Sowohl Dieter, der noch nie in Afrika war, als auch ich, die schon verschiedene Länder des schwarzen Kontinents bereist hat (aber nie mit dem Rad), waren sehr gespannt, was uns in Marokko erwarten würde. Bis zum Jahr 2000 war ich einige Male in Marokko gewesen – immer zu Besuch bei Verwandten meines Ex-Mannes, der aus Fes stammt. Seither sind 25 Jahre vergangen – ob und wie sich das Land wohl verändert hat?
Bereits am Hafen von Tarifa in Spanien fallen mir die vielen SUV‘s mit marokkanischem Kennzeichen auf, die ebenfalls mit der Fähre nach Tanger übersetzen. Nach unserer Ankunft in Tanger (die Einreiseformalitäten werden bereits auf der Fähre erledigt) gehts erst die paar Kilometer mit etlichen Höhenmetern in die Medina zu unserem gebuchten Riad. Radwege darf man hier natürlich nicht erwarten – wir teilen uns die Strasse mit unzähligen Autos, Motorrädern, Pferde- und Eselgespannen. Chaotisch, laut, bunt, vorbei an Cafés, in denen Männer im TV Fussball schauen und Minztee trinken- willkommen im Orient!
In der Medina ein Gewirr an engen Gassen mit unzähligen Riads, die man nur zu Fuß oder mit einem einspurigen Fahrzeug erreichen kann. Riads, diese nach innen gerichteten Gartenhöfe mit Dachterrasse, werden mehr und mehr zu Gästehäusern umgebaut und touristisch vermarktet. Wir dürfen unsere Räder im Eingangsbereich des Riads sicher abstellen und machen uns dann auf den Weg in ein Restaurant. Typisch marokkanisch muss es natürlich Couscous (mit Huhn) und Tajine (mit Rindfleisch und Pflaumen) sein. Dazu heißer, süßer Minztee. Alles sehr fein! Am Weg zurück ins Riad verirren wir uns ein paar Mal – es ist ein Labyrinth an engen Gassen, sodass selbst google maps teilweise nicht richtig anzeigt. Komoot, über das wir beim Radfahren navigieren, funktioniert besser, schlussendlich sind wir wieder in unserem Quartier angekommen.
Am nächsten Morgen Frühstück bei Sonnenschein auf der Dachterrasse – auch auf den umliegenden Terrassen sitzen Touristen, die ihr orientalisches Frühstück in der Sonne sitzend genießen. Wir organisieren uns dann noch SIM-Karten und tauschen unsere EUROs in Dirhams, bevor es mit dem Rad weiter Richtung Süden geht.
Es ist Montagmorgen mit viel Verkehr – das Fahren aus der Stadt ist zäh, wann immer es möglich ist, fahren wir am Gehsteig – die Polizei tangiert das nicht. Dann – wir sind noch immer nicht draußen aus der 1,3 Mio Einwohner Stadt – Dieter fährt vor mir auf einer wenig befahrenen Nebenstraße – kommt von hinten ein Motorrad mit 2 Männern und überholt mich. Als es auf der Höhe von Dieter ist, verreißt der Fahrer das Motorrad nach rechts, sodass Dieter strauchelt und beinahe zu Sturz kommt. „Was wollen die?“ denke ich mir, im nächsten Moment geben sie Gas und brausen davon. „Alles okay?“ frage ich Dieter. „Die wollten mein Handy klauen!“ Um navigieren zu können, haben wir unsere Mobiltelefone am Lenker angebracht – bei Dieter ist das Telefon mit einer Sicherungsschnur befestigt und daher ist es dem Bösewicht nicht gelungen, es zu rauben – die Sicherungsschnur hat gehalten. Für mich war das schon eine Schrecksekunde, aber Dieter, ein ehemaliger Kripobeamter, hat das ganze als sehr spannend und interessant empfunden.
Okay, noch mal alles gut gegangen, weiter gehts zuerst noch auf einer Nationalstraße, dann auf einer angenehm zu fahrenden Landstraße. Am Straßenrand werden Feigen, Granatäpfel und manchmal auch Coffee-to-go (aus tollen italienischen Kaffeemaschinen) angeboten (das hat es bei meinem letzten Besuch vor 25 Jahren definitiv noch nicht gegeben). Und was man am Straßenrand auch sieht: Müll. Schon in Spanien habe ich mir gedacht: „Wenn ich für jede leere Getränkedose oder -Flasche im Straßengraben einen Cent bekomme, so wäre ich Multimillionärin.“ Und auch hier wandern die leeren Dosen, Flaschen und Zigarettenpackungen direkt aus den fahrenden Autos in den Straßengraben.
In einer kleinen armseligen Ortschaft halten wir an einem Kiosk (Miniladen), um ein Getränk zu kaufen. Es ist keine touristische Gegend und die Leute dort sehen so gut wie nie Touristen (und schon gar nicht solche, die mit dem vollbepackten Rad unterwegs sind). Die „Verkäuferin“, Mariam, etwa 10 Jahre alt spricht nur arabisch und freut sich riesig, uns 3 Dosen Maracuja-Orange verkaufen zu können. Ihre Mutter kommt dann auch noch aus dem dahinter liegenden Haus und schenkt uns ein noch warmes Fladenbrot frisch aus dem Ofen. „Shokran katiran!“ und schon schwingen wir uns wieder auf die Räder.
Das Ziel unseres 1. Radlertages in Marokko liegt etwas ausserhalb von Assilah in einem kleinen Dorf: Maison d‘hotes Berbari, ein Landgut (mit tollen Bewertungen auf booking.com). Nachdem wir zuvor auf einer wilden ruppigen Piste an vielen einfachsten Wellblechhütten vorbeigefahren sind, können wir kaum fassen, an welch magischem Ort wir hier gelandet sind. Die im Berberstil gestalteten Zimmer sind alle individuell und mit viel Liebe zum Detail ausgestattet. Und dann die Kulinarik: am offenen Kamin (am Abend ist es schon kühl) und begleitet von feiner Jazzmusik gibt es feinste cuisine marrocaine mit guter marokkanischer Weinbegleitung.
Gemanagt wird das Anwesen von Frauen: Rachida mit einem wilden Lockenkopf und Nouhaila: Dieter kriegt noch immer glänzende Augen, wenn er an die rassigen Mädels (die wirklich auf Zack sind) von Berbari denkt.
Am nächsten Tag ist am Vormittag starker Regen angesagt, daher radeln wir erst am Nachmittag los. Ziel ist die nur 10km entfernte Stadt Assilah am Atlantik. Assilah ist bekannt für seine street art – seit 1978 findet dort das street art Festival statt und viele tolle Graffiti zieren die weißen Wände der Medina. Auch hier sind wir wieder in einem sehr schönen Riad untergebracht. Dieter, ein großer Fan von street art, findet viele Fotomotive.
Die nachfolgenden Tage ist ideales Radlerwetter angesagt (max 18 Grad bei Sonnenschein)- da auch kaum Höhenmeter zu überwinden sind, planen wir Tagesetappen zwischen 90 und 100km. Es geht durch stark landwirtschaftlich genutztes Gebiet (Region Gharb) entlang der Küste: Heidelbeeren, Himbeeren (ich sehe ein Gebäude von Discrolls – sie vermarkten die Beeren auch in österreichischen Supermärkten), Zuckerrohr, Bananen, Zitrusfrüchte, Reis und Unmengen an Avocados. Viele Betriebe setzen trotz Belastung der Wasserressourcen seit ein paar Jahren vermehrt auf die grüne Frucht, um den Hunger der Europäer nach Guacamole zu stillen.
Das Radeln ist körperlich nicht anstrengend, auf manchen Abschnitten sind aber viele Fahrzeuge (auch LKW‘s) unterwegs, sodass es eher mental belastend wird.
Und wenn Kinder am Straßenrand stehen, wollen sie immer abklatschen. Am Anfang war das ganz lustig – manche Kinder versuchen aber, einen vom Rad runter zu ziehen und dann hört sich der Spass auf. Mittlerweile strecke ich die Hand gar nicht mehr aus, weil ich Angst habe, dass ich zu Sturz komme, wenn ein 10-Jähriger meine Hand zu fassen bekommt.
Die Straßen sind ganz okay – es kann aber immer wieder vorkommen, dass plötzlich eine riesige Wasserlache (bei der keine Umfahrung möglich ist) auftaucht. Dann heissts: Augen zu und durch und hoffen, dass man nicht in ein Schlagloch (man sieht den Untergrund ja nicht) fährt. Und wenn man dann doch in einem Schlagloch landet: kurz mit einem Fuß absteigen und sich vom Boden abstoßen, damit man die Fahrt fortsetzen kann. Glücklicherweise scheint ja fast immer die Sonne, sodass der nun waschelnasse Fuß samt Schuh wieder trocken ist.
Nach den ersten 300 Radlkilometern in Marokko (insgesamt haben wir seit dem Start in Paris vor 10 Wochen 3200 km radelnd zurückgelegt)sind wir in Kenitra angekommen. Da wir unbedingt Fes (das abseits unserer Route liegt) sehen wollen, beschließen wir, die Räder und den Großteil des Gepäcks bei unserem Vermieter in Kenitra zu deponieren und den Zug ins Landesinnere zu nehmen. Unser Vermieter, ein ehemaliger Uni-Professor, der in Deutschland studiert hat und daher auch perfekt deutsch spricht, bringt uns dann auch noch mit dem Auto zum Bahnhof – shokran katiran!
Seit 2 Tagen sind wir nun in Fes und wohnen wieder einmal in einem beeindruckenden Riad in der Medina. Das Gassengewirr in der Altstadt mit mehr als 1000 zumeist sehr engen Gassen (unter Klaustrophobie darf man nicht leiden) ist immer wieder faszinierend. Und dann rieche ich es: Duft von Zedernholz – ich habe den angenehmen Duft seit meinem letzten Besuch in Fes vor 25 Jahren nicht mehr gerochen. Aus dem Holz werden in den Handwerksbetrieben schöne Möbel getischlert. Und weiter geht es in das Gerber- und Färberviertel. Hier ist es nicht der Duft, sondern der Gestank der Tierfelle, der einem auffällt (ein Büschel Minze vor der Nase hilft etwas). Im nächsten Viertel wird laut gehämmert – die Messing- und Kupferschmiede sind am Werken. Überall gibts was zu schauen und anschliessend lassen sich die Eindrücke in einem Café bei einer Tasse Minztee verarbeiten.



In Tanger werden die Stromzähler von Punksy gestaltet



der zerlegt gerade einen Rindskopf

zwischendurch ein Minztee


unsere wunderschöne Unterkunft am Land

Tajine mit Rindfleisch, Pflaumen, Birnen und Mandeln – dazu Gemüse und marokkanischer Rotwein

ja, so lässt sich‘s leben

Abendstimmung am Land


unser Riad in Assilah

Riad in Assilah

Dachterrasse des Riad in Assilah

street art in Assilah


nach einem ausgiebigen Frühstück im Riad gehts weiter





Arbeiter auf der Bananenplantage

Das sind Dornen eines Strauches, der überall am Straßenrand wächst – bis jetzt hatten wir in Marokko zum Glück keinen Patschen

viele Störche hier und dieser Mast ist besonders beliebt

Bab Boujloud – das Blaue Tor in Fes

in der Medina in Fes




unser bescheidenes Riad in Fes









































































































































































