Meine Fahrradweltreise

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VON HEIMWEH UND PAUSEN

Seit dem letzten Eintrag vor 3 Wochen hat sich einiges getan. Die Fahrt von Gyumri in die Hauptstadt Armeniens, Jerewan (auch Yerevan oder Eriwan, je nach Schreibweise) war gekennzeichnet von ziemlich ruppigen und sehr anstrengenden Bergetappen mit Regenschauern und Gewittern, aber auch von wunderschön blühenden Wiesen und Begegnungen mit freundlichen Armeniern und lieben Hunden.

Als ich durch eine Siedlung radelte, kamen immer wieder Hunde aus den Gärten, aber sie waren nicht aggressiv, sondern sie haben mich nur freundlich begrüsst und sind dann wieder zurück in den Garten. Bis auf einen – er hat mich offensichtlich zu seinem Frauchen erkoren und ist nicht mehr von meiner Seite gewichen. 

Es fing dann zu regnen an und ich wurde zwei mal in Häuser zu Kaffee und Keksen eingeladen. Jedes mal nach der Kaffeepause erwartete mich der Hund bereits schwanzwedelnd vor dem Haus und ist weiter hinter mir hergelaufen.

Nach ca. 40 km – der Hund war noch immer bei mir – fing es wieder an zu schütten und ich beschloss, für die restliche Tagesetappe ein Taxi zu nehmen. Schnell war ein Fahrzeug mit Dachträger gefunden, das Rad am Dach und die Packtaschen im Kofferraum verstaut. Der Hund hat mich ganz traurig angesehen und hat ganz bitterlich angefangen zu weinen, als ich in das Auto stieg. Er ist dann noch eine Zeit lang hinter dem Taxi hergelaufen – es war so traurig – ich hoffte halt, dass er wieder nach Hause zurückfindet. 

In Jerewan habe ich dann ein zentral und sehr ruhig gelegenes Hotel mit einem schattigen Innenhof (mit lauter Marillenbäumen) bezogen und beschlossen, zumindest eine Woche zu bleiben. Ans Radfahren war eh nicht zu denken – es hatte 36 Grad im Schatten. Dafür habe ich dem Rad ein Service gegönnt: in der Nähe des Hotels gab es eine Radwerkstatt – Your Bike – Artur, der Chef und Artur, der Fahrradmechaniker haben mein bici wieder auf Vordermann gebracht.

Im Vergleich zu Georgien, wo jedes 3. Fahrzeug und Gebäude mit einer Ukraine-Flagge versehen ist, merkt man hier nichts von einer Verbundenheit mit dem kriegsgebeutelten Land. Ist aber auch klar, weil Russland als Schutzmacht Armeniens gilt, während Aserbaidschan, der Gegenpart im Bergkarabach-Konflikt, von der Türkei unterstützt wird.

Man sieht in der Stadt auch viele Monumentalbauten aus der Sowiet-Ära, aber auch – wie schon zuvor in Gyumri – viele Gebäude aus dunklem Tuffstein. Einen Besuch wert sind auf jeden Fall die Museen und Galerien und natürlich das Genozid Memorial mit der dazu gehörigen Ausstellung. „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ steht schon lange auf meiner Leseliste – nach dem Besuch des Memorials wird es jetzt wirklich Zeit, dieses Buch von Werfel endlich zu lesen.

Von den Hügeln der Stadt sieht man auch den schneebedeckten Gipfel des nur 20km entfernten Ararat, des heiligen Bergs der Armenier, der aber bereits auf türkischem Staatsgebiet steht.

In Jerewan treffe ich ein Paar aus Oberösterreich (Ursula und Oskar), das bereits seit 2016 mit einem Jeep die Welt bereist. Oskar war lange Zeit für die UNO an den Hot Spots (Afghanistan, Somalia, Zentralasien) tätig und von ihm bekomme ich viele interessante Informationen, was die von mir geplante Reiseroute betrifft. 

Mein Plan war ja, als nächstes den Iran zu bereisen und dann weiter am Landweg über Turkmenistan nach Usbekistan und Tadschikistan und dort von Duschanbe aus den 1200km langen Pamir Highway zu befahren (geht bis Osh in Kirgisien).

Aufgrund der großen Hitze (im Iran hat es momentan 40 Grad) und auch weil coronabedingt einige Landgrenzen in Asien nicht passiert werden können, ist eine Änderung der Pläne notwendig. Oskar rät mir, nach Almaty, im Osten Kasachstans zu fliegen und von dort nach Kirgisien zum Yssykköl und zum Songköl zu radeln – das sind 2 Seen in wunderschöner Berglandschaft, wo man gut die heißen Monate verbringen kann und dann im September/Oktober, wenn es nicht mehr so heiß ist, weiter nach Buchara, Samarkand und in den Iran.

Das scheint eine gute Idee zu sein – ein paar Wochen möchte ich aber noch in Armenien bleiben und dann entscheiden, wohin ich fliege. 

Als Nächstes ging es weiter an den Sewansee in der Nähe von Jerewan. Der in fast 2000m Höhe gelegene See bot eine angenehme Abkühlung nach den heissen Tagen in der Großstadt. Bereits in Jerewan habe ich immer wieder leichte Schmerzen in meiner Schulter gespürt, am See sind diese Schmerzen dann leider immer stärker geworden. Und vielleicht hängt es mit den Schmerzen zusammen: ein bisschen Heimweh habe ich auch. 

Was mache ich jetzt? Weiter in den Osten mit dem Risiko, dass ich dann irgendwo in der Pampa Kirgisiens mit höllischen Schulterschmerzen herumliege? Oder doch zurück nach Österreich? Ein schneller  Check der Flüge ergibt: es gibt jede Nacht um 04:45 einen AUA Direktflug von Yerevan nach Wien. 

Vor einer Woche habe ich mich dann für den Rückflug entschieden. Die Buchung war gleich erledigt – jetzt musste nur noch das Fahrrad zerlegt und fluggerecht verpackt werden. Auch hier war mir Your Bike, die Fahrradwerkstätte behilflich, sodass das Rad dann in einer 120x80x40 Verpackung transportiert werden konnte.

Seit ein paar Tagen bin ich nun zurück in der kühlen/coolen Wohnung im heimatlichen Schloss und genieße die Stille und das Nichtstun. Und auch die Schulter hat sich wieder beruhigt.

So wie ich mich kenne, wird es  mich spätestens im Herbst/Winter wieder in die Ferne ziehen -wahrscheinlich wird es dann gleich der Mekong sein, dort soll man ganz tolle Radtouren machen können. Schauen wir mal, was die Zukunft bringt.

Armenien
Alles blüht

Und wieder eine Kaffeepause
nur keine Panik in Panik


Das nächste Gewitter kommt
wieder eine Bergetappe

schnell ein paar Kirschen am Wegrand gekauft
Jerewan mit Ararat
Jerewan
Skaterpark vor der Kathedrale in Jerewan
glücklicherweise gibt es viele Trinkbrunnen in der heissen Stadt
Jerewan
Genozid Memorial
Genozid Memorial
Kloster Sewanawank




warten bis der Regen vorbei ist
auch das ist Armenien

Artur von Your Bike Jerewan
wieder zu Hause im kühlen/coolen Schloss

MEN IN BLACK

Als erstes muss ich meinen Bericht bezüglich des Trinkwassers in Georgien revidieren: nicht das Leitungswasser, das ich bei Giorgi getrunken habe, war Schuld an meinem Unwohlsein, sondern ein Sonnenstich. Und wie bin ich darauf gekommen? Ich habe ja nach diesem Vorfall ausschliesslich Mineralwasser getrunken – obwohl mich einige hosts in den BnB‘s darauf hingewiesen haben, dass ich das Leitungswasser ohne weiteres trinken kann („Es ist bestes Quellwasser und alle Touristen trinken es“). Warum sollten sie das sagen, wenn es nicht stimmt – sie gewinnen ja nichts dabei.

Und dann war wieder ein sehr heisser und anstrengender Radlertag (ich habe die ganze Zeit nur Mineralwasser getrunken) und – glücklicherweise war ich schon fast bei meinem Quartier angekommen – wieder die Symptome: Schwächeanfall, Bauchgrummeln, leichtes Schwindelgefühl. Im guesthouse habe ich mich nach der Dusche einmal kurz hingelegt und dann gab es Abendessen. Zu trinken gab es nur Wein und/oder Leitungswasser – ich hatte Riesendurst: also habe ich sehr viel Leitungswasser getrunken und alles war bestens. Also hab ich recherchiert: Dr. Google sagt, dass mit einem Sonnenstich oft Durchfall einhergeht. Seit diesem Zeitpunkt trinke ich nur noch Leitungswasser, das übrigens sehr gut schmeckt und alles ist okay. 

Mein letzter Eintrag hat ja in Vardzia, der Höhlenstadt aus dem 12. Jhdt. geendet. Diese Stadt, die bis zu 50.0000 Menschen Platz bot, wurde in einen 500m hohen Felsen gehauen und diente als Grenzfestung gegen Türken und Perser. Sehr interessant, aber halt auch ziemlich touristisch. Ich habe mir 2 Nächte im schönen Resort direkt gegenüber der Höhlenstadt gegönnt – mit wunderschönem Garten und Pool, gut zum Entspannen.

Die nächste Radleretappe weiter nach Achalkalaki schien auf den ersten Blick ziemlich entspannt zu werden: 30 km, aber mit 800 Höhenmetern. Die ersten km waren noch auf einer schönen, ebenen Asphaltstraße, dann ging’s auf einen Weg, der sich langsam den Berg raufschlängelt. Ich schau mir auf komoot noch einmal das Höhenprofil an: die nächsten 7km muss ich wahrscheinlich schieben, weil es nur bergauf geht – dann hab ich aber die Höhenmeter geschafft und es soll eher eben dahin gehen. Ich treffe dann noch einen Mann, der mich verwundert fragt, wohin ich will. „Achalkalaki “ antworte ich – er meint dann, dass der Weg über den Berg ziemlich anspruchsvoll ist. Ja, wird schon gehen – antworte ich.

Also los gehts – rauf auf den Berg. Der Weg ist ein bisschen wie ein Wanderweg, steile Abschnitte, wo ich mich wirklich plagen muss, wechseln mit gemütlicheren Passagen. Immer wieder begegne ich Kuhherden – Menschen sehe ich keine mehr. Was mir etwas Sorgen bereitet: schon die ganze Zeit höre ich Donnergrollen und in der Ferne sehe ich lauter schwarze Wolken. Regen ist nicht lustig – ein Gewitter am Berg kann aber wirklich gefährlich werden und es gibt weit und breit nichts zum Unterstellen. Aber endlich sind die Höhenmeter geschafft (ich hab fast 3 Stunden dafür gebraucht und musste abschnittweise die Packtaschen extra rauftragen, weil es so steil war).

Oben am Plateau checke ich noch einmal auf komoot, wie weit es zur nächsten Ortschaft ist: ca. 9 km. Ja, da muss ich jetzt ordentlich treten, um dem näher kommenden Gewitter davon zu radeln. Da es in der vorhergehenden Nacht geregnet hat, ist der Weg aber so gatschig, dass sich innerhalb kürzester Zeit so viel lehmig/gatschige Erde zwischen Kotflügeln und Laufrädern angesammelt hat, sodass sich diese nicht mehr bewegen ließen. Na, ich hab geflucht!

Packtaschen runter/ Fahrrad umdrehen/ Arbeitshandschuhe anziehen und mit dem Fahrradschloss habe ich den Dreck so halbwegs rausgekletzelt, sodass sich die Laufräder wieder bewegen ließen. Das Donnergrollen wird immer lauter und die finsteren Wolken sind schon fast über mir. 

Jetzt aber schnell – in einiger Entfernung sehe ich ein Gebäude – dort kann ich mich sicher unterstellen. Gerade im letzten Augenblick – in der Zwischenzeit hat sich schon wieder viel Erde zwischen Kotflügeln und Laufrädern angesammelt – schaffe ich es zu dem Gebäude, einem simplen Hirtenunterschlupf mit überdachter Terrasse und 2 Zimmern mit Betten und Tisch. Ein paar Tropfen haben mich noch erwischt, aber richtig losgegangen ist es erst, nachdem ich schon ein Dach über dem Kopf hatte. Eine Stunde lang hat es geschüttet, geblitzt und gedonnert – ich habe in dieser Zeit das Rad in Ruhe gereinigt. Und sollte es nicht aufhören zu regnen, würde ich hier einfach mein Zelt aufstellen und übernachten (die Betten in den Zimmern wirkten nicht wirklich einladend).

Von diesem Gebäude waren es noch immer 4 km bis zum nächsten Ort (und bis zu einer „richtigen“ Straße). Und der Weg war nach dem Starkregen natürlich noch schlimmer als vorher – das heisst: ich musste das Rad durch das kniehohe, nasse Gras schieben. Extrem anstrengend – nach kurzer Zeit schon waren meine Schuhe und Socken waschelnass und bei jedem Schritt machte es „quatsch“.

Irgendwann war ich dann aber im sehr ärmlich wirkenden Dorf auf 1800m Seehöhe (die Kühe, Schafe und Ziegen wurden gerade in die Ställe getrieben), in der Hoffnung jetzt endlich auf einer schönen Asphaltstraße dahin flitzen zu können. Weit gefehlt. Das war keine Asphaltstraße, sondern ein von grösseren und kleineren Wasserlachen übersäter Weg. Aufsteigen war keine Option – Schieben war weiterhin angesagt. Noch 10km bis Achalkalaki – dort habe ich ein 4 Sterne Hotel gebucht. Ich habe mir gerade ausgerechnet, wann ich im Hotel ankommen werde, wenn ich die ganze Strecke schieben muss, da hält ein Fahrzeug neben mir. 

Obwohl, Fahrzeug ist nicht die richtige Beschreibung (irgendwo stand  zwar Ford Transit drauf) – es war eher ein Zustand auf 4 Rädern und mit Motor. Und drin saßen die Men in Black. Also die kaukasische Variante der MIB – einer hat versehentlich die grell gelben Gummistiefel statt der schwarzen und den bunten Weihnachtspulli statt dem dunklen Shirt erwischt. Alle 3 haben freundlich gelächelt und mir signalisiert, dass sie mich gerne mitnehmen würden. „Ich muss nach Achalkalaki“ – „Ja, passt – wir fahren dort hin.“

So schnell konnte ich gar nicht schauen, waren meine Packtaschen und mein Fahrrad im Laderaum des Kastenwagens verstaut. Die MIB saßen in der ersten Reihe – hinten war eine 2-er Bank, allerdings nicht fixiert, auf der ich Platz nahm. Während der Fahrt bin ich ein paar mal mitsamt Bank fast umgekippt, was aber eh wurscht war, weil auch die Fahrertür ständig aufging. Man kann dieses Vehikel nicht  beschreiben – in Österreich hätte es schon vor 40 Jahren kein Pickerl mehr bekommen.

Und die 3 MIB hatten ihre Gaudi da vorne und die ganze Zeit herumgeblödelt. Ich hab sie zwar nicht verstanden und sie mich auch nicht – wir hatten aber trotzdem viel zu lachen. Am Stadtrand von Achalkalaki haben sie mich abgesetzt (madloba -Danke) und ich hab dann nur noch ca. 2 km ins Zentrum radeln müssen. 

Kurz vor meinem Hotel überholt mich ein voll bepackter Fernradler! Der erste Fernradler, den ich auf meiner Reise treffe! Auf englisch fragt er, wohin ich fahre. Wir unterhalten uns dann ein paar Minuten auf englisch, bis wir drauf kommen, dass wir eh deutsch reden können: er ist Student aus Deutschland, der ein paar Monate den Kaukasus bereist. Sein Fahrrad ist genau so dreckig wie meines und ich frag ihn, wo er gefahren ist. Ziemlich fertig schildert er mir, dass er eine nicht asphaltierte Passtraße gefahren ist und dabei in Regen und Gewitter gekommen ist. Und jetzt muss er sich noch einen passenden Platz zum Zelten suchen und kochen. „Da gehts mir besser“ sag ich und zeig auf den 4 Sterne Schuppen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. „Was zahlst denn dafür?“ „140 Lari – knapp 50 EUR inkl. Frühstück“ „Das kann ich mir als Student nicht leisten“ meint er bedauernd. Er leistet sich dann und wann ein Bett in einem Schlafsaal, das ist dann aber auch schon das höchste der Gefühle. 

Na, vielleicht treffen wir uns ja noch irgendwo, nachdem wir beide Richtung Armenien unterwegs sind. 

Ich fahr dann rüber zum Hotel, in welchem auch ein Casino untergebracht ist. Am Parkplatz fette SUVs – viele mit russischem Kennzeichen – und herausgeputzte Damen und deren Begleiter in feinem Zwirn. Erst da wird mir bewusst, wie dreckig ich bin – bis zu den Knien alles Dreck. Und auch auf den Packtaschen picken lauter Dreckklumpen. Schnell hole ich die Arbeitshandschuhe raus und reinige die Taschen notdürftig. Na hoffentlich lassen die mich in diesem Aufzug da rein? Da kommt schon ein Hotelangestellter – entschuldigend sage ich, dass ich auf schlechten Straßen und bei Regen über den Berg gekommen bin und deshalb der ganze Schmutz. Er lächelt freundlich – kein Problem. Das Fahrrad darf ich im Hof des Hotels abstellen.

Check in ist schnell erledigt – es ist wirklich ein schönes 4 Sterne Hotel und im Zimmer steht ein Obstteller. Gierig stürze ich mich gleich auf die saftig süßen Pfirsiche – erst jetzt merke ich, dass ich einen Riesenhunger habe – kein Wunder, ich habe vor 10 Stunden gefrühstückt und seither nichts gegessen. Zuerst noch eine Dusche (auch das Radleroutfit und die Packtaschen werden gleich in der Dusche gereinigt) und dann in frischer Kleidung runter ins Restaurant. Bei einem Boeuf Stroganoff und einem Glas Rotwein lasse ich den Tag Revue passieren. Obwohl ich nur 20 km selbst gefahren bin bzw. geschoben habe (10km bin ich mit den Men in Black mitgefahren), war es einer der anstrengendsten Radlertage, die ich je hatte. Und ich hatte noch Glück, dass ich den Hirtenunterstand gerade rechtzeitig erreicht habe.

Am nächsten Tag gehe ich es wirklich gemütlich an – 20 km auf Asphalt mit ca. 300hm nach Ninozminda – von dort sind es nur noch weitere 20km zur armenischen Grenze.

In Ninozminda fallen mir gleich mehrere Sachen auf: einerseits gibt es sehr viele Störche – seit Kroatien habe ich keine Störche mehr gesehen – andererseits sind die Bewohner hier eine Nuance dunkler, als die restlichen Georgier. Der Hotelbesitzer erzählt mir dann, dass die meisten Bewohner ethnische Armenier sind – das ist dann wohl die Erklärung. Außerdem gibt es hier überall Lavash – ein Fladenbrot – zu kaufen.

Einen Tag später heisst es dann nach fast 4 Wochen Abschied nehmen von Georgien. Die Einreise nach Armenien verläuft problemlos – der Zöllner zeigt auf meine Taschen und fragt: „Was hast da drinnen?“ „Zelt, Schlafsack, Matte, Kocher, Geschirr, Kleidung und Zahnbürste“. „Und wohin fährst du?“ „Um die Welt“. Mit einem breiten Grinsen sagt er: „Welcome to Armenia“. „Shnorhakalut‘yun“ (Danke) – uff, das ist ein kompliziertes Wort!  Da war „Madloba“ in Georgien ja ein Kinderspiel dagegen. 

Erstes Ziel in Armenien war Gyumri, die zweitgrößte Stadt des Landes. Die Straße von der Grenze nach Gyumri war anfangs sehr angenehm zu befahren – alles Asphalt, fast kein Verkehr, leicht abschüssig – über mir der Himmel. Es stellt sich so ein Gefühl der Freiheit ein – die Welt gehört mir!

Dann sind aber auch hier dunkle Wolken aufgezogen und ich habe bei einem Unterstand kurz überlegt, ob ich den Regen hier abwarten soll. Habe dann aber beschlossen weiter zu fahren und auch diesmal hatte ich Glück. Ich war schon längere Zeit auf einem Straßenabschnitt unterwegs, wo keine Häuser zu sehen waren, als es zu tröpfeln begann. Der Regen wurde stärker, die Straße führte den Berg runter und unten stehen tatsächlich ein paar Häuser. Noch bevor  mich der Regen richtig erwischt, konnte ich mich beim 1. Haus unter das Vordach stellen. Und der Besitzer kommt raus und bittet mich hinein in die trockene Stube. Seine Frau hat dann gleich Kaffee gebracht und so konnte ich das Ende des Regens im Trockenen abwarten. „Shnorhakalut‘yun“ 

Ein paar Höhenmeter liegen noch vor mir – ich war grad abgestiegen, um das Rad zu schieben – da hält neben mir ein uralter, total verrosteter Lada. Drinnen ein Mann und eine Frau mit freundlichem, wettergegerbtem Gesicht – die Rückbank des Autos war voll mit frisch gepflückten Kräutern. Der Mann fragt mich, ob er mich mitnehmen soll. „Ja – falls er nach Gyumri fährt“. Schon sind beide ausgestiegen – sie sucht sofort nach einem größeren Stein, den sie hinter das Hinterrad legt (die Handbremse funktioniert offensichtlich nicht mehr). Am Dach hat er einen Träger – das Rad wird draufgelegt – die Kräuter auf der Rückbank werden umgeschlichtet, sodass ich und die Packtaschen Platz haben. Und dann geht es flott dahin Richtung Stadt. Sie gibt mir ein Stück Kuchen, das ich mir schmecken lasse – bei einem Mini-Market bleibt er dann noch stehen und kommt mit 3 Eis zurück „Shnorhakalut‘yun“. Ich habe bereits am ersten Tag in Armenien sehr oft die Gelegenheit, dieses Wort zu sagen und mittlerweile kommt es bereits sehr flüssig von der Zunge.

Und dann Gyumri: in der 120.000 Einwohner zählenden Stadt, die 1988 durch ein schweres Erdbeben stark zerstört wurde, fallen sofort die vielen Gebäude aus dunklem Tuffstein auf  – manche Straßen wirken dadurch düster und etwas gewöhnungsbedürftig. Gyumri ist berühmt für seinen Humor und seine guten Handwerker (2 extrem wichtige Sachen), aber auch für sein reges kulturelles Leben und die interessante Architektur.

Und ich war ja am Wochenende in der Stadt und da war im Zentrum einiges los. Die Organisation „Move to Armenia“ zeichnete für ein Konzert mit lokalen Bands am Hauptplatz verantwortlich und das war tatsächlich hörenswert. So eine Mischung aus Russenpop und armenischem Folk – da ging die Post ab!

Neben dem Besuch von Museen, Galerien und Kirchen stand auch ein Termin im Beauty Salon an. Pediküre, Sugaring und Augenbrauen faconnieren – ich habe mich von Maryam und Kristina verwöhnen und auf Vorderfrau bringen lassen. Was für ein Genuss – und das ganze für läppische 10.000 Dram (22 EUR).

Noch ein spezielles Projekt, welches von der österreichischen Caritas mitbegründet wurde, möchte ich erwähnen: The First Inclusive Bakery and Coffee Shop in Gyumri – eine Einrichtung, die jungen Leuten mit handicap jobs bietet. Ich war jeden Tag in diesem Kaffeehaus und habe einerseits den ausgezeichneten Kaffee und die leckeren Mehlspeisen genossen und mich andererseits sehr über die engagierten und freundlichen Mitarbeiter gefreut (die am 1. Arbeitsmarkt – so wie in Österreich ja auch – überhaupt keine Chance hätten).

Morgen geht es weiter Richtung Jerewan. Mehr dazu nächste Woche.

 

Höhlenstadt Vardzia
Weiter gehts auf den Berg
Die Kühe begleiten mich
Nix geht mehr
Hirtenunterkunft - meine Rettung
Jetzt gehts an die Arbeit
Wenn’s nicht aufhört zu regnen, werde ich hier mein Zelt aufstellen
Die kaukasischen Men in Black - sehr nett und lustig
Schon wird mein Rad verladen
Weiter gehts nach Ninotsminda
Asphalt und wenig Verkehr - das ist Genussradeln
Hier gibts viele Störche
Frühstück - im Brotkorb links sieht man Lavash (Fladenbrot)
Die ersten Kilometer in Armenien - die Welt gehört mir!
Kurzerhand wird mein Rad auf das Dach des Lada verfrachtet
Kirche aus schwarz- und apricotfarbenem Tuffstein in Gyumri
Gyumri
Gyumri
Gyumri
Gyumri
Gyumri
Gyumri
Gottesdienst in der armenisch apostolischen Kirche (die küssen alle den Boden)
Vorne links Maulbeeren in verschiedenen Farben und die Marillen schauen so halbreif aus - sind aber sehr saftig und süss
Die haben extrem geile Musik gemacht
Die Kardashians? Nein, die netten Damen vom Beauty Salon - wir haben sehr viel gelacht
Leckerer Kaffee und Mehlspeise im SÖB der Caritas

DIE HUNDEFLÜSTERIN

Seit dem letzten Eintrag bin ich von Mzcheta, der alten Hauptstadt Georgiens über Gori, Kashuri und Borjomi nach Vardzia gefahren. 

In Mzcheta (nur ca. 25km von Tiflis entfernt),  wo sich untertags Unmengen an georgischen und ausländischen Touristen aufhalten, habe ich die spezielle Stimmung am Abend und am Morgen um so mehr genossen. Ich hatte das Glück, in einem guest house mit grosser Terrasse und vielen duftenden Rosensträuchern direkt bei der Kathedrale untergebracht zu sein. Die Glocke der Kathedrale wurde alle 3 Stunden (3 Uhr, 6 Uhr, 12 Uhr….) noch händisch geläutet und ich konnte den Messdiener beobachten, wie er die Stufen auf den Turm gestiegen ist und dann mit voller Kraft die Glocke geschlagen hat. Insgesamt gab es in diesem Turm aber 4 Glocken in verschiedenen Größen und wenn eine Messe stattfand, so wurde diese mit einem tollen Glockenspiel, das ca. 10 Minuten dauerte, eingeläutet. Dazu stiegen 4 Männer auf den Turm und läuteten die Glocken – es war ein wirklicher Hörgenuss. Und während der Messe sangen Chöre – auch diese Gesänge konnte ich auf der Terrasse meiner Unterkunft mitverfolgen. Es war ganz was Besonderes.

Vor der Kathedrale kam ich mit einer Gruppe georgischer girlies (13-16 Jahre) ins Gespräch. Sie waren zuerst ein bisschen schüchtern, haben sich dann aber gefreut, ihr gutes Englisch unter Beweis stellen zu können. Sie waren sehr interessiert an meiner Radreise, wollten alles Mögliche wissen (wieviel km ich täglich fahre, wo ich übernachte, wie ich mir das leisten kann, welche georgischen Wörter ich kenne, was meine georgische Lieblingsspeise ist, welcher mein georgischer Lieblingspopsänger ist – da musste ich passen). Dann hat eine gesagt, dass sie auch einen Satz auf Deutsch sagen kann. Na, dann raus damit! „Ich liebe dich“ und dann lautes Gekicher von allen. Dann alle durcheinander: „Ti amo“, „Te quiero“, „Je t‘aime“, „Uhibuk“ – immer gefolgt von lautem Gekicher. Wir waren uns natürlich einig, dass es immer gut ist, diesen Satz in diversen Sprachen zu beherrschen – man weiss ja nie, wer einem so über den Weg rennt.  So süß, sehr natürlich und sympathisch.

Ausserdem habe ich ein älteres deutsches Ehepaar getroffen, das mit dem Wohnmobil in Georgien unterwegs ist. Sie campieren wild (Campingplätze mit Infrastruktur wie in Westeuropa gibt es nicht) und wenn sie vor dem Wohnmobil essen, so zieht das natürlich die Streuner an. Einer dieser Hunde wollte eine Bratwurst vom Teller stehlen und die Frau versuchte, ihn zu verscheuchen. Dabei biss er sie in die Hand, sodass sie eine blutende Wunde davontrug. Und: sie war nicht gegen Tollwut geimpft. Sie hat daraufhin ihren Bruder, der in Deutschland Arzt ist, angerufen und der hat ihr geraten, den nächsten Flieger nach Deutschland zu nehmen, um sich zu Hause im Nachhinein immunisieren zu lassen (er hat in D die Info erhalten, dass das benötigte Serum in Georgien nicht erhältlich ist). Sie hat dann aber in Tiflis ein kleines Institut entdeckt, das doch über das Serum verfügt und lässt sich nun hier die nachträgliche Immunisierung geben (man muss dabei einen genauen Zeitplan einhalten: Je 1 Dosis an fix festgelegten Tagen nach dem Biss).  Die einzig unangenehme Sache ist, dass sie die nächsten 2 Monate keinen Tropfen Alkohol trinken darf – bei den guten georgischen Weinen eine harte Gschicht!

Ja, die Hunde – ein leidliches Thema und eine Änderung der Taktik war notwendig.  Und das kam so: ich fuhr auf einer stark befahrenen Bundesstraße – links neben mir bretterten die LKWs in geringem Abstand an mir vorbei und rechts kamen aus einem Garten 2 Hunde auf mich zugeschossen und haben mich verfolgt. Ich versuche in so einem Fall immer, so schnell wie möglich zu fahren, um die Viecher abzuhängen. Aber das Ganze ist natürlich Stress pur und einen Fahrfehler darf ich mir in so einer Situation auf keinen Fall leisten. Dazu kommt noch, dass die Fahrbahn auch nicht gerade in einem optimalen Zustand ist (Schlaglöcher oder Asphalt, der sich durch die Hitze aufwölbt). Wenn ich da zu Sturz komme – na dann Gute Nacht!

Aus diesem Grund bleibe ich jetzt immer stehen, sobald ein Hund (oder auch mehrere) hinter mir her ist/sind. Ich steige ab und fange an, in sanftem Ton mit ihm/ihnen zu reden, so in der Art: „Hallo Hund. Schau, ich fahr da nur und tu dir nix“. Ca. 50% der Hunde hören dann tatsächlich auf zu bellen und manche fangen sogar an, mit dem Schwanz zu wedeln. Je größer die Meute ist, desto schwieriger ist es, sie zu beruhigen. Dann müssen sie sich ja gegenseitig beweisen, dass sie es sind, die die „böse Radfahrerin“ verjagt haben. In diesem Fall: runterbücken und einen Stein aufheben. Das wirkt fast immer. Manchmal sieht man auch Kampfhunde – glücklicherweise immer an der Leine – ich weiss nicht, wie ich reagiere, wenn mich so eine Bestie verfolgt.

Neben Hunden hatte ich vergangene Woche auch viele Begegnungen mit Kühen – die waren aber harmlos. Die Kühe hier sind auch etwas zarter gebaut als die Exemplare, denen man auf österreichischen Wanderwegen so über den Weg läuft. Nur vor den Stieren hab ich Respekt: auch die sieht man immer wieder, wenn man so durch die Wiesen fährt. Und wenn dann einer anfängt, mit den Hufen zu scharren und den Kopf zu senken: ganz langsam vorbeifahren und gut zureden (ich bin jetzt bald diplomierte Hunde- und Stierflüsterin 🙂 )

Auf einer stark befahrenen Straße habe ich dann noch eine Beobachtung gemacht, die faszinierend und abstoßend gleichzeitig war: eine in allen Grüntönen schillernde, ca. 20 cm lange Echse ist gerade überfahren worden. Sie hat noch ihre Beine bewegt und ihr Bauch war aufgeplatzt und aus diesem Bauch kamen lauter kleine Echsen gekrochen und sind in alle Richtungen auseinander gelaufen. Was für ein Anblick – ich konnte aber nur kurz hinschauen und bin gleich weiter gefahren.

In Gori, der Geburtsstadt Stalins kann man dessen Geburtshaus und das Stalinmuseum (sehr informativ) besichtigen, was ich auch tat. Man merkt aber einen Riesenkontrast zu Tiflis – während die Hauptstadt sehr lebendig und modern ist, hatte ich in Gori das Gefühl, noch immer im Ostblock zu sein. Abgesehen von den vielen hässlichen Gebäuden (Plattenbauten), hatten auch die Menschen die Ostblockmentalität irgendwie noch nicht abgelegt („der Staat tut so, als ob er mich bezahlen würde, dafür tu ich so, als ob ich arbeiten würde“). Fast könnte man meinen, der Geist Stalins verhindert, dass hier was weiter geht.

Das Radfahren vergangene Woche war einerseits extrem anstrengend (den ganzen Tag Sonne bei 32 Grad Tageshöchsttemperatur) auf Schotterpisten mit etlichen Höhenmetern. Jedes Auto hat eine Staubwolke aufgewirbelt – auf meiner Haut war eine gschmackige  Mischung aus Sonnencreme, Schweiß und Staub. Gleich nach der Ankunft im Hotel: rein in die Dusche. Auch die ganze Kleidung habe ich gleich in die Dusche geschmissen, um den ärgsten Dreck abzuwaschen. Im Waschbecken dann der 2. Waschgang mit Seife – dann aufhängen (entweder in der Dusche oder am Balkon, falls es einen gab) – am nächsten Morgen war alles trocken und bereit für den nächsten Radlertag. Andererseits gab es auch sehr schöne Etappen auf wenig befahrenen Asphaltstraßen mit Blick auf Burgen oder Klöster am Berg, teilweise sogar mit leichtem Rückenwind vorbei an Wiesen mit einer Blumenvielfalt, wie man sie in Österreich, wo alles weggedüngt wird, nicht mehr sieht. Ein Paradies für Bienen und Co. 

Während des Radfahrens esse ich nichts (ich frühstücke dafür ausgiebig), aber trinken ist wichtig und so kaufe ich unterwegs auch Wasser in kleinen Ortschaften, wo es Mini-Supermärkte gibt, nach. Wenn ich in so einen Supermarkt reinkomme, so falle ich natürlich auf (wegen meinem Radler-Outfit und auch, weil ich blond und hellhäutig bin). Ich hör dann die Leute immer tuscheln – irgendeiner fragt dann, woher ich komme. „Österreich“ antworte ich. „Und du bist mit dem Fahrrad aus Österreich hierher gekommen?“ „Ja“. Dann schauen mich alle an, als ob ich eine Außerirdische wäre. Und die nächste Frage lautet immer: „Wie alt bist du?“ „60“. Dann diskutieren sie – sie schauen mich an – sie schauen das Rad an. Und dann krieg ich fast immer ein Geschenk: entweder Obst oder ein Eis oder einen Schokoriegel oder ein Stück Kuchen und dazu ein „Daumen hoch“ oder ein „Super“ und ein anerkennendes Nicken.  Madloba (Danke). 

Ich bin dann immer weiter in die Berge raufgefahren und schlussendlich im Kleinen Kaukasus angekommen. Jetzt war es Zeit, die Bergschuhe auszupacken und ein paar Touren zu machen. Der Kaukasus ist ja die Heimat der Nordmanntannen – hier werden die Tannenzapfen geerntet und nach Westeuropa exportiert. Aus 1 kg Tannenzapfen (ca. 20 Stk.) gewinnt man den Samen für 4000 Weihnachtsbäume. 

Und heute bin ich in Vardzia, einer Höhlenstadt, nicht all zu weit von der armenischen Grenze entfernt, eingetroffen. Näheres dazu im nächsten Beitrag.

Blick von meiner Terrasse auf die Kathedrale in Mzcheta (Glockenturm)
Die sympathischen Mädels aus Mzcheta
Ginster am Straßenrand
Alles blüht
Ah, jetzt weiß ich, wo ich bin
Weiter gehts in den Kleinen Kaukasus
Bin ich schon in Indien?
Borjomi
Heute werden die Bergschuhe ausgepackt
Bergtour im Borjomi Nationalpark
Tomaten-Gurkensalat mit Walnüssen - sehr lecker
Champignons mit Käse
Was Süßes geht immer
Ein Logenplatz und Nahrung für die Seele

EINE WOCHE IN TIFLIS

Die beiden Rasttage in Kutaissi habe ich richtig gewählt, denn es hat die meiste Zeit sehr stark geregnet. Das richtige Wetter, um Galerien und Museen zu besuchen, was ich dann auch gemacht habe.

Im Hotel treffe ich Reinhold, einen Augsburger, der hier in den Bergen gemeinsam mit seiner georgischen Frau eine Selbstversorgerlandwirtschaft (2 Kühe, 1 Schwein, Enten, Hühner und Gemüsefelder) betreibt. Er sagt, dass er sehr froh ist, in Georgien zu leben – er hat den Mief und die Spießigkeit in Deutschland nicht mehr ertragen. Ich frage ihn dann, wie es hier aussieht mit der medizinischen Versorgung: er meint, dass es in Tiflis sehr gute (auch deutsche) Ärzte gibt – am Land ist es aber doch etwas schwieriger.

Da nach dem Starkregen wahrscheinlich viele Wege, die mir Komoot vorschlägt, ziemlich gatschig und verschlammt sind, beschließe ich, die Strecke nach Tiflis mit dem Zug zu fahren.  Dieser fährt 1x pro Tag (um 12:05) und benötigt für die ca. 260km fast 6 Stunden. Das Ticket für mich (inklusive Sitzplatzreservierung), das ich bereits 1 Tag vor Abfahrt am Bahnhof kaufe, kostet unglaubliche 8 Lari (2,50 EUR). Das Ticket für das Rad (5 Lari – 1,50 EUR) bekomme ich erst im Zug – na hoffentlich funktioniert das – es könnte ja sein, dass der Schaffner sagt, dass doch kein Platz für das Rad ist. 

Am nächsten Tag bin ich bereits um 11:00 am Bahnhof, in der Hoffnung, dass der Zug schon etwas früher bereit gestellt wird, sodass ich das Rad und die Packtaschen in Ruhe verladen kann (das Verladen des Rades kann ziemlich stressig sein, wenn man wenig Zeit hat und man zuerst mal herausfinden muss, in welchem Waggon das Rad abgestellt werden darf. Und wenn man es weiss: Packtaschen runternehmen – Rad raufheben in den Waggon und irgendwie verstauen – wieder zurück und die Packtaschen holen und diese zum Sitzplatz bringen. Ufff – endlich geschafft). 

Während ich am Bahnsteig auf den Zug warte, sprechen mich 2 Securitymitarbeiter an: sie wollen wissen, woher ich komme und wohin ich fahre,… Das übliche halt. Sie sprechen nur georgisch und ich antworte ihnen halt irgendwie. Ein anderer, ebenfalls georgisch wirkender Fahrgast, der auch gewartet hat, hat das mitbekommen und mich auf deutsch angesprochen: Daniel aus München – ich schätze ihn auf 35. Er lebt seit einigen Wochen in Tiflis und sieht hier etliche Geschäftschancen. Er will was machen mit Co-Working Spaces und Kryptowährung und erzählt mir, dass Georgien in gewisser Weise ein Steuerparadies ist. Er hat auch ohne weiteres eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung für 1 Jahr bekommen (EU Bürger können normalerweise bis zu 3 Monate ohne Visum in Georgien bleiben). 

Und schon fährt der Zug ein – der Schaffner, der mich mit dem voll bepackten Rad am Bahnsteig stehen sieht, kommt gleich her zu mir. Ja, ich darf das Rad mitnehmen und er zeigt mir auch gleich den Waggon, in welchem ich mein bici abstellen darf. Also, Packtaschen runter – Rad raufheben in den Zug und verstauen – ich wieder raus aus dem Zug – Packtaschen nehmen und zu meinem reservierten Sitzplatz 17 tragen und dort verstauen.

Dann kommt der Schaffner und verteilt einmal Mineralwasserflaschen (das ist im Fahrpreis von 2,50 EUR inkludiert – ich pack es nicht) und schon gehts los nach Tiflis. Neben mir sitzt ein Paar – beide ca. 30 und sie unterhalten sich auf russisch. Wir kommen dann ins Gespräch – beide sprechen perfekt englisch und sie auch etwas deutsch. Sie kommen aus St. Petersburg und haben Russland im März verlassen. Beide hatten tolle Jobs (sie im IT Bereich – er ist Elektrotechnikingenieur) und sehen jetzt aber keine Zukunft für sich in Russland und sie wollen vor allem nicht, dass ihre (geplanten) Kinder in einer Diktatur aufwachsen müssen. Sie erzählen mir, wie gefährlich es ist, in Russland seine Meinung kund zu tun. Wenn man z. B. bei einer Demo gegen den Krieg erwischt wird, so kommt man zuerst einmal für ein paar Tage ins Gefängnis. Das ist nicht so schlimm. Wird man ein 2. mal erwischt (das muss nicht unbedingt bei einer Demo sein – es genügt ein Eintrag in den sozialen Medien), so gibt es ein paar Wochen Haft. Auch das geht vorüber. Heftig wird es aber, wenn man den 3. Minuspunkt kriegt: 15 Jahre Haft. Sie erzählen, dass einer ihrer Freunde jetzt gerade für 15 Jahre eingebuchtet wurde – der kommt mit 44 wieder raus.

Fast alle ihre Freunde haben Russland bereits verlassen und sind gerade dabei, sich woanders ein neues Leben aufzubauen. Alle gut ausgebildet – alle hatten gute jobs. Ein unglaublicher brain drain und wahnsinnig traurig.

Da wird einem wieder bewusst, wie gut es uns in Österreich geht.

Mit diesen interessanten Gesprächen vergingen die 6 Stunden bis Tiflis wie im Flug. 

Und dann Tiflis: am Bahnhof lauter freundliche Georgier, die mir halfen, das Rad und die Packtaschen die vielen Stufen rauf oder runter zu tragen (Lift gab es nicht) – das fand ich extrem nett, weil an anderen Orten schauen die Leute meistens einfach nur zu, wie ich mich abschleppe. 

Und der positive Eindruck wurde am Weg zum Hotel in der Altstadt noch verstärkt: was für eine schöne Stadt – sehr lebendig, tolle Architektur – viele gepflegte Parks. Hier gefällt es mir – hier bleib ich ein bisschen länger. 

Am nächsten Tag, es war Sonntag, durfte ich in einer georgisch orthodoxen Kirche bei einer Taufe dabei sein. Es wurden 2 Buben (ca. eineinhalb und 3 Jahre alt) getauft – ich bin zwar etwas zu spät gekommen und hab nicht mehr gesehen, wie die Köpfe und Füße der beiden vollständig ins Taufbecken getaucht werden (so wie es hier Brauch ist). Ich hab aber noch mitgekriegt, wie den beiden (in Badetücher gewickelt) vom Priester mit einer Schere ein paar Haarsträhnen abgeschnitten werden und diese ins Taufbecken geworfen werden. Außerdem wird ihnen Balsam auf Kopf, Hände und Füße aufgetragen, der dann wieder abgetupft wird. Doch etwas anders als bei den Katholiken und Protestanten. 

In den georgisch orthodoxen Kirchen gelten etwas strengere Bekleidungsvorschriften: Frauen sollen Kopf und Schultern bedecken (ein loser Schal um den Kopf passt da wunderbar), ausserdem soll man ein Kleid/Rock tragen bzw. wenn man eine Hose anhat, so soll man die Hüften bedecken (geht ebenfalls gut mit einem Schal oder mit einer etwas längeren Bluse). Schals und Kopftücher in verschiedenen Farben liegen oft auch beim Eingang zu den Kirchen in Boxen bereit, sodass man sich für den Besuch etwas Passendes aussuchen kann.  Ich habe in einer Boutique, in welcher georgische Mode verkauft wurde, eine nette Bluse erstanden, welche ich gleich bei den Kirchenbesichtigungen ausführen konnte (passt hoffentlich dann auch für den Iran).

In der Zwischenzeit ist auch Oliver, den ich auf der Fährfahrt kennengelernt hatte, mit einem Bus in Tiflis eingetroffen. Er hatte Probleme mit dem Wohnmobil und es daher in eine Werkstätte in Batumi gestellt, wo es hoffentlich repariert werden kann.  Er meinte, dass er noch nie so eine perfekt organisierte Werkstatt gesehen hat – und wenn das ein Deutscher sagt, so will das was heißen. Da nicht alle Ersatzteile lagernd sind, dauert es ca. 1 Woche, bis er das Fahrzeug wieder abholen kann. Na, da können wir die Stadt zu zweit besichtigen – das ist immer netter, als wenn man alleine unterwegs ist.

Am 26. Mai war georgischer Unabhängigkeitstag und da wurde so einiges geboten. Am Freiheitsplatz fand eine Parade des georgischen Heeres statt (alle Divisionen waren vertreten). Dann wurde die georgische Nationalhymne gesungen – anschliessend – wir konnten es zuerst kaum glauben und haben dann laut mitgesungen –  die „Ode an die Freude“ (Freude schöner Götterfunken…) in deutscher Sprache und zum Schluss hat die Militärkapelle noch den Radetzkymarsch gespielt. Ich habe geglaubt, ich bin in Österreich. Und als finale furioso sind natürlich Militärhubschrauber und Kampfjets im Formationsflug mit Farbe  in niedriger Höhe über das Stadtzentrum gedonnert. 

Georgien will ja in die EU (und auch in die NATO) – vor  allen Regierungsgebäuden hängt sowohl die georgische als auch die EU Flagge – das ist dann auch die Erklärung dafür, dass neben der Nationalhymne auch die Europahymne („Ode an die Freude“) gesungen wurde.

Wir waren auch in einem modernen Shopping Center – wäre da nicht überall die verschnörkelte georgische Schrift, so hätte man glauben können, in einem westeuropäischen Einkaufszentrum zu sein. Und auch die Preise in dieser Mall entsprachen westeuropäischem Niveau – es ist die Frage, wer sich das in Georgien leisten kann. Neben dem ATM (Bankomat) steht dort auch ein BTM (Bitcoin Teller Machine), wo man seine Kryptowährung zu Bargeld machen kann.

Rund um Tiflis sind einige Hügel mit schönen Parks und so sind wir mit einer Standseilbahn (errichtet von der Vorarlberger Firma Doppelmayr – da hab ich mich dann gleich doppelt so sicher gefühlt) auf einen dieser Hügel gefahren und standen bei einem Aussichtspunkt, wo wir uns -klarerweise auf deutsch – unterhalten haben. Neben uns stand ein orientalisch aussehendes Paar (beide ca. 30-35 Jahre, westlich gekleidet) und der Mann hat uns in perfektem, akzentfreiem Deutsch angesprochen. 

Die beiden Iraner kurdischer Abstammung haben erst vor einer Woche geheiratet und waren auf Hochzeitsreise. Er ist vor 8 Jahren aus dem Iran geflohen und 2016 als Flüchtling nach Deutschland gekommen, wo er Asyl erhalten hat. Er lebt und arbeitet als Pizzakoch in Stuttgart. Seine Partnerin hat er diese 8 Jahre nicht gesehen (er meinte „zum Glück gibts Whats App“) – er fliegt jetzt wieder zurück nach Deutschland, während sie im Iran ihre Papiere fertig macht, um ihm dann nachzufolgen. 

Er sagt, er ist Deutschland so unendlich dankbar, dass er Asyl bekommen hat und dass er dort leben und arbeiten darf. Beide wirkten auch sehr glücklich und haben mit der Sonne um die Wette gestrahlt. Ich habe ihn dann noch gefragt, ob er schon Deutsch konnte, bevor er nach Deutschland kam. Nein, sagt er – er hat nach seiner Ankunft in Deutschland einen Sprachkurs besucht (3 Jahre) und jetzt spricht er perfekt Deutsch. Chapeau!

Ich musste dann wieder an Reinhold (den Augsburger, dem der deutsche Mief und die Spießigkeit zuviel wurden) denken bzw. auch an Daniel aus München (der in Georgien Chancen sieht, die er in Deutschland nicht sieht)  aber auch an das Paar aus St. Petersburg: warum verlässt einer ein Land, das für einen anderen das Traumland darstellt? Wobei es ein Westeuropäer unendlich viel leichter hat, in seinem „Traumland“ Fuß zu fassen, als eine Person, die als Flüchtling in ihr „Traumland“ kommt. 

Wir sind dann von diesem Hügel rübermarschiert zur „Mother of Georgia“, einer Riesenstatue, noch errichtet zu Sowietzeiten. In der einen Hand hält sie ein Schwert („für die Feinde“) – in der anderen einen Weinkrug („für die Freunde“) und von dort dann weiter ins Bäderviertel. Tiflis bedeutet ja „warme Quelle“ und in den Bädern kann man seiner Haut Gutes tun und ein ziemlich heißes Schwefelbad nehmen. 

Auf ein Schwefelbad haben wir verzichtet (das ist eher was für die kalte Jahreszeit) – dafür sind wir Essen gegangen. Ja, das Essen hier ist ein Kapitel für sich. Zum Niederknien – so fein und raffiniert. Selbst ich (ich gelte als sehr schnelle Esserin) sitze dann ganz andächtig vor dem Teller und genieße jeden einzelnen Bissen. Diese Auberginenröllchen mit der Walnusspaste oder Kinkali (Teigtaschen) gefüllt mit Pilzen oder Kartoffeln oder Fleisch. Und erst die Salate!  Dazu noch ein Glas georgischen Wein – ja, so ungefähr stellt man sich das Paradies vor.

Schön langsam heisst es dann aber Abschied nehmen – ein bisschen Wehmut schwingt mit. Wenn man als Radnomadin einmal 7 Tage an einem Ort ist, so entwickelt sich schon fast ein Heimatgefühl – man kennt dann schon die ganze Umgebung, weiss wo man gut essen gehen kann, muss nicht jeden Tag die Radtaschen neu packen.

Nächstes Ziel: Mzcheta, die ehemalige Hauptstadt Georgiens mit einigen Weltkulturerbestätten. 

Zug Kutaissi - Tiflis
Das Rad wär einmal verstaut - der Schaffner hat die Tür dahinter versperrt, sodass dort niemand einsteigen kann
Wollmispeln - sooo gut
Tiflis
Bäckerei
Tiefe Verbundenheit mit der Ukraine
Taufe
Passt gut mit Schal am Kopf für die georgischen Kirchen (und hoffentlich auch für den Iran)
H und M sind die 1. Buchstaben, die ich mir in georgischer Schrift merke
Hier kriegt man cash für seine Kryptowährung
Die martialisch wirkende Sondereinheit mit Sturmhauben und Nachtsichtgeräten nimmt Aufstellung
In der Armee sieht man auch einige Frauen
Ein Augenschmaus - Kunstinstallation auf der Strasse anlässlich des Nationalfeiertages
Hier hätte ich gerne diniert
Mother of Georgia
Im Bäderviertel
Kathedrale
Noch ein Selfie mit Oliver, bevor es raus geht aus der Stadt

SCHWEIN GEHABT!

Vergangenen Freitag, den 13.5. habe ich mich am Nachmittag zum Hafen in Burgas aufgemacht. Ich habe zwar einen Platz auf der Fähre nach Batumi reserviert gehabt, Bezahlung (nur cash) und Abholung des Tickets bzw. des Boarding Passes mussten in einem Büro am Hafengelände erledigt werden. Das war schnell geschafft – 190,00 EUR für mich und 20,00 EUR für das Rad – inkludiert war ein Bett in einer 4-er Kabine und Vollpension für die nächsten 2 Tage bzw. 3 Nächte. Der Mann am Ticketschalter hat mich noch einmal extra darauf hingewiesen, dass ich meine Kabine mit 3 anderen Personen teilen muss „It‘s like a Hostel“. Dann ging es weiter Richtung Fähre – bei einem Container wurden noch Pass und Boarding Pass kontrolliert und dann konnte ich das Rad die Rampe raufschieben. 

Ich war extrem gespannt, was da auf mich zukommt. In einigen Blogs habe ich von wilden Wodka-Saufgelagen der Fernfahrer, die hauptsächlich auf dieser Fähre unterwegs sind,  gelesen. Die Rezeptionistin hat mir die Kabine No. 307 zugewiesen mit dem Hinweis, dass ich diese höchstwahrscheinlich mit 3 Fernfahrern teilen müsse. „Okay, I can handle that“ hab ich geantwortet und dann aber noch hinzugefügt, dass – sollte noch eine andere Frau einchecken – sie diese gerne bei mir in der Kabine unterbringen kann. Sie hat gesagt, sie wird schauen, was sich machen lässt.

Ich habe dann die kleine, ziemlich enge Kabine (2 Stockbetten, 1 kleiner Tisch + Badezimmer) bezogen und gleich mein Bett rechts unten mit meinen Sachen belegt. Dann hat sich lange Zeit nix getan – in der Zwischenzeit ist ein fetter Brummer nach dem anderen auf die Fähre gefahren – die Räder der Fahrzeuge wurden noch mit im Boden verankerten Ketten fixiert. Von meinem Deck aus (das ich erst wieder beim Auschecken verlassen darf) liess sich das Herummanövrieren und zentimetergenaue Einparken der 40-Tonner auf den unteren Decks fasziniert verfolgen.

Dann gab es Abendessen – man musste sich bei der Essensausgabe anstellen und hat 1 Teller mit Huhn, Reis und  Salat + 1 Apfel bekommen (Sonderwünsche bezüglich Essen konnte man nicht deponieren). Wasser und Fruchtsäfte gab es zur freien Entnahme. Als ich mich anstellte, standen ca. 7 Fernfahrer vor mir und siehe da, alle haben einen Schritt auf die Seite gemacht und mir signalisiert, dass ich – nach dem Motto „Ladies First“ – vor gehen soll. Na, da hab ich geschaut! Dass diese hartgesottenen, kaukasischen Typen so galant sein können. Nach dem Essen bin ich in die Kabine, um zu checken, ob schon jemand anderer eingezogen ist. Nix – vielleicht kommt ja niemand mehr? Aber die Beladung der Fähre war noch längst nicht abgeschlossen – das Schiff wird wahrscheinlich erst gegen Mitternacht ablegen.

Um 21:00 Uhr – ich hatte die Kabine noch immer für mich allein – bin ich ins Bad zum Zähneputzen und Fertigmachen für die Nacht und dann höre ich, wie die Kabinentür geöffnet wird. Ich schau raus aus dem Badezimmer und wer steht da? Manoi aus Hongkong und Julien aus Grenoble, die beiden Rucksacktouristen, die ich im Bus von Belgrad nach Sofia kennengelernt hatte. Was haben wir uns gefreut!  Und viel gelacht. „We did not know, that you are a truck driver“ haben sie augenzwinkernd gemeint (auch ihnen wurde gesagt, dass sie die Kabine mit Fernfahrern teilen müssen). Ein Bett war  noch frei – es konnte also durchaus sein, dass doch noch ein Fernfahrer kommt. Der 4. im Bunde war dann aber ein Physiker – Oliver aus der Nähe von München, der mit seinem zum Wohnmobil umgebauten Pick Up die nächsten 3 Monate in Georgien unterwegs sein wird und sein Sabbatical geniesst. 

Damit waren wir vollzählig und wir 4 waren auch die einzigen Touristen an Board. Neben der überwiegenden Mehrheit an Fernfahrern (schätzungsweise 70), waren auch ukrainische Flüchtlinge auf der Fähre. 2 Frauen aus Irpin (sie haben mir erzählt, dass die Stadt zu 75% zerbombt ist) wollen nach Batumi, weil dort der Gatte der einen Ukrainerin arbeitet. Ausserdem noch eine Mutter mit ihren 12-jährigen Zwillingen und einem süßen Schoßhündchen. Sie kommen aus Odessa und waren die letzten 2 Monate in Chisinau/Moldawien und reisen jetzt weiter zur in Georgien lebenden Schwester der Frau. Bei den Kindern hatte ich das Gefühl, dass sie das Ganze als aufregende Urlaubsreise betrachten – eh gut so.

Die 1. Nacht auf der Fähre habe ich sehr schlecht geschlafen – gut eingeschlafen bin ich erst irgendwann am Morgen, sodass ich fast das Frühstück verschlafen hätte. Es gab nämlich fixe Essenszeiten: Frühstück von 08:00 – 09:00, Mittagessen von 12:00 – 13:00 und Abendessen von 18:00 – 19:00. Wer zu spät kommt, hat Pech gehabt. Zu Mittag und am Abend gab es immer Huhn (in verschiedensten Ausführungen) mit Beilage und Salat – immer sehr lecker zubereitet und als Dessert immer 1 Stück Obst.

Das Meer war total ruhig – man hat kaum gemerkt, dass man auf einem Schiff ist – auch das Motorengeräusch war kaum wahrnehmbar. Fernfahrer haben uns dann aber erzählt, dass sie schon bei stürmischer See über das Schwarze Meer gefahren sind und das ist dann so schlimm, dass die meisten nur in der Kabine herumliegen und schauen, dass sie die Überfahrt irgendwie überstehen.

Samstag Nachmittag – eine Gruppe Fernfahrer (lauter Georgier) steht an Deck beisammen, alle trinken Wodka und sind gut drauf: ich frage sie, ob ich sie fotografieren darf. Na klar! Also ein Foto gemacht, dafür muss ich aber einen Becher Wodka mit ihnen trinken. Und damit war das Eis gebrochen. Bei einem Becher ist es natürlich nicht geblieben. Später haben sich Manoi, Julien und Oliver dazugesellt. Die Fernfahrer haben uns erzählt, dass sie immer 6-8 Wochen in Westeuropa unterwegs sind, bevor sie dann ein paar Tage bei ihren Familien in Georgien verbringen. In diesen 6-8 Wochen leben sie in den LKW‘s, sie verbringen die Wochenenden auf Autobahnraststätten (am Wochenende ist Fahrverbot) – sie kochen sich etwas auf ihren mitgebrachten Kochern (immer essen gehen in Westeuropa könnten sie sich nicht leisten). Was ist das für ein Leben?!!! Sie verdienen zwar ganz gut für georgische Verhältnisse, aber wenn die in Pension gehen, sind sie ein Wrack. Wirbelsäule kaputt – die meisten sind sehr starke Raucher – ich kann mir vorstellen, welche Lebenserwartung sie haben. Sie erzählen auch, dass bereits einige ihrer Trucker-Freunde bei Verkehrsunfällen in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit ums Leben gekommen sind. 

Aber auf der Fähre ist das Zusammentreffen für alle immer eine große Freude und daher wird das mit Unmengen an Wodka und Bier gefeiert. Und jedes mal muss ein Toast ausgesprochen werden: einmal auf die Freundschaft, einmal auf die Vergangenheit, einmal auf die Zukunft, 5x auf den Frieden, 5x auf die Ukraine, mindestens 10x auf den Patriarchen der georgisch orthodoxen Kirche (die Georgier sind sehr gläubig). Ukraine ist ein Riesenthema, alle hassen Putin und ein bisschen  kann man die Angst raushören, dass sie die nächsten sein könnten, sollte Putin‘s Appetit nicht gestillt sein. 

Ganz und gar nicht verstehen können sie, warum ich als Frau mit dem Rad um die Welt fahre. Das packen sie überhaupt nicht. Ich sollte doch zu Haus bei Mann und Kindern sein! Sie wollen mich auch gleich mit einem der Fahrer verkuppeln – der Betreffende hatte auch gar nix dagegen – nur ich war nicht so begeistert.

Julien hat aus Bulgarien ein paar Flaschen Wein mitgebracht – der wird jetzt auch noch vernichtet. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich je so viel getrunken habe. Das Komische war: es hat mir nix ausgemacht. Normalerweise spüre ich den Alkohol nach 2 Gläsern Wein – diesmal habe ich Unmengen an Wodka und dann auch noch Wein getrunken. Ich war vollkommen klar. Dann noch Bruderschaft Trinken – jedesmal einen Becher voll Wodka ex und dann noch 3 Schmatze auf die Wange. Und eine Zigarette! Ich – als Nichtraucherin! 

Dafür habe ich wunderbar geschlafen. Dann der nächste Morgen: mir geht es bestens. Kein Kater. Als ich aufstehe, sind Manoi und Oliver schon beim Frühstück – Julien liegt noch im Bett. Im Speisesaal frage ich die beiden, wie es ihnen geht nach diesem Saufgelage. Manoi meint, dass es ganz okay ist – sie hat nicht so viel getrunken. Oliver hat schon 2 Aspirin geschluckt und trinkt grad seinen 2. Kaffee: jetzt geht es so halbwegs. Julien hat es arg erwischt – er hat Bier, Wein und Wodka durcheinander getrunken und liegt mit schlimmen Kopf- und Magenschmerzen in der abgedunkelten Kabine. Bis Mittag hat er sich aber so halbwegs erholt.

Oliver erzählt, dass die Fernfahrer, die mit uns gesoffen haben und die sich zum Schluss kaum noch auf den Beinen halten konnten, alle um Punkt 08:00 beim Frühstück waren. Mittlerweile haben sie sich aber wieder in ihre Kabinen zurückgezogen – das strahlende Sonnenlicht an Deck dürfte doch noch zu viel für sie sein.

Sonntag wurde nicht mehr getrunken, denn am Montag hieß es: sehr früh aufstehen. Frühstück war um 04:00, um 04:30 haben wir die Pässe ausgehändigt bekommen (die wurden beim Check-in einbehalten). Die Fähre lag bereits im Hafen von Batumi und Mitarbeiter der georgischen Einreisebehörden kamen an Board, sodass die Einreiseformalitäten sehr rasch erledigt waren.

Dann hieß es Abschied nehmen – aber wir bleiben in Kontakt.

Das 1. in einem neuen Land ist immer: SIM Card kaufen. Also bin ich um ca. 06:00 ins Zentrum von Batumi (2. größte Stadt Georgiens) gefahren – dort war noch alles verschlafen. Ich hab ewig lang nach einem geöffneten Kaffeehaus gesucht – endlich ein türkisches Lokal entdeckt, das schon offen hatte. Die hatten glücklicherweise auch WLAN (die Geschäfte, in welchen man SIM Karten kaufen konnten, öffneten erst um 10:00), sodass ich meine 1. Tagesetappe für Georgien planen konnte. Und nachdem es auf der Fähre kein WLAN gab, auch Mails, Nachrichten, Wetter, Hotel für die kommende Nacht checken. Um 10:00 habe ich noch schnell die SIM Card gekauft, beim Bankomaten 150 Lari behoben (hier kann man auswählen, ob man sich Lari oder USD auszahlen lässt) und dann ging es raus aus der Stadt Richtung Norden. Zuerst viel Verkehr, keine Radwege, nicht sehr angenehm zu fahren, dann kommt noch ein Tunnel. Keine Angabe, wie lang er ist. Aber dafür ist er gut beleuchtet und schön breit. Und es gibt eine Art Gehsteig, auf dem ich entlang fahren kann. Also halb so schlimm. 

Und dann geht es glücklicherweise auf einer nicht so stark befahrenen Nebenstraße weiter. Was mir auffällt: es gibt extrem viele Straßenhunde und sehr viele Kühe, die immer wieder auch auf der Straße herumstehen, sodass Verkehrsteilnehmer zu Ausweichmanövern gezwungen werden.

Schon bald erreiche ich mein Etappenziel und checke im Hotel am Meer ein. 

Für den nächsten Tag plane ich eine längere Strecke: 85 km und 950 Höhenmeter ins Landesinnere. Es ist sonnig und es geht am Anfang recht flott dahin, zuerst noch Asphalt und eben, dann aber biege ich ab in einen Feldweg. Sehe viele Kühe (teilweise ist ein Hirte bei ihnen), werde bei den einsamen Gehöften von den Hunden verfolgt und fahre dann schön langsam rauf in die Berge (oder eher Hügel, weil ich an diesem Tag auf maximal 280 m komme). Vor den verstreut liegenden Häusern sieht man viele Schweine, die freundlich und zufrieden grunzen, wenn sie einen sehen. Ab und zu stehen ein paar Ferkel am Straßenrand, die laut quiekend auseinanderstoben, wenn man sich ihnen nähert. Aber lauter glückliche Schweine, die sich im Schlamm suhlen und mit dem Rüssel die Erde durchwühlen dürfen. 

Die Straßen, die mir Komoot vorschlägt, sind auf weiten Strecken nicht asphaltiert, sondern es sind so richtige Gravel-Pisten. Extrem anstrengend zu befahren und wenn es steil bergauf geht, muss ich das Rad ja schieben. Dann wird das richtig heavy: die linke Hand am Lenker schiebt, die rechte Hand am Sattel zieht – ich hab das Gefühl, ich muss 100kg den Berg raufschieben.

Wenn ich in diesen abgelegenen Gebieten Menschen treffe, so grüße ich immer mit einem freundlichen „Hallo“. So auch bei einem Haus am Hügel, wo ein Mann im Garten steht und der ruft zurück: „Bist du Russin?“ „Oder Deutsche?“ Ich kann natürlich nicht georgisch, verstehe aber, was er meint und die Ausdrücke „russkiy“ und „nemetskiy“ verstehe ich wohl. Also lautet meine Antwort: no, Austria, Vienna. Voller Begeisterung fragt er mich, ob er mich auf einen Wodka ins Haus einladen darf. Also Wodka eher nicht (dieser Bedarf ist seit der Fährfahrt bis an mein Lebensende gedeckt), aber einen guten türkischen Kaffee – da tät ich nicht nein sagen. Also folge ich Giorgi  ins Haus – neugierig zu sehen, wie die hier wohnen. Alles proper – ich nehme am Küchentisch Platz, während er das Wasser am Gasherd zum Kochen bringt. Aus dem Küchenkastl holt er ein paar Kekse, die er mir hinstellt. Außerdem schenkt er mir aus einem Krug Wasser ein. Das ist sicher Leitungswasser. „Das kannst ruhig trinken“ meint er. Und auch er schenkt sich ein Glas ein und macht einen kräftigen Schluck. „Ach, was soll’s. Ein Schluck wird mich schon nicht umbringen.“ Ein paar Stunden später schon sollte ich dies bitter bereuen.

In der Zwischenzeit war auch der Kaffee fertig – der hat ausgezeichnet geschmeckt, ausserdem habe ich alle Kekse verdrückt. 

Schön langsam musste ich aber wieder weiter – ich hatte noch eine lange Strecke vor mir. Vielen Dank für den guten Kaffee und weiter gehts mit dem Rad den nächsten Anstieg bewältigen.

Ich war dann auf einer sehr schönen, asphaltierten Nebenstraße unterwegs, als ein Auto anhält und mich der Fahrer fragt, wohin ich fahre. „Samtredia“ antworte ich.  Dann kannst du hier nicht fahren – du musst zurück auf die Bundesstraße und dort weiter fahren. Und warum? Er gibt mir zu verstehen (mit gekreuzten Händen), dass diese Straße hier gesperrt ist. Dann fährt er weiter. Was soll ich jetzt tun? Ich hab keinen Bock auf die stark befahrene Bundesstraße. Sowohl in Kroatien, als auch in Serbien habe ich die Erfahrung gemacht, dass gesperrte Straßen zwar nicht von Autos passiert werden können – Fußgänger und Radfahrer können diese Sperren aber meistens passieren. Ich fahr einfach weiter und tatsächlich: da ist eine eingestürzte Brücke. Das Bacherl darunter führt fast kein Wasser und es führt ein schöner Weg runter und auf der anderen Seite wieder rauf- also kein Problem, mit dem Rad durch zu fahren.

Eine sehr schräge Hundebegegnung hatte ich auch: Schon von weitem sah ich in einem Garten einen riesigen Hund, der laut zu bellen anfing, als er mich daherkommen sah. Es war aber überall Zaun – ich fühlte mich ziemlich sicher. Dann  nimmt dieses Vieh einen Anlauf und springt  mit einem Satz über den Zaun und war schon fast bei mir, als die Besitzerin ihn zurückpfiff. Der Hund dreht um und springt wieder mit einem Satz zurück in den Garten. Na, da hab ich geschaut!

Ein paar Stunden nachdem ich bei Giorgi zu Gast war, habe ich germerkt, dass ich total müde und auch schwach bin. Ich hatte den letzten Anstieg (200hm) auf einer schlimmen Schotterpiste vor mir – nach dem Anstieg würde es nur noch bergab bzw. eben dahingehen (noch 35km bis Samtredia, wo ich ein Hotel gebucht hatte). Zuerst wollte ich mir noch einreden, dass das warme Wetter und die herausfordernden Pisten Schuld an meinem Schwächeanfall sind. Dann ist mir heiss und kalt gleichzeitig geworden und in meinem Bauch hat’s zu rumoren begonnen. Ich hab mich dann einmal unter einen schattigen Baum gesetzt und mich maßlos über mich geärgert. Das darf jetzt nicht wahr sein! So ein Sch….!

Gerade ich hätte wissen müssen, dass ein kleiner Schluck Leitungswasser ausreicht, um einen ernsthaft krank zu machen. Vor 40 Jahren haben mich 2 Kugeln Eis, die ich an einem Eisstand in einer kleinen Stadt auf Sumatra konsumiert habe (und die ausgezeichnet geschmeckt haben) in ein Delirium katapultiert, aus dem ich erst 1 Woche später (total abgemagert) wieder rausgefunden habe. 

Ärgern bringt jetzt auch nix – ich muss schauen, dass ich mir Hilfe organisiere. Das nächste Auto, das vorbeikommt, werde ich anhalten. Und schon höre ich ein Motorengeräusch – es ist eine ziemliche Rostschüssel, die daherkommt, aber groß genug, dass man das Rad irgendwie im Kofferraum unterbringen kann. Der Fahrer, ein Mann mittleren Alters, schaut mich fragend an.

„Do you speak english?“ „A little bit“ Gut, das macht’s einfacher. Ich sag ihm, dass ich krank bin und nicht weiterfahren kann und ob er mich (mitsamt Rad) in die 35km entfernte Stadt Samtredia bringen kann. Ich zahl natürlich auch. Er sagt, dass er in eine näher gelegene Stadt unterwegs ist, wo er was zu erledigen hat und in dieser Stadt gibt es auch ein Hotel. Das ist eine gute Idee – das Hotel in Samtredia kann ich noch immer stornieren. Das Rad verstaut er irgendwie im Kofferraum – die Packtaschen auf der Rückbank – also auf in die nahe gelegene Stadt. Wir kommen am Hauptplatz an – er sagt, ich soll im Auto warten – er checkt, ob ein Zimmer frei ist. 2 Minuten später ist er zurück – das Hotel ist wegen Renovierung geschlossen. Am Hauptplatz stehen auch ein paar Taxis – ich bitte ihn, die Taxler zu fragen, ob einer von ihnen bereit ist, mich und das Rad nach Samtredia zu bringen. Ein Taxler ist bereit – er muss dafür aber erst von zuhause einen Dachträger holen, das dauert ca. 5 Minuten. Kein Problem – ich gehe in der Zwischenzeit im Restaurant nebenan aufs Klo. Der Taxler kommt zurück mit Dachträger – das Rad wird darauf festgemacht, Packtaschen rein in den Kofferraum und dann gehts ab nach Samtredia. Zuerst auf einer wilden Schotterpiste, dann endlich auf die Autobahn, auf der ich einen Mann und einen ca. 6 Jahre alten Buben mit Fahrrädern fahren sah. Sehr schräg. 

Endlich im Hotel – ich habe mir nur noch 1 Mineralwasser und 1 Cola im Supermarkt nebenan gekauft, das war mein Abendessen.  Und dann ab ins Bett. Ich war todmüde.

Am nächsten Tag war ich zwar noch immer etwas mau, aber im Großen und Ganzen habe ich mich wieder fit gefühlt. Also hat es mich diesmal bei weitem nicht so schlimm wie vor 40 Jahren erwischt – noch einmal Glück gehabt!  Ich habe sogar ein bisschen was gefrühstückt und dann beschlossen, mit dem Rad weiter nach Kutaissi zu fahren. Das sind nur 35 km und alles eben auf Asphalt.

In Kutaissi habe ich dann eine wirklich schöne, sehr ruhig und idyllisch gelegene Unterkunft bezogen und beschlossen, ein paar Tage hier zu bleiben und auszurasten. Und das tue ich jetzt.

Rauf gehts auf die Fähre
Die Kabine für die nächsten 3 Nächte
Schön langsam füllt sich das Deck (beim LKW vorne links sieht man die Kette, die vom Hinterrad zur Bodenverankerung führt)
Jetzt sind alle eingeparkt
Die georgischen Fernfahrer
Hier sieht man auch Manoi, Julien und Oliver
Das Saufgelage beginnt
Zeitvertreib mit Backgammon Spielen
Batumi
Meine 1. Tunnelfahrt in Georgien
Weiter gehts über einen Feldweg
Der Kuhhirte hat sich sehr gewundert, was ich da in der Pampa mach
Ein zufrieden grunzendes Schwein
Und noch eins
Dieser Mann hat sofort seinen Apfel mit mir geteilt, als er mich den Berg heraufkommen sah
Haus von Giorgi
Bei Giorgi auf einen Kaffee
Weiter gehts über den nächsten Hügel
Das lässt sich leicht durchqueren, auch wenn die Brücke weggerissen wurde
Immer wieder Kühe auf der Fahrbahn
Man sieht viele Kleintransporter, die früher in Deutschland unterwegs waren (noch mit dt. Firmenlogos und Kontaktdaten versehen)
Hier gibts auch Fahrräder
Kathedrale in Kutaissi
Auf ein Kartenspiel am Straßenrand
Kutaissi
Kutaissi
Tolle Graffiti in Kutaissi
Kutaissi

JA ODER NEIN – DAS IST HIER DIE FRAGE

Vergangene Woche führte mich von Osijek über Vukovar weiter über die Donau (kroatisch-serbische Grenze) nach Novi Sad. Von dort ging es dann mit Zug/Bus/Zug bis Burgas (BG), wo ich gestern angekommen bin.

Gleich nachdem ich Osijek verlassen hatte, ist mir aufgefallen, dass alle Ortstafeln und Strassennamen sowohl in lateinischer als auch in kyrillischer Schrift angegeben waren. Vukovar war mir bis dato als Kriegsschauplatz während des Jugoslawienkriegs in Erinnerung und schon bei der Einfahrt in die Stadt wird man auf schockierende Weise darauf aufmerksam gemacht. 

Abgesehen von vielen Häusern mit Einschusslöchern steht dort noch immer das völlig zerbombte Bahnhofsgebäude als Mahnmal gegen den Krieg. Ich fühlte mich an die aktuellen Bilder aus der Ukraine erinnert. Vukovar wurde im Herbst 1991 drei  Monate lang belagert und die Zivilbevölkerung hat sich teilweise im örtlichen Krankenhaus verschanzt. Viele von ihnen wurden ermordet – sowohl die Serben, als auch die Kroaten haben in dieser Gegend schreckliche Kriegsverbrechen begangen und erst der Friedensvertrag von Erdut hat einen (ziemlich fragilen) Frieden für Ostslawonien gebracht. Der Anblick des Bahnhofsgebäudes hat mich so schockiert, dass ich vergessen habe, es zu fotografieren – auf google findet man aber Fotos. Auch der Wasserturm der Stadt dient noch als Mahnmal – zusätzlich zu vielen Häusern, die auch jetzt noch an die Vorkommnisse vor 30 Jahren erinnern.

Das Zentrum von Vukovar ist aber sehr schön und ich hatte das Glück, in einem wunderschönen Stadtpalais (Domestic House Lola) ein Zimmer zu ergattern. So ein tolles Gebäude mit hohen Räumen, dazu ein Restaurant und eine Bar – alles so lässig und cool gestaltet mit freundlichem, kompetentem Personal, das perfekt englisch spricht. Diese Location würde auch gut in einen Wiener Bobo-Bezirk passen. Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt.

Dann ging es weiter in den Süden über die Donau, die die Grenze zwischen Kroatien und Serbien bildet. Mein nächstes Ziel war Novi Sad, eine der europäischen Kulturhauptstädte 2022. Über weite Strecken bin ich direkt an der Donau entlanggeradelt – die Landschaft erinnert sehr an die Donauauen in Österreich. 

In Novi Sad, der 2. größten Stadt Serbiens gibt es ein exzellentes  Radwegnetz und entsprechend viele Leute sind mit dem Drahtesel unterwegs. Ich habe allerdings, seitdem ich Österreich verlassen habe, keinen einzigen e-bike Radfahrer gesehen. Bei meiner 1. Tagesetappe (am ebenen Murradweg Graz-Bad Radkersburg) bin ich sehr vielen Radlern begegnet, davon hatten ca. 80% ein e-bike.

Novi Sad hat mir sehr gut gefallen, es gibt viele nette Lokale und einen schönen Sandstrand an der Donau. Außerdem wird auch kulturell einiges geboten. Dort habe ich auch nach langer Zeit wieder einmal Shopska Salat mit sonnengereiften Tomaten, Gurken und leckerem Schafkäse gegessen (das war bei meinen früheren Geschäftsreisen nach Bulgarien, wo man diesen Salat auch überall bekommt, immer ein kulinarisches Highlight). 

In Novi Sad habe ich dann den Zug nach Belgrad genommen – die Strecke wurde erst Ende März sehr medienwirksam mit Orban und dem serbischen Präsidenten Vucic eröffnet. Belgrad-Novi Sad bildet den 1. Teil der Schnellbahnstrecke Belgrad-Budapest (deshalb war Orban bei der Feier dabei) – finanziert und errichtet von russischen und chinesischen Banken/Unternehmen (EU – wo bist du?). Bei einer Haltestelle wurde noch gewerkt und tatsächlich: es waren lauter chinesische Bauarbeiter, die ich gesehen habe.

Der Zug war sehr modern – so wie in Österreich. Das einzige, das ich als Radlerin zu bemängeln hatte: es fehlen die Gurte zum Fixieren der Räder. Ich musste während der Fahrt ein paar mal aufspringen und das Rad festhalten, um zu verhindern, dass es umfällt. Es gab auch keine Möglichkeit, es mit dem Fahrradschloss irgendwo anzuhängen. 

Um die bereits gebuchte Fähre am 13.5. vom bulgarischen Burgas ins georgische Batumi zu erreichen, musste ich auch die Strecke von Belgrad nach Burgas mit Öffis zurücklegen. In Serbien ist es extrem schwierig, online Infos zu Zug/Busverbindungen zu erhalten. Aus diesem Grund bin ich nach meiner Ankunft in Belgrad zum Bahn-Infoschalter gegangen, um rauszufinden, wie ich am besten mit dem Zug nach Sofia komme (ich wusste, dass es von Sofia nach Burgas ein paar Direktzüge gibt). Die Dame am Schalter hat mir die Auskunft gegeben, dass es Züge nach Nis (liegt ca. 240 km südlich von Belgrad) gibt. Auf meine Frage, wie ich dann weiter von Nis nach Sofia komme, konnte sie mir keine Auskunft geben. Sie hat gemeint, ich solle in Nis fragen, wie es weitergeht ???? Ich habe es dann noch am 2. Infoschalter probiert – auch dort nur Schulterzucken.

Ich wusste aber, dass es Busse von Belgrad nach Sofia gibt – die Frage ist nur: nehmen die mein Fahrrad mit? Um das rauszufinden, bin ich mit dem Rad vom Belgrader Hauptbahnhof zum Busbahnhof gefahren – waren nur ca. 3km, aber durch teilweise dichten Stadtverkehr. Beim 1. Schalter am Busbahnhof wurde mir gesagt: ja, es gibt einen direkten Bus nach Sofia, sogar noch am selben Tag, aber ob ich das Rad im Bus mitnehmen kann, wisse man auch nicht. Nach einigem Hin- und Her wurde mir der Name des Busunternehmens gegeben: Trans-Jug. Wo haben die ihr Büro? Gegenüber vom Busbahnhof. Nix wie hin zu Trans-Jug: dort war eine sehr nette Dame, die ein bisschen herumtelefoniert hat und dann hatte ich das okay: ich darf das Rad mitnehmen.

Um 14:30 fuhr der (ohnehin nur halb-volle) Bus mit mir und dem Fahrrad, das liegend im Gepäckraum transportiert wurde ab von Belgrad Richtung Sofia. Auf der Autobahn nach Nis habe ich mich wieder an eine Geschichte erinnert, die mir hier vor ca. 30 Jahren (es war noch vor dem Jugoslawienkrieg) passiert ist:

Ich hatte damals geschäftlich in Nis zu tun und bin daher nach Belgrad geflogen, wo ich einen Wagen anmietete. Ich kann mich noch erinnern – es war ein nagelneuer Golf mit dem ich auf der Autobahn Belgrad-Nis unterwegs war. Es fing schon leicht zu dämmern an und es war ein bisschen neblig, als plötzlich der Fahrzeuglenker  hinter mir begann, seine Lichthupe wie wild zu betätigen. Ich war weder zu schnell noch zu langsam unterwegs, sondern fuhr genau die erlaubte Höchstgeschwindigkeit – also was will der? Im Rückspiegel sehe ich, dass 2 Männer mittleren Alters im Fahrzeug (mit jugoslawischem Kennzeichen) sitzen. Der Fahrer hat dann begonnen, mich zu überholen und als er auf gleicher Höhe wie ich war, habe ich natürlich rübergeschaut: beide Männer haben wild mit den Händen herumgefuchtelt und immer wieder auf mein Hinterrad gezeigt, als ob da irgendwas nicht stimmen würde. Dann haben sie angedeutet, dass ich von der Autobahn runterfahren sollte. Sie haben sich dann vor mir eingereiht und bei der nächsten Ausfahrt zu einem Autobahnparkplatz, haben sie abgebremst und der Beifahrer, der sich zu mir umgedreht hat, hat mir angedeutet, dass ich raus auf den Parkplatz fahren soll. Sie sind dann tatsächlich raus auf den Parkplatz – ich bin auf der Autobahn gerade weiter. 

5 Minuten später waren sie wieder hinter mir. Das gleiche Spiel: Lichthupe, auf das Hinterrad zeigen, mir andeuten, dass ich auf den Parkplatz raus müsse. Und böse Blicke und Gesten, die fragten: „Warum bist du nicht von der Autobahn abgefahren?“ Auch beim nächsten Parkplatz sind sie raus und ich bin auf der Autobahn gerade weiter gefahren.

Ich war zwar irritiert, habe mir aber auch gedacht, falls irgendwas nicht stimmt mit meinem Fahrzeug, so würden mich doch auch andere Lenker darauf aufmerksam machen. Ich war aber ziemlich sicher,  dass diese beiden Typen nicht ganz koscher sind.

Aber sie gaben nicht auf – sie waren wieder hinter mir, als eine Ausfahrt zu einer Autobahnraststätte (mit Tankstelle, Restaurant, alles gut beleuchtet) kam. Ich schalte den Blinker ein und deute ihnen, dass ich jetzt raus fahre. Und siehe da: sie sind gerade auf der Autobahn weiter gefahren. Ich bin dann bei der Tankstelle ausgestiegen und 1 mal ums Auto rumgegangen: es war nix. Sicherheitshalber habe ich auch noch den Tankwart gefragt, ob er irgendetwas am Fahrzeug sieht, das nicht in Ordnung ist. Alles okay, hat er gemeint.

Am nächsten Tag habe ich diese Geschichte meinem Geschäftspartner in Nis erzählt – er hat gesagt, dass ich richtig gehandelt habe. Es gab damals mehrere Fälle, dass Personen (hauptsächlich Frauen), die allein mit neuen Autos unterwegs waren, mit dieser Masche  auf Autobahnparkplätze gelockt wurden, wo ihnen dann eine Waffe vorgehalten wurde und das Fahrzeug und andere Wertsachen abgenommen wurden. Glück gehabt!

Jetzt aber zurück zur Busfahrt nach Sofia: die war sehr kurzweilig, weil es nette Gespräche mit den Mitreisenden gab. Da waren einmal 2 Burschen aus Deutschland, die ein paar Wochen am Balkan unterwegs sind. Dann ein indischer Arzt, der in Dubai arbeitet und jetzt Freunde in Serbien und Bulgarien besucht. Ein junger Palästinenser, der in Sofia Medizin studiert und seinen Vater, der in Belgrad als Arzt arbeitet, besucht hatte. Und ein nettes Pärchen (er Franzose, sie Chinesin), die mit Rucksack am Landweg unterwegs sind nach China (sie war coronabedingt seit 3 Jahren nicht mehr zu Hause und ist sich auch jetzt nicht sicher, ob sie in China einreisen darf). Als ich den beiden sage, dass ich mit der Fähre über das Schwarze Meer fahre, sind sie sehr erstaunt. Sie waren der Meinung, dass aufgrund des Ukrainekrieges keine Schiffe über das Schwarze Meer fahren. Sie haben geplant, durch die Türkei mit dem Bus zu fahren und dann weiter über Georgien, Aserbaidschan, das Kaspische Meer und Kasachstan nach China. Sie werden nun aber versuchen, auch noch einen Platz auf der Fähre von Burgas nach Batumi zu ergattern, dann werden wir uns ja wieder sehen. 

Ankunft in Sofia war ziemlich spät am Abend (22:00), Fahrrad raus aus dem Bus, mit den Taschen beladen und dann ab ins Hotel. Ich frage in den Unterkünften immer, wo ich das Fahrrad sicher abstellen kann. Im Hotel in Sofia haben sie einen Garten, der zwar zur Straße hin offen ist, aber wenn ich das Rad am Zaun anhänge, soll es sicher sein. Dann die böse Überraschung: mein Fahrradschloss, das in einer Halterung am Rahmen befestigt ist, ist nicht da. Es muss im Laderaum des Busses aus der Halterung gefallen sein. Ich stelle das Rad im finstersten Winkel des Hotelgartens ab und muss halt hoffen, dass es morgen noch da ist. Ach, ist das ärgerlich! Das bedeutet, ich muss mir ein neues Schloss kaufen – hoffentlich finde ich in Sofia, das nicht wirklich eine Radfahrerstadt ist, etwas Adäquates (es sollte ein gutes Nummern-Faltschloss sein)

Dann habe ich aber eine andere Idee: der Bus, mit dem ich gekommen bin (und in dem wahrscheinlich mein Fahrradschloss liegt) fährt am nächsten Tag sicher wieder zurück nach Belgrad. Online checke ich schnell, wann am nächsten Tag Busse nach Belgrad fahren: siehe da, Trans-Jug fährt um 09:00 ab vom Busbahnhof. Am nächsten Tag habe ich volles Programm: aufstehen um 07:30, duschen, anziehen und dann gleich runterflitzen in den Hotelgarten: das Rad ist noch da!! Hurra! Dann auf zum Busbahnhof! Der blaue Mercedes Benz Bus mit Trans-Jug Aufschrift biegt grad ein ins Bahnhofsgelände. Der Busfahrer, ein netter, bulliger Serbe erkennt mich wieder und fragt, ob ich schon wieder zurück nach Belgrad fahre. Ich sage: nein und erzähle ihm von meiner Vermutung, dass mein Schloss im Laderaum liegt. Er sagt, das kann er sich nicht vorstellen, weil er nach jeder Fahrt checkt, ob eh nichts im Laderaum liegengeblieben ist und er hat am Vorabend nix gefunden. Aber wir können ja nachschauen. Er öffnet die Luke: im Laderaum liegen nur 2 Feuerlöscher. Sonst nix. Ich frage ihn, ob ich in den Laderaum klettern darf, vielleicht liegt das Schloss ja irgendwo ganz hinten im letzten Winkel. Er sagt: kein Problem! Ich klettere rein und auf allen Vieren bis ins letzte Eck. Und tatsächlich: hinter dem Feuerlöscher liegt mein Fahrradschloss! Was für eine Freude!

Nächster Punkt: Bahnticket nach Burgas checken (ich bin auch hier nicht sicher, ob ich das Rad im Zug mitnehmen darf – die Angaben im Internet sind nicht eindeutig). Auf zum Bahnhof (der glücklicherweise gleich neben dem Busbahnhof liegt) und dann zum 1. Ticketschalter. Ich sage der Dame, dass ich eine Fahrkarte nach Burgas kaufen möchte und das Fahrrad mitnehmen will. Ob das eh möglich ist? Sie schüttelt den Kopf. So schnell gebe ich nicht auf und versuche es bei einem anderen Schalter. Auch dort schüttelt die Dame den Kopf und verweist mich an einen Info-Schalter. Die Dame hinter dem Infoschalter ist sehr hilfreich: sie schreibt mir alle Züge, die in Frage kommen auf und sagt, ich kann das Fahrrad mitnehmen. Preis: 19,20 EUR für mich und 2,00 EUR für das Rad. Passt!. Auf zum Ticketschalter, Ticket kaufen- fertig.

Nächster Punkt: Ich habe kein Datenvolumen mehr, d.h. ich brauche eine SIM Card. Auf in den nächsten A1 store – ich frage die junge Dame, ob sie Englisch spricht. Sie schüttelt den Kopf. Ich gebe ihr zu verstehen, dass ich eine SIM Card nur für Internet brauche. Sie greift in eine Lade und gibt mir die gewünschte Karte. Dann sagt sie in perfektem Englisch: „ If you give me your mobile phone, I will activate  it for you“. Komisch, warum hat sie den Kopf geschüttelt, als ich sie fragte, ob sie Englisch spricht. Dann ist es mir wieder eingefallen. In Bulgarien bedeutet Kopfschütteln: ja und Nicken bedeutet:nein. Das heisst, auch die beiden Damen am Ticketschalter am Bahnhof haben meine Frage bezüglich Fahrradmitnahme bejaht und ich habe geglaubt, sie meinen „nein“. Fremdsprachen beherrschen bedeutet eben auch, die Gesten richtig zu interpretieren, das wird einem hier wieder einmal klar.

Dann noch schnell frühstücken: ich entdecke ein kleines Bistro, in dem ich einen guten Espresso und ein feines Croissant genieße. 

Am Nachmittag geht es dann mit einem extrem abgefuckten Zug nach Burgas – zuerst noch mit Blick auf die schneebedeckten Berge des Vitoshagebirges. Immer wieder durch kleine Ortschaften, in denen man noch Pferdefuhrwerke sehen kann. Teilweise Plastikmüll – fast so schlimm wie in Süditalien. Schaf- und Ziegenherden mit Hirten. Nach über 6 Stunden Fahrt Ankunft in Burgas, einer sehr grünen Stadt mit tollem kulturellen Angebot und schönen Stränden am Schwarzen Meer. Außerdem merkt man, dass hier vergleichsweise wesentlich mehr Geld in die Stadtkasse gespült wird (durch den Hafen und den Tourismus), als z.B. in Sofia, wo es doch sehr offensichtlich ist, warum Bulgarien als das ärmste EU-Land gilt.

Hier gibt es auch ein gut sortiertes Fahrradgeschäft, wo ich mich mit dem Inhaber unterhalte und ihn frage, ob auch e-bikes gekauft werden. Er meint: nein, e-bikes kauft hier keiner. Als ich ihm erzähle, dass in Österreich mittlerweile der Großteil der verkauften Räder e-bikes sind, meint er: „That’s because the Austrians are lazy. And because they can afford it“. Diese 2 Gründe (Bequemlichkeit und weil man es sich leisten kann) sind auch hauptsächlich dafür verantwortlich, dass so viele Autos in Städten, wo es genügend Alternativen gäbe, unterwegs sind. Da kann ich leider nur zustimmen.

Und morgen geht es dann mit der Fähre rüber nach Georgien – aber das ist dann eine andere Geschichte.

Über Brigitte – ihr wisst schon, die Schweizerin, die in Afrika unterwegs ist, kann ich auch noch was berichten: sie ist momentan in Tansania, wo sie bei den Massais in der Steppe mit Ziegen und Kühen übernachtet.

Vukovar
Vukovar
Domestic House Lola, Vukovar
Domestic House Lola, Vukovar
Domestic House Lola, Vukovar
Domestic House Lola, Vukovar
Cremeschnitte im Glas
Am Eurovelo 6 gehts weiter
Aha, jetzt ist alles klar
Sandstrand an der Donau in Novi Sad
Pljeskavica und Shopska Salat
Mit der S-Bahn von Novi Sad nach Belgrad
Durch Belgrad
Der Zug von Sofia nach Burgas
Zug Sofia - Burgas
Burgas
Armenische Kirche in Burgas
Burgas

WEITER GEHT´S GEN OSTEN

So, seit einer Woche bin ich jetzt schon wieder unterwegs. Nachdem ich in Österreich alle Sachen erledigt habe, die zu erledigen waren (Freunde treffen – das war sehr nett und lustig/ notwendige Impfungen – 7 Stiche innerhalb von 1 Woche – das war weniger lustig und vor allem ziemlich kostspielig/ Reiseversicherung abschliessen – das war mit ein paar Klicks erledigt/ Service für das Rad). Zwischendurch ein paar Berg- und Radltouren, damit ich in Form bleibe und gewappnet bin für die bevorstehende Etappe. 

Dann wurden die Radtaschen wieder gepackt – zusätzlich zu den beiden 24l Hinterradtaschen, die ich bereits in Italien verwendet habe, kommt nun noch eine 24l Rack Pack Tasche (robust und wasserdicht), die ich ebenfalls am Gepäcksträger mit Spannbändern befestigen kann. Die zusätzliche Tasche brauche ich für die Campingausrüstung, die ich nun auch dabei habe (Zelt, Schlafsack, Matte, Kocher, Kartusche, Geschirr) – es hat alles wunderbar reingepasst. Außerdem habe ich am Lenker eine kleine Tasche für das ganze Krimskrams, das man immer schnell bei der Hand haben soll.

Bepackt mit ca. 20kg ging es am 29.4. los von Graz – es hat eine Zeit lang gedauert, bis ich mich an das zusätzliche Gewicht gewöhnt hatte. Die 1. Tapesetappe führte mich die Mur entlang nach Bad Radkersburg, wo ich mir noch einmal einen steirischen Backhendlsalat gönnte (in dieser Form werde ich ihn so schnell nicht wieder bekommen).

Im Gasthaus wurde ich von einer Herrenrunde angesprochen, die mein voll bepacktes Rad gesehen haben. Was ich denn vor hätte, wollten sie wissen. Einmal um die Welt, habe ich geantwortet. Was – ohne Motor und allein? Einen Motor brauch ich nicht – hab ja eh Muskeln. Einer der Männer hat gemeint, dass er bis 9. Mai Urlaub hat und mich begleiten könnte. Bis 9. Mai werden wir die Welt nicht ganz schaffen, habe ich geantwortet. So haben wir herumgeblödelt und viel gelacht.

Am nächsten Tag ging es über die Mur nach Slowenien und nach ca. 35km über einen einsam gelegenen Grenzübergang an einer Nebenstraße (der Pass wurde kontrolliert) weiter nach Kroatien. Dort waren auch ein paar Höhenmeter zu überwinden und ich war gezwungen, das Rad zu schieben, weil es ziemlich steil war. Auch dabei habe ich das zusätzliche Gewicht stark gespürt – bei dem steilen Anstieg war es wirklich anstrengend, das Rad über den Berg zu schieben/ziehen. 

Ab dem 3. Tag wurde es dann sehr angenehm und beschaulich – alles eben, Sonnenschein den ganzen Tag und kein Wind. Ich radelte die meiste Zeit über wenig befahrene Nebenstraßen, passierte immer wieder kleine Ortschaften, wo man Störche auf den Laternenmasten beim Brüten beobachten konnte bzw. ihr lautes Klappern hörte. In einem Dorf stellte ich mein Rad vor dem „Mini-Market“ ab, um schnell Obst einzukaufen. Als ich aus dem Geschäft raus kam, stand ein altes, schwarz gekleidetes Mütterchen (mit Kopftuch) vor meinem voll bepackten Rad, kicherte und murmelte etwas auf Kroatisch. Ich hab sie nicht verstanden, nehme aber an, dass sie sich gewundert hat, was ich mit dem Rad vorhabe. Dann hat sie sich auf ein uraltes Waffenrad geschwungen und ist weggefahren.

Für mich ging es dann weiter die Mur entlang nach Slawonien durch bäuerlich geprägte Landschaft. In den Ortschaften sind mir erstmals langgezogene, schmale Speicher aufgefallen. Bei jedem landwirtschaftlichen Anwesen stand so ein Speicher.  Wie sich dann rausstellte, werden darin Maiskolben aufbewahrt. Ca. 100km weiter waren diese Speicher dann wieder verschwunden, dafür gab es dann was für die Nase. Schon von weitem zu riechen: Kamille. Überall Kamillefelder – es war ein unglaubliches Duftmeer. Kroatien ist ein wichtiger Lieferant für die Kräuter- und Pharmaindustrie.

In der Nähe von Legrad mündet die Mur in die Drau, d.h. mein weiterer Weg führte mich dann die Drau entlang. Alles sehr idyllisch, auf Nebenstraßen mit wenig Verkehr. In manchen Ortschaften gibt es zwar lästige Hunde, aber nicht so schlimm wie in Italien. Auch hier sieht man neben der Fahrbahn zeitweise achtlos weggeworfene leere Getränkedosen und Zigarettenpackungen, aber harmlos im Vergleich zu Italien.

Von Zeit zu Zeit passierte ich auch eher ärmliche Siedlungen mit Schotterstraßen – sehr unangenehm zu befahren. Zwischen diesen eher einfachen, baufälligen Häusern steht dann manchmal  hingeklotzt ein Bauwerk, mit dem ein Neureicher seinen Traum vom eigenen Schloß realisieren wollte. Mit Türmchen, Erkern, fetten Säulen und das Ganze in grell gelb/pink/orange. Da haut‘s einem die Augen raus!!

Gestern habe ich nach 430 km und 7 Radlertagen Osijek (4.größte Stadt Kroatiens, 120k Einwohner) erreicht. Osijek wurde während des Jugoslawienkriegs (1991-95) heftig umkämpft – man sieht auch jetzt bei manchen Häusern noch Einschusslöcher.

Osijek ist bekannt für seine schönen sezessionistischen Gebäude, für guten Wein und Bier und für sein gutes Radwegnetz. Es sind auch sehr viele Personen mit dem Rad unterwegs. Ich habe heute Vormittag im Kaffeehaus am Markt meinen Espresso genossen, während an den Nebentischen bereits Cevapcici, serviert in Fladenbrot mit Zwiebeln und Ajvar verspeist wurden. Und dazu ein Pivo.

Morgen geht es weiter Richtung Donau und in einer Woche bin ich bereits auf der Fähre von Burgas (BG) nach Batumi (Georgien).

 

Abfahrt aus dem heimatlichen Schloss
Am Murradweg
An der Mur in Kroatien
Maisspeicher
Mein Nachtquartier in Molve/Drau
Schloss von Suhopolje / mein Nachtquartier
Suhopolje
Bike Self Service Box
Schloss Mailath in Donji Miholac
Park von Schloss Mailath/ Donji Miholac
Donji Miholac
Kamillefeld
Osijek
Osijek
Osijek
Osijek
Osijek
Osijek

ROM – FLORENZ

Seit meinem letzten Eintrag vor circa 2 Wochen habe ich einen großen Sprung Richtung Österreich gemacht. Zuerst bin ich mit dem Zug von Catania nach Messina, weiter mit der Fähre nach Villa San Giovanni und dann noch einmal mit Trenitalia weiter nach Rom. Die Eisenbahnstrecke verläuft die meiste Zeit am Meer entlang, sodass ich vom Zug aus viele Orte /Strände gesehen habe, die ich ein paar Wochen vorher mit dem Rad passiert habe. Nur dass ich mit dem Rad circa 4 Wochen benötigt habe, während der Zug die selbe Distanz in ein paar Stunden zurücklegt.

Ich bin dann 5 Nächte in Rom geblieben, wo ich ausgiebig Zeit hatte für Sightseeing. Und ich war nicht die einzige – Rom war voller Touristen und an den Hot Spots hat es sich abgespielt. Teilweise habe ich die Stadt zu Fuß erkundet und teilweise mit dem Fahrrad. Im Zentrum war das eine ziemliche Herausforderung – es gab so gut wie gar keine Radwege und der Verkehr ist zwar nicht zu vergleichen mit Neapel, man muss aber trotzdem sehr aufpassen. Auch Fahrrad-Ständer sucht  man im Zentrum vergeblich – ich habe mein bici immer an Laternenmasten oder Absperrgitter angehängt.

Um dem Touristenrummel etwas zu entfliehen, habe ich in Rom und Umgebung mit dem Rad 2 empfehlenswerte Touren gemacht und zwar den Tiber entlang (da gibt es einen sehr schönen Radweg) und die Via Appia Antica (Kopfsteinpflaster) – zum Glück gibt es neben dem gepflasterten Weg (seeehr anstrengend zu fahren) ein schmales Wegerl, auf welchem man besser voran kommt.

Vergangene Woche ging es dann von Rom nach Florenz. Die Strecke (über Sutri, Montefiascone, Bolsena, San Quirico und Siena), die mir Komoot vorschlägt hat 320 km mit fast 4000 Höhenmetern. Knackig!

Die Fahrt raus aus Rom war sehr angenehm – fast 20km eben dahin auf einem schönen Radweg. Und dann ging es rauf in die Berge und leider kam auch sehr starker Nordwind mit Böen bis 70kmh. An diesem Abend war ich wirklich geschlaucht – 70km gefahren, 900 Höhenmeter und das meiste bei starkem Gegenwind. Der starke Nordwind mit eisigen Temperaturen (ich musste Haube und Handschuhe anziehen) hat mich auch an den nächsten 2 Tagen begleitet. Die restlichen 3 Radlertage waren dafür wieder sehr schön (windstill, sonnig). 

Und die Landschaft war sehr reizvoll – im Latium sieht man sehr viele Pinien und Zypressen, während dann in der Toskana nur die Zypressen das Bild prägen. Die Radstrecke verläuft teilweise auf der Via Francigena, einem alten Pilgerweg und ich habe tatsächlich eine Pilgerin getroffen. 

Sonja, eine Holländerin war mit dem Rucksack unterwegs von Siena nach Rom (250 km) sie geht am Tag ca. 25km, das heisst sie braucht insgesamt 10 Tage bevor sie wieder zurückreist nach Holland, wo sie ein BnB hat. Zum ersten mal auf meiner Reise habe ich voll bepackte Radfahrerinnen (so wie ich) getroffen: 2 französische Mädels sind seit 2 Wochen in der Toskana unterwegs – sie übernachten im Zelt. Auf meine Frage, ob ihnen das nicht zu kalt ist (in der Nacht hat es 0 Grad) haben sie gemeint: es geht, die Schlafsäcke sind warm. Und in 1 Woche sind sie ohnehin wieder zu Hause in ihrem weichen, warmen Bett. 

Wenn man so durch die Landschaft fährt, gehören tierische Begegnungen natürlich auch dazu. Da sind einmal meine ganz speziellen Freunde, die Hunde. Auf einem einsamen Feldweg ist mir eine Spaziergängerin mit (nicht angeleintem) Schäferhund entgegengekommen. Ich hatte ohnehin mit dem starken Gegenwind zu kämpfen, da fängt dieser Köter an, mich aggressiv anzubellen und versuchte, mich ins Bein zu beißen. Die Frau hat es irgendwie geschafft, ihn von mir weg zu ziehen.

Bei der Fahrt (auf einem Feldweg) zu einem etwas abgelegenen agriturismo, wo ich ein Zimmer gebucht hatte, sehe ich, dass sich auf der steilen Böschung zwischen den Büschen ein Tier rasch in meine Richtung bewegt. Zuerst dachte ich, das ist ein Hund und habe mich noch gewundert, dass er nicht bellt. Und dann war es eine Wildsau – die hat ein paar Meter vor mir den Weg überquert und ist auf der anderen Seite wieder in den Büschen verschwunden.

Neben den lebenden Tieren, sehe ich als Radlerin aber auch viele tote Lebewesen am Straßenrand liegen. In Süditalien habe ich viele Hunde und Katzen (die werden von den Autos angefahren, erleiden einen Genickbruch und schaffen es noch bis zum Straßenrand, wo sie verenden) liegen gesehen – zumeist hat es ausgesehen, als ob sie schlafen würden. Aber auch auf der Fahrbahn waren immer wieder Fellreste zu sehen. Und die Kadaver werden offensichtlich von niemandem weggeräumt.

Zwischen Rom und Florenz habe ich zwar keine toten Hunde und Katzen am Straßenrand gesehen, dafür aber 1 Dachs, 2 Füchse und noch ein anderes flauschiges Tier. 

Schlußendlich bin ich gut in Florenz (sooooo viele Touristen) angekommen, wo sich meine Italienreise dem Ende zuneigt. In ein paar Tagen geht es mit dem Zug zurück nach Österreich und dann (voraussichtlich) Mitte April weiter Richtung Schwarzes Meer/Asien. Insgesamt habe ich seit 6. Jänner 2.121 km zurückgelegt und bin 15.500 hm rauf und auch wieder runter gefahren. Und es war gar nicht schwer.

Ich mag diese Spukerl einfach!
Via Appia Antica
Via Appia Antica
Via Appia Antica
Via Appia Antica
Tiberradweg mit Engelsburg
Radweg raus aus Rom
Pilgerweg
Schaut aus, als ob er schlafen würde - ist aber tot
Heute geht es da lang
Latium
Montefiascone
Agriturismo in der Toskana
Eine Stärkung zwischendurch
Frühstück im BnB
Das auch (leider mit Plastikteller + Plastikbesteck!!!!)
In Siena muss man zu Nannini
Florenz

SCHLUSS MIT LUSTIG

In einem meiner früheren Beiträge habe ich geschrieben, dass alles ganz easy läuft und ich sehr unbeschwert und sorgenfrei in den Tag hineinlebe und mich überraschen lasse, was dieser denn so bringt. Seit 24.2. ist dem aber nicht mehr so und ich nehme an, dass auch die meisten meiner Leser*innen mit großer Sorge in die Zukunft blicken.  Ich bin jedenfalls fassungslos und schockiert über die Vorgänge in der Ukraine und irgendwie ist mir momentan auch die Lust am Reisen vergangen, obwohl ich mich hier in Catania/Sizilien natürlich sicher fühle. 

Normalerweise habe ich alle 2-3 Tage die Nachrichten verfolgt, mittlerweile schaue ich am Tag sicher 10x auf orf.at in der Hoffnung, dass sich doch etwas Positives (Waffenstillstand) tut.

Um von der ganzen Tragödie etwas abzulenken und weil dies ja ein Fahrrad-Reiseblog ist, möchte ich hier über meine dieswöchigen Radlererlebnisse berichten.

Nach 2 Rasttagen in Villa San Giovanni ging es am Mittwoch mit der Fähre nach Messina/Sizilien. Ich war gerade mit dem Rad  vom Hafen unterwegs zum BnB in Messina, als ich am lungomare einige Damen entdeckte, die unter Anleitung einer Trainerin ein Kräftigungs-Workout machten. Das wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen – ich bin hin zur Gruppe und habe gefragt, ob ich auch mitmachen dürfe. „Certo“ hat Benedetta, die Trainerin gesagt, und schon war ich mittendrin. Es war ein tolles, 1stündiges Ganzkörpertraining und hat viel Spass gemacht. Und die Damen waren sehr erstaunt, als sie hörten, dass ich aus Österreich mit dem Radl nach Sizilien gekommen bin. Am nächsten Tag hatte ich einen Muskelkater am Hintern und in den Oberschenkeln, als ob ich seit Ewigkeiten keinen Sport mehr betrieben hätte.

Von Messina ging es dann weiter nach Taormina (sehr touristisch) und Catania, wobei man immer mehr blühende Sträucher und Bäume sieht. Glücklicherweise waren nur kurze Tunnelfahrten dabei  und die Hunde haben zwar hinter dem Zaun gebellt, mich aber sonst  in Ruhe gelassen. 

Von Catania bin ich total begeistert, die tollen Barockbauten, das kulinarische Angebot mit den verführerischen Süßigkeiten – hier lässt es sich aushalten. Im Moment läuft eine Warhol/Banksy Ausstellung, die ich natürlich besucht habe. 

Da ich in 2 Wochen wieder in Österreich sein will, werde ich mich morgen den Zug nach Messina nehmen und dann weiter nach Rom fahren, wo ich ca. 1 Woche bleiben werde.

Fähre nach Sizilien
Mit den sportlichen ragazze in Messina
Normannischer Dom in Messina
Der Ätna immer im Blickfeld
Catania
Catania
Warhol/Banksy Ausstellung
Madl mit Radl
That‘s really funny
Catania
Die besten tartufi gibt es in Catania
Catania
Catania
Catania
Eine kalorienreiche Entschuldigung des BnB Besitzers für laute Gäste, die meine Nachtruhe störten
Catania
So, und zum Schluß noch ein Eis

MÜLL, MANDARINEN UND DER LÄNGSTE KILOMETER MEINES LEBENS

Die vergangene Radwoche führte mich von Amantea über Pizzo, Tropea und Palmi zur „Zehenspitze“ Italiens, nach Villa San Giovanni. Dabei war wieder eine Menge an Höhenmetern mit etlichen knackigen Anstiegen zu bewältigen.

Ich habe einige Radler-Blogs gelesen, in welchen eine ganz unangenehme Sache erwähnt wird, nämlich Fahrten durch unbeleuchtete, enge, niedrige Tunnelröhren ohne Rettungsbuchten. Speziell im Osten der Türkei dürften diese öfters vorkommen – die Radler, die unterwegs sind in den Iran schildern in ihren Berichten diese Horrorfahrten (ständig die Angst, dass man von den Autofahrern nicht gesehen wird und gerade wenn ein LKW im Anmarsch ist, hilft oft nur noch stehenzubleiben und sich an die Tunnelwand zu pressen und zu warten, bis der Spuk vorbei ist) – nur davon zu lesen hat bei mir bereits ein Gefühl der Beklemmung ausgelöst. 

Komoot lotst mich ja – so weit wie möglich – über Nebenstraßen, Feldwege oder Radwege (den letzten Radweg habe ich südlich von Neapel gesehen – vor ca. 650km). Es kommt aber immer wieder vor, dass Straßen gesperrt sind und dann muss man eben auf die Bundesstraße ausweichen. Und so kam ich diese Woche auch in den „Genuss“ einiger Tunnelfahrten. 

Bei der Einfahrt  ist die Länge vermerkt – beim 1. Tunnel stand: 1200 m. Ah, das kann nicht so schlimm sein, hab ich mir gedacht: das ist ein guter Kilometer und der ist ja schnell vorbei. Aber wenn man einmal in diesem finsteren Loch drinnen ist (ab und zu ist so ein Funserl Licht an der Decke), kein Platz zum Ausweichen – rechts neben dem Fahrstreifen ist die Wand, dann wird aus einem Kilometer eine halbe Ewigkeit. Und dann seh ich im Rückspiegel, dass ein LKW daherkommt. Sieht der mich eh? Ich habe zwar eine gute Beleuchtung und auf den Packtaschen befinden sich reflektierende Logos. Okay, er hat mich gesehen (sonst würde ich wahrscheinlich nicht mehr hier sitzen), hat aber voll gehupt und dieses durch den Tunnel verzerrte und extrem laute Hupgeräusch des fetten Brummers war der ärgste Horror. Aber endlich war er weg und irgendwann waren die 1200m auch geschafft. Halleluja! 

Grad als ich glaubte aufatmen zu können  kommt der nächste Tunnel mit 900m Länge. Okay, jetzt heisst es aufrüsten – das Wichtigste ist, dass man gesehen wird und auffällt. In einem B+B hat mir der Besitzer scotchlite Reflektorbänder (die man mittels Schalter blinken lassen kann) geschenkt. Die Bänder habe ich an den Oberarmen angebracht (an den Wadln hat’s keinen Sinn, weil die werden durch die Packtaschen verdeckt), die Blinklichter eingeschaltet und rein ins finstere Loch. Und wer glaubt, dass die LKWs nicht zu toppen sind, der liegt falsch. Schon von weitem zu sehen und unüberhörbar: ein Rettungsfahrzeug mit Blaulicht und Folgetonhorn nähert sich von hinten in einem Höllentempo. Dieser Folgeton ist schon ausserhalb eines Tunnels sehr unangenehm und grell – im engen Tunnel wird der Ton verzerrt und in Kombination mit dem Blaulicht und dem Karacho, in dem das Fahrzeug unterwegs war und nah an mir vorbeigezogen ist, erzeugte er enormen Stress.

Es kam dann noch ein weiterer Tunnel und erst nachdem ich die Bundesstraße verlassen hatte und gemütlich am lungomare entlangradelte, liess die extreme Anspannung nach.

Es gäbe natürlich auch bei den Tunnelfahrten einen Plan B: umdrehen bevor man in die Röhre reinfährt und zurück zum nächstgelegenen Bahnhof und ein paar Stationen mit dem Zug fahren. Der muss zwar auch durch einen Tunnel, mit dem Zug ist das aber allemal entspannter.

Eine andere, sehr traurige Geschichte ist der viele Müll. Einerseits sind es leere Plastik/Glasflaschen, Getränkedosen und Zigarettenpackungen, die offensichtlich nach der Konsumation einfach aus dem Auto geworfen werden. Außerdem komme ich immer wieder an total vermüllten Plätzen mit alten Möbeln, ausrangierten Haushaltsgeräten, Autoreifen,…. vorbei. 

Ich frage mich dann, wie es möglich ist, dass die Italiener, die ja für tolle Mode und exklusives Design stehen und daher sicher Sinn für Ästhetik haben dies zulassen. Ich habe z.B. einen gut gekleideten Mann beobachtet, der grad aus seinem SUV ausstieg und dabei eine leere Plastikflasche fallen liess. Hört der Sinn für Ästhetik auf, sobald das eigene Heim oder das eigene Auto verlassen werden? Machen sie es, weil es die anderen ja auch machen? Es gibt einen tollen Animationsfilm: Wall-E, der Letzte  räumt die Erde auf. An diesen Film muss ich hier oft denken. Dabei soll er Utopie sein – hier wird er stellenweise in den nächsten 10-20 Jahren Realität werden. Greta, du hast noch viel zu tun!

Jetzt aber auch was Positives: gestern bin ich über weite Strecken nur auf Feldwegen gefahren entlang von Mandarinenplantagen. Ich musste nur die Hand ausstrecken und die süßen, saftigen Früchte pflücken und genießen – ich habe sicher 1 Kilo verdrückt. Ewig lang bin ich keiner Menschenseele begegnet – irgendwann kam ein Traktor mit 2 Männern daher: die haben mich groß angeschaut und sich wahrscheinlich gewundert, was ich mit dem voll bepackten Rad in ihrem Feld mache. Ich habe ihnen freundlich zugewunken und sie haben zurückgewunken. 

Über meine ganz speziellen Freunde, die Hunde kann ich auch noch was berichten: Ich hab sie nämlich durchschaut.

Es gibt 3 Arten:

1) die Wohlerzogenen: die liegen vor dem Haus und sind ganz cool. Die ignorieren mich nicht einmal, wenn ich vorbeifahre. Werden wahrscheinlich erst aktiv, wenn man das Grundstück betritt.

2) die ohne Erziehung: lautes, aggressives Gebell und ständiges Hin-und Herlaufen hinter dem Gartenzaun und manche drehen sprichwörtlich durch. Sie laufen nämlich bis zum letzten Eck im Garten, um mich zu verfolgen und dann drehen sie sich ganz schnell im Kreis. Verrückt.

3) die Streuner: sind normalerweise harmlos. Liegen irgendwo am Straßenrand herum.

Und heute ist mir folgendes passiert: Ich war auf einer steilen Nebenstraße unterwegs und hab das Rad geschoben. Am Straßenrand lagen 2 Streuner, die harmlos gewirkt haben und nicht gebellt haben. Dann kam ein Bauernhof (mit Zaun) und hinter dem Zaun waren 3 Hunde ohne Erziehung. Lautes aggressives Gebell und offensichtlich irgendwo ein Tor, das nicht geschlossen war. Ich hab das Rad weiter bergauf geschoben (es war zu steil, um zu fahren) und plötzlich waren 5 Hunde hinter mir her. Die beiden Streuner, diese Opportunisten, haben sich den 3 aggressiven Viechern angeschlossen und mir kam es so vor, als ob sie beschlossen hätten: „Die machen wir fertig“. Ich habe einmal ein Buch gelesen über Wölfe, wie sie im Rudel jagen und welche Rolle die einzelnen Tiere übernehmen. Ich bin einfach weitergegangen und hab versucht, sie zu ignorieren. Mittlerweile war der größte und aggressivste Hund rechts vor mir (zwischen ihm und mir war das Rad), der zweite große Hund war links hinter mir und die restliche Meute hinten nach. Alle haben laut gebellt. Mein Puls war irgendwo. Es hat so gewirkt, als ob sie mich einkreisen wollen (so machen es zumindest die Wölfe).  Scheisse! Wo ist der Plan B? Okay, einen Versuch ist es wert: ich bück mich runter und tu so, als ob ich einen Stein aufheben und diesen nach den Hunden werfen würde. Die beiden großen Hunde sind stehen geblieben (noch immer laut bellend), die 3 anderen sind tatsächlich ein Stück zurückgelaufen. Also noch mal: runterbücken, einen imaginären Stein aufheben und nach den Hunden werfen. Und noch ein paar mal und dann haben sie mich, noch immer unter lautem Gebell, zumindest nicht mehr verfolgt, sondern sind stehen geblieben. Hätte der Plan mit den imaginären Steinen nicht funktioniert, so hätte ich das Fahrrad umgedreht, wäre aufgestiegen und bergab den Weg zurückgefahren, den ich gekommen bin. Dabei hätte ich sie rasch abgehängt, aber das wäre keine Lösung gewesen, weil ich ja über diesen Berg drüber musste und da gab es nur diese Straße.

Während ich mich hier mit den Hunden rumschlage, hat Brigitte (ihr wisst schon, die Schweizerin im südlichen Afrika) ein Affentheater. Sie schreibt mir, dass die Affen immer neben ihr her rennen und „mitreiten“ wollen. Ein oder  zwei Affen am Gepäckträger hätten sicher Platz! Sie ist übrigens mittlerweile in Sambia bei den Victoriafällen und schickt mir ein Foto, auf welchem sie alleine vor den herabstürzenden Wassermassen steht. Normalerweise stehen dort Unmengen an Touristen – coronabedingt ist aber nichts los.

Ich werde heute und morgen etwas verschnaufen, dann geht es mit der Fähre rüber nach Sizilien.

Tropea
Pizzo
In Pizzo muss es unbedingt ein Tartufo sein
Ein Aperol nach der Ankunft am Zielort kann nie falsch sein
Mein blinkendes Reflektorband für den Tunnel
Uj , das wird eine Gatschpartie! Hier heisst es umkehren!
Das schaut schon besser aus.
Vom Baum direkt in den Mund
Eine kreative Art, auf eines der vielen Schlaglöcher hinzuweisen
Frühlingsboten überall