Dieter ist nach 2 Tagen Aufenthalt in Agadir noch immer nicht ganz fit – wir beschließen daher, auch die nächste Etappe bis Guelmim („Das Tor zur Sahara“) mit dem Bus zu fahren. 15 km östlich von Guelmim liegt eine Oase „Tighmert“ und dort werden sehr nette Unterkünfte angeboten. Wir entscheiden uns für „La Maison de l‘Homme Bleu“ (das Haus des blauen Mannes) – die Tuaregs (Nomaden) werden hier auch „Blaue Männer“ genannt, weil sie sich mit indigoblauen Dschellabas und Turbanen kleiden.
Wir radeln also die 15km von der Bushaltestelle in Guelmim bis zur Oase und das war wirkliches Genussradeln. Eine asphaltierte Strasse, fast kein Verkehr, leichter Rückenwind, keine Steigungen, angenehme 18 Grad und Sonnenschein – wann immer wir bei einem Haus vorbeikommen, wird uns begeistert zugewunken; so oft kommen wahrscheinlich keine vollbepackten Radler vorbei.
Und der Genuss geht weiter – die Unterkunft in der Wüste ist ein Traum. Unter Palmen gelegen, mit viel Liebe gestaltet: wir haben uns von Anbeginn an wohlgefühlt. Brahim, unser Gastgeber, ein äußerst sympathischer und gutaussehender Tuareg erzählt uns in perfektem französisch die Geschichte seiner Familie und dieses Hauses. Sein Vater, der 1910 geboren wurde, hat noch als Nomade gelebt. Er hatte 10 !!! Ehefrauen – Brahim ist das jüngste Kind der letzten Frau, die 1950 geboren wurde und bereits mit 13 Jahren mit dem 40 Jahre älteren Mann verheiratet wurde. „Damals war das üblich – heute kommt das nicht mehr vor. Die Zeiten haben sich geändert.“ meint Brahim, der auch bereits verschiedene europäische Länder bereist hat. Die Digitalisierung hat auch hier Einzug gehalten – in der Oase haben wir superschnelles Internet – da das Quartier (es gibt ohnehin nur 4 Zimmer) online über booking.com vermarktet wird, ist Brahim darauf angewiesen.
Gleich nach der Ankunft am Nachmittag werden wir mit einer Kanne Minztee und Datteln verwöhnt, serviert in einer schattigen Laube unter Palmen. Und zum Abendessen gibt es ein Gemüseomlett als Vorspeise, dann eine Tajine mit Dromedar, Quitten, Pflaumen und Zwiebeln mit hausgemachtem Fladenbrot und als Abschluss eine karamellisierte Apfeltarte. Alles hat sehr fein gemundet.
Nach einem ausgiebigen Frühstück (mit Brot, Oliven- und Arganöl, Honig, Mandelmus, Käse und Kaffee) und einer herzlichen Verabschiedung geht es am nächsten Tag wieder zurück nach Guelmim. Wir fahren noch eine Etappe mit dem Bus – unser Tagesziel ist Akhfennir am Atlantik. Was für ein Kontrast zur Oase! Dieses Akhfennir ist ein trostloses, dreckiges Wüstenkaff (ca. 3000 Einwohner) – der ganze Verkehr Richtung Mauretanien und Senegal bewegt sich entlang der einzigen asphaltierten Strasse durch den Ort.
Wir haben aber Glück mit dem Quartier. „Chez Eric“, direkt am vermüllten Strand gelegen, hat ein Zimmer frei. Eric ist ein pensionierter französischer Kriminalbeamter (Dieter, der ja auch pensionierter Kriminalhauptkommissar ist hat sich gleich sehr gut mit ihm verstanden), der mit seiner viel jüngeren marokkanischen Ehefrau Naima eine Pension betreibt – ein wirklicher Lichtblick in dieser tristen Umgebung. Die Zimmer einladend, sehr sauber, schönes Badezimmer. Und es gibt ausgezeichnetes Abendessen und Frühstück. Am Abend setzt starker Regen, begleitet von heftigen Sturmböen ein. In der Nacht höre ich, wie der Regen, der offensichtlich waagrecht daherkommt, gegen die fest geschlossenen Fenster trommelt. Dann am nächsten Morgen, als ich aus dem Bett steige: der Boden des Zimmers steht unter Wasser. Die Bettvorleger vollgesogen mit Wasser, auch mein kleiner Stoffrucksack, der am Boden unter dem Fenster lag komplett nass. Im Rucksack bewahre ich u.a. den Reisepass auf und der hat einiges abbekommen. Das glaubt mir jetzt keiner: Mitten in der Wüste in einem geschlossenen Raum wird mein Reisepass durch Wassereintritt (die haben bei den Fenstern offensichtlich keine Dichtungen, weil sie diese normalerweise auch nicht benötigen) beschädigt. Ich lege ihn mal zum Trocknen auf die Anrichte.
Nach Tarfaya sind es nur noch 101 km – sobald die Wettervorhersage passt, wollen wir diese Strecke radeln. Für den nächsten Tag schaut es gut aus, Sonne und ein paar Wolken und das ganze bei 18 Grad – besser wird‘s nicht mehr. Raus gehts aus Akhfennir bei Sonnenschein – wir rechnen damit, Tarfaya in 7 Stunden zu erreichen. LKW Fahrer und Lenker der Abenteurer-Expeditionsfahrzeuge (die man hier manchmal sieht) winken uns begeistert zu oder zeigen uns mit einem „Daumen hoch“ ihren Respekt. Radfahren durch die Wüste – das macht nicht jeder (nur so Wahnsinnige wie wir). Tafeln am Straßenrand warnen vor Sandverwehungen und Kamelen, die die Fahrbahn queren. Die Strasse, asphaltiert und 4-spurig (2 Fahrbahnen/Richtung) mit wenig Verkehr. Links und rechts Sand- und Steinwüste, immer wieder sieht man Skelette aus dem Sand ragen. Nach dem Starkregen lugt hier und da auch etwas grün hervor. Nach 10 Kilometern verzieht sich die Sonne und es beginnt zu tröpfeln. Der Regen wird stärker und es dauert nicht lange, bis unsere äußere Kleidungsschicht komplett durchnässt ist. Nirgendwo eine Möglichkeit, sich unterzustellen. Dazu kommt Gegenwind – viel schlimmer kann es nicht mehr werden. Die Fahrzeuge, die uns überholen, sind voll bepackt – es hat keinen Sinn, sie anzuhalten.
Dieter ist an einem Tiefpunkt angelangt („ich bin total am Arsch“)- mittlerweile bin ich die Schnellere und er fährt in meinem Windschatten. Irgendwann wird der Regen weniger und nach ca. 40 Kilometern zeigt sich wieder die Sonne. Mitten im Nirgenwo machen wir eine Pause – Bananen, gebrannte Erdnüsse und ein paar Kekse geben ein bisschen Kraft – weiter gehts, es ist noch ein breiter Weg nach Tarfaya.
Nach 75 Kilometern kommt eine Tankstelle mit kleinem Supermarkt und Café – wir gönnen uns 2 kräftige Espressi und essen die letzten Kekse auf – es sind nur noch 25 Kilometer bis Tarfaya. Und dann wird es richtig zäh – der Gegenwind ist stärker geworden und mein ständiger Blick aufs Handy, wo die Komoot-App die noch zu fahrenden Kilometer anzeigt trägt auch nicht grad zur Motivation bei. Dass der letzte Radlertag so mühsam sein muss!
Aber dann, kurz vor 18:00 reiten wir auf den Drahteseln in Tarfaya ein – auf den Tag genau 12 Wochen, nachdem wir in Paris losgeradelt sind. Wir haben Sand in den Haaren, im Gesicht und sogar im Mund. Und das, obwohl kein Sandsturm war (der viele Regen hat das verhindert) – es ist aber trotzdem viel feiner Sand in der Luft. Insgesamt fast 4.000 Kilometer und 24.000 Höhenmeter in den Wadln – jetzt freuen wir uns aufs Chillen und Nichtstun! Und so schnell werde ich den Helm nicht wieder aufsetzen.
Am Abend lese ich, dass es in Safi, wo wir erst vor 1 Woche waren, viele Tote aufgrund von schweren Überschwemmungen gibt. Wir hatten ja fast die gesamte Strecke Glück mit dem Wetter: Im Frankreich waren die Oktobertemperaturen noch so angenehm, dass wir im Atlantik baden konnten. In Spanien haben wir die paar Regentage genützt, uns auszuruhen und auch in Marokko war uns der Wettergott die meiste Zeit hold. Glück hatten wir nicht nur mit dem Wetter, sondern auch unsere Gesundheit hat gut mitgespielt – abgesehen von den Knieschmerzen und der Magen-Darm-Geschichte bei Dieter (beides ist schon wieder gut) gab es keinerlei Schwierigkeiten. Und nicht zu vergessen: Dieter und ich waren ein Super-Team. Wir haben uns ja über eine Reiseplattform kennengelernt und vor der gemeinsamen Tour nur 2x getroffen. Unkompliziert, humorvoll, hilfsbereit und ein gemeinsames Ziel vor Augen, so gelingt Paris-Tarfaya!
Morgen wird Rupi, der Segler, mit dem ich vergangenen Winter auf den Kanaren verbracht habe, mit seinem Segelboot in Tarfaya ankommen und wir werden dann zu dritt nach Fuerteventura segeln. Dieter wird sich zu Weihnachten mit seinen Töchtern auf Teneriffa treffen und ich werde die restlichen Wintermonate ebenfalls auf den Kanaren verbringen. Und ab und zu sicher auch eine Radtour unternehmen.

Rad fährt Bus – ganz unkompliziert in Marokko

Brahim, ein „Blauer Mann“ (Tuareg)


in der Oase



zur Begrüßung gibts Minzetee und Datteln

und zum Abendessen Tajine mit Dromedar, Quitten, Pflaumen und Zwiebeln



Dieter‘s Hinterrad braucht wieder mal fachmännische Betreuung

Akhfennir, das hässliche Wüstenkaff am Atlantik

aber bei Eric lässt sich‘s aushalten

Eric, der pensionierte Kriminalkommissar aus Frankreich gemeinsam mit Naima, seiner marokkanischen Frau

Achtung: Sandverwehungen!!


