet – da das Quartier (es gibt ohnehin nur 4 Zimmer) online über booking.com vermarktet wird, ist Brahim darauf angewiesen. 

Gleich nach der Ankunft am Nachmittag werden wir mit einer Kanne Minztee und Datteln verwöhnt, serviert in einer schattigen Laube unter Palmen. Und zum Abendessen gibt es ein Gemüseomlett als Vorspeise, dann eine Tajine mit Dromedar, Quitten, Pflaumen und Zwiebeln mit hausgemachtem Fladenbrot und als Abschluss eine karamellisierte Apfeltarte. Alles hat sehr fein gemundet.

Nach einem ausgiebigen Frühstück (mit Brot, Oliven- und Arganöl, Honig, Mandelmus, Käse und Kaffee) und einer herzlichen Verabschiedung geht es am nächsten Tag wieder zurück nach Guelmim. Wir fahren noch eine Etappe mit dem Bus – unser Tagesziel ist Akhfennir am Atlantik. Was für ein Kontrast zur Oase! Dieses Akhfennir ist ein trostloses, dreckiges Wüstenkaff (ca. 3000 Einwohner) – der ganze Verkehr Richtung Mauretanien und Senegal bewegt sich entlang der einzigen asphaltierten Strasse durch den Ort. 

Wir haben aber Glück mit dem Quartier. „Chez Eric“, direkt am vermüllten Strand gelegen, hat ein Zimmer frei. Eric ist ein pensionierter französischer Kriminalbeamter (Dieter, der ja auch pensionierter Kriminalhauptkommissar ist hat sich gleich sehr gut mit ihm verstanden), der mit seiner viel jüngeren marokkanischen Ehefrau Naima eine Pension betreibt – ein wirklicher Lichtblick in dieser tristen Umgebung. Die Zimmer einladend, sehr sauber, schönes Badezimmer. Und es gibt ausgezeichnetes Abendessen und Frühstück. Am Abend setzt starker Regen, begleitet von heftigen Sturmböen ein. In der Nacht höre ich, wie der Regen, der offensichtlich waagrecht daherkommt, gegen die fest geschlossenen Fenster trommelt. Dann am nächsten Morgen, als ich aus dem Bett steige: der Boden des Zimmers steht unter Wasser. Die Bettvorleger vollgesogen mit Wasser, auch mein kleiner Stoffrucksack, der am Boden unter dem Fenster lag komplett nass. Im Rucksack bewahre ich u.a. den Reisepass auf und der hat einiges abbekommen. Das glaubt mir jetzt keiner: Mitten in der Wüste in einem geschlossenen Raum wird mein Reisepass durch Wassereintritt (die haben bei den Fenstern offensichtlich keine Dichtungen, weil sie diese normalerweise auch nicht benötigen) beschädigt. Ich lege ihn mal zum Trocknen auf die Anrichte.

Nach Tarfaya sind es nur noch 101 km – sobald die Wettervorhersage passt, wollen wir diese Strecke radeln. Für den nächsten Tag schaut es gut aus, Sonne und ein paar Wolken und das ganze bei 18 Grad – besser wird‘s nicht mehr. Raus gehts aus Akhfennir bei Sonnenschein – wir rechnen damit, Tarfaya in 7 Stunden zu erreichen. LKW Fahrer und Lenker der Abenteurer-Expeditionsfahrzeuge (die man hier manchmal sieht) winken uns begeistert zu oder zeigen uns mit einem „Daumen hoch“ ihren Respekt. Radfahren durch die Wüste – das macht nicht jeder (nur so Wahnsinnige wie wir). Tafeln am Straßenrand warnen vor Sandverwehungen und Kamelen, die die Fahrbahn queren. Die Strasse, asphaltiert und 4-spurig (2 Fahrbahnen/Richtung) mit wenig Verkehr. Links und rechts Sand- und Steinwüste, immer wieder sieht man Skelette aus dem Sand ragen. Nach dem Starkregen lugt hier und da auch etwas grün hervor. Nach 10 Kilometern verzieht sich die Sonne und es beginnt zu tröpfeln. Der Regen wird stärker und es dauert nicht lange, bis unsere äußere Kleidungsschicht komplett durchnässt ist. Nirgendwo eine Möglichkeit, sich unterzustellen. Dazu kommt Gegenwind – viel schlimmer kann es nicht mehr werden. Die Fahrzeuge, die uns überholen, sind voll bepackt – es hat keinen Sinn, sie anzuhalten. 

Dieter ist an einem Tiefpunkt angelangt („ich bin total am Arsch“)- mittlerweile bin ich die Schnellere und er fährt in meinem Windschatten. Irgendwann wird der Regen weniger und nach ca. 40 Kilometern zeigt sich wieder die Sonne. Mitten im Nirgenwo machen wir eine Pause – Bananen, gebrannte Erdnüsse und ein paar Kekse geben ein bisschen Kraft – weiter gehts, es ist noch ein breiter Weg nach Tarfaya.

Nach 75 Kilometern kommt eine Tankstelle mit kleinem Supermarkt und Café – wir gönnen uns 2 kräftige Espressi und essen die letzten Kekse auf – es sind nur noch 25 Kilometer bis Tarfaya. Und dann wird es richtig zäh – der Gegenwind ist stärker geworden und mein ständiger Blick aufs Handy, wo die Komoot-App die noch zu fahrenden Kilometer anzeigt trägt auch nicht grad zur Motivation bei. Dass der letzte Radlertag so mühsam sein muss!

Aber dann, kurz vor 18:00 reiten wir auf den Drahteseln in Tarfaya ein – auf den Tag genau 12 Wochen, nachdem wir in Paris losgeradelt sind. Wir haben Sand in den Haaren, im Gesicht und sogar im Mund. Und das, obwohl kein Sandsturm war (der viele Regen hat das verhindert) – es ist aber trotzdem viel feiner Sand in der Luft.  Insgesamt fast 4.000 Kilometer und 24.000 Höhenmeter in den Wadln – jetzt freuen wir uns aufs Chillen und Nichtstun! Und so schnell werde ich den Helm nicht wieder aufsetzen.

Am Abend lese ich, dass es in Safi, wo wir erst vor 1 Woche waren, viele Tote aufgrund von schweren Überschwemmungen gibt. Wir hatten ja fast die gesamte Strecke Glück mit dem Wetter: Im Frankreich waren die Oktobertemperaturen noch so angenehm, dass wir im Atlantik baden konnten. In Spanien haben wir die paar Regentage genützt, uns auszuruhen und auch in Marokko war uns der Wettergott die meiste Zeit hold. Glück hatten wir nicht nur mit dem Wetter, sondern auch unsere Gesundheit hat gut mitgespielt – abgesehen von den Knieschmerzen und der Magen-Darm-Geschichte bei Dieter (beides ist schon wieder gut) gab es keinerlei Schwierigkeiten. Und nicht zu vergessen: Dieter und ich waren ein Super-Team. Wir haben uns ja über eine Reiseplattform kennengelernt und vor der gemeinsamen Tour nur 2x getroffen. Unkompliziert, humorvoll, hilfsbereit und ein gemeinsames Ziel vor Augen, so gelingt Paris-Tarfaya!

Morgen wird Rupi, der Segler, mit dem ich vergangenen Winter auf den Kanaren verbracht habe, mit seinem Segelboot in Tarfaya ankommen und wir werden dann zu dritt nach Fuerteventura segeln. Dieter wird sich zu Weihnachten mit seinen Töchtern auf Teneriffa treffen und ich werde die restlichen Wintermonate ebenfalls auf den Kanaren verbringen. Und ab und zu sicher auch eine Radtour unternehmen. 

Rad fährt Bus – ganz unkompliziert in Marokko

Brahim, ein „Blauer Mann“ (Tuareg)

in der Oase

zur Begrüßung gibts Minzetee und Datteln

und zum Abendessen Tajine mit Dromedar, Quitten, Pflaumen und Zwiebeln

Dieter‘s Hinterrad braucht wieder mal fachmännische Betreuung

Akhfennir, das hässliche Wüstenkaff am Atlantik

aber bei Eric lässt sich‘s aushalten

Eric, der pensionierte Kriminalkommissar aus Frankreich gemeinsam mit Naima, seiner marokkanischen Frau

Achtung: Sandverwehungen!!

ABNUTZUNGS-ERSCHEINUNGEN

Nach unserem Wochenende in Fes nehmen wir auch zurück nach Kenitra an der Küste wieder den Zug, der – wie schon bei der Hinfahrt – voll besetzt ist. Fahrradmitnahme ist in den marokkanischen Zügen leider nicht gestattet – wir haben daher unsere Räder und einen Teil unseres Gepäcks beim Vermieter unseres Apartments gelassen. Er ist so nett und holt uns mit seinem Auto vom Bahnhof ab und lädt uns vor unserer Weiterfahrt noch zu sich in die Wohnung ein. Seine Frau serviert kräftigen Kaffee und marokkanische Mehlspeisen (Dieter ist mittlerweile ein großer Fan dieser süßen Versuchungen). Herr Zerhouni, der Vermieter ist ein richtiger Sir – immer herausgeputzt und fein gekleidet. Stolz zeigt er uns seine schöne Wohnung im 6. Stock eines Wohnblocks – von den Balkonen der 130m2 grossen Unterkunft sieht man auf einen Park. Die Wohnung sei mittlerweile viel zu gross für ihn und seine Frau, meint er. Die 3 Kinder, die so wie er auch alle im Ausland studiert haben, sind längst ausgeflogen und haben eigene Familien. Die älteste Tochter lebt in Stockholm, wo sie mit einem türkischen Banker verheiratet ist und 2 kleine Kinder hat. Die 2. Tochter lebt mit ihrem marokkanischen Gatten in Paris, wo sie in einer gehobenen Position in der Verwaltung tätig ist. Nur der Sohn ist in Marokko geblieben – er lebt mit seiner Familie ein paar hundert Kilometer entfernt in El Jadida. „Aber zu Weihnachten kommen alle wieder auf Besuch  – darauf freuen wir uns besonders. Und zum Glück gibts WhatsApp, so bleiben wir immer in Kontakt.“

Für uns gehts radelnd weiter an der Küste entlang Richtung Süden. Zuerst durch eine sehr ärmliche Gegend mit einfachen Hütten und losem Untergrund und Kakteen am Wegesrand (zu Sturz kommen darf man hier nicht), dann auf der Bundesstraße, die glücklicherweise nicht allzu stark befahren ist. Wir fahren durch Rabat, die Hauptstadt des Landes, und sind überrascht von den vielen modernen Gebäuden. Ganz neu errichtet wurde das königliche Theater und der Mohammed VI Tower, das 2. höchste Gebäude Afrikas. Auch die Medina, die wir mit den Rädern durchqueren, wirkt nach unseren Eindrücken aus Fes und Tanger etwas strukturierter und aufgeräumter. Und wir fahren in Marokko zum 1. mal auf einem Radweg – okay, es ist zwar nur so ein „Fake-Radweg“, der baulich nicht vom restlichen Verkehr abgetrennt ist, aber immerhin ist ein schmaler Streifen auf der Fahrbahn für Radfahrer reserviert. 

Südlich von Rabat (am Atlantik) reiht sich Feriensiedlung an Feriensiedlung – teilweise muss man an Schranken mit Wachposten vorbei, um das Areal betreten zu können. Und wo die Küste noch nicht verbaut ist, stehen Baukräne. Auf grossen Plakatwänden werden Wohnungen (um umgerechnet € 70.000,00) und Häuser (um umgerechnet € 600.000,00) angeboten. Fraglich ist, wieviele Marokkaner sich so etwas leisten können.

Irgendwo in dieser Gegend habe ich dann auch eine nicht so angenehme Begegnung mit Hunden. Dieter fährt – wie fast immer – etwas vor mir, als plötzlich ein ziemlich großer Hund aus dem Gebüsch springt und mich aggressiv anbellt. Ein zweiter Vierbeiner schließt sich an, sodass ich – flankiert von 2 Hunden – anfange so schnell wie möglich zu radeln. Ein Hund hat mich bereits eingeholt und versucht, mich ins Wadl zu beißen. Ich hebe sicherheitshalber beide Beine in die Höhe, sodass er mich nicht zu fassen kriegt. Dieter ist durch das laute Gebell auf meine Notsituation aufmerksam geworden. Er dreht um, erhebt sich, sodass er mit den Füssen auf den Pedalen steht (und dadurch noch größer wirkt, als er ohnehin schon ist) und kommt mit hoher Geschwindigkeit und lautem Geschrei auf uns zu. Ein Hund dreht sofort um, der zweite gibt noch einen wilden Laut von sich, bevor er den Schwanz einzieht und wieder im Gebüsch verschwindet. Mein Puls beruhigt sich wieder – obwohl ich schon so viele Hundeattacken in Süditalien und im Kaukasus erlebt habe – daran gewöhnen werde ich mich wohl nie.

Wir folgen normalerweise immer den Routen, die uns Komoot vorschlägt. Diesmal führt uns der Weg in ein vermeintliches „Wohngebiet“ – am Eingang ist ein Wachposten, der so in sein Handy vertieft ist, dass er nicht bemerkt, wie wir uns am Schranken vorbeischlängeln. Uns fällt dann aber auf, dass alles extrem sauber und der Rasen auf den mm genau geschnitten ist. Einfach zu perfekt. Lauter schöne Villen mit blühenden Sträuchern. Ein Jogger kommt uns entgegen und schaut uns verwundert an. Nach 2km wieder ein Wachposten: 4 uniformierte und bewaffnete Männer. Sie weisen uns freundlich, aber unmissverständlich in perfektem französisch darauf hin, dass wir uns auf königlichem Areal befinden und hier keinesfalls weiterfahren dürfen. Okay, dann kehren wir halt um.

Die nächste Herausforderung, die auf uns wartete war Casablanca. Beide hatten wir großen Respekt vor dem Radeln in dieser 3,2 Mio Einwohner Stadt. Radwege gibt es natürlich nicht. 15km vor dem Tagesziel im Zentrum machen wir noch eine kurze Pause. Wir befinden uns bereits in einer Einfallsstrasse, es ist 16:00, das heisst Rush Hour. Noch schnell einen Schluck trinken, eine Banane und ein paar Walnusskerne essen – Nervennahrung. Volle Konzentration und los gehts – rein in den Wahnsinn. Dieter fährt vor. Autos (viele fette Schlitten), LKWs, Mopeds – immer wieder Stau. Ampeln gibt es fast gar nicht, aber viele Kreisverkehre. Und wer am forschesten ist, fährt einfach. Zebrastreifen gibt es zwar – die werden aber von allen ignoriert. Ganz wichtig ist: Blickkontakt zu den anderen Verkehrsteilnehmern und dann das kurze Nicken des anderen abwarten, bevor man in die Pedale tritt. Sehr viele Fahrzeuge stehen in 2. Spur, d.h. ständig muss man Spur wechseln – ich weiss nicht, was ich ohne meinen Rückspiegel gemacht hätte.  Es wäre interessant gewesen, diese Fahrt in das Stadtzentrum mit einer Drohne zu filmen – wir haben das nämlich ganz souverän gemeistert und sind gut in unserem wunderschönen, sehr modernen Apartment direkt an der Fußgängerzone gelegen, angekommen. 

Südlich von Casablanca gehts dann weiter durch ländliches Gebiet. Da es vergangenes Wochenende stark geregnet hat, leuchtet es überall zart grün. Und die Bauern bestellen ihr Land mit einfachsten Mitteln: der Einscharpflug wird von nur einem Esel gezogen. Das Saatgut wird mit der Hand ausgestreut, selten sieht man landwirtschaftliche Maschinen. 

Wir halten in einem kleinen Dorf, um Getränke zu kaufen. In einem primitiven Verschlag werden wir fündig: Wasser und Zitronenlimonade wechseln um umgerechnet ein paar Cent die Besitzer. Der Ladenbesitzer – er heisst Mohammed-  hat sicher noch nie einen Touristen als Kunden begrüßt. Gut ausgestattet mit Getränken, die wir gleich in unsere am Rad befestigten Trinkflaschen umfüllen, schwingen wir uns wieder in den Sattel. Etliche Kilometer weiter in einer kleinen Stadt lockt ein Café. „Moni, Bock auf Kaffee?“ „Ja, klar.“ Wir nehmen Platz. „Wo ist mein Rucksack?“ fragt Dieter – sichtlich nervös. Nun muss man dazu sagen, dass Dieter dazu neigt, seinen Rucksack, in dem er Snacks, Reisepass,… aufbewahrt irgendwo liegen zu lassen (ist bis jetzt auf unserer Tour 3 x passiert und immer gut ausgegangen). Ich verdrehe die Augen – wie kann man nur so schusselig sein – und rechne bereits mit einer längeren Reiseunterbrechung, weil Dieter auf seinen neuen Pass warten muss, nachdem er ihn auf der deutschen Botschaft in Rabat beantragt hat. In den meisten Unterkünften in Marokko muss man den Reisepass vorweisen – ohne Pass können wir also auch nicht großartig herumreisen.

In dem Moment kommt Mohammed, der Ladenbesitzer zu uns an den Tisch. In der Hand der schon verloren geglaubte Rucksack. Dieter hat tatsächlich seinen Rucksack beim Einkaufen im Laden liegen lassen. Mohammed hat sich daraufhin ein Fahrzeug organisiert und ist die Strasse entlang gefahren bis er unsere Fahrräder, die wir vor dem Café abgestellt hatten, entdeckt hat. Dieter fällt ein Stein vom Herzen und will sich erkenntlich zeigen, was Mohammed aber entschieden ablehnt. „Shokran katiran!“

Es gibt also nicht nur Bösewichte, die einem das Handy rauben wollen, sondern einfach nette Leute, die einem selbstlos helfen.

Die Straßen bzw. Wege, die wir entlang fahren stellen teilweise eine große Herausforderung dar. Auf den asphaltierten Hauptstraßen ist es der starke Verkehr, der uns zu schaffen macht und auf den Nebenstraßen ist es der oft sehr ruppige Untergrund, der vor allem unseren Rädern das letzte abverlangt. Dieter hat bereits in Südspanien bei einer wilden Abfahrt über eine Holperpiste ein paar Speichen seines Hinterrades verloren – in der nächsten Ortschaft gab es glücklicherweise eine Fahrradwerkstätte, wo der Schaden wieder behoben wurde. Wir haben dort auch gleich beide Fahrräder servicieren lassen, damit sie fit sind für Marokko.

Kurz vor Loualidia macht Dieter’s Hinterrad aber wieder Probleme – wir haben an dem Tag 100 Kilometer zu radeln und 80 haben wir bereits geschafft. Die Piste ist so ruppig und wild, sodass sich sämtliche Speichen seines Hinterrads gelöst haben und die Felge so instabil und verzogen ist, dass an ein Weiterradeln nicht zu denken ist. Es ist ausserdem bereits 16:30 und in unserer Unterkunft in Loualidia ist check-in nur bis 18:00 möglich.  Also beschließen wir, dass ich allein zum noch 20km entfernten Hotel auf einer Asphaltstraße mit viel Verkehr vorfahre und Dieter sein Rad schiebt und versucht, eine Mitfahrgelegenheit zu organisieren. Ich komme rechtzeitig an im Quartier und kurz nach mir ist auch Dieter bereits da – mit repariertem Fahrrad!  Er wurde – sein Rad schiebend – von Rafik, der an der Strasse entlang ging, angesprochen. Welches Glück: Rafik hat in Hamburg studiert und spricht perfekt deutsch. Er organisiert kurzerhand ein Auto, das Dieter samt Drahtesel nach Loualidia, wo sich auch eine Radwerkstätte befindet, transportiert. Der Mechaniker bringt in seiner kleinen Werkstatt alles wieder in Ordnung für 10 Dirham (1 €), sodass Dieter rechtzeitig noch vor Sonnenuntergang in der Unterkunft ankommt. Dort genießen wir ein vorzügliches Abendessen – mit Blick auf die Lagune mit vielen bunten Fischerbooten und begleitet vom Rauschen des Atlantiks.

Die Strecke hinterlässt Spuren – nicht nur an den Rädern, sondern auch an den Radfahrern. In der Nacht hat Dieter so heftige Schmerzen im linken Knie, sodass erst nach Einnahme von 2 Ibuprofen an Schlaf zu denken ist. Am nächsten Morgen noch eine Tablette, bevor wir in das nur 70km entfernte Safi weiterradeln. 

Und dann ist Schonung angesagt. Wir nehmen für die nächste Etappe nach Essaouira den Bus. Ganz einfach online zu buchen (allerdings kann man keine Radmitnahme online buchen) sind wir 30 Minuten vor der geplanten Abfahrtszeit am Busbahnhof in Safi. Am CTM Schalter zeige ich meine Tickets vor und sage, dass wir auch 2 Fahrräder mitnehmen wollen. Zack-zack sind 2 Tickets für unsere Drahtesel ausgestellt (3 € pro Rad) – der CTM Mitarbeiter spricht gutes Englisch – und die Räder werden sogar stehend im hohen Gepäcksabteil des Busses befördert. 

Man merkt jetzt bei jedem Meter, den wir uns südwärts bewegen, dass die Wüste näher kommt. Das Land wird immer trockener, man sieht Ziegen, die in die Kronen der knorrigen Bäume klettern und dort an grünen Blättern naschen, weil sie am Boden zu wenig Nahrung finden und ab und zu auch Kamele. Und spürbar heißer wird es auch – untertags hat es in der Sonne ca. 26 Grad. 

In Essaouira, einer sehr interessanten Hafenstadt mit Hippie-Flair und vielen Touristen (aber weit entfernt von over-tourism) wohnen wir wieder in einem schönen Riad, wo uns beim Frühstück auf der sonnigen Dachterrasse eine freche Möwe glatt ein Croissant stiehlt und damit davonfliegt. Dieter gönnt sich eine Rasur beim barber. Sein Knie ist etwas besser, aber noch immer nicht ganz gut und ab und zu schluckt er noch Ibuprofen. Wir beschließen daher, bis Agadir mit dem Bus weiter zu fahren. Auch diesmal klappt es wieder einwandfrei mit der Fahrradmitnahme – der Buschauffeur und der Ticketverkäufer von CTM wollen alle Details zu unseren mittlerweile ziemlich verdreckten Fahrrädern wissen. Zwischen den hier üblichen Vehikeln wirken sie wie Geräte aus einer anderen Welt.

Angekommen in der sehr sauberen und modernen Touristenstadt Agadir klopft bei Dieter mit lautem Bauchgrummeln Montezuma an – das Knie spürt er auch noch immer (mir geht es glücklicherweise gut). In den nächsten paar Tagen ist daher nicht an Radfahren zu denken; für die bevorstehenden Etappen durch die Wüste – es sind ohnehin nur noch ca. 500 km bis zum Ziel in Tarfaya – müssen wir beide absolut gesund sein.

weiter geht‘s – jetzt nur nicht an den Kakteen anstreifen

es hat geregnet

so eine Holperpiste – da muss man schieben

in den Städten immer wieder interessante street art

in unserem Riad in Azemmour gibts tatsächlich einen Christbaum

in der Medina von Essaouira

am Hafen

1 kg saftig süßer Mandarinen kostet umgerechnet 40 cents

MAROKKO

Sowohl Dieter, der noch nie in Afrika war, als auch ich, die schon verschiedene Länder des schwarzen Kontinents bereist hat (aber nie mit dem Rad), waren sehr gespannt, was uns in Marokko erwarten würde. Bis zum Jahr 2000 war ich einige Male in Marokko gewesen – immer zu Besuch bei Verwandten meines Ex-Mannes, der aus Fes stammt. Seither sind 25 Jahre vergangen – ob und wie sich das Land wohl verändert hat?

Bereits am Hafen von Tarifa in Spanien fallen mir die vielen SUV‘s mit marokkanischem Kennzeichen auf, die ebenfalls mit der Fähre nach Tanger übersetzen. Nach unserer Ankunft in Tanger (die Einreiseformalitäten werden bereits auf der Fähre erledigt) gehts erst die paar Kilometer mit etlichen Höhenmetern in die Medina zu unserem gebuchten Riad. Radwege darf man hier natürlich nicht erwarten – wir teilen uns die Strasse mit unzähligen Autos, Motorrädern, Pferde- und Eselgespannen. Chaotisch, laut, bunt, vorbei an Cafés, in denen Männer im TV Fussball schauen und Minztee trinken- willkommen im Orient!

In der Medina ein Gewirr an engen Gassen mit unzähligen Riads, die man nur zu Fuß oder mit einem einspurigen Fahrzeug erreichen kann. Riads, diese nach innen gerichteten Gartenhöfe mit Dachterrasse, werden mehr und mehr zu Gästehäusern umgebaut und touristisch vermarktet. Wir dürfen unsere Räder im Eingangsbereich des Riads sicher abstellen und machen uns dann auf den Weg in ein Restaurant. Typisch marokkanisch muss es natürlich Couscous (mit Huhn) und Tajine (mit Rindfleisch und Pflaumen) sein. Dazu heißer, süßer Minztee. Alles sehr fein! Am Weg zurück ins Riad verirren wir uns ein paar Mal – es ist ein Labyrinth an engen Gassen, sodass selbst google maps teilweise nicht richtig anzeigt. Komoot, über das wir beim Radfahren navigieren, funktioniert besser, schlussendlich sind wir wieder in unserem Quartier angekommen.

Am nächsten Morgen Frühstück bei Sonnenschein auf der Dachterrasse – auch auf den umliegenden Terrassen sitzen Touristen, die ihr orientalisches Frühstück in der Sonne sitzend genießen. Wir organisieren uns dann noch SIM-Karten und tauschen unsere EUROs in Dirhams, bevor es mit dem Rad weiter Richtung Süden geht.

Es ist Montagmorgen mit viel Verkehr – das Fahren aus der Stadt ist zäh, wann immer es möglich ist, fahren wir am Gehsteig – die Polizei tangiert das nicht. Dann – wir sind noch immer nicht draußen aus der 1,3 Mio Einwohner Stadt – Dieter fährt vor mir auf einer wenig befahrenen Nebenstraße – kommt von hinten ein Motorrad mit 2 Männern und überholt mich. Als es auf der Höhe von Dieter ist, verreißt der Fahrer das Motorrad nach rechts, sodass Dieter strauchelt und beinahe zu Sturz kommt. „Was wollen die?“ denke ich mir, im nächsten Moment geben sie Gas und brausen davon. „Alles okay?“ frage ich Dieter. „Die wollten mein Handy klauen!“ Um navigieren zu können, haben wir unsere Mobiltelefone am Lenker angebracht – bei Dieter ist das Telefon mit einer Sicherungsschnur befestigt und daher ist es dem Bösewicht nicht gelungen, es zu rauben – die Sicherungsschnur hat gehalten. Für mich war das schon eine Schrecksekunde, aber Dieter, ein ehemaliger Kripobeamter, hat das ganze als sehr spannend und interessant empfunden.

Okay, noch mal alles gut gegangen, weiter gehts zuerst noch auf einer Nationalstraße, dann auf einer angenehm zu fahrenden Landstraße. Am Straßenrand werden Feigen, Granatäpfel und manchmal auch Coffee-to-go (aus tollen italienischen Kaffeemaschinen) angeboten (das hat es bei meinem letzten Besuch vor 25 Jahren definitiv noch nicht gegeben). Und was man am Straßenrand auch sieht: Müll. Schon in Spanien habe ich mir gedacht: „Wenn ich für jede leere Getränkedose oder -Flasche im Straßengraben einen Cent bekomme, so wäre ich Multimillionärin.“ Und auch hier wandern die leeren Dosen, Flaschen und Zigarettenpackungen direkt aus den fahrenden Autos in den Straßengraben. 

In einer kleinen armseligen Ortschaft halten wir an einem Kiosk (Miniladen), um ein Getränk zu kaufen. Es ist keine touristische Gegend und die Leute dort sehen so gut wie nie Touristen (und schon gar nicht solche, die mit dem vollbepackten Rad unterwegs sind). Die „Verkäuferin“, Mariam, etwa 10 Jahre alt spricht nur arabisch und freut sich riesig, uns 3 Dosen Maracuja-Orange verkaufen zu können. Ihre Mutter kommt dann auch noch aus dem dahinter liegenden Haus und schenkt uns ein noch warmes Fladenbrot frisch aus dem Ofen. „Shokran katiran!“ und schon schwingen wir uns wieder auf die Räder.

Das Ziel unseres 1. Radlertages in Marokko liegt etwas ausserhalb von Assilah in einem kleinen Dorf: Maison d‘hotes Berbari, ein Landgut (mit tollen Bewertungen auf booking.com). Nachdem wir zuvor auf einer wilden ruppigen Piste an vielen einfachsten Wellblechhütten vorbeigefahren sind, können wir kaum fassen, an welch magischem Ort wir hier gelandet sind. Die im Berberstil gestalteten Zimmer sind alle individuell und mit viel Liebe zum Detail ausgestattet. Und dann die Kulinarik: am offenen Kamin (am Abend ist es schon kühl) und begleitet von feiner Jazzmusik gibt es feinste cuisine marrocaine mit guter marokkanischer Weinbegleitung.

Gemanagt wird das Anwesen von Frauen: Rachida mit einem wilden Lockenkopf und Nouhaila: Dieter kriegt noch immer glänzende Augen, wenn er an die rassigen Mädels (die wirklich auf Zack sind) von Berbari denkt.

Am nächsten Tag ist am Vormittag starker Regen angesagt, daher radeln wir erst am Nachmittag los. Ziel ist die nur 10km entfernte Stadt Assilah am Atlantik. Assilah ist bekannt für seine street art – seit 1978 findet dort das street art Festival statt und viele tolle Graffiti zieren die weißen Wände der Medina. Auch hier sind wir wieder in einem sehr schönen Riad untergebracht. Dieter, ein großer Fan von street art, findet viele Fotomotive.

Die nachfolgenden Tage ist ideales Radlerwetter angesagt (max 18 Grad bei Sonnenschein)- da auch kaum Höhenmeter zu überwinden sind, planen wir Tagesetappen zwischen 90 und 100km. Es geht durch stark landwirtschaftlich genutztes Gebiet (Region Gharb) entlang der Küste: Heidelbeeren, Himbeeren (ich sehe ein Gebäude von Discrolls – sie vermarkten die Beeren auch in österreichischen Supermärkten), Zuckerrohr, Bananen, Zitrusfrüchte, Reis und Unmengen an Avocados. Viele Betriebe setzen trotz Belastung der Wasserressourcen seit ein paar Jahren vermehrt auf die grüne Frucht, um den Hunger der Europäer nach Guacamole zu stillen. 

Das Radeln ist körperlich nicht anstrengend, auf manchen Abschnitten sind aber viele Fahrzeuge (auch LKW‘s) unterwegs, sodass es eher mental belastend wird.

Und wenn Kinder am Straßenrand stehen, wollen sie immer abklatschen. Am Anfang war das ganz lustig – manche Kinder versuchen aber, einen vom Rad runter zu ziehen und dann hört sich der Spass auf. Mittlerweile strecke ich die Hand gar nicht mehr aus, weil ich Angst habe, dass ich zu Sturz komme, wenn ein 10-Jähriger meine Hand zu fassen bekommt.

Die Straßen sind ganz okay – es kann aber immer wieder vorkommen, dass plötzlich eine riesige Wasserlache (bei der keine Umfahrung möglich ist) auftaucht. Dann heissts: Augen zu und durch und hoffen, dass man nicht in ein Schlagloch (man sieht den Untergrund ja nicht) fährt. Und wenn man dann doch in einem Schlagloch landet:  kurz mit einem Fuß absteigen und sich vom Boden abstoßen, damit man die Fahrt fortsetzen kann. Glücklicherweise scheint ja fast immer die Sonne, sodass der nun waschelnasse Fuß samt Schuh wieder trocken ist.

Nach den ersten 300 Radlkilometern in Marokko (insgesamt haben wir seit dem Start in Paris vor 10 Wochen 3200 km radelnd zurückgelegt)sind wir in Kenitra angekommen. Da wir unbedingt Fes (das abseits unserer Route liegt) sehen wollen,  beschließen wir, die Räder und den Großteil des Gepäcks bei unserem Vermieter in Kenitra zu deponieren und den Zug ins Landesinnere zu nehmen. Unser Vermieter, ein ehemaliger Uni-Professor, der in Deutschland studiert hat und daher auch perfekt deutsch spricht, bringt uns dann auch noch mit dem Auto zum Bahnhof – shokran katiran!

Seit 2 Tagen sind wir nun in Fes und wohnen wieder einmal in einem beeindruckenden Riad in der Medina. Das Gassengewirr in der Altstadt mit mehr als 1000 zumeist sehr engen Gassen (unter Klaustrophobie darf man nicht leiden) ist immer wieder faszinierend. Und dann rieche ich es: Duft von Zedernholz – ich habe den angenehmen Duft seit meinem letzten Besuch in Fes vor 25 Jahren nicht mehr gerochen. Aus dem Holz werden in den Handwerksbetrieben schöne Möbel getischlert. Und weiter geht es in das Gerber- und Färberviertel. Hier ist es nicht der Duft, sondern der Gestank der Tierfelle, der einem auffällt (ein Büschel Minze vor der Nase hilft etwas). Im nächsten Viertel wird laut gehämmert – die Messing- und Kupferschmiede sind am Werken. Überall gibts was zu schauen und anschliessend lassen sich die Eindrücke in einem Café bei einer Tasse Minztee verarbeiten.

In Tanger werden die Stromzähler von Punksy gestaltet

der zerlegt gerade einen Rindskopf

zwischendurch ein Minztee

unsere wunderschöne Unterkunft am Land

Tajine mit Rindfleisch, Pflaumen, Birnen und Mandeln – dazu Gemüse und marokkanischer Rotwein

ja, so lässt sich‘s leben

Abendstimmung am Land

unser Riad in Assilah

Riad in Assilah

Dachterrasse des Riad in Assilah

street art in Assilah

nach einem ausgiebigen Frühstück im Riad gehts weiter

Arbeiter auf der Bananenplantage

Das sind Dornen eines Strauches, der überall am Straßenrand wächst – bis jetzt hatten wir in Marokko zum Glück keinen Patschen

viele Störche hier und dieser Mast ist besonders beliebt

Bab Boujloud – das Blaue Tor in Fes

in der Medina in Fes

unser bescheidenes Riad in Fes

ADIOS ESPANA

Bei der Planung der Tour von Paris nach Tarfaya gingen wir davon aus, dass wir für jedes Land ca. 1 Monat benötigen werden, sodass wir um die Weihnachtszeit am Zielort in der Sahara ankommen werden. Da man aber immer mit Überraschungen (man kann krank werden oder noch viel schlimmer einen Unfall haben, es kann über längere Zeit regnen oder man benötigt einen Ersatzteil fürs Fahrrad, der grad nicht vorrätig ist) rechnen muss, waren wir uns nicht sicher, ob wir diesen Zeitplan einhalten werden können. Und was soll ich sagen: ich sitze gerade auf der Dachterrasse eines Riads in der Kasbah in Tanger im Schatten (in der Sonne ist es mir zu heiß) und denke an Wien, wo es letzte Nacht geschneit hat. Wir sind am 21.9. in Paris gestartet, sind am 21.10. über die französisch-spanische Grenze geradelt und gestern, am 22.11. sind wir mit der Fähre von Tarifa, dem südlichsten Punkt am europäischen Festland in Tanger angekommen. Wenn das kein Timing ist.

Will man die spanische Etappe in einem Satz zusammenzufassen, dürfen die Worte „anstrengend“, „wunderschön“ und „sehenswert“ nicht fehlen. Ausnahmslos jeder Radlertag in Spanien war anstrengend, wobei nicht nur die zu bewältigenden Höhenmeter eine Rolle spielen, sondern sehr oft der lose Untergrund, auf dem man einsinkt und der einem das Gefühl gibt, dass man mit dem höchsten Gang unterwegs ist, obwohl ein mittlerer Gang drinnen ist. Oder starker Gegenwind gegen den man ankämpfen muss bzw. starker Seitenwind, der einen in die stark befahrene Fahrbahn drückt, sodass das ganze auch noch gefährlich wird. Oder auch, wenn man einmal 10km auf einer stark befahrenen Bundesstraße fährt (was sich manchmal ergibt) – der Lärm und die Geschwindigkeit der vorbeirasenden Fahrzeuge ist extrem belastend und teilweise beängstigend, sodass erleichtertes Aufatmen angesagt ist, wenn man auf eine wenig befahrene Strasse kommt.

Ich sage mir dann aber immer, dass es sicher bald besser wird und so ist es dann (zumeist) auch. Man kommt durch traumhaft schöne Orte, von denen ich bis jetzt noch nichts gehört habe, die einem viele Wow-Momente bescheren und staunen lassen. Und mit etwas Glück ergattern wir ein leistbares Zimmer in einem toll hergerichteten historischen Gebäude mit netten Gastgebern. Und so sind wir auch zufällig in Llerena bei Lola und Julio in ihrem schönen Casa Rural „Cieza de Leon“ gelandet. Llerena lag eigentlich gar nicht auf unserer geplanten Route, die Wettervorhersage zuerst 1 Tag starker Wind und dann 4 Tage Starkregen ließen uns umplanen. Wir wollten den windigen (aber sonnigen) Tag noch nützen und eine kürzere Tour planen, die dann aber in einem Ort mit Bahnhof endet, damit wir bei Regen mit dem Zug die Strecke nach Sevilla zurücklegen können. Radeln bei Gegenwind ist nicht lustig, aber 45km sollten zu schaffen sein. Wir kommen an vielen landwirtschaftlichen Anwesen vorbei, können einen Blick auf die vielen Kühe und Stiere (viele sind für die Kämpfe in den überall sichtbaren Arenen bestimmt) werfen oder uns auch über die sehr witzigen iberischen Schweine (die zu schmackhaftem „Pata Negra“, einem Rohschinken verarbeitet werden) amüsieren. Die schwarzen Tiere sind einerseits sehr schreckhaft – sobald wir mit den Fahrrädern bei ihrem Gehege vorbeifahren, stoben sie laut grunzend auseinander – um gleich im nächsten Moment wieder ganz neugierig ums Eck zu lugen.

Aber nun zurück zu Llerena und unsere tolle Unterkunft. Das „Cieza de Leon“, eine Töpferei mit Herrenhaus aus dem 14. Jahrhundert, errichtet im „Mudejar“-Stil (eine sehr sehenswerte Kombination aus maurischer und iberischer Kunst) wurde 2020 von Lola und Julio in ziemlich heruntergekommenem Zustand gekauft und anschliessend sehr geschmack- und liebevoll restauriert. Das Resultat: 7 individuell gestaltete Gästezimmer und großzügige Allgemeinflächen. Und das ganze zum wohlfeilen Preis von 90,0o € inklusive Frühstück – leider können wir nur 2 Nächte bleiben, da die Unterkunft über das Wochenende ausgebucht ist. Da der vorhergesagte Regen auch tatsächlich kommt, beschließen wir die 130km nach Sevilla mit der Bahn zurückzulegen. Die Tickets sind online einfach zu buchen – die Mitnahme der Räder im „Media Distancia“ Zug der spanischen Staatsbahnen RENFE ist kostenlos. Außer uns hat an diesem verregneten Tag ohnehin niemand ein Fahrrad dabei.

Die 700.000 Einwohner Stadt Sevilla, die Hauptstadt Andalusiens, empfängt uns im Regen und es sollte die die meiste Zeit regnerisch bleiben. Zwischendurch gibt es aber auch Sonnenfenster, sodass wir durch die Stadt flanieren und die ein oder andere Tapas-Bar aufsuchen. Außerdem will Dieter unbedingt zum Barbier (wo sonst, wenn nicht in Sevilla) und siehe da, gleich ums Eck unseres Apartments wird er fündig.

Von Sevilla ist es nicht mehr all zu weit nach Tarifa (von wo die Fähre nach Marokko abfährt) – wir beschließen einen Abstecher nach Gibraltar zu machen und so radeln wir in das britische Überseegebiet – man muss tatsächlich über das Rollfeld des Flughafens radeln, um in die Stadt zu kommen. Auch hier wieder eine etwas andere Unterkunft: diesmal sind wir in einem Hausboot im Hafen untergebracht. In Gibraltar muss natürlich der Felsen bestiegen werden: das weit verzweigte Tunnelsystem im Berg (das maßgeblich zur Verteidigung der Meerenge im 2. Weltkrieg beigetragen hat) wird von uns genauso besichtigt, wie die Makaken, die überhaupt nicht lästig und aufdringlich sind. Im Gegenteil: sie wirken alle sehr gut genährt und gepflegt – nicht so räudig, wie man es von Affen an anderen Orten gewohnt ist.

Von Gibraltar gehts dann durch viele für Andalusien typische „weiße Dörfer“ mit laut klappernden Störchen (die hier überwintern), vorbei an Palmen, Pinien und Orangenplantagen, über den einen oder anderen Berg (mit vielen knackigen Anstiegen) weiter zum südlichsten Punkt am europäischen Festland: Tarifa. Hier gehen wir noch einmal in eine Lavanderia, damit wir mit sauberer, gut riechender Wäsche in Afrika ankommen.

In der Extremadura

zwischendurch eine Panne, die schnell behoben ist

Fachsimpeln mit einem spanischen Radler

Caceres – was für eine schöne Stadt

Caceres

Merida

Lauter witzige Schweine

Lola und Julio, unsere Gastgeber in Llerena im casa rural Cieza de Leon

Zimmer im Cieza de Leon

Cieza de Leon im Mudejar-Stil

Sevilla

Sevilla

Dieter beim Barbier von Sevilla

Arcos de la Frontera – eine der weißen Städte

Fahrt über das Flugfeld in Gibraltar

MONI, DIE RASENDE SCHNECKE

Seit über einer Woche sind wir nun bereits in der autonomen Gemeinschaft Kastilien und Leon unterwegs. Zuerst noch am Camino, dann geht es weiter an den ca. 200km langen Canal de Castilla, wo ein Radweg entlang des Wassers führt. Was für ein toller Anblick! Die Natur zeigt sich in ihrem festlichen Herbstkleid und erstrahlt in Rot-, Gelb- und Orangetönen. Schlehen- (wir bleiben immer wieder stehen und naschen von den säuerlichen Früchten) und Hagebuttensträucher wechseln sich ab am Wegesrand. Man passiert Schleusen, halb verfallene Mühlen (Fans von „Lost Places“ kommen hier auf ihre Rechnung) mit Graffiti besprüht und das ganze ohne nennenswerte Höhenmeter und weit ab vom Autoverkehr. Es wäre perfekt, wäre da nicht der lose Untergrund, auf dem man radelt. Und nach einer holprigen Tagesetappe von 60km winselt der Hintern um Gnade.

Man kann gar nicht beschreiben, welch erlösendes Gefühl es ist, wenn man dann wieder auf Asphalt dahingleitet – so als ob ein Schmerz, den man die ganze Zeit gespürt hat, plötzlich nachgelassen hätte.

Am späten Nachmittag des 31. Oktober kommen wir in unserem Hotel, gleich ums Eck der Plaza Mayor in Valladolid an. Reges Treiben in der 300.000 Einwohner-Stadt – man sieht etliche Menschen in Halloween-Kostümierung. Am Abend hat man dann ohnehin das Gefühl, dass die ganze Stadt auf den Beinen ist. Die Lokale sind alle gesteckt voll – man genießt ein Glas Wein mit Pinxtos (Valladolid ist bekannt für seine exquisiten Pinxtos). Für den nächsten Tag, Allerheiligen, ist starker Regen angesagt. Das bedeutet: Rasttag für uns und Flanieren durch die sehenswerte Stadt.

Am Sonntag dafür: strahlender Sonnenschein von Früh bis spät. Wir planen eine 75km lange Etappe nach Toro, wo wir ein Zimmer in einem Stadtpalais aus dem 14. Jahrhundert gebucht haben. Irgendwie habe ich aber eine böse Vorahnung in Anbetracht der Tatsache, dass es am Vortag so stark geregnet hat. Aber zuerst geht es einmal raus aus der Stadt – an so schönen Sonntagen sieht man dann auch viele Rennradler, die das tolle Wetter ausnützen. Bald hört dann aber die Asphaltstraße auf und weiter geht es auf losem Untergrund – aufgeweicht vom Regen mit riesigen Pfützen. Es dauert nicht lange und es ist so viel Schlamm/Sand/Erdgemisch zwischen Kotflügel und Reifen, dass diese sich nicht mehr bewegen. Jetzt fluche ich einmal (oder auch zweimal) ganz laut. Dieter hilft mir, die Reifen so weit zu säubern, dass sie sich wieder drehen. Dann checkt er noch auf Komoot, ob es eine asphaltierte Alternativroute gibt. Nur eine Schnellstraße /Autobahn, wo wir nicht radeln dürfen (und auch nicht wollen in Anbetracht des Verkehrs).

Dieser Sonntag sollte der anstrengendste Tag unser bisherigen Tour werden. Obwohl nur ca. 300hm zu bewältigen waren – 45 km auf losem, feuchten Untergrund, in den man tief einsinkt, hat nicht nur mir immer wieder einen Fluch entlockt. Unsere Räder und Packtaschen waren so voller Dreck – als wir durch ein kleines Dorf radeln, werden wir ganz verwundert angeschaut.

Die letzten 20km in das auf einem Hochplateau gelegene Toro legen wir dann auf einer asphaltierten Landstraße zurück. Müde von der heftigen Fahrt freue ich mich, im wunderschönen Quartier (wie geschrieben ein Palais aus dem 14. Jhdt.) eine Badewanne vorzufinden. Jetzt einmal ein Vollbad! Und dann ab ins Stadtzentrum – wir haben Riesendurst. Bei Rosa, einer Ecuadoranerin, die eine kleine Bar betreibt, nehmen wir Platz. Für mich muss es nach so anstrengenden Touren immer ein eisgekühltes Cola sein. „Moni, aber ein Bier trinkst du auch!“ – Dieter muss mich nicht gross überzeugen. „Du bist ja die allerhärteste Socke – ich kann gar nicht fassen, wie du heute diesen Wahnsinnstrip gemeistert hast“ meint Dieter, der auch sichtlich geschafft ist. Bis jetzt hat er mich ja immer wieder mal als „Schnecke“ bezeichnet (er fährt doch etwas schneller als ich, aber schön langsam hole ich auf und bei manchen Steigungen überhole ich ihn sogar!) und ab sofort bin ich Moni, die rasende Schnecke.

In der Bar lernen wir dann auch noch den Ehemann von Rosa kennen – Segundo – auch er kommt aus Quito und die beiden leben seit 26 Jahren in Spanien. Er meint, wir müssen unbedingt ein Glas Wermut (mit hohem Alkoholgehalt) trinken. Es bleibt dann nicht bei einem Glas – nach je ca. 4 Gläsern sind wir so besoffen, dass wir uns fragen, ob wir noch aufrechten Ganges zurück in unser Quartier kommen. Kichernd und uns gegenseitig stützend schaffen wir es dann doch – ein würdiger Abschluss für einen anstrengenden Tag.

Es geht dann weiter, durch viele kleine, fast ausgestorbene Dörfer (Landflucht ist ein großes Thema) und die Landschaft verändert sich langsam. Man sieht bereits 1. Sukkulenten und Steineichen. Mittlerweile sind wir ca. 200km westlich von Madrid unterwegs (gestern waren wir in der sehenswerten Stadt Salamanca) und bewegen uns schön langsam Richtung Sevilla.

Und wir fahren jetzt auch nicht mehr nur am Eurovelo (mit großteils losem Untergrund), sondern legen viele Etappen auf einer wenig befahrenen Nationalstraße (Carretera Gijon a Puerto de Sevilla) zurück.

Castrojeriz – nach am Camino gelegen

Am Canal de Castilla

Einer der vielen „Lost Places“

Loser Untergrund

Genau diesen Untergrund will ich nicht

Eine kleine Stärkung zwischendurch (rechts Torrezno – frittierte Schwarte mit viel Fleisch dran)

unsere Unterkunft im Palais aus dem 14. Jhdt. in Toro

Toro

Nach 4 Gläsern Wermut – mich wundert, dass ich noch aufrecht gehen kann

Endlich Asphalt

Plaza Mayor in Salamanca

„QUÄL DICH, DU SAU!“

Wir sind nun seit einer Woche in den Pyrenäen unterwegs und mindestens 1x/Tag denkt man unweigerlich an den legendären Spruch, den der deutsche Radsportler Udo Bölts 1997 seinem Teamkapitän Jan Ullrich zugerufen hat, als dieser auf der Tour de France schwächelte und damit motiviert wurde, sein Bestes zu geben.

Dass viele Höhenmeter auf uns warten, war von vornherein klar. Was allerdings nicht ganz klar war: wie wird der Zustand der Radwege/Strassen in Spanien sein? Nachdem wir von Frankreich sehr verwöhnt waren, hofften wir, dass uns im südlichen Nachbarland ähnlich gute Bedingungen erwarten würden. Die ersten paar Tage waren noch ganz okay – viel Asphalt, sodass wir die Räder nach einem knackigen Anstieg einfach laufen lassen konnten. Ich tendiere ja zu bremsen, wenn es zu schnell bergab geht – Dieter heizt immer an mir vorbei mit dem höchsten Gang und dabei tritt er noch heftig in die Pedale. „Wer bremst, verliert!“ hör ich grad noch, bevor er wie die gesengte Sau hinter der nächsten Kurve verschwindet.

Ab Pamplona verläuft der Eurovélo abschnittsweise direkt am Pilgerweg nach Santiago de Compostela – das heisst kein Asphalt, sondern wie Komoot es nennt: „Verdichteter Schotter“. Das tut zwar den Wandersleuten gut – für voll beladene Trekkingradfahrer wirds spätestens dann aber anstrengend. Selbst bei leichten Steigungen hat man das Gefühl, nicht vorwärts zu kommen. Wenn dann noch Gegenwind dazu kommt, wirds richtig zermürbend und wenn man dann für 10km eine gute Stunde braucht, kann es schon vorkommen, dass man sich fragt, warum man sich das antut.

Entschädigt wird man aber mit tollen Landschaften, mit netten Begegnungen, vielen „Buen Camino“-Zurufen von Pilgern und Dorfbewohnern und wenn man am Abend todmüde ins Bett fällt, schläft man ein mit dem Gefühl, etwas Besonderes geleistet zu haben. Und die „Pintxos“ (eine Art Tapas in Nordspanien), dazu ein Glas gut gekühlter Weißwein aus der Riojaregion, die wir grad durchradeln, lässt man sich besonders gut schmecken.

Wenn wir einen Radlertag planen, checken wir zuerst das Wetter. Wenn gutes Wetter angesagt ist (kein Regen, kein starker Wind) und wir uns fit fühlen (was zumeist der Fall ist), planen wir eine Strecke von ca. 70km. Komoot spuckt uns dann auch gleich die Höhenmeter, die Wegearten (Singletrail, Radweg, Bundesstraße,…) und die Oberflächenbeschaffenheit (Asphalt, unbefestigt, verdichteter Schotter) aus. Im nächsten step schauen wir auf booking.com, ob es am Zielort eine passende Unterkunft gibt. Falls ja, wird diese gebucht – falls nein, wird die Strecke eben etwas verkürzt oder etwas verlängert.

Gestern war ein idealer Radlertag. Nach einer erholsamen Nacht und einem ausgiebigen Frühstück in unserer edlen Unterkunft, einem parador (eine Unterkunft in einem historischen Gebäude – in diesem Fall ein 600 Jahre altes Kloster, in dem es 10 exklusive Zimmer gab), starteten wir um 10:00 bei frischen 3Grad und strahlendem Sonnenschein. Eingemummt mit Schal, Haube und Handschuhen dauert es nicht lange, bis eine der 3 Schichten, der Schal und die Handschuhe in den Packtaschen verschwindet. Bis zum Zielort Burgos sind es 72km mit 840 knackigen Höhenmetern. Der Großteil des Weges verläuft direkt am Jakobsweg, d.h. viel kräftezehrender grober Schotter.

Gleich am Beginn gibts eine Straßensperre – das heisst, wir müssen einen Umweg mit etlichen Höhenmetern fahren. Entschädigt werden wir durch das tolle Wetter und die wunderschöne Landschaft. Es geht durch viele kleine Dörfer, dabei überholen wir eine Menge Pilger (es sind sehr viele Japaner, Koreaner und Chinesen am Jakobsweg unterwegs) – die Pilgersaison geht schön langsam zu Ende, viele Herbergen haben bereits geschlossen.

An einem der vielen Trinkbrunnen treffen wir Daniel. Er stammt aus der Nähe von Stuttgart und ist mit seinem Hund Siggi seit über 8 Jahren in Spanien unterwegs. Seine Habseligkeiten hat er in einer Scheibtruhe (mit Solarpaneelen, sodass er sein Handy aufladen kann) und so zieht er durch das Land und hofft auf milde Spenden. Ein Leben in Deutschland, das packt er nicht mehr – speziell die dunklen Winter machen ihn fertig. Wir geben ihm eine Packung Schokokeks und einen 10 Euro Schein – er strahlt vor Glück und zeigt uns ein zahnloses Lächeln.

Weiter geht‘s – vor uns liegt noch ein langer Weg und eine heftige Steigung rauf auf 1160m. Ein ebenfalls vollbepackter Radler holt uns ein, als wir grade den vorderen Reifen meines Rades aufpumpen. Poldi kommt aus der Bretagne und ist ebenfalls unterwegs nach Santiago, bevor er im Dezember wieder zurück fährt nach Frankreich. Gemeinsam meistern wir die extrem kräfteraubende Steigung und teilen unsere Kraftspender (Poldi hat saure drops und wir haben Schokokekse und Äpfel – wir teilen alles). Der letzte Anstieg ist so arg, dass ich meine Packtaschen runternehme und extra rauftrage (Dieter hilft mir – danke schön) und dann das nun nur 15kg schwere Rad durch den groben Schotter raufschiebe. Wenn man hier rauffahren möchte, benötigt man ein e-Mountainbike.

Die letzten 37km nach Burgos sind dafür wieder angenehm – es geht entweder sanft nach unten oder eben dahin bevor wir grad zum Sonnenuntergang in der schönen Stadt ankommen, wo wir gleich neben der Kathedrale unser Quartier beziehen. Ziemlich müde – es sind doch fast 80km und 950 Höhenmeter zusammengekommen – freuen wir uns nun auf einen Rasttag (der letzte war vor 1 Woche) und auf einen Bummel durch das sehenswerte Burgos.

Unsere 1. Unterkunft im spanischen Baskenland – hier werden wir voll verwöhnt

Heute gehts durch den finsteren Tunnel

Pamplona

In der Rioja-Region

Unser feudales Nachtquartier – ein 600 Jahre altes Kloster in Santo Domingo de la Calzada

Daniel und Siggi mit Scheibtruhe unterwegs

Poldi aus der Bretagne

Burgos

Burgos

Pinxtos, dazu ein feines Glas Wein

AU REVOIR FRANCE

Unsere Zeit in Frankreich neigt sich dem Ende zu. Ein bisschen wehmütig schauen wir zurück auf 4 Radlerwochen in einem tollen Radlerland. Vorbildliche, gut ausgeschilderte Radwege abseits des Straßenverkehrs haben uns durch eine vielfältige und sehenswerte Landschaft geführt.

Es ging entlang der Kanäle, über kurze historische oder lange Hochseebrücken, kreuz und quer durch Schilfwiesen und Salzsümpfe, mitten durch die Großstadt, über Wiesen und Felder, durch verschlafene Dörfer und winzige Kaffe, vorbei an Sonntags- und Trödelmärkten, an Leuchttürmen und Windmühlen, durch menschenleere Gegenden, entlang des Meeres, vorbei an Watt, Strand und Steilküste, durch langweilige, seelenlose Touristenorte, aber auch durch gemütliche Stranddörfer und Nadelwälder.

Wir haben uns gelabt an Früchten, die wir am Wegesrand gefunden haben: im Loiretal waren es die saftigen Trauben, dann Schlehen, Äpfel und die bunt-süßen Früchte der Erdbeerbäume (lt. Google genießbar), die wir auf der Fahrt durch die kilometerlangen Pinienwälder am Atlantik entdeckt haben. Zu viel dieser Erdbeeren soll man allerdings nicht naschen, sonst geht es einem so wie Dieter, der gleich nach der Ankunft im Quartier im WC verschwunden ist und erst nach einer langen Sitzung begleitet von allerwildesten Geräuschen wieder unter den Lebenden weilte.

Wir haben Austern und gebratene Entenherzen (nur mit Meersalz und etwas Pfeffer aus der Mühle gewürzt) probiert, dazu einen feinen Cremant geschlabbert und uns Eclairs, Tarte au Citron und Pavlova gegönnt (und haben für den nächsten Tag gleich 15 Extrakilometer geplant).

Übernachtet haben wir in einfachen Hotels, liebevoll gestalteten Chambre d‘Hotes (einmal gab‘s sogar Whirlpool und Sauna für unsere müden Knochen), Apartements, lässigen Surfcamps aber auch in Schlössern, einer Mühle und auf einem Weingut.

Neben Orleans und Angers, hat mir La Rochelle extrem gut gefallen. Ungeschminkt, nicht herausgeputzt oder extravagant – historische und moderne Bauten stehen harmonisch nebeneinander mit regem Treiben auf dem Sonntagsmarkt am Hafen. Und so gut wie keine Touristen!

Und als letzte Station unserer Frankreich-Tour sind wir an einem Ort gelandet, von dem wir bis jetzt noch gar nix gehört hatten: Saint-Jean-de-Luz – nicht all zu weit vom mondänen Biarritz entfernt. Was für eine tolle Hafenstadt mit sehenswerter Architektur und vielen kleinen Läden im französischen Baskenland! Es sind nur noch 13km bis zur spanischen Grenze und die Pyrenäen lugen bereits ums Eck. Nachdem wir in den letzten 7 Tagen keinen Rasttag hatten, gönnen wir uns 2 freie Tage. Auch der starke Wind, der momentan vom Süden bläst, ist ein Argument. Außerdem müssen wir uns für die bevorstehenden Bergetappen (uns erwarten in den nächsten Wochen zwischen 700 und 1100 Höhenmeter/Tag – in Frankreich waren es selten mehr als 300 Höhenmeter) wappnen.

Wäsche waschen, Räder putzen, einfach durch die Stadt bummeln – Dinge, für die an normalen Radlertagen, die von Anfang bis Ende durchgetaktet sind (und für die man am Abend zumeist zu müde ist) fast keine Zeit bleibt.

Wir sind in den vergangenen 4 Wochen mehr als 1500km geradelt, zumeist bei Traumwetter – nachmittags gab es oft noch spätsommerliche 25 Grad, sodass wir ab und zu auch noch in den Atlantik gehüpft sind.

Und die Kosten? Wir sind zu zweit mit € 100,00/Tag gut durchgekommen – wobei wir fast immer selbst gekocht haben (falls es eine Küche gab). Die Unterkünfte waren von einfach bis wirklich extravagant – die schlechteste war in Mont Saint Michel – die hohe Zahl an Touristen in der Gegend spiegelt sich im extrem schlechten Preis-Leistungs-Verhältnis wider.

Und jetzt freuen wir uns auf Spanien, obwohl wir wissen, dass uns knackige Anstiege erwarten – das Genussradeln, wie wir es hier in Frankreich hatten, ist jetzt für längere Zeit vorbei.

Die süß-saftigen Früchte des Erdbeerbaumes (aber nicht zu viel davon naschen!!!)

Ein spontanes Picknick neben dem Radweg mit Insa und Markus aus Düsseldorf – die beiden Lehrer haben Herbstferien und sind ebenfalls mit ihren Rädern am Eurovelo 1 unterwegs

In Rochefort gehts mit einer Schwebefähre über die Charente

Fischverkäufer am Sonntagsmarkt von La Rochelle

La Rochelle

Sonntagsmarkt in La Rochelle

Genussradeln am bunten Radweg

unsere Unterkunft im coolen Surferhostel

das Abendessen wird vorbereitet – es gibt Putencurry mit Reis

Biarritz

Saint-Jean-de-Luz (Häuser im typischen Basken-Stil)

Heute probieren wir Coeurs de Canard (gebratene Entenherzen)

Kirche in Saint-Jean-de-Luz (1660 hat Ludwig XIV hier Maria Teresa, eine Habsburgerin, geheiratet)

ein Plausch mit einer netten Bewohnerin von Saint-Jean-de-Luz

Heute ist Waschtag

Saint-Jean-de-Luz

LA MER

„Moni, warst du eigentlich schon mal in St. Malo oder in Mont Saint Michel?“ „Nein, ich kenne diese Orte nur von Fotos – sollen aber sehenswert sein.“ „Was hältst du davon, wenn wir einen Abstecher rauf in die Bretagne bzw. Normandie machen (die beiden Orte liegen nicht auf unserer geplanten Route)?“ Da muss ich nicht großartig überredet werden und da es von Nantes einen Regionalzug (mit mindestens 1 x umsteigen in Rennes) gibt, beschließen wir, für 2 Tage Richtung Norden zu fahren. Die Fahrräder haben wir dabei, um auch vor Ort mobil zu sein – der Fahrradtransport kostet bei der SNCF nichts extra.

Nach unserer Ankunft am späten Nachmittag checken wir in einem kleinen Apartement in der Nähe des Bahnhofs in St. Malo ein. Hier machen wir eine neue Erfahrung, was die Buchung einer Ferienwohnung betrifft. Wie immer haben wir das Apartement über booking.com gebucht und bezahlt – im Anschluss haben wir vom Vermieter die Aufforderung erhalten, eine Kaution zu hinterlegen und erst dann die Zutrittsdaten zur Wohnung erhalten (auf booking.com gab es keinen Hinweis dazu). Dabei wird die Kaution nicht abgebucht, sondern der jeweilige Betrag wird nur reserviert und sollte die Wohnung irgendwie versaut werden oder etwas kaputt sein, kann sich der Wohnungsbesitzer schadlos halten. Die Kaution kann durchaus gepfeffert ausfallen – der höchste Betrag, der bisher verlangt wurde, waren €900,00.

Am nächsten Tag radeln wir in das ein paar Kilometer entfernte Gezeitenkraftwerk (das 1. auf der Welt) an der Rance, das seit fast 60 Jahren seinen Dienst versieht und die Hälfte des in der Bretagne benötigten Stroms liefert. Zurück gehts in den Hafen von St. Malo, wo einige sehr lässige Jachten liegen .

In St. Malo nehmen wir den Regionalzug nach Pontorson, von dort sind es nur noch 10km zu unserem einfachen Quartier (der hohe Preis spiegelt die Menge an Touristen wider) in der Nähe von Mont Saint Michel. Leichter Regen setzt ein und heftige Sturmböen erschweren uns das Radeln. Kurz vor 19:00 erreichen wir unser Chambre d’Hote, wo uns die Gastgeberin herzlich empfängt. Gleich nach dem Frühstück machen wir uns am nächsten Morgen auf zum Kloster, dabei überholen wir eine Prozession, die ebenfalls unterwegs ist nach Mont Saint Michel. Der Sturm ist noch immer heftig – wir müssen ordentlich strampeln, um vorwärts zu kommen. Dann werden wir aber belohnt: ein kitschiger Regenbogen direkt bei der Abtei. Was für ein Anblick! Und das frühe Aufstehen hat sich gelohnt: die meisten Touristen sitzen wahrscheinlich noch beim Frühstück, während wir durch die fast menschenleeren Gassen schlendern.

Am Nachmittag geht es zurück mit der Bahn nach Nantes. Dort haben wir eine Reservierung in einem kleinen, 1 Stern Hotel im Zentrum (mit sehr guten Bewertungen) um € 40,00/Nacht für ein Doppelzimmer – Frühstück kann man um € 10,00/Person dazubuchen. Überall wird am Personal gespart – auch hier ist die Rezeption nur von 07:00 – 11:00 und von 17:00 – 20:00 besetzt. Check-in und Check-out ist daher auch nur zu diesen Zeiten möglich. Das Zimmer ist wirklich schön, mit einem neurenovierten Badezimmer – das Highlight im Hotel ist aber die Rezeptionistin. Da wir sehr oft in Apartments, wo man überhaupt keinen persönlichen Kontakt zu Angestellten hat, übernachten (die gesamte Kommunikation erfolgt per mail), freut man sich natürlich, wenn man von einer richtigen Person begrüßt wird. Und Chantal ist wirklich lustig: ein kohlrabenschwarzer Wirbelwind mit einem ansteckenden, herzlichen Lachen. Sie hilft uns dabei, die Fahrräder über eine enge Wendeltreppe in ein sehr dunkles Kellerabteil zu tragen. Dort fängt sie an mit „Huuuuu“-Rufen gefolgt von einem lauten Lacher ein Gespenst zu imitieren (man sieht nur ihre Zähne und das weiss ihrer Augen) – nach unseren Erfahrungen in den Loire-Schlössern jagt uns das keine Angst mehr ein – wir müssen aber auch herzhaft lachen. Während Dieter die Fahrräder im finsteren Keller verstaut, gehe ich mit Chantal wieder rauf – dort fragt sie mich mit verschwörerischem Ton, ob sie Dieter im Keller einsperren soll. „Une bonne idee“ sage ich und wieder muss sie laut lachen. Dann meint sie aber, dass es da unten doch sehr kalt sei – okay, Dieter muss nicht im finsteren, kalten Keller schlafen.

Da sich einiges an Schmutzwäsche angesammelt hat, wollen wir in Nantes eine Laverie aufsuchen, wo wir um ca. € 7,00 eine Maschine voll waschen und trocknen können. Die nächste „Speed-Queen“-Wäscherei (mit der wir bereits in Angers gute Erfahrungen gemacht haben) liegt ca. 10min Fußmarsch von unserem Hotel entfernt. Also auf zur Speed-Queen! Der Magen meldet sich – „Was essen wir heute?“ „Ich hätte Gusto auf vietnamesisch“ sage ich. Dieter checkt auf Google Maps, wo die nächsten vietnamesischen Lokale liegen. Da stolpern wir aber ganz in der Nähe der Speed-Queen über ein Lokal mit der Aufschrift „Haiti Cherie Bar – Restaurant“. „Also, ich hätte auch nix gegen scharfe Karibik-Küche.“ „Na, dann schauen wir doch mal die Speisekarte an.“ Es gibt keine Karte, aber die Betreiberin, eine nette, schwarze Haitanerin sagt uns, dass wir die Wahl zwischen Huhn und Fisch hätten. „Okay, wir nehmen Huhn.“ Sie verschwindet in der Küche, wo geschnipselt und gebrutzelt wird.

Wir genehmigen uns in der Zwischenzeit an der Bar ein Paulaner Bier und kommen ins Gespräch mit Cathy aus Kamerun, die sich ein St. Thomas Bier gönnt. Sie lebt seit über 30 Jahren in Frankreich, wo sie mit einem Franzosen verheiratet war und 2 Kinder hat. Jetzt – sie ist bereits über 60 – möchte sie aber wieder zurück in ihr Geburtsland – trotz der Korruption und der nicht so angenehmen Umstände in Kamerun. Auch sie ist eine Frohnatur mit herzlichem Lachen – besonders lustig findet sie, dass Dieter und ich mit dem Fahrrad in die Sahara fahren wollen (irgendwie kann sie das nicht glauben)

In der Zwischenzeit ist unser Abendessen fertig und wir nehmen Platz am Tisch. Es ist ein absoluter Genuss – das Fleisch in einer würzigen Sauce, dazu Süßkartoffeln-Pommes und gebratene Kochbananen mit Salat. „Tres formidable!“ schwärmen wir und gönnen uns im Anschluss an der Bar noch ein paar Drinks und nette Gespräche über Gott und die Welt mit Cathy.

Dann heisst es Abschied nehmen von Nantes, einer sehr lebendigen und sympathischen Stadt. Obwohl hier sicher auch einige Touristen sind, hatten wir nie das Gefühl, dass es zu touristisch ist.

Weiter geht es nun mit dem Rad Richtung Atlantik, eine weiterhin ebene und ruhige Strecke fernab des Autoverkehrs. Unterwegs sieht man die Fangvorrichtungen der Senknetzfischer – lange hölzerne Stege führen hinaus ins Brackwasser zu den fest verankerten Carrelets.

Mittlerweile – nach vielen Kilometern durch Salzwiesen und -sümpfe, Schwemmland, Wälder, schöne und auch weniger schöne Orte, sind wir auf der Ile de Re (bei La Rochelle) angekommen, wo wir einen verdienten Ruhetag einlegen. Fast 1.000km sind geschafft!!

Tolle Jachten in St. Malo

Prozession auf dem Weg nach Mont Saint Michel

Mont Saint Michel

Chantal, die Wirbelwind-Rezeptionistin in Nantes

Ein lustiger Abend mit Cathy aus Kamerun

unser fantastisches Haiti-Abendessen

nette Begegnungen

Austernfischer

originelle Fortbewegungsmittel

man sieht viele Senknetzvorrichtungen

Sables d‘Olonne

ab und zu muss man das Rad tragen

DAS ABENTEUER GEHT WEITER ODER GHOSTBUSTERS ON TOUR

„Du Moni, wir haben nur noch 3.799km vor uns.“ „Na, das werden wir bis Weihnachten locker schaffen.“ kommt von mir zurück. Seit fast 2 Wochen bin ich nun radelnd mit Dieter unterwegs und unser gemeinsames Ziel ist das am Atlantik gelegene Tarfaya im Süden Marokkos in der Sahara.

Ich bin am 19. September mit vollbepacktem Rad in Wien in die Westbahn gestiegen und nach ca. 6 Stunden in Stuttgart angekommen. Die Westbahn bietet sich für Radfahrer als kostengünstige und bequeme Alternative zur ÖBB an. Zum einen muss man für den Radtransport und die Platzreservierung innerhalb Österreichs nichts extra bezahlen, wenn man (so wie ich) im Besitz eines österreichweiten Klimatickets ist und andererseits ist der Einstieg und das Verstauen des Rades im Zug wirklich unkompliziert.

Während man bei den Railjets der ÖBB das Rad erst mal mühsam die Stufen hochheben muss (die Taschen muss man dazu abnehmen und dann extra raufschleppen) und dann auf engem Raum um eine 90 Grad Kurve manövrieren und anschliessend das Vorderrad an einem Haken an der Decke einhängen muss, schiebt man das Rad ganz easy (ohne Niveauunterschied) in die Westbahn, wo es bei jedem Einstieg 2 Fahrradplätze gibt, nimmt die Taschen runter, befestigt es an der vorgesehenen Vorrichtung und nimmt entspannt Platz am reservierten Sitz in der Nähe des Fahrrades. Dann noch ein schneller Self-Check-In (ist in der Westbahn-APP mit 2 Klicks erledigt) und schon kann die Fahrt losgehen, ohne dass man beim Schaffner eine Fahrkarte vorweisen muss – der Zugbegleiter sieht auf seinem Tablet, wer bereits eingecheckt hat.

Nach der Ankunft in Stuttgart radle ich gemütlich in das ca. 14km entfernte Filderstadt (in der Nähe des Stuttgarter Flughafens), wo ich in einem Hotel einchecke. Am nächsten Morgen noch schnell die paar Kilometer zum Flughafen geradelt – von dort geht es dann weiter mit dem Flixbus nach Paris. Auf der Rückseite des Busses gibt es eine Vorrichtung zum Aufhängen der Räder – der Flixbusmitarbeiter erledigt das für mich und befestigt mein Rad. Nach einer ziemlich langen Busfahrt (es gab immer wieder Stau auf den Autobahnen) am Samstag um 20:00 endlich Ankunft am Busbahnhof an der Seine. Dort wurlt es – ich habe das Gefühl, halb Paris ist hier. Dieter, der schon vor einigen Stunden ebenfalls mit dem Flixbus aus Bielefeld angekommen ist und bereits im Hotel eingecheckt hat, holt mich ab und wir radeln gemeinsam in das 10 km entfernte Hotel im Norden der Stadt im 19. Arrondissement. Es ist ein warmer Samstagabend und Unmengen von Menschen auf den Straßen – die Gastgärten der Lokale sind alle gesteckt voll. Auf den Radwegen spielt es sich ebenfalls ab – das Positive ist, dass die Wege immer baulich getrennt vom Auto- und Fussgängerverkehr sind, sodass sich alle Verkehrsteilnehmer sicher fühlen. „Uj, hier brunzelt es aber“, sage ich zu Dieter und rümpfe die Nase. Wir passieren gerade eine eher dunkle Ecke der Stadt. „Was brutzelt hier?“ fragt er zurück. „Nicht brutzeln, sondern brunzeln (Dieter muss ab sofort österreichisch lernen!!) – riechst du das nicht?“ „Es riecht nach Pisse – schau mal, wieviele Zelte da unter der Bahnunterführung stehen.“ Und dann sehe ich es auch – Unmengen an Zelten und Verschlägen. Lauter Obdachlose, die da hausen ohne sanitäre Einrichtungen – noch lange habe ich den scharfen Gestank in der Nase. Nach der Ankunft im Hotel noch ein Drink und Planung für den nächsten Tag – unser erster gemeinsamer Radlertag.

Dieter, den ich über eine Reiseplattform kennengelernt habe, kommt aus der Nähe von Bielefeld und ist wie ich eine Abenteurerseele. Er ist ebenfalls in Pension und hat im vergangenen Winter auf einem Kajak den Amazonas befahren und den wunderschönen Tafelberg Roraima (der schon lange auf meiner bucket-list steht) im Dreiländereck Venezuela, Guyana und Brasilien bestiegen. Außerdem ist er Rennradfahrer – ein bisschen habe ich die Befürchtung, dass ich ihm mit meiner gemütlichen Fahrweise zu langsam bin. Ich habe aber von Anfang an klargestellt, dass ich Tagesetappen von ca. 60km anpeile und ausserdem ein richtiges Bett in einem gemauerten Gebäude bevorzuge und daher auch keine Campingsachen mitnehme.

Am Sonntag gehts los – zuerst durch Paris, wo wir bei einem Markt anhalten und bei einem Weinbauern 2 Flaschen Weißwein erstehen, die Dieter in seinen Packtaschen verstaut. Dann die Seine entlang Richtung Südosten, raus aus der Stadt und begleitet von Vogelgezwitscher und bei angenehmen Temperaturen. Es geht zumeist eben dahin auf sicheren Radwegen oder auf wenig befahrenen Nebenstraßen- sehr gemütlich und ideal für den 1. Radlertag. Und schlussendlich werden es anstatt der von mir angepeilten 60km doch 75km (und 350 Höhenmeter) bis in unser Quartier in Féricy, wo wir ein Chambre d‘Hote in einem alten, wunderschön hergerichteten Steinhaus gebucht haben. Und da wir seit dem Frühstück auch nichts gegessen haben, haben wir richtig Hunger. Glücklicherweise verwöhnt uns Veronique, die Hausherrin, mit einem fantastischen Abendessen. Als Entree gibts eine Kartoffeltarte auf Vogerlsalat, gefolgt von einem Wurstragout mit Reis und Linsen (ein Rezept aus Réunion) und als krönenden Abschluss eine Lemon Tarte zum Niederknieen (die ich auch nicht besser machen könnte). Dazu eine Karaffe Rose – wir fühlen uns wie Gott in Frankreich. Nach einem ausgiebigen Frühstück radeln wir am nächsten Tag weiter die Seine entlang bis Montargis, wo wir dann auf den Canal d‘Orleans wechseln und bis in die Stadt der Jeanne d‘Arc fahren. Orleans liegt im sehenswerten Loiretal mit seinen unzähligen Schlössern und Herrenhäusern.

Und einige dieser Schlösser werden auch als Hotels angeboten – wann immer es in unsere Planung passt, buchen wir die Übernachtung an diesen speziellen Orten. Das 1. Schloss, in welchem wir übernachten ist das Chateau de Briancon. Es liegt einsam, umgeben von Wäldern – alles sehr beeindruckend (und ein bisschen spooky).  Und so wie es ausschaut, sind wir die einzigen Gäste. Restaurant gibt es keines und das Frühstück wird uns aufs Zimmer gebracht. Die Rezeptionistin, die ganz passabel englisch spricht, sagt uns, dass die Rezeption von 20:00 bis 08:00  nicht besetzt ist. Unser sehr grosses Zimmer liegt im 1. Stock – im 2. Stock gibt es eine Küche, in der wir uns ein Abendessen kochen können, falls wir das wollen. Da wir untertags bereits gegessen haben, kommt das nicht in Frage. Wir geben nur den Käse und die Flasche Weisswein, die wir unterwegs auf einem Markt erstanden haben, in den Kühlschrank und machen dann noch einen Spaziergang im Wald. Nach der Rückkehr ins Schloss  (die Rezeptionistin ist schon weg) ist es sehr spooky und wir ziehen uns gleich in unser Zimmer zurück. „Jetzt noch ein Glas Wein und  ein Stück Käse, Moni kannst du das mal aus der Küche holen?“ fragt Dieter. „Ich traue mich nicht.“ „Aber wovor hast du Angst?“ „Da gibts sicher Gespenster.“ „Aber du wohnst doch selber in einem Schloss, da hast du ja auch keine Angst.“ „Ja, weil die steirischen Gespenster kenne ich alle.“ Dieter kriegt einen Lachanfall. „Moni, ich wusste nicht, dass du so eine Memme bist.“ Wein und Käse gibt es dann doch noch – Dieter ist mutig und geht in den 2. Stock.

In der Nähe von Nantes gibt es das Chateau du Pe – auch hier werden über Booking.com Zimmer angeboten. Also nix wie hin. Auch hier wieder ein imposantes Gebäude mit toll gestalteten Zimmern, einer riesigen Küche, in welcher wir uns mit unseren mitgebrachten Lebensmitteln ein feines Abendessen zaubern können und auch hier ist die Rezeption zwischen 20:00 und 08:00 nicht besetzt. Die Rezeptionistin spricht nur französisch – also krame ich meine Französischkenntnisse hervor et voila, geht doch eh.

Auch hier sind wir die einzigen Gäste und unser sehr spezielles Zimmer liegt diesmal im 2. Stock. Das spezielle am Zimmer ist, dass das Bett im Boden versenkt ist. Und Bad/WC befinden sich im Gang. „Dieter, wenn ich in der Nacht aufs Klo muss, musst du mit mir mitkommen. Ich trau mich nicht allein.“ „Ach Moni, du Memme.“ Wir kochen dann noch unser Abendessen (es gibt Lachs mit Blattspinat und Salzkartoffeln, dazu eine Flasche Cidre) und dann ab ins Bett. Irgendwann nach Mitternacht meldet sich meine Blase – ich überlege, ob ich alleine aufs Klo gehen soll. Dann stehe ich doch auf und siehe da: Dieter grummelt was vor sich hin und trottet hinter mir her. Ich gehe ins Bad und er wartet draußen vor der Tür. Als ich wieder raus komme, ist er verschwunden. Ich gehe davon aus, dass er zurück ins Schlafzimmer ist – dort ist er aber nicht. Also mache ich mich auf die Suche: neben dem Badezimmer gibt es ein grosses TV-Zimmer und auf der Couch liegt Dieter, das Schlossgespenst und schnarcht vor sich hin. „Na, du bist mir ein Beschützer!“

Nicht nur Schlösser bieten tolle Übernachtungsmöglichkeiten, auch Mühlen, Weingüter und Landhäuser werden gerne von uns gebucht. Und zwischendurch wird fleißig geradelt – momentan liegen wir bei 620 km (also fast 1/6 der Gesamtstrecke) mit durchschnittlich ca. 70km/Radlertag.

Und Radfahren im Loiretal ist Genuss pur – tolle Wege, fast keine Steigungen, viel Natur, sehenswerte Städte und verschlafene Dörfer. Und die Franzosen sind extrem rücksichtsvoll – sie halten immer bei den Schutzwegen, sodass die Radler sicher auf die andere Seite wechseln können.

Paris – Tarfaya

Rad fährt Westbahn

Rad fährt Flixbus

Raus gehts aus Paris

an der Seine

Immer diese Aufforderung, dass man einen Radler saufen soll (okay, der war jetzt aufgelegt)

Mein 1. Patschen – zum Glück hab ich einen Radmechaniker dabei

Orleans

Hier gibts viel Hirse

Aber auch Atomkraftwerke

Chateau de Briancon – hier haben wir übernachtet

Das Baguette kommt aus dem Baguettomat

Angers

Angers

Diesmal übernachten wir in einer Mühle

Unser Wohnzimmer in der Mühle

unsere Küche in der Mühle

Das Chateau du Pe – auch hier haben wir übernachtet

Die Küche im Chateau

Das Schlafzimmer mit dem versenkten Bett

Vitaminnachschub

Kathedrale von Nantes

ein Häuschen am Wegesrand

Und zwischendurch ein Eclair

neugierig werden wir beäugt

weiter gehts

SARAMAGO, MANRIQUE, RADFAHREN UND VIEL FAULENZEN AUF LANZAROTE

Nachdem es auf unserem Ankerplatz vor Playa Blanca ziemlich ungemütlich geworden ist (der Wind hat gedreht und die Wellen sind so hoch, dass ich mich weigere, ins Dingi zu steigen), beschließen wir, in den Hafen rein zu fahren. Momentan gibt es genügend freie Plätze – November und Dezember ist es am schwierigsten, einen Platz zu kriegen, da viele Häfen auf den Kanaren voll sind mit Segelbooten, deren Crews sich spätestens ab Jänner auf den Weg in die Karibik machen. Hier nehmen die Segler letzte Reparaturen am Boot vor bzw. füllen sie ihre Lebensmittel- und Treibstoffvorräte auf (auf den Kapverden, wo zumeist ein allerletzter Stop eingelegt wird, kostet alles ein Vielfaches) – ausserdem kann man sich hier noch einmal so richtig die Beine vertreten, bevor man 3 – 4 Wochen auf engem Raum auf hoher See ist. Die Atlantiküberquerung selbst ist eher unspektakulär (so wird sie zumeist in Seglerberichten beschrieben) – ein Freund von Rupi ist diesen Winter ebenfalls auf der Barfussroute (heisst so, weil man sich in einer Klimazone bewegt, wo man immer barfuß an Deck herumgehen kann) in die Karibik gesegelt – auch er hat dies bestätigt.

Die Marina Rubicon (Playa Blanca) ist wunderschön angelegt und bietet eine perfekte Infrastruktur. Saubere Duschen/WCs, schnelles WLAN, gute Restaurants und einladende Geschäfte, ausserdem eine Werft mit Segelmacher und eine Autovermietung. Und Berge gibts auch gleich ums Eck – wir besteigen ein paar Vulkane.

Lanzarote ist ja nur ca. 60km lang und maximal 30km breit mit nicht allzu hohen Bergen – die Insel bietet sich an für Radtouren durch die vulkanisch geprägte Landschaft. Und es gibt viele „Via Ciclista“s – spezielle Radfahrstrassen, auf welchen auch Autos erlaubt sind (mit maximal 60km/h) und dort ist es wirklich toll zu radeln. Es sind auch viele Rennradler und körperlich beeinträchtigte Radfahrer in Liegerädern unterwegs – Profisportler nutzen die Insel als Wintertrainingsdestination.

Bei einer meiner Radtouren komme ich auch nach Tias, wo Jose Saramago seine letzten 18 Lebensjahre (1992 – 2010) verbracht hat. Das Wohnhaus des portugiesischen Literaturnobelpreisträgers steht heute allen Besuchern offen – auch ich habe seine Wohnstätte (Casa Saramago) mit schönem Garten und Blick auf das Meer besucht und bei einer Führung erfahren, dass er „Die Stadt der Blinden“ (ich habe das Buch vor ca. 10 Jahren gelesen) hier verfasst hat. Jetzt frage ich mich, ob ich das Buch nun mit anderen Augen sehe – in Anbetracht des Titels eine etwas schräge Frage.

Ein anderer großer Künstler, dem man hier immer wieder begegnet, ist César Manrique. Der 1992 bei einem Verkehrsunfall getötete Maler, Bildhauer und Umweltschützer ist der berühmteste Sohn der Insel – ihm ist es zu verdanken, dass die schönen Küstenabschnitte nicht mit hässlichen Hotelkästen zugepflastert wurden, sondern dass nur die traditionelle Bauweise Lanzarotes zugelassen wurde und auf mehr als 2-stöckige Bauwerke verzichtet wurde. Ausserdem wurden alle Werbeplakate von den Straßen der Insel verbannt – wäre auch schade, wenn der Blick auf die kahle und trotzdem schöne Landschaft mit ihren Vulkankegeln durch Plakate beeinträchtigt werden würde. Sehenswert sind auch die von Manrique geschaffenen Wohnräume – unter anderem gestaltete er Lavahöhlen in wirklich coole Locations um – der Name Manrique ist ein wichtiger Touristenmagnet auf Lanzarote und alle von ihm geschaffenen Sehenswürdigkeiten sind auch gut besucht (aber nicht überlaufen).

Ein Highlight auf der Insel ist das Radeln durch den Timanfaya-Nationalpark – eine asphaltierte Strasse inmitten von Lavabrocken macht das Ganze zu einem wahren Vergnügen. Der Anblick der rot leuchtenden „Feuerberge“, Vulkankegel, Lavafelder und Lavatäler ist einzigartig und faszinierend.

Kurz darauf – die Distanzen auf der Insel sind schnell überwunden – bin ich schon wieder an der Küste und radle die letzten paar Kilometer direkt an der gut besuchten Strandpromenade zurück in die Marina. Playa Blanca lebt nur vom Tourismus – der Großteil der Urlauber kommt jetzt im Winter aus Großbritannien und Deutschland. Viele haben eine Ferienwohnung und verbringen die kalte Jahreszeit hier, während in den Sommermonaten viele Festlandspanier der Hitze zu Hause entfliehen und den Urlaub auf den im Sommer wesentlich kühleren Kanaren genießen.

Die medizinische Versorgung ist top – neben einigen deutsch-britischen Ärztezentren (wo deutsch- und englischsprachiges Personal anzutreffen ist), gibt es auch ein 24/7 Centro de Salud, wo direkt mit der gesetzlichen Krankenversicherung in Österreich abgerechnet wird (e-Card und Pass müssen vorgewiesen werden) – hier muss man dann aber mit ausschliesslich spanisch sprachigem Personal vorlieb nehmen (das medizinisch aber top ist – ich spreche aus eigener Erfahrung).

Meine Zeit hier neigt sich schön langsam dem Ende zu – es war ein wirklich toller Winter mit vielen neuen Eindrücken. Ich hab ein bisschen Einblick ins Segeln gewonnen (und die Knoten kann ich wirklich perfekt), ein bisschen Sport betrieben (ein paar mal hab ich rüber Richtung Afrika geschaut und mir gedacht: „Dort – nur ca. 120km entfernt – verläuft die Strasse nach Dakar. Dort könnte ich jetzt radeln.“), meine Spanischkenntnisse auf Vordermann gebracht und vor allem viel gefaulenzt. Und jeden Tag Sonne und angenehme Temperaturen (Short und T-Shirt reichen) – ja, man kann es schlimmer erwischen. Heimweh hatte ich nie – ab und zu hab ich mir den österreichischen Wetterbericht angeschaut und mir gedacht: „Was bin ich doch für ein Glückskind!“ Und das wichtigste: mit Rupi hab ich mich sehr gut verstanden, wir haben viel geblödelt und viel gelacht!

Los geht‘s auf der Via Ciclista

Windspiel von César Manrique

Jameos del Agua/Cesar Manrique

Auf dieser Wüstenpiste ist es fast unmöglich zu radeln

Während ich auf dem Drahtesel sitze, werden die Touristen auf Kamelen durch den Timanfaya Nationalpark gekarrt

Gesteinsformationen bei Teguise